Philosophie als Pop?

Anmerkungen zu „Shooting Stars. Philosophie zwischen Pop und Akademie“ von Daniel-Pascal Zorn.


Es gibt bezüglich der Philosophie eine Vielzahl von Formen der öffentlichen Darstellung und Diskussion ihrer Fragestellungen, Diskussionen, Inhalte und Ergebnisse. Es gibt Sammelbände und Fachzeitschriften, in denen akademische Philosophinnen ebenso vertreten sind wie Denker, die außerhalb der Akademie arbeiten. Es gibt Bücher, die sich vor allem an ein Fachpublikum wenden, ebenso wie solche, die an ein breites Publikum adressiert sind. Darunter sind Übersichtsdarstellungen ebenso wie anspruchsvolle Diskussionen von Einzelproblemen. Es gibt zudem Publikumszeitschriften, in denen sich wiederum unterschiedlichste Textformen finden, im denen philosophische Fragen gestellt und Antwortversuche verständlich gemacht werden. Dort finden sich neben literarischen Versuchen auch Interviews mit akademischen Meistern und professionellen Philosophinnen. Darüber hinaus gibt es Veranstaltungsformate, Fernseh- und Rundfunksendungen, in denen Hochschullehrerinnen und Privatgelehrte auftreten, vortragen, antworten und diskutieren.

Insofern ist Daniel-Pascal Zorn zuzustimmen, wenn er auf Seite 90 seines weniger als 100 Seiten umfassenden Essays „Shooting Stars. Philosophie zwischen Pop und Akademie“ schreibt, es sei „verfehlt, von einer einfachen Gegenüberstellung von Populärphilosophie und akademischer Philosophie auszugehen“. Allerdings reibt sich der Leser an dieser Stelle, so kurz vor Schluss des Textes, verwundert die Augen und fragt sich, was er denn auf den Seiten bis dahin andererseits gelesen hätte als eben eine solche einfache Gegenüberstellung. „Wie Karikaturen stehen sie sich gegenüber“ schreibt Zorn auf Seite 24 – und verschweigt an dieser Stelle, dass es seine Karikaturen sind, die er selbst zeichnet. Daran ändert nichts, dass er diese Karikaturen selbst als „wenig sympathische Idealtypen“ (Seite 8) bezeichnet und verspricht, „diese Kategorien selbst noch einmal kritisch [zu] befragen“ (Seite 9) – ein Versprechen, das höchstens ansatzweise eingelöst wird und dessen Einlösung in der polemischen, holzschnittartigen und radikal vereinfachenden Zeichnung der Karikatur „Populärphilosophie“ untergeht.

Dabei ist das spezielle Verhältnis zwischen akademischer Fach-Philosophie und populärphilosophischen Arbeiten durchaus der genaueren Betrachtung wert, gerade weil es in der Philosophie in Wirklichkeit eine Vielfalt gibt, die anderen Disziplinen fremd ist. In Wissenschaften wie etwa der Physik oder auch der Ökonomie können wir sehr gut zwischen akademischer Forschung und populärer Darstellung unterscheiden – und kaum jemand käme auf die Idee, einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift oder einer Fernsehsendung die Vereinfachungen anzukreiden, die mit der allgemeinverständlichen Darstellung verbunden sind. Im Verhältnis von akademischer Arbeit und populärem Verstehen kommt eine Differenz zwischen diesen Wissenschaften und der Philosophie zum Ausdruck, deren Verstehen uns helfen kann, die unterschiedliche Bedeutung beider Handlungsfelder klar zu machen.

Zu diesem Verstehen leistet Zorns Essay durchaus Beiträge indem es verständlich macht, wie Philosophie als Fragen immer radikal – an die Wurzel gehend – sein muss und wie sehr sie deshalb immer wieder ihre eigenen Voraussetzungen und Selbstverständlichkeiten fragwürdig machen muss. Das ist der Grund dafür, können wir fortsetzen, dass es in der Philosophie im Gegensatz zu den anderen Disziplinen kein stabiles Erkenntnisfundament geben kann, auf dem sich gemeinsam weiter aufbauen ließe. Denn immer ist es notwendig, dieses Fundament wiederum radikal zu befragen, seine Voraussetzungen und Grenzen zu klären.

Man könnte meinen, dass dies doch auch etwa in der Physik der Fall sei. Aber die Sache liegt dort eben doch anders: Auch wenn man die Grenzen der Newtonschen Mechanik kennt gefunden, erkannt und überwunden hat, bleibt diese doch immer Fundament der Physik. Diskutiert man hingegen – um ein Beispiel zu nehmen – die Grenzen einer Ethik, die die Konsequenzen des Handelns im Fokus hat, wird man sofort auf ganz andere Möglichkeiten der Begründung von Ethik verwiesen. Philosophie ist der Versuch, Widersprüche, die sich daraus ergeben, denkend auszuhalten und zu verarbeiten.

Zorn liegt also mit seinem zentralen Anliegen richtig, dass Philosophie gelernt werden muss als Haltung, Selbstverständliches fragwürdig zu machen und auf seine Voraussetzungen zu befragen. In dem Teil, in dem Zorn dies erläutert (Seiten 43 bis etwa 56) ist sein Essay lesenswert. Zorn übersieht aber offenbar, dass es die Angebote, die dieses Lernen unterstützen wollen, bereits gibt: es ist eben die Vielfalt der philosophischen Bücher, der Interviews und der Beiträge in Philosophiezeitschriften, die sich, mehr oder weniger gelungen, seit langem um dieses Anliegen bemühen.

Zorn mag in seiner Kritik an einem einzelnen sehr populären deutschsprachigen Philosophen richtig liegen – wobei er seine Kritik auch an dieser Person nur sehr dürftig belegt. Und sicherlich ist es ein gutes Anliegen, die popularisierenden Autoren von Philosophiemagazinen immer wieder mahnend daran zu erinnern, dass sie mit Vereinfachungen Gefahr laufen, nicht nur eine komplizierte Sache zu einfach darzustellen, sondern das Wesen des philosophischen Problems ganz zu verfehlen. Dazu ist aber eine polemische Zuspitzung auf Karikaturen gerade nicht hilfreich. Es mag vielleicht dem Verkauf des Büchleins förderlich sein – aber es ist eben gerade nicht philosophisch.

Jörg Phil Friedrich schreibt selbst philosophische Bücher und Aufsätze, die möglichst einem breiten Publikum verständlich sind. Zuletzt erschien von ihm Der plausible Gott.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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