Halbnackte Ärsche in Arabiens Wüste?

Weshalb es billig ist, Katar wegen unerwünschter Bikinis an den Pranger zu stellen. Kolumne von Henning Hirsch

Bild von Gerhard G. auf Pixabay

In Katar wird Anfang März ein internationales Beachvolleyball-Turnier ausgetragen. Und zwar sowohl eines für Männer (bereits die 8-te Auflage) und eins für Frauen (zum ersten Mal). Das klingt für ein Land, in dem die traditionellen Sportarten eigentlich Kamelrennen und Falken-Wettfliegen heißen, beinahe so absurd, wie eine Fußball- oder eine Leichtathletik-WM dorthin zu vergeben. Aber seitdem der Sport professionell und ein Zirkus geworden ist, zieht er halt von einer Oase zur nächsten. Hauptsache, es gibt genug Futter in der Karawanserei.

Deutsches Frauen-Doppel erklärt Verzicht

Vor ein paar Tagen fiel dem deutschen Beach-Duo Karla Borger und Julia Sude plötzlich auf, dass am Persischen Golf andere Kleiderregeln herrschen als an unseren Ostsee- und Mittelmeerstränden: Bikinis sind am Rand der Arabischen Wüste nicht gerne gesehen, als Alternativ-Beleidung sollen knielange Radlerhosen und T-Shirts ins Reisegepäck. Die beiden Athletinnen erklärten daraufhin, auf den Trip nach Doha verzichten zu wollen. Mit folgender Begründung: »Es geht gar nicht um wenig anhaben oder nicht. Es geht darum, dass wir in unserer Arbeitskleidung nicht unsere Arbeit machen können.«

Kann man tun, also die Teilnahme verweigern. Ich hab auch nicht immer Lust, ständig an irgendwas teilnehmen zu müssen und sag deshalb hin und wieder spontan ab. Einfach mal ein Turnier aussetzen und beim nächsten, das dann hoffentlich in einem Land stattfindet, in dem man Bikini tragen darf, wieder mit von der Partie sein. Völlig okay. Was aber ganz und gar nicht okay ist, ist das, was nun einige Medien und vor allem das ständig erregte Facebook aus dem Vorfall machen – nämlich die alleinige Schuld für das Mikro-Debakel auf Seiten Katars zu verorten. Denn dass muslimisch geprägte Länder Probleme mit der öffentlichen Demonstration von zu viel nackter weiblicher Haut haben, ist jetzt wahrlich keine neue Erkenntnis, für deren Verständnis man 30 Semester Arabistik studiert haben muss.

FIVB: Geschlafen oder war’s egal?

Also entweder hat der Weltverband (FIVB) geschlafen, als er die entsprechenden Papiere unterschrieb, oder die Funktionäre taten es in vollem Wissen der am Persischen Golf geltenden Bekleidungsvorschriften, ohne jedoch die Athleten über den entsprechenden Passus rechtzeitig zu informieren. Oder aber die Sportler hat es monatelang nicht interessiert und jetzt plötzlich, wo das Turnier unmittelbar bevorsteht, fällt ihnen wie Schuppen vor den Augen, dass sie sich einer vom Standardprozedere abweichenden Kleiderordnung unterwerfen sollen. Das Versäumnis liegt bei nüchterner Betrachtung ganz eindeutig auf Seiten des FIVB, der in so einen Vertrag einwilligt sowie der Spielergewerkschaft IBVPA, die nicht früh genug Alarm geschlagen hat.

Den Kataris nun vorzuwerfen, die würden einem mittelalterlichen Frauenbild huldigen, ist billig. Denn dass das orientalische Frauenbild ein anderes als unser westliches ist, wusste man auch schon vor Februar 2021. Die aufgeregte Diskussion um Bikinis vs. Radlerhosen beim Beachvolleyball ist eine Phantomdebatte, die vom eigentlichen Stein des Anstoßes ablenken soll. Nebelkerze in der Wüste statt Flutlicht im Stadion.

Warum redet eigentlich niemand über die Zustände auf den Baustellen?

Die wirklich diskussionswürdigen Fragen im Zusammenhang mit der Vergabepraxis der Beachvolleyball-World-Tour lauten vielmehr:
(A) Warum Frauenturniere in Ländern, in denen Frauen nicht derselbe Respekt wie Männern gezollt wird?
(B) Weshalb überhaupt Sportveranstaltungen in Katar, wo doch nun mittlerweile auch dem letzten BILD-Zeitung-Leser bekannt ist, dass dort sklavenartige Zustände beim Bau der Arenen herrschen?
(C) Und last but not least: Kann man bzw. frau Beachvolleyball tatsächlich nur im Bikini spielen oder ginge notfalls auch ein anderes, weniger sexy, Outfit?

Mir leuchtet die Begründung des Weltverbands FIVB, man respektiere mit Radlerhosen & T-Shirt die Kultur und die Tradition des Gastgeberlands, vom Grundsatz her ein. Ich selber käme nie auf die Idee, in Badehose und mit freiem Oberkörper durch einen arabischen Suq zu laufen. Nicht alles, was im deutschen Schwimmbad oder am Münchner Eisbach erlaubt ist, geht halt auch im Ausland. Und seien wir ehrlich: Würde demnächst ein Beachvolleyball-Turnier im Vatikanstaat organisiert – auf dem Petersplatz wäre sicher genügend Platz für ein paar künstliche Sanddünen –, dürften die Damen dort hundertpro ebenfalls nicht im Bikini antreten.

Rückständig ist immer das, was wir nicht kennen

Das Argument, öffentlich demonstrierte Sexyness sei ein Zeichen von Emanzipation und Zivilisation, gefällt mir übrigens „am besten“. Fragen Sie mal einen Yanomami aus dem Amazonas-Regenwald, der/die bis auf einen Mini-Lendenschurz nackt durch eine unserer Fußgängerzonen flaniert, wie lange es dauert, bis die Polizei ihn/ sie aufgrund Erregung öffentlichen Ärgernisses einkassiert. Der würde unsere mitteleuropäischen Kleiderregeln ganz sicher zum einen als spießig und zum anderen als mittelalterlich einstufen.

Merke: Rückständig sind immer die Kleidervorschriften, die die deutsche Kartoffel nicht kennt.

Borger und Sude, die 14 Tage vor Turnierbeginn ihren Verzicht öffentlichkeitswirksam bekunden – was ihr gutes Recht ist –, müssen sich die Frage gefallen lassen, weshalb sie nicht schon früher gegen den Irrsinn der Vergabe eines Frauenturniers in ein Frauen nicht immer freundlich gesonnenes Umfeld protestiert haben. Weil sie erst Mitte Februar erfuhren, dass es mit den Frauenrechten in Katar nicht allzu weit her ist? Und sie müssen sich zudem der Frage stellen, ob sie jenseits der strittigen Kleiderordnung auch aus obigem Grund (B) „Sklaven schuften und sterben auf den Sportarena-Baustellen“ auf die Teilnahme verzichtet hätten.

So, wie die Diskussion jetzt mal wieder abgelaufen ist, zeigt sie bloß eines: Arroganz des Westens gegenüber anderen Kulturkreisen.

PS. Mittlerweile hat Katar erklärt, dass die Frauen ihren schweißtreibenden Job am Netz nun doch in der gewohnten Bikini-Arbeitskleidung verrichten dürfen. Radlerhosen-Vorgaben habe es nie gegeben. Rubrik: Viel Lärm um wenig Stoff.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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