Zeugen

Es kann jeden treffen, als Zeuge vor Gericht erscheinen zu müssen. Die meisten werden das nicht als angenehm empfinden und es gibt auch gewisse Risiken. Wie Sie sich verhalten sollten und wie besser nicht.


Die Rolle als Zeuge vor Gericht ist in der Regel alles andere als prickelnd. Der Durchschnittsbürger erlebt das auch nicht allzu häufig, aber niemand ist davor gefeit, als Zeuge geladen zu werden. Unsicherheit oder gar Angst lassen den ein oder anderen schon vorher nicht gut schlafen. Es ist wie eine Prüfung, bei der man gar nicht weiß, was geprüft werden soll. Und manchen schreckt schon die Machtarchitektur (s.o.) mancher Gerichtsgebäude ab.

Wer als Zeuge vor Gericht geladen wird, muss da hingehen. Das ist eine gesetzliche Pflicht. Nur bei wahnsinnig wichtigen Terminen wie Abitur- oder Gesellenprüfungen, Hochzeit oder Beerdigung von ganz nahen Verwandten kann man auf eine Terminverlegung hoffen. Pure Arbeitsunfähigkeit ist kein Grund, nicht zu erscheinen, man müsste schon verhandlungsunfähig sein und das durch ein Attest nachweisen. Wer ohne ausreichende Entschuldigung einfach nicht kommt, muss damit rechnen, die Kosten der Verhandlung auferlegt bekommen, wenn man ohne ihn nicht zurechtkommt und deshalb ein neuer Termin bestimmt werden muss. Das kann richtig teuer werden, wie z.B. in einem Fall, in dem ein Zeuge extra aus Moskau angereist war, dessen Flug- und Übernachtungskosten der nicht erschienene Zeuge ans Bein gebunden bekam. Unter Umständen wird man zum nächsten Termin dann auch von der Polizei vorgeführt. Gar nicht lustig, wenn die einen frühmorgens aus dem Bett scheuchen und mit dem Streifenwagen mitnehmen. Immerhin verzichten sie meistens auf Handfesseln.

§ 51
Folgen des Ausbleibens eines Zeugen

(1) 1Einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, werden die durch das