#allesbachmachen – oder teilen Sie Katzenbilder

Unser Musikkolumnist Clemens Haas verschafft uns tieferen Einblick in Bach-Transskriptionen.


Ich bin wieder da! Ich hab nämlich kürzlich aus verläßlicher Quelle erfahren, daß es einem Kolumnistenkollegen aus dem populären Jura-Bereich gelungen ist, innerhalb nur weniger Jahre regelmäßigen Kolumnierens einen höheren zweistelligen Betrag bei der VG Wort zu erwirtschaften. Ich dagegen habe das bisher komplett ums… ohne wirtschaftlichen Ertrag getan, das soll sich jetzt ändern! Also Leute: Teilen, teilen, teilen, bevor es gelöscht wird einself 1!11 Zeigen wir den Mainstream-Kolumnisten, dass auch Kunst und Kultur systemrelevant sind! Nicht nur klatschen, wir brauchen den Mindestlohn von einem Cent pro Jahr für Musikkolumnisten! Sonst wird es still, also abgesehen von meinem lauten Gejammer. Wobei die Bach- und Sachgeschichten auch bisher hoffentlich nicht wirklich umsonst waren, denn wenn auch nur der geringste unter meinen Brüder*innen mit dem Virus klassischer Musik infiziert wurde, so habe ich das mir getan.

Heute geht es mal wieder um den innersten Kern – nicht umsonst sind wir hier ja bei den BACH- und Sachgeschichten – also um Bach, konkret um die Transkriptionen seiner Werke für Klavier.

Und wir beginnen gleich mit der – meine Meinung !1!11! – Kaiserin unter den Bachklaviertranskriptionen, der Chaconne d-moll von Ferruccio Busoni. Das „Original“ stammt aus der Partita 2 für Violine solo. Was für ein unglaubliches Werk. Und was für eine unglaubliche Übertragung von einem Soloinstrument (!) auf das Klavier.

 

Sie wollen gar nicht wissen, wieviele tausend (sic) Stunden ich mit dem Studium der Chaconne verschw… ich in das Studium der Chaconne investiert habe. Und natürlich habe ich jede verfügbare Aufnahme gehört. DIESE hier aber nicht, die habe ich erst jetzt entdeckt wegen dieser Kolumne, und ich finde sie wunderbar (also die Aufnahme, wie die Kolumne ist, entscheiden dann Sie) und fühle mich beschenkt. Und wissen Sie was? Das genügt mir, ich pfeif auf Ertrag und Verschwendung und Investition, und den einen Cent soll die VG Wort spenden an #allesbachmachen. Teilen Sie Katzenbilder.

Also die Chaconne ist die Kaiserin unter den Transkriptionen (ich erwähne wenigstens in Klammern die Chaconne-Transkription von Brahms), und Ferruccio Busoni ist der Kaiser unter den Bach-Klavier-Transkribierern. Busoni ist überhaupt ein interessanter Typ, kaufen Sie sich doch mal die Biographie von Reinhard Ermen bei rororo, ich hab natürlich ein signiertes Exemplar.

Darum hören wir gleich noch eine weitere Busoni-Transkription.

 

Ich bin jetzt kein ausgewiesener Horowitz-Fan, aber DAS hier macht mich fertig. Wie er so am Ende guckt, war er wohl selbst auch ganz zufrieden mit sich. Aus eigener Erfahrung ist das nämlich gar nicht immer so, mit etwa 5 von 100 Durchläufen ist man zufrieden, mit weniger als einem glücklich. „That was beautiful.“ „I didn´t compose it.“ Alles gesagt.

Zu den Schülern und Freunden von Busoni zählt auch Egon Petri, von dem ich relativ wenig weiß, wikipedia berichtet: „Einen Tag vor dem deutschen Überfall auf Polen und damit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges gelang ihm die Flucht Richtung England, wobei er seinen Besitz zurücklassen musste.[2] Anschließend emigrierte er weiter in die USA; in Deutschland unterrichtete und konzertierte er nie wieder.“ Vielleicht frage ich mal einen selbsterklärten deutschen Abendlandretter und Kulturpatrioten nach Petri, die sind da erfahrungsgemäß sehr gut unterrichtet (lautstark räusper). Ich weiß aber, daß seine Transkription von „Schafe können sicher weiden“ ziemlich zauberhaft ist.

 

Hören Sie sich gern auch die Aufnahme von Polina Osetinskaya (die von der Chaconne oben) an, die ziemlich anders ist, aber nicht minder zauberhaft. Ich konnte mich schwer entscheiden, am Ende gab die Diversität den Ausschlag.

Nun ist aber spätestens die Zeit gekommen für die wohl berühmteste, meistverkaufte und zauberhafteste Bach-Klaviertranskription. Wenn die Busoni-Chaconne die Kaiserin ist, dann ist das hier die Prinzessin der Herzen. Die Sissi und Lady Di unter den Bachs. Ein Stück, das in keinem Klavierunterricht fehlen darf. Wir hören Dame Myra Hess herself.

 

Oh. Mein. Gott.

Zartheit und Zauberhaftigkeit aber sind kein Privileg der Weiblichkeit. Hören Sie sich mal Arcadi Volodos an mit der Sicilienne. Volodos kann bei anderer Gelegenheit, wie seine Statur vermuten lässt, durchaus auch mal so brachial wüten, daß man hinterher Sägemehl unter dem Flügel zusammenkehren muß.

