Sicherheit für Demokraten

Schüsse auf das Bürgerbüro des Abgeordneten Karamba Diaby, ein Bürgermeister, der einen großen Waffenschein beantragt, weil er bedroht wird, der Mord an Walter Lübke. Wie schafft man Sicherheit für Demokraten? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Michal Jarmoluk auf Pixabay

Ich habe die Angst erlebt. Nicht nur meine eigene. Die Angst meiner Frau. Die Angst meiner Kinder. Die Angst meiner Mutter, meiner Schwiegermutter. Die wissen, wo Du wohnst, die wissen eh, wo Du arbeitest. Man dreht sich häufiger um, wenn man Schritte hinter sich hört. Man schreckt nachts bei jedem Geräusch auf. Man wechselt die Straßenseite. Bedrohung ist eine widerliche Sache. Eine Beule verheilt, über eine Beleidigung kann man lachen, aber das schlechte Gefühl einer Bedrohung bleibt in den Knochen. Denn ein Täter wird so gut wie nie ermittelt. Der allgegenwärtige und martialisch klingende Satz, „Der Staatsschutz ermittelt“ tröstet den Betroffenen wenig, wenn er weiß, wie das läuft. Was verdammt nochmal sollen denn der Staatsschutz oder die Polizei – von der der Polizeiliche Staatsschutz (PS) nur ein Teil und nicht etwa etwas ganz Besonderes ist – ermitteln? Und was weiß ich, ob der ein oder andere Polizist nicht mit den Tätern sympathisiert.

Nun gibt es wieder diese großen Reden, die Forderungen, der Staat möge sich unerbittlich zeigen. Ja, fein. Der unerbittliche Staat kann aber nur zuschlagen, wenn er die Täter ausfindig macht und ihnen die Tat nachweist. Und da sieht es halt mau aus. Wann erwischt man denn schon mal jemanden, der eine Drohung in den Briefkasten wirft oder eine über unzählige Porxyserver geroutete Email schreibt?

Ratlos

All diese Fälle machen ratlos.

Ich habe volles Verständnis dafür, dass der bedrohte Bürgermeister von Kamp-Lintfort, Christoph Landscheidt, einen Waffenschein beantragt hat. Und ich habe noch größere Hochachtung davor, dass er seine Klage auf Erteilung dieses Waffenscheins vor dem Verwaltungsgericht zurückgenommen hat. Was hilft denn schon eine Waffe? Wie soll die mich davor schützen, angegriffen zu werden? Wenn jemand mich töten will, dann tötet er mich. Und vor allem, selbst wenn der Täter so dämlich ist, dass er mir Gelegenheit gibt, meine Waffe zu ziehen, was hilft das denn den restlichen Familienmitgliedern? Sollen auch Schulkinder von Bedrohten bewaffnet werden? Oder Lehrer? Kindergärtnerinnen?

Aber wie kann man den Betroffenen Sicherheit verschaffen? Lieschen Müller meint dazu:

Ihr Schutz ist vielmehr eine staatliche Aufgabe. Wenn Kommunalpolitiker besonders gefährdet sind, dann müssen sie entsprechende staatliche Schutzmaßnahmen erhalten. Das kann man nicht davon abhängig machen, ob Politiker auf der Bundes-, Landes- oder der kommunalen Ebene tätig sind“.

Ach nee, das ist ja gar nicht von Lieschen Müller, das ist von Annegret Kramp-Karrenbauer, der CDU-Vorsitzenden. Und es ist von schlichter Einfalt.

Es gibt in Deutschland rund 11.000 Gemeinden und damit mindestens 11.000 Bürgermeister. Für einen wirksamen Personenschutz bräuchte man mindestens 6 Personenschützer pro Nase, macht 66.000 zusätzliche Polizeibeamte oder vom Staat bezahlte Personenschützer. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Und damit wären ja nur die Bürgermeister abgedeckt – nicht etwa abgesichert, denn ein Scharfschütze knallt Sie auch in einer sie umgebenden Menge von Bodyguards ab. Dazu kämen unzählige Kommunal-,Landes- und Bundespolitiker.

