Die Jedi sind alt geworden

Henning Hirsch war kurz vor Weihnachten im Kino, hat sich den neuen Star-Wars-Film angeschaut und findet: nicht nur die Fans, sondern auch die Jedi sind alt geworden


Die Story, die wir in Star Wars erzählen, ist ein Klassiker: Macht korrumpiert. Sobald du an den Schalthebeln sitzt, triffst du Entscheidungen, von denen du denkst, sie seien die richtigen. Oft sind es aber die falschen
© George Lucas

Am 9. Februar 1978 begann eine neue Zeitrechnung für Film-Junkies: Krieg der Sterne lief in den deutschen Kinos an. Wer bisher noch kein Science-Fiction-Fan war, wurde es an diesem Tag oder würde es nie mehr werden. Nicht, dass es vorher keine guten SciFi-Produktionen gegeben hätte wie beispielsweise 2001 – Odyssee im Weltraum, Silent Running oder Logan’s Run. Bloß waren diese Streifen – trotz der futuristischen Handlung – sehr realistisch gedreht, sie transportierten Gegenwartsfragen in die Zukunft, wo sie entweder gelöst wurden, oder die Menschheit taumelte alternativ ihrem Abgrund entgegen. Krieg der Sterne war was völlig anderes: eine Saga, eine Weltraumoper. Mit Charakteren, denen man sonst in Märchen und Comics begegnete, technischen Spezialeffekten – lange vor der ersten Computersimulation –, die erst Erstaunen, dann Jubelstürme im Saal hervorriefen. Und mit Prinzessin Leia, die unsere 15jährigen Schülerherzen schneller schlagen ließ. Was für ein Kosmos wurde da auf der Leinwand eröffnet, welches Feuerwerk an Ideen, fernen Sonnensystemen, fremdartigen Kreaturen und Sternenkreuzerschlachten abgebrannt. Wir hingen gebannt an den Lippen von Meister Yoda, Obi-Wan und Darth Vader. Luke Skywalker war eher der Durchschnittsstreber à la amerikanisches Kleinstadt-College, ein bisschen langweilig, aber er wurde vom draufgängerischen Han Solo flankiert, der nie um einen lockeren Spruch verlegen und schnell mit dem Finger am  Abzug seiner High-Tech-Revolver war. Wer einmal Chewbaccas Geheule hörte, würde es nie wieder vergessen. R2D2 und C-3PO rundeten die Original-Besetzung ab.

1980 die Fortsetzung Das Imperium schlägt zurück. Wir Kinogänger mittlerweile 18 Jahre alt, der Blick auf die Story deshalb etwas kritischerer; aber auch hier: hervorragende Unterhaltung. 1983 dann das Finale: Die Rückkehr der Jedi-Ritter. Yoda bildet den jungen Skywalker zum Krieger aus und stirbt im Anschluss mit 900 Jahren an Altersschwäche, Luke tötet den Imperator und seinen Vater, Leia und Han Solo zerstören den Todesstern und verloben sich. Zum Finale feiern alle ein rauschendes Fest. Ende, aus, vorbei. Die dunkle Seite ist besiegt, die Galaxie atmet auf und kann von nun an in Frieden bis zum jüngsten Tag vor sich hin pulsieren.

Wie jeder ordentliche Star-Wars-Fan schaute ich mir die einzelnen Folgen immer mal wieder an. Sei es einzeln auf VHS-Kassette, später DVD, in einem Programmkino, im TV oder – als cineastischen Marathon – alle drei Episoden hintereinander in einer Nacht. Eine Trilogie für die Ewigkeit.