 

Die ganz Aufmerksamen unter Ihnen werden bemerkt haben, daß da was von „Vivaldi“ stand. Richtig, genau genommen ist das gar keine Klavier-Transkription eines Bach-Werks, sondern eine Klavier- (bzw. Cembalo-)Transkription, die Bach von einem Orchesterwerk Vivaldis angefertigt hat. Allerdings weicht Volodos´ Version davon leicht ab, so daß das hier genaugenommen eine Bearbeitung einer Transkr… Ach wen interessiert das. Vor allem hat Zauberhaftigkeit in meinen Kolumnen deutlich Vorrang vor musikwissenschaftlicher Genauigkeit. Es gibt übrigens meines Wissens nach nur eine einzige weitere Aufnahme dieser Bearbeitung, nämlich die, die ich selbst für einen harten sizilianischen Hund angefertigt habe.

Nachdem die Sache mit der musikwissenschaftlichen Präzision geklärt ist, hier nun eine Bach-Bearbeitung von Alexander Siloti. Siloti war übrigens Schüler von Tschaikowsky und Liszt und Cousin (und Lehrer) von Rachmaninoff und… Ach egal. ZAUBERHAFT!

 

So, kurzer Zwischenstand unserer heutigen Musikstunde: Wenn man „Bach-Klaviertranskription“ sagt, muss man auch „Busoni“ sagen. Schreiben Sie das in Ihr Heft. Aber natürlich gibt es, wie Sie schon gesehen haben oder zumindest ahnen können, unzählige Bach-Transkribierer. Zu nennen wäre natürlich auch Liszt, der ja – ich wiederhole mich – so ziemlich alles auf die Tasten gebracht hat, was nicht bei Drei auf dem Baum war, also auch sehr vieles von Bach, aber dafür finden Sie bereits ein schönes Beispiel in der Kolumne „Bach and Cover“, wie auch ein schönes Beispiel von einem Herrn Rummel, den ich bis zu diesem Werk nicht mal kannte. Zwei weitere wichtige Vertreter aus der Transkribier-Gattung sind Wilhelm Kempff und Leopold Godowksy, von denen ich Ihnen jetzt stellvertretend je ein Beispiel zeige. Und es gäbe noch so viele andere, ich mag eigentlich gar nicht aufhören, aber irgendwo muß man nun mal einen Schlusstrich ziehen.

 

 

Ok, einen noch. Sehr fleißig war auch August Stradal, ein Schüler von Franz Liszt und Anton Bruckner. Hier die zauberhafte Transkription des zweiten Satzes (ich und zweite Sätze) der Orgelsonate Nr. 4 in einer nicht weniger bezaubernden Aufnahme von Vikingur Olafsson.

 

So, und damit kommen wir nun aber wirklich zum Ende und zu einer guten Nachricht. Ich hatte nämlich während des Schreibens dieser Kolumne ständig im Nacken, dass ich Sie heute ohne das angemessene Schlussbeispiel entlassen muss. Denn es MUSSTE eigentlich die Kunst der Fuge gespielt von Trifonov sein, die ich im letzten Jahr live (per Stream) gehört hatte und die mit das allergeilste war, das ich je im Leben gehört habe. Überhaupt ist (meine Meinung !1!!) entweder die Kunst der Fuge oder die h-moll Messe das Größte, das je von menschlicher Hand erschaffen wurde. Den Stream habe ich für persönliche Zwecke aufgenommen, bezweifle aber, daß ich berechtigt wäre, diese Aufnahme zu veröffentlichen. So hätte ich Sie notfalls mit der freiwilligen Hausaufgabe betraut, sich selbst irgendwo eine private Aufnahme zu besorgen oder notfalls darauf zu warten, dass (bittebitte) eine Studioaufnahme auf Platte erscheint, und habe stattdessen eine Rachmaninoff-Transkription als Trösterchen ausgesucht. Aber: Ich habe eine brandaktuelle gefunden!

Trotzdem geb ich Ihnen auch das Trösterchen. Vong 1 unfassbare Zauberhaftigkeit her.

 

Und nun der krönende Abschluss. Ganz streng musikwissenschaftlich oder logisch gesehen ist das jetzt auch keine „Transkription“, denn Bach hat für die Kunst der Fuge keinerlei Instrumentierung angegeben, sondern nur die nackte musikalische Information. Die technische Klangqualität ist leider diametral zur musikalischen Qualität, aber wer fragt in so einem Fall danach. Und ob diese Amateuraufnahme rechtlich so wirklich koscher ist, weiß ich jetzt auch nicht, also schnell hören und teilen, bevor es gelöscht wird !1!11

Als Bonuseffekt wird die Kunst der Fuge eingerahmt von der ganz oben schon erwähnten Brahms-Transkription der Chaconne und der unsterblichen Myra Hess-Transkription. Das Schicksal hat es heute gut gemeint mit mir. Die Kunst der Fuge ist natürlich harter Stoff, aber bisher habe ich Sie ja mit äußerst zauberhaften und leicht zugänglichen Beispielen verwöhnt. Sie schaffen das. Es lohnt sich.

 

Clemens Haas

Clemens Haas, geb. 1968, hat Mathematik und Philosophie durchaus studiert mit eifrigem Bemühn, dann aber doch zurück gefunden zur ersten Liebe, Klavier und Tonmeisterei und dieses Studium dann auch abgeschlossen. Er arbeitet als freier Toningenieur und Komponist für ÖR und private Rundfunk- und Fernsehanstalten und für die Werbeindustrie.

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