Die „Ver-Buchung“ eines Films. Cornelia Funkes „Das Labyrinth des Fauns“

Cornelia Funke hat aus „Pans Labyrinth“ ein typisches Funke-Buch gemacht. Fans wird es freuen, aber dem Film wird das kaum gerecht. Funke verkindlicht den Stoff, zeichnet schwarz/weiß und baut ganz viel Pro-Lesen-Didaktik ein. Kolumne von Sören Heim.


Bücher zu verfilmen ist eigentlich eine vergleichsweise dankbare Aufgabe. Der Film kennt zahlreiche Techniken, dem Roman die ihm doch oft innewohnende Geschwätzigkeit auszutreiben, ohne dass er dabei gezwungenermaßen verflachen muss. Vieles, was ge- bzw beschrieben wird, kann direkt in Bildern ausgedrückt werden, und der Film ist in den Techniken zuhause, die der moderne Roman der Literaturwelt erst mühsam abringen musste: Schnitte, Szenenwechsel, Engführung paralleler Handlungen, Synästhesie (Bild/Wort/Musik). Trotzdem misslingt das Unterfangen oft, oder wird zumindest von Fans nicht goutiert.

Ein typisches Funke-Buch

Wie viel schwerer aber dürfte es sein, einen Film zu „ver-Buchen“. Warum ausgerechnet Cornelia Funke es unternommen hat, aus dem gefeierten Pans Labyrinth (El laberinto del fauno) ein Kinderbuch zu machen, darüber möchte ich nicht spekulieren. Funke ist per se ja eine eher gemächliche Autorin, die gerne übers Erzählen erzählt, Pans Labyrinth dagegen ein ultra-dichtes Dark-Fantasy Werk, das eigentlich eher dem magischen Realismus zuzuschlagen wäre: Die magische Welt ist zugleich wirklich  u n d  Metapher, was genau real ist bleibt unentscheidbar, und ist für die Fiktion vor allem insofern wichtig, als dass es Handlung und Charaktere kommentiert und auslegt.

Dieser Stoff und Funke, muss man leider recht bald feststellen, harmonieren nicht wirklich. Funke hat den Handlungsverlauf genommen, und mit Das Labyrinth des Fauns daraus ein typisches Funke Buch gemacht. Und das heißt vor allem: Ein Buch über Bücher. In dem immer wieder darauf hingewiesen wird, wie viel mehr über die Welt weiß, wer Bücher liest, wie viel besser Gut und Böse unterscheiden kann, wer Bücher liest, dass einerseits Bücher auch mal verklären und irreführen können, aber dass es schon irgendwie ganz wichtig ist, dass man Bücher liest. Bücher, Bücher, Bücher.

Das Buch in Buch und Film

Ja, auch in Pans Labyrinth nimmt das Buch, aus dem Ofelia ihrer Aufgaben zieht, eine wichtige Rolle ein, es gibt die Rahmenhandlung mit der Prinzessin, die in ihr Königreich zurückkehren möchte, und es wird erwähnt, dass Ofelia gern Feengeschichten liest. Zweimal in einzelnen kurzen Sätzen, einmal in einem dreisätzigen Wortwechsel. Das ist der große Unterschied, der den Film so viel überzeugender macht: Es wird angerissen, nicht doziert. Es werden subtil Motive zu den Themen Märchen und Magie verknüpft, alles wirkt stark auf die Vorstellungskraft ein, ohne Lesern mit Gewalt eine Message „pro Lesen“ aufzudrängen.

