Layla – Wie Empörte Scheiße zu Geld machen

Layla, ein Ballermannhit, beherrscht trotz Ukrainekrieg, Corona und Inflation im Moment die öffentliche Diskussion. Die Macher wird es freuen. Empörte sind gut fürs Geschäft. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Ich werde wohl so um die 10 Jahre gewesen sein, es war also etwa 1968, als mein Vater mit einer gut verpackten LP nach Hause kam. Ein paar Wochen vorher hatte er eine ziemlich geile Stereoanlage von PE erstanden, um die er ein ziemliches Gewese machte. Die hatte um die 2000 DM gekostet, was damals ziemlich viel Geld war. Als Kind durfte ich die Anlage selbstverständlich nicht anrühren, jedenfalls nicht den Plattenspieler. Okay, der interessierte mich da auch weniger, weil es nur eine Handvoll Schallplatten gab. Die erste Platte, die der befreundete Radio/TV-Händler mitgeliefert hatte, war von James Last und wurde gefühlt zehn Mal am Tag abgespielt.

 

Der Verkäufer hatte die Platte empfohlen, weil man auf der angeblich besonders viel vom Stereoeffekt mitbekam. Außerdem gab es noch eine Demo-LP, mit der der Stereoeffekt erklärt wurde. Die fand ich cool. Da fuhr dann ein Auto von rechts nach links und umgekehrt. Später kam dann richtige Musik dazu: Beethovens 9., Liszts Ungarische Rhapsodie Nr. 2, Bach, Verdi, Mozart usw. Das gefiel mir. Irgendwann kam ein Streifzug durch die Welt der Operette mit Peter Alexander dazu, naja, ich musste halt hören, was auf den Teller kam. Gottlob gab es ja BFBS, und das Radio durfte ich benutzen, da konnte man „den Diamanten“ ja nicht beschädigen. Meine Beatles und Stones LPs durften nicht auf die heilige Stereoanlage, da gingen ja „die Boxen kaputt“. Nun ja. Ich hätte es vielleicht versucht.

Fromme Lieder

Mein Vater war ein frommer Mann, der regelmäßig zusammen mit meiner Mutter im Kirchenchor sang. Nach den Chorproben trafen sich die Sängerinnen und Sänger jeweils bei einem von ihnen und sangen weiter. Da wurden die bekannten Rheinlieder angestimmt und es wurde Kölsch. Rheinwein, meistens Rheinhessen und für die Damen Likör“chen“ und die Herren Asbach Uralt, kredenzt.

Ich bekam das alles mit, weil mein Kinderzimmer sich über dem Wohnzimmer befand und nur durch eine Holzdecke vom Geschehen entfernt lag. Manchmal legte ich auch das Ohr auf den Boden, um nichts zu verpassen.

Eines Tages kam mein Vater mit dieser blickdicht verpackten LP nachhause, die er vor meinen Blicken verbergen wollte. Klappte natürlich nicht. Und nach der nächsten Chorprobe hörte ich dann eine unsägliche Musik mit durchweg „schmutzigen Liedern“. „Ohne Hemd und ohne Höschen“ hieß das Machwerk. Und zu meinem großen Erstaunen sangen, ach was grölten die frommen SängerInnen schon beim zweiten Mal Anhören lustvoll mit. Ich fand das seltsam, aber okay. Warum sollten die nicht ihren Spaß haben? Erstaunt war ich eher wegen der grottigen Musik als wegen der dämlichen Texte. Das war so auf dem Kindergartenniveau: Er hat Penis gesagt, kicher kicher. Das korrespondierte dann allerdings auch mit den „schmutzigen Witzen“, die im Anschluss an die Gesänge ebenfalls lauthals erzählt wurden (und die mein Vater, wie ich in seinem Nachlass finden konnte, alle fein säuberlich in eine Kladde geschrieben hatte). Thema Nummer Eins hieß das. Für die Verklemmten offenbar ein Ventil. Ich fand das eher komisch.