Und damit ist der Drops ja auch nicht gelutscht. Denn heute läuft jeder Gefahr, ins Visier von Hetzern und Kriminellen zu geraten, der sich in irgendeiner Weise für den demokratischen Staat oder für Flüchtlinge oder das Klima einsetzt. Das können Journalisten sein, Flüchtlingshelfer, Klimaaktivisten und selbst harmlose Kolumnisten wie ich.

Die Idee, man könnte alle Gefährdeten mit staatlichen Mitteln, gar mit Polizeischutz, vor Gewalt oder Hass schützen, ist gefährlich naiv. Und wenn man, wie nun mit dem Bürgermeister von Kamp-Lintfort, einem einzelnen Bedrohten Polizeischutz verschafft, dann suchen die Arschlöcher sich halt für die Zwischenzeit ein anderes Opfer, bis der Schutz wieder abgezogen wird.

Christoph Landscheidt hat eines ganz zutreffend erklärt, nachdem er seine Klage zurückgenommen hat. Es gehe um die gesellschaftliche Frage, wie man Hass, Hetze und Bedrohungen verhindern und sich gegenseitig besser schützen könne.

Gegenseitig – so heißt das Zauberwort.

Der Glaube an die Verschärfung von Gesetzen gegen Hass und Hetze wird da nicht viel helfen. Das machen Politiker gerne, wenn ihnen nichts Vernünftiges einfällt. Wer selbst vor Mord nicht zurückschreckt, der scheißt doch darauf, was im Gesetz steht, oder ob ein Gesetz verschärft wurde. Und in den meisten Fällen kann er zu Recht darauf setzen, dass er gar nicht erwischt wird, wenn er sein Hakenkreuz schmiert, einen Schuss auf ein Bürgerbüro abgibt oder einen Schweinekopf vor eine Synagoge oder eine Moschee legt. Um solche Dinge einzudämmen, braucht es mehr als die Staatsgewalt.

Aufstand der Anständigen

Ich hatte schon nach meinem persönlichen Erlebnis mit der Bedrohung in einem Interview mit dem SPIEGEL gesagt:

… Derjenige, der das gemacht hat, wird sicherlich eine Form der Genugtuung empfinden, weil ich jetzt keine politischen Texte mehr schreiben werde. Ich denke aber auch, dass meine „Kapitulationserklärung“ gleichzeitig einen neuen Schub in die Debatte gebracht hat. Ich hoffe nur, dass dieser vielfach beschworene „Aufstand der Anständigen“ jetzt bald losgeht.

und

…Jetzt sind die dran, die auf dem Sofa gesessen haben. Wenn die sagen, sie stehen auf und mischen sich ein, wären wir schon ein Stück weiter. Oder sie sagen: „Ich bleibe weiter hinter der Gardine stehen“. Da kann ich nur sagen: Wenn ihr gerne in Angst und Schrecken leben wollt, was seid ihr dann für ein Volk?

Es war aus meiner heutigen Sicht richtig, die Bedrohung öffentlich zu machen und es hat mir ganz gewaltig gegen die Angst geholfen, dass eine große Solidaritätswelle entstand. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Wer bin ich schon? Eine kleine Wurst, die Kolumnen schreibt.

Ich denke, das ist der richtige Weg. Jede Bedrohung, jede Sachbeschädigung zum Zwecke der Bedrohung, jedes Hakenkreuz und jeder antisemitische, jeder rassistische, jeder sexistische Spruch sollten angezeigt und im wahrsten Sinne des Wortes geächtet werden.

Ein kleines Beispiel vom 17. Jan. 2020: Wenn ein CSU-Politiker auf Facebook ein Foto von Luisa Neubauer postet und dann stundenlang widerliche sexistische Kommentare unter diesem Post duldet, ja dann sollte man dem umgehend etwas entgegensetzen und siehe da, der Post ist weg. So einfach kann das sein. Dass ich den bei Facebook entfreundet habe, ist eine Selbstverständlichkeit.