Prequel bleibt hinter den Erwartungen zurück

Eines Morgens Ende der 90er wache ich auf und lese verschlafen im Feuilleton der Tageszeitung, dass Lucas eine Fortsetzung der Reihe plant. Ich reibe mir erstaunt die Augen. Was soll da groß fortgesetzt werden, überlege ich. Die Bösen sind alle tot, Leia und Han Solo in Flitterwochen oder auf Elternzeit und Luke lebt gemeinsam mit Chewbacca und den beiden Droiden in einer Männer-WG auf dem Planeten Alderaan. Die neue Trilogie soll ein Prequel werden, steht weiter unten im Text. Was ist das? Noch nie gehört. Ich schlage im Filmlexikon nach und erfahre dort: „Bezeichnet eine Erzählung, die als Fortsetzung zu einem Werk erscheint, deren Handlung aber in der internen Chronologie vor diesem angesiedelt ist“.

Aha, die Story springt nun fünfzig Jahre zurück in die Kindheit von Darth Vader und wird kurz vor Krieg der Sterne wieder stoppen. Kann man tun. Muss man aber nicht. Jetzt mal Hand aufs Herz: wer möchte unbedingt wissen, wann der Prota geboren wurde, wer seine Eltern waren, wie es ihm in der Schule ging, mit wem er zum ersten Mal Sex hatte etc. etc. Ich meine, Darth Vader war als erwachsener Superschurke einfach da. Wenn wir jetzt damit anfangen, bei jedem Filmbösewicht in der Fortsetzung die Kindheit auszuleuchten: oh weh! Und diese Prequels sind ja ohnehin immer so eine Sache. In 99% der Fälle bleiben sie spannungsmäßig hinter der Originalgeschichte zurück. Das gilt für Prometheus ebenso wie für Roter Drache und X-Men: Erste Entscheidung.

Aber okay, ich ließ mich auf Die dunkle Bedrohung ein, lernte den kleinen Anakin kennen, sah ihn Raketenautowettrennen fahren, war dabei, als er von seiner Mutter getrennt und – gegen den Widerstand Yodas – in den Kreis der Padawan aufgenommen wurde. Technisch sehr viel aufwändiger als die erste Trilogie, nun natürlich mit Computeranimationen. Padmé immer hübsch anzuschauen; aber das ist Natalie Portman auch in ihren anderen Filmen. Zusätzliche skurrile Figuren aus der Comicserie Valerian & Laureline ausgeliehen wie beispielsweise Anakins Besitzer Watto, dessen Äußeres an die Shinguz angelehnt ist. Zahlreiche Stars spielen nun mit: Liam Neeson, Ewan McGregor, Samuel L. Jackson, Keira Knightley, Sofia Copola. Es geht weiter mit Angriff der Klonkrieger – der sich über weite Strecken arg zieht – und endet in Die Rache der Sith. Nun erfahren wir, dass Kanzler Palpatine seit Jugend der dunklen Seite anhing, und sein ganzes Streben von Anfang an darauf ausgerichtet war, den Jedi-Orden zu zerschlagen, bevor er zum Tyrannen mutierte. Good to know. Aber unterm Strich ist es Ballastwissen. Denn auch für den Imperator gilt: er war einfach da. Was er vorher tat, oder von welcher Kriegerkaste er abstammte: eigentlich völlig unwichtig. Viele Tote am Ende: Yoda entschwindet auf einen einsamen Planeten, wo ihn zwanzig Jahre später Luke aufspüren wird. Obi-Wan überlebt und irrt fortan als Landstreicher durch die Galaxie.

Die zweite Trilogie war in Ordnung, das richtige Star-Wars-Feeling des Originals entfachte sie jedoch nicht mehr in mir. Vielleicht war ich mittlerweile zu alt für diese Art Märchen, vielleicht hatte die Zeit Star Wars mittlerweile überholt, vielleicht mochte ich die Puppen aus den 70ern lieber als die Animationen der 2000er. So wie mir ging es vielen Fans der Stunde Null. Dementsprechend hart fielen die Kritiken für das Prequel aus. Lucas gelobte deshalb: Ich lasse es nun für immer und ewig!