Böse Menschen haben böse Lieder

Mit etwa 16 Jahren – ich schreibe besser nicht, dass es auch 15 gewesen sein könnte – trafen wir uns regelmäßig  samstags nach der Schule – ja liebe Kinder, wir hatten auch samstags Schule, allerdings nur bis 11:05 Uhr – kloppten Skat, tranken Bier und sangen. Einer meiner Mitschüler, sein Spitzname war Pika, wie er wirklich hieß, habe ich vergessen, kannte jede Menge schmutzige Lieder. Da war auch das berühmt-berüchtigte Donaulied dabei – und alle, also wirklich alle, auch die Mädchen – sangen das ebenso mit wie den Puff nach Barcelona. Irgendwelche frauenfeindliche Motive dürfte dabei niemand gehabt haben und dass wir da eine Vergewaltigung bejubelt hätten, wäre uns nicht in den Sinn gekommen. Vielmehr sah man das vermutlich als Zeichen des Aufbruchs in eine neue, auch sexuelle, Freiheit an. Die Schulmädchenreporte liefen sei ein paar Jahren auch im Rex, dem örtlichen Schmuddelkino. Es gab die leise Hoffnung, dass das bigotte Moralaposteltum der 50er endgültig passé war. Das Verletzen von Tabus ist immer geil, damals wie heute.

Claudia hätten wir nie kennengelernt, wenn die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ihren geilen Schäfernund nicht indiziert hätte, was dann erst 2004 wieder rückgängig gemacht wurde.

BR -Hüter der Moral

Erster Aufpasser der Moral war der BR, der gerne mal den Hüter der Anständigkeit gab. Bruce & Bongo wurden nicht gespielt, weil das Wort „Geil“ der Titel war.

 

Mit Falco ging es weiter, auch da spielte der BR „Jeanny“ nicht.

 

Irgendwas war immer. Auch auch hier hatte der BR moralische Bedenken:

 

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Bloodhound Gang mit „Foxtrott Unicorn Charlie Kilo“ usw.

Und selbstverständlich habe ich auf Karnevalsveranstaltungen auch „10 nackte Frisösen“ gesungen und statt Haaren richtig zuende gereimt ohne deshalb mit hochrotem Kopf (Häuptling der Idioten) als ertappter Sexist durchs Leben gegangen zu sein.

Gut. Nun also Layla, die Puffmutter, die angeblich die Gemüter erregt. Dass das nicht der Gipfel der kompositorischen Leistung und der Text eher unterirdisch sind – geschenkt.

Neulich in der Stadt stand da ein Mann
Er schaute mich sehr glücklich an
„Hey, komm mal her“, sagte er zu mir
„Das ist mein Laden, mein Revier“
„Mein Junge, ich hab‘ ein Geheimnis für dich“
Was er von mir wollte, wusste ich nicht
Ich sah nur das Grinsen in seinem Gesicht
„Was ich dir sage, glaubst du mir nicht“
Ich hab‘ ’nen Puff und meine Puffmama heißt Layla
Sie ist schöner, jünger, geiler
La-la-la-la-la-la-la-Layla
La-la-la-la usw.

 

So gut, so schlecht. Da muss jeder wissen, was ihm gefällt. Ich habe das Lied übrigens aus Gründen der Recherche eben zum ersten Mal gehört. Bei meinem Haussender WDR5 lief das noch nicht. Und ja, es ist vielleicht irgendwie sexistisch, wobei die Feststellung, dass eine Puffmutter, übrigens ein erlaubter, steuer- und versicherungspflichtiger Beruf, schöner, geiler und jünger – als wer eigentlich? – ist, ja nun  grade keine Herabwürdigung ist. Es ist auch nicht ansatzweise jugendgefährdend, volksverhetzend oder sonst wie rechtlich bedenklich.

Es gibt gottseidank keine rechtliche Handhabe gegen geschmacklose Kunst, denn die Kunstfreiheit gilt auch für Sachen, die mir nicht gefallen. Und die für Kunst erforderliche Schöpfungshöhe wird man dem Ding nicht absprechen können. Da liegt die Niveaulimbolatte sehr niedrig.