Funke dagegen erzählt den Lesern relativ genau, was sie zu denken haben. Das hat auch seine Auswirkung auf das eigentlich zentrale Übel der Geschichte, das ja nicht in den Schwierigkeiten liegt, die von Ofelias fantastischer Welt ausgehen, sondern im ganz realen Franco-Faschismus, in den die Mutter über Vidal praktisch eingeheiratet hat. Dessen Bösartigkeit ist im Film die typische eines autoritären Charakters. In der Art, wie er anfangs mit Frau und Kind umgeht, könnte man sich gut vorstellen, dass er in friedlicheren Zeiten Sportlehrer geworden wäre, Busfahrer oder Verkehrspolizist. Unter Franco ist er brutaler Mörder. Bei Funke dagegen lesen wir sehr früh im Buch holz-hämmernd:

Ofelia wusste, dass der Mann, den sie bald »Vater« würde nennen müssen, böse war. Er hatte das Lächeln des Zyklopen Ojáncanu, und in seinen dunklen Augen nistete die Grausamkeit der Monster Cuegle und Nuberu, Ungeheuer, denen sie in ihren Märchenbüchern begegnet war.

oder

Diese Männer bekämpften die Dunkelheit, der Vidal diente und die er bewunderte, und er war in den alten Wald gekommen, um diese Männer zu brechen. O ja, Ofelias neuer Vater liebte es, denen die Knochen zu brechen, die er für schwach hielt, ihr Blut zu vergießen und neue Ordnung in ihre elende, schmutzige Welt zu bringen.

Der Comic-Vidal

Durch den der Autorin eigenen Drang zum endlosen Erklären und Ausdeuten gerät ihr die zentrale Figur zu einem Cartoon-Bösewicht. Leser werden der vielleicht wichtigsten Entdeckung des Films, der vom „Bösen“ als fast Alltägliches in einer Welt, die es begünstigt, beraubt, gerade dadurch, dass sie früh auf dem Silbertablett serviert wird. Dieser Vidal, er könnte genauso gut der vorgestellten Welt der Faune und Feen entstammen (oder den Anti-NS-Disney-Cartoons), und gerade das zu vermeiden war eine der großen Stärken des Films.

Nun ist Das Labyrinth des Fauns vom Erzählstil her ein Kinderbuch, Pans Labyrinth war definitiv kein Kinderfilm. Und manch einer wird sagen, für Kinder müsse man so schreiben. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Die ersten Harry Potter Romane etwa verzichteten noch größtenteils auf bevormundendes Erklären, das gleiche gilt für ein zeitloses Meisterwerk wie Ottfried Preusslers Krabat, oder das schöne kleine Der kleine König Kalle Wirsch, um nur ein paar zu nennen.

Ist Das Labyrinth des Fauns schlecht? Nein, man kann es lesen. Die Geschichte bleibt interessant, die eingestreuten Märchen sind teilweise ganz nett, und wenn man angefangen hat, wird man wissen wollen, wie es zu Ende geht. Und wo tatsächlich mal die Rebellen im Mittelpunkt stehen, klingt auch das eigentliche Übel der Hintergrundgeschichte an:

»Amerika, Russland, England … sie werden uns alle helfen«, sagte er schließlich. »Sobald sie den Krieg gegen die deutschen Faschisten gewinnen, werden sie uns helfen, sie hier in Spanien zu besiegen. Franco hat Hitler unterstützt und wir die Alliierten. Viele von uns sind im Widerstand umgekommen; wir haben die Wolfram-Minen in Galizien sabotiert, die die Deutschen brauchen, um ihre Waffenfabriken am Laufen zu halten … glauben Sie etwa, die Alliierten vergessen das einfach?«

Etwa ab der Hälfte des Buches nimmt dann die Rebellengeschichte immer mehr Raum ein, und Das Labyrinth des Fauns liest sich sogar für ein Kinderbuch überdurchschnittlich gut. Dann beginnen sich allerdings der sehr kinderbuchhafte Erzählstil und die unglaubliche Brutalität der Handlung zu beißen. Wie man es dreht und wendet, wer mit etwas kritischem Bewusstsein an das Buch herangeht, wird, selbst wenn er den Film nicht gesehen hat, feststellen, dass Form und Inhalt nicht wirklich harmonieren. Langweilen wird man sich deshalb allerdings nicht unbedingt, und dass Funke in einem Nachwort noch einmal sehr viel deutlicher als der Film den Verrat der Alliierten an den Antifaschisten im spanischen Bürgerkriegs aufbereitet, hat im Gegensatz zu den „Lesen! Lesen! Lesen!“ – Appellen immerhin didaktischen Wert.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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