Disney übernimmt

Ein paar Jahre Ruhe, Star Wars auf dem Weg ins Hollywood-Museum, als plötzlich Disney beim Schöpfer der Saga anklopfte. Nach kurzen Verhandlungen einigten sich die beiden Parteien und 2012 verkaufte Lucas seine Firma mitsamt den Rechten an Star Wars an den allesfressenden Medienriesen. Dem schwebt Großes mit der Sternensaga vor. Geplant sind fürs Erste zwei Trilogien, die zeitlich nach dem Ableben von Darth Vader angesiedelt werden. Los geht es 2015 mit Episode 7 Das Erwachen der Macht. Und es passierte das, was immer passiert, wenn eine Story vom Erfinder in die Hände von Mickey Mouse zwecks kommerzieller Ausschlachtung weitergegeben wird: das Original verändert sich. Egal, worum es sich ursprünglich handelte: Disneys Ergebnis ist stets ein Hybrid zwischen König der Löwen und Fluch der Karibik. Plätschernder Mainstream, den man 135 Minuten lang konsumiert, um die Handlung im Anschluss sofort wieder zu vergessen. Die Generation der Enkel sitzt nun an den Schalthebeln der Macht: Kylo Ren als müder Abklatsch seines Großvaters Anekin, Schrottsammlerin Rey als weiblicher Luke und der desertierte Sturmtruppler Finn als Mischung von Snoop Dogg und Sancho Pansa. Der Imperator wird durch einen geheimnisvollen Obersten Anführer der Ersten Ordnung ersetzt, wir lernen eine Kneipenwirtin namens Maz Kanata kennen, die aus der Muppet Show ein Studio weiter entlaufen sein könnte, in deren Besitz sich aus ungeklärten Gründen Excalibur (Lukes Waffe) befindet. Ein paar Weltraumschlachten, hin und wieder ein Laserschwert-Gemenge. Alles komplett zum Gähnen. Um die Fans der ersten Stunde bei Laune zu halten, tauchen plötzlich ein alt gewordener Harrison Ford nebst Chewbacca, eine matronenhafte Carrie Fisher und ein vom Körpervolumen her verdoppelter Mark Hamill auf. Mich hat dieses Déjà-vu-Erlebnis allerdings eher abgetörnt. Ich will die Helden meiner Jugend nicht als Oma und Opa durch Star Wars stolpern sehen. Zumindest Han Solo tut mir den Gefallen und lässt sich von Kylo Ren – nachdem er erfahren hat, dass er der Vater des neuen Superschurken ist – töten. Während sich die grauhaarige Leia und der übergewichtige Luke in die nächste Folge rüberretten.

Seit einer Woche nun Episode 8 Die letzten Jedi. Rekordeinspielergebnisse zum Start in den USA und in Deutschland. Die Kritiker voll des Lobes. Von einem „überwältigend bombastischen Weltraumabenteuer“ ist die Rede, der Rezensent der Augsburger Allgemeinen schwelgt gar in einer Hymne: „auf drei Erzählebenen schneidet der Film ständig hin und her und treibt die Figuren mit shakespeare’scher Wucht in die eigenen Widersprüche hinein“. Wow! Regisseur Rian Johnson (bekannt v.a. durch Looper) versprach vor Drehbeginn einen „satten Streifen mit eigener Note“. Er will der Saga eine Frischzellenkur verpassen. Das hört sich alles sehr vielversprechend an!

Viel Retro und müde Dialoge

Ich investiere zehn Euro Euro zuzüglich einer Packung Eiskonfekt und setze mich in die Dienstagabendvorstellung im Godesberger Kinopolis. In freudiger Erwartung von 152 Minuten erstklassiger Unterhaltung.