Andererseits sollten sich jetzt auch diejenigen nicht die Hände reiben, die von Zensur oder Cancel Culture labern und den Untergang der medialen Freiheit in Deutschland wittern. Das Lied wurde nicht verboten. Es kann auch rechtlich nicht verboten werden. Wenn die Stadt Würzburg als Ausrichter einer Kirmes das Lied von der Playlist nimmt, dann kann sie das genauso tun wie Sie, wenn Sie eine Party veranstalten. Und wenn der Veranstalter einer Düsseldorfer Kirmes sich nach Beratung mit der Stadt Düsseldorf dazu entschließen sollte – was noch gar nicht raus ist–, das Lied nicht zu spielen, dann ist das genauso unbedenklich, wie wenn ein Radiosender es nur noch nach 22 Uhr spielen will. Wer es hören will, kann es jederzeit spielen, auch öffentlich. Es gibt keine Zensur. Und es wird, solange das Grundgesetz gilt, auch keine geben.

Hüftgold

Der Produzent von Layla, Ikke Hüftgold, bürgerlich Matthias Distel, der Schöpfer des Ballermann-Meisterwerks „Dicke Titten Kartoffelsalat“  und ein recht selbstironischer Künstler, wird sich zu Recht schlapp lachen. Erst der sogenannte Skandal macht nämlich das Liedchen zur Nummer 1 der deutschen Charts. Es sei ihm gegönnt. Der Mann ist mir durchaus sympathisch, gerade weil er sich selbst nicht so ernst nimmt. Und weil es ihm immer wieder gelingt, die Moralapostel gezielt aus der Reserve zu locken und den „Skandal“ mit Ansage zu provozieren. Das muss man erst mal beherrschen. Ich wünschte, ich könnte das.

Und all den Empörten von der Grünen Jugend

„Wir begrüßen das Verbot von ‚Layla‘ und fordern, den Beschluss der Stadt einzuhalten und auf dem Volksfest konsequent auch auf alle anderen Lieder mit sexistischen und rassistischen Texten zu verzichten“, sagt Julian Fritzler, Politische Geschäftsführung der GRÜNEN JUGEND Würzburg.

„Sowohl im Bierzelt selbst als auch in den Kommentarspalten zeigt sich ein immenser Unwille, auf ein einzelnes misogynes Lied zu verzichten. So wird beim Volksfest weiterhin ein großer Teil der Gesellschaft diskriminiert.Wir fordern hingegen Feierstimmung für alle – endlich ohne sexistischen Beigeschmack!“, ergänzt Lilli Grosch, Sprecherin der GRÜNEN JUGEND Würzburg.

sei gesagt, es ist in Ordnung, wenn euch das in euren Augen „misogyne“ Werk nicht gefällt, geschenkt, es gefällt mir auch nicht. Weder vom schlecht gereimten Text, noch von der Musik her. Ihr müsst das aber weder hören noch auf Euren Veranstaltungen spielen. Ihr solltet aber davon absehen, anderen Leuten eure eigenen Vorstellungen aufzwingen zu wollen. Wollt Ihr etwa tatsächlich eine Bundeskulturbehörde, die nach euren Vorstellungen Kunst bewertet, genehmigt oder verbietet? Hatten wir schon mal, sowohl bei den Nazis als auch in der DDR. Das wäre doch grässlich, das brauchen wir nicht, egal wie gut ihr es meint. Was bliebe dann fürs Festzelt übrig? Das kommt gar nicht gut. Und ganz ehrlich, was soll das für eine langweilige Scheißkunst werden, die problemlos von einer Propagandabehörde ihr Okay bekäme?

Und das Einzige was Ihr mit Eurer Empörung erreicht, ist, dass das Lied immer weiter verbreitet wird, selbst hier bei DieKolumnisten, wo ein solches Lied ohne Eure Bemühungen mit keinem Wort erwähnt worden wäre. Nun ist es der erste deutsche Partyschlager, der auf dem ersten Platz der deutschen Hitparade gelandet ist.

Und wer den Song bisher immer noch nicht kennt, und sich ein eigenes Hörbild machen möchte, bitte sehr – hier ist er:

Vorsicht Triggerwarnung: Das Anhören dieses Liedes kann je nach Veranlagung zu Ohrenkrebs, Bluthochdruck, Lachanfällen oder guter Laune führen!

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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