Wohin mit all den Corona-Arbeitslosen?

Um im Gefolge der Corona-Tragödie Zustände wie in der Großen Depression der 1930er Jahre zu verhindern, sollten wir uns wieder auf Keynes und Roosevelts New Deal besinnen. Schnelles Hochfahren der öffentlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen lautet das Gebot der Stunde, fordert Kolumnist Henning Hirsch


Man muss kein Weltuntergangsprophet sein, um zu erahnen, dass unser Arbeitsmarkt aufgrund der Corona-Krise alsbald in arge Turbulenzen geraten wird. Die Kredite und Überbrückungshilfen, so sie denn die Adressaten überhaupt rechtzeitig erreichen, werden irgendwann aufgezehrt sein. Insolvente Gastronomen und betriebsbedingt gekündigte Mitarbeiter unserer Automobilkonzerne bevölkern dann die Flure des Jobcenters und werden zu achtzig Prozent nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar sein. Es muss nicht in derart erschreckendem Ausmaß geschehen wie in diesen Tagen jenseits des Atlantiks zu beobachten, jedoch werden auch bei uns die Zahlen explodieren. Und was dann?

Ein Heer von xy Millionen Arbeitslosen bis zum Erreichen der Armutsrente mittels Hartz 4 alimentieren? Zementiertes Dauerprekariat als Lösung eines Problems, das nicht schuldhaft durch den einzelnen, sondern durch eine uns alle überraschende Seuche epischen Ausmaßes verursacht wurde? DAS kann es meiner Meinung nach eben NICHT sein.

Roosevelts New Deal als Blaupause nutzen

Manchmal hilft ein Blick zurück in die Geschichte, um pragmatische Lösungsansätze zur Überwindung derartiger Großdepressionen zu entdecken: Als F.D. Roosevelt 1933 auf dem Höhepunkt des gewaltigsten ökonomischen Dramas, mit dem die USA bis dato konfrontiert waren, ins Oval Office gelangte, bestand eine seiner ersten Amtshandlungen darin, die Works Progress Administration (WPA) ins Leben zu rufen. Eine Behörde, die in umfangreichem Ausmaß öffentliche Arbeit erdachte und organisierte. Überwiegend im Straßen- und Brückenbau. So wurden in den 30er Jahren ein paar noch heute zu bestaunende Mammutprojekte angegangen und vollendet: z.B. die Golden Gate Bridge in San Francisco, die Bestückung des Tennessee-Tals mit Staustufen und Wasserkraftwerken – wodurch diese tiefarme Region zum größten Stromerzeuger der USA aufstieg –, der Bau von Camp David. Die Arbeitslosenzahlen sanken stetig, bei der Bevölkerung machte sich wieder Hoffnung breit.

Dass Hitler mit den Autobahnen ähnlich vorging, wissen Sie, wollen Sie mich aufs Glatteis führen? Ja, weiß ich. Aber nur weil Hitler in derselben Zeit wie Roosevelt keynesianische Wirtschaftspolitik betrieb, bedeutet das ja nicht zwangsläufig, dass man Keynes nicht mehr zitieren und auf unseren Autobahnen nicht mehr fahren darf.

Finde ich prima, sagen Sie nun? Raus mit all den hüftsteifen Akademikern auf die Felder und in die Schweineställe. So hat es Mao in der glorreichen Kulturrevolution ja auch gemacht. Ein bisschen körperliche Arbeit hat noch niemandem geschadet. Natürlich können wir nicht jeden Kleinstadtbühnen-Mephisto zum Ausheben von Sickergruben und nicht jede Kosmetikerin zum Spargelstechen verdonnern, antworte ich. Das Instrumentarium Arbeitsbeschaffung muss deshalb breiter aufgefächert werden. Zu denken wäre beispielsweise an: Ausbau der Kapazitäten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, mehr Lehrer in die Schulen, mehr Dozenten an die Hochschulen. Beschäftigtendichte in der Verwaltung hochfahren. Kommunale Rettungsschirme über Theater und Opern spannen. Öffentliche Aufträge an Künstler vergeben und so weiter und so fort. In Zeiten wie diesen muss von staatlicher Seite aus alles probiert werden, um die drohende Rezession größtmöglich abzufedern. Hatte die WPA übrigens alles schon vorexerziert: Federal Writers’ Project, Historical Records Survey, Federal Theatre Project, Federal Music Project, Federal Art Project. Wir müssen das arbeitsmarktpolitische Rad nicht komplett neu erfinden. Im New Deal wurde vieles, was heute ansteht, bereits getestet und erfolgreich durchgeführt.

Re-Kommunalisierung lautet das Gebot der Stunde

Zudem muss nach den Privatisierungsarien der 1980er bis 2000er Jahre ein Umschwenk in Richtung Kommunalisierung respektive Rückverstaatlichung geschehen. Der sich v.a. auf diese Dienstleistungen bezieht: Gesundheit, Pflege, pharmazeutische Grundlagenforschung und Grundversorgung, schienengebundener Nah- und Fernverkehr. Sowohl in den Krankenhäusern als auch in Pflege und bei der Bahn ist wenig besser geworden durch den Eigentümerwechsel. Dass private Hochschulen besser ausgebildete Absolventen hervorbringen als staatlich betriebene Universitäten ist mehr Bunte-Bilder-PR als eine seriöser Überprüfung standhaltende Tatsache. Das Experiment Privatisierung des vormals lange Zeit aus gutem Grund öffentlichen Sektors kann in weiten Teilen als gescheitert angesehen und sollte in der Nach-Corona-Phase schnell beendet werden.

Nie war Keynes The General Theory of Employment aktueller als heute. Das Dogma der Schwarzen Null muss fallen. Das Kaputtsparen elementar wichtiger Infrastruktur muss ein Ende haben. Der Staat muss und wird in Zukunft stärker in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen. Denn, wenn die momentane Pandemie, der sicher weitere folgen werden, eines ganz deutlich aufzeigt – dann dieses: Der sich selbst überlassene Markt regelt in Krisenzeiten so gut wie nichts, versagt regelmäßig, sobald ein Sturmtief heraufzieht, ist in weiten Teilen eine Schönwetterveranstaltung, die einigen wenigen Akteuren überproportional nützt, während der Großteil der Beschäftigten sich mit dem monatlichen Gehaltsscheck bestenfalls knapp über der Wasserkante hält, einige sogar mit zwei Jobs gleichzeitig trotzdem ständig vom Absaufen bedroht sind.

Ohne funktionierende und gerechte Gesundheitsversorgung und Teilhabe an Bildung, ohne möglichst viele erwerbsfähige Menschen in erfüllender Arbeit wird kein Staat dauerhaft überlebensfähig sein. Selbst die Nation, die gerne als Gralshüter des ungezügelten Kapitalismus auftritt, wird das in der Post-Corona- und Post-Trump-Zeit begreifen müssen. Die Summe kumulierter Egoismen gebiert eben nicht den größtmöglichen Wohlstand für alle, sondern nur obszönen Reichtum für ein paar besonders Clevere.

Wie lange soll Ihre große ABM-Show denn dauern, Herr Kolumnist, fragen Sie mich? So lange sie halt dauern muss, um die schlimmsten Arbeitsmarktverwerfungen zu überwinden, erwidere ich. In den Vereinigten Staaten war die WPA acht Jahre aktiv, bis Vollbeschäftigung erreicht wurde und man die Behörde wieder auflöste.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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