Der mir seit vierzig Jahren vertraute Buchstabenteppich entrollt sich vor meinen Augen: Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxie. Es erklingt die altbekannte Ouvertüre von John Williams. Ich mache es mir in Reihe 17 bequem und warte auf das erste Highlight. Und warte und warte. Nach einer Stunde beginne ich, mich zu langweilen. Die Handlung kommt nicht richtig in die Pötte. Viele Dialoge, in denen Plattitüden ausgetauscht werden, zahlreiche Anleihen aus den Episoden 4 bis 6. Luke und Leia zu alt, um ihnen ihre Kampf- und Widerstandskraft glaubhaft abzunehmen. Chewbacca uninspiriert, einfach nur anwesend, ohne eine richtige Rolle zu spielen. Yoda taucht als Phantom plötzlich auf: mal als Puppe, dann wieder als Animation. Zwischendrin irrlichtert Benicio del Toro als Sonnensystem-hoppender Glücksritter wie  Disneykollege Jack Sparrow, wenn der sich unter ein Fass mit Rum gelegt hatte, durch die Kulisse. »Das war ein billiger Trick«, beschwert sich Luke bei R2-D2, als der Droide ihm das Hologramm der blutjungen Leia vorspielt. Und der ganze Film strotzt vor billigen Tricks: Dialoge, die eins zu eins aus der Originaltrilogie abgeschrieben wurden, Humor, den nur der witzig findet, der auch über deutsche Comedians lacht, abgehalfterte Helden, die man seit Jahren im Seniorenstift glaubt sowie gigantomanische Raumschlachten und Verfolgungsjagden, die mich aufgrund ihrer Länge und Wiederholung spätestens zur Hälfte des Films anöden. Trotz des Einsatzes von Hyper-Lichtgeschwindigkeit bleibt dieser Kriegsschauplatz ungewohnt fade.

Die von Johnson angekündigte Revolution der Star-Wars-Geschichte kann ich nirgendwo erkennen. Er erzählt eine durch und durch konventionelle Story. Kaum eine Idee, die es in früheren Teilen nicht schon ähnlich gegeben hat. Kylo Ren als Darth Vader light ist überhaupt nicht meins, Leia und Luke haben sich überlebt, der Anführer der Ersten Ordnung nur ein blasser Schatten des Imperators. Einzig Rey (Daisy Ridley) fasziniert mich. Ihr nehme ich Emotionen, Energie und Tatkraft ab, bewundere ihre Hartnäckigkeit, mit der sie den alten, desillusionierten Skywalker wochenlang bearbeitet, sie zur Kriegerin auszubilden und sich selbst wieder dem Kampf gegen die dunkle Seite der Macht zu stellen. In diesem Handlungsstrang kann ich spüren, dass es tatsächlich um die weitere Existenz des Universums geht, und weiß nun, wer die zukünftige Protagonistin der Episoden 9 ff. sein wird.

Fazit

Das muss zweigeteilt ausfallen.

(A) Für die Fans der Stunde Null:
Die letzten Jedi überzeugt genau so wenig wie der Vorgänger Das Erwachen der Macht. Zu viel Retro, zu viel Disney. Man kann den Film durchaus ansehen, weil man sich halt wider besseren Wissens doch alle Star-Wars-Folgen reinzieht, aber am Ende wird man denken: hätte ich mir auch sparen können. Trotz Nostalgiefaktors ein maximal als mittelmäßig zu beurteilender Streifen, bei dem mich vor allem über die Biederkeit von Story und Inszenierung wunderte; denn bei  Rian Johnson hätte ich es pfiffiger und eine Spur dreckiger erwartet.

(B) Diejenigen, die unbelastet vom Original an die Sache rangehen:
Hier gebe ich eine 7 (aus 10). Wer sich an Avatar und Guardians of the Galaxy erfreut, wird ebenfalls mit Episode 8 seinen Spaß haben.

Abschließend bleibt zu sagen, dass in sich abgeschlossene Trilogien (und das waren die zwischen 1977 und 1983 entstandenen Folgen) weder ein Prequel noch ein Sequel benötigen. Schlimm genug, dass drum herum jede Menge Schund wie die TV-Serie Star Wars Underworld entstand. Bei der Vorstellung, dass Disney bereits bis Episode 12 geplant hat und danach – falls die Einspielergebnisse stimmen – das Weltraumdrama solange fortsetzt, bis es eines Tages als Seifenoper endet, schaudert mir. Und zum bitteren Finale droht dann ein Jedi-Musical, dessen deutscher Ableger zehn Jahre lang in Osnabrück aufgeführt wird. Für den Kinobesucher der ersten Stunde eine Horrorvision!!

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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