Machtübernahme

Der aus diesen Taten sprechende Hass ist zwar gegen einzelne Personen gerichtet, Ziel ist aber die Beseitigung der freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Übernahme der Macht durch Menschen, mit denen Demokraten nichts gemein haben können. Dagegen mit allen zur Verfügung stehenden staatlichen Mitteln vorzugehen, ist zwar richtig, viel wichtiger ist aber, die Gesellschaft zu sensibilisieren und zu aktivieren.

Nur wenn diese Feinde des Grundgesetzes sehen, dass sie keinen Widerhall in der Bevölkerung haben, nur wenn der einzelne Bürger sich für diese Gesellschaft einsetzt, wird diese Klientel irgendwann einsehen, dass ihre feuchten Träume von der Machtergreifung eben nur Träume sind.

Und da bin ich mittlerweile ganz guter Dinge. Gerade in den sozialen Medien haben sich eine ganze Reihe von Anständigen zusammengefunden, die sich die Mühe machen, diesen Demokratiefeinden beharrlich zu widersprechen oder auch ihre Posts zu melden oder Anzeigen zu erstatten.

Ganz gleich ob es nun einzelne, wie z.B. Ruprecht Polenz, Hasnain Kazim und viele andere oder Gruppen wie #wirsindmehr oder die „Omas gegen Rechts“ sind, hier finden sich Bürgerinnen und Bürger, die bereit sind, einen Teil ihrer Freizeit zur Verfügung zu stellen, um dem Hass im Netz oder auf der Straße etwas entgegen zu setzen. Und die mit offenem Visier zeigen, dass sie sich nicht einschüchtern lassen wollen.

Arsch huh

Die haben erkannt, dass der Staat eben nicht alles richten kann und dass man, wie es hier im Rheinland so schön heißt, den „Arsch huh“, also den Hintern hochbekommen muss, wenn einem die Demokratie etwas wert ist. Und irgendwann wird auch der dümmste Anhänger des Äquidistanzismus verstehen, dass Antifaschismus eben nicht dasselbe ist wie Faschismus, sondern dass der Antifaschismus der Kern unserer Verfassung ist, die Lehre aus der Geschichte. Dass Meinungsfreiheit nicht nur vor Gerichten, sondern auch im Alltag verteidigt werden muss – dass das aber nicht bedeutet, dass Rassisten und Antisemiten ihre Meinung unwidersprochen äußern dürfen, und dass spätestens da Schluss mit lustig ist, wo Menschen bedroht und eingeschüchtert werden oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit fröhliche Urständ feiert –, scheint zunehmend verstanden zu werden.

Die Demokratie zu schützen, schafft der Staatsapparat alleine nicht. Da reicht ein Blick in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Ob die Demokratie und der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat erhalten bleiben, liegt letztlich in der Hand der Bürger. Das sollten vor allem einmal diejenigen bedenken, die sich selbst als bürgerlich betrachten, aus Gründen des Machterhalts aber schon mal in die „blaune“ Ecke schielen und dabei allen Ernstes was von Werten reden.Wenn man sich vor Augen führt, dass einer dieser Menschen mal der Chef des Verfassungsschutzes war, kann einem schlecht werden. Alle anderen Demokraten sollten versuchen, trotz zunehmender Bedrohungen durch Undemokraten fröhlich durchs Leben zu gehen und sich nicht Bange machen lassen.

Auch wenn der politische Arm der Menschenfeinde Wähler findet, die Menschenfreunde sind mehr. Viel mehr. Und wenn mehr von dieser Mehrheit sich aktiv einmischen, dann lässt der böse Spuk bald nach.

Geben wir uns gegenseitig die Sicherheit, die wir brauchen.

Oh, deep in my heart I do believe: We shall overcome some day.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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