Die (Fußball-) Bilderstürmer

Die Grüne Jugend fordert zur Fußballeuropameisterschaft, auf Fahnen und Nationaltrikots zu verzichten und erntet damit einen Shitstorm im Netz. Zu recht, denn Flaggen und Farben gehören zur Fankultur dazu. Zudem sollte man die Symbole der Demokratie nicht denen überlassen, die sie für ihre Zwecke missbrauchen wollen.


Am Samstag war ich in meiner hessischen Heimat, in Hanau, unterwegs. Unmittelbar vor der Partie zwischen Albanien und der Schweiz war die Innenstadt voller albanisch stämmiger Fans. Zur Unterstützung Ihrer Mannschaft waren sie mit Nationaltrikots bekleidet und schwenkten die rot-schwarze Fahne Skanderbegs mit dem Doppeladler.

Für die in Hessen lebenden Albaner war die Partie in doppelter Hinsicht bewegend. Zum einen war es der erste Auftritt ihres kleinen Landes (flächenmäßig so groß wie das Bundesland Brandenburg) bei einem großen Turnier. Zum anderen verteidigte mit Mergim Mavraj ein gebürtiger Hanauer für die Skipetaren-Elf. Irgendwie freute ich mich mit den Albanien-Fans und hatte Gelegenheit, das eine oder andere Gespräch mit den Adlersöhnen zu führen. Ich wünschte dem Underdog Glück. Geholfen hat es, hinterher ist man immer schlauer, nicht.

Hessische Albaner und albanische Hessen

Was für eine Völker verbindende Angelegenheit so eine Europameisterschaft doch sein kann, dachte ich mir. Bis ich von einer Pressemitteilung der Grünen Jugend las. Für die Nachwuchspolitiker sind Fahnen und Farben pfui, und Fußball-Patriotismus ist deren Meinung nach lediglich eine andere Form des Nationalismus. Auf Farben und Fahnen müsse daher unbedingt verzichtet werden.

Zwar dürfte es den Junggrünen vor allem um das deutsche, aus der bürgerlichen Freiheitsbewegung von 1848 stammende und im NS-Staat verbotene, Schwarz-Rot-Gold gegangen sein. Konsequenterweise müssten aber auch die Skipetaren in einem junggrünen Paralleluniversum ihr Rot-Schwarz einrollen. Ob es in Albanien auch Junge Grüne gibt, die sich an Fußballpatriotismus stören, fragte ich mich. Wenn ja, dürften sie dort wohl ähnlich ernst genommen werden, wie hierzulande Chemtrail-Aktivisten oder Menschen, die die Legalität der Bundesrepublik Deutschland anzweifeln und auf einem Klinikgelände ihr eigenes Königreich ausrufen.

Grüne Jugend erntet Shitsorm

Zwar ist es das Vorrecht der Jugend, ab und zu einmal über die Stränge zu schlagen und – mit Verlaub – Unsinn zu schreiben. Dennoch waren auch hierzulande die Reaktionen einhellig negativ und einhellig heftig. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU)  setzte via Twitter ab: „#GrüneJugend kapiert’s nicht: Fahnen der Fans sind das Gegenteil der Fahnen von einst: Symbol für weltoffenes, sympathisches Deutschland!“ SPD-Politiker Johannes Kahrs meldete sich ebenfalls zu Wort: „Wie peinlich ist denn das. jetzt häng ich mir wieder ne Deutschland flagge über den Strandkorb. jawohl.“ Wie es sich für einen CSU-Generalsekretär wohl gehören muss, ließ Andreas Scheuer gegenüber der „Bild am Sonntag“ einen besonders groben Klotz vom Stapel: Der Support der Nationalelf mit den Nationalfarben sei gesunder Patriotismus. „Besser Patriot als ein Idiot“, erklärte der Leiter von Seehofers Abteilung Attacke.

Aber nicht nur politische Konkurrenten, auch grüne Spitzenpolitiker senden völlig entgegengesetzte Signale aus. Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin kündigte an, die Spiele der DFB-Elf im grünen Ausweichtrikot zu verfolgen (auch dies ist mit schwarz-rot-goldenen Elementen bestickt). Die Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, erscheint auf ihrer Facebook-Seite ganz und gar im schwarz-rot-goldenen Jersey. Ob die Spitzengrüne nun einen Antrag auf Parteiauschluss aus Reihen der Jugendorganisation befürchten muss?

Deutsche Fahne nicht Rechten überlassen

Auf den Punkt brachte es die Autorin Liane Bednarz – ebenfalls auf Twitter: „Groteske Forderung der Grünen Jugend. Man darf die Deutungshoheit über die deutsche Flagge nicht den Rechten überlassen.“ In der Tat war die schwarz-rot-goldene Fahne immer eine Fahne der Freiheit und der Demokratie. In der Weimarer Republik wurde sie von den Nationalsozialisten verhöhnt. Einmal an die Macht gelangt, ersetzte die Hitler-Partei sie flugs durch andere Farben. Die Anti-Demokraten in der DDR schließlich fügten Schwarz-Rot-Gold umgehend Hammer, Zirkel und Ährenkranz hinzu. Und im Westdeutschland der Nachkriegszeit konnten rechte Splittergruppen mit Schwarz-Rot-Gold nichts anfangen. Reichskriegsflaggen und ähnliche Insignien aus der Kaiserzeit standen dort weitaus höher im Kurs. Heutzutage suchen sich Reichsbürger und ähnliche Sektierer anderen Fahnenschmuck.

Jubel für Klose und Özil

Schwarz-Rot-Gold indes kam mit dem so genannten Sommermärchen 2006, der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land, en vogue. Gejubelt und die Fahne geschwenkt wird seitdem auch für gelungene Aktionen von Spielern wie dem in Polen geborenen Miroslav Klose, dem Muslim Mesut Özil, dem Berliner Christen Jerome Boateng oder von Shkodran Mustafi, einem anderen albanisch stämmigen Hessen. Nicht zu unrecht gilt die Nationalmannschaft inzwischen als Vorbild und Katalysator für Integration und ein weltoffenes Deutschland. Und in der Tat: Die Popularität von Stars wie Özil oder Khedira taugt dazu, das gesellschaftliche Klima zu beeinflussen.

Chilenische Ehefrau mit Deutschlandfahne

Der Zufall wollte es, das meine chilenische Ehefrau just 2006 – also in den Zeiten des Sommermärchens – ihren ersten Sommer in Deutschland verbrachte. Hatte sie zuvor über die laue Stimmung und den lauen Fußball-Patriotismus der Deutschen geklagt, was aus südamerikanischer Sicht wohl berechtigt war, so fand sie an den Fanmeilen und Fußballfesten während der WM rasch gefallen. Ihr Auto schmückte sie mit den obligatorischen Fähnchen und zu den Spielen trug sie ein Deutschland-Trikot. Wäre jemand von der Grünen Jugend zu ihr gekommen und hätte sie aufgefordert, ihren revanchistischen Fußballschmuck abzulegen, denen armen Menschen hätte wohl das südamerikanische Temprament getroffen. Dagegen kann selbst Andreas Scheuer ein Meister der Diplomatie sein.

Mein Appell an die Grüne Jugend ist da ungleich diplomatischer: Liebe junge Freude, legt doch für einen Moment die Ideologie-Brille ab und lasst den (Fußball-) Bildersturm. Ruft euch einen Satz des früheren Bundespräsidenten Johannes Rau ins Gedächtnis: „Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.“ Echte Fans freuen sich deshalb mit ihrer Mannschaft, respektieren aber auch die Gegner – und erkennen an, wenn er besser ist. Gerade mit eurem verkrampften Übereifer seid ihr sehr deutsch, deutscher als ihr wahrhaben wollt. Also bitte entspannt euch. Macht euch eine Flasche Bier auf, von mir aus auch veganes – oder tut sonst etwas, das euch gewöhnlich relaxen lässt (an dieser Stelle weise ich vorsorglich darauf hin, dass man hierbei natürlich die Paragraphen des Strafrechts beachten sollte). Am besten feiert ihr mit Freunden aus anderen Nationen ein fröhliches Fußballfest. Meine Erfahrung im Ausland ist nämlich die, dass die Menschen dort ihre Nationalsymbole durchaus schätzen und es sie eher verstört, wenn sie feststellen, dass jemand ein Problem mit seinen eigenen Farben hat.

Entspannt euch, liebe Junge Grüne!

Und denkt daran, liebe junge Grüne, die schwarz-rot-goldene Fahne hat eine Freiheitstradition. Die solltet ihr nicht Feierabend-Demagogen überlassen, die sie montagsabends in Dresden Spazieren tragen oder in Talkshows über Stuhllehnen legen. Die haben genauso wenig Ahnung wie ihr, für was diese Fahne eigentlich steht. Mit euren pseudo-coolen Aktionen versucht ihr deshalb unbewusst, die demokratische Mitte ihrer Symbole zu berauben. Ungeliebte Randgruppen können sie sich dann schnell zu eigen machen. Herr Gauland von der AfD beispielsweise würde, so er sich denn für Fußball interessierte, eher nicht für Özil, Sané oder Boateng Schwarz-Rot-Gold flaggen.

Mir jedenfalls hat es Spaß gemacht, mit den hessischen Albanern über ihre Mannschaft zu sprechen. Wenn dann der Hesse Mustafi das erste Tor für Deutschland köpft, freuen sich meine neuen Fussballbekannten sicher genauso wie ich. Im deutschen Team gibt es übrigens einen weiteren Hessen – und der heißt Emre Can. Bei Spielen trägt er Nationalfarben, Schwarz-Rot-Gold!

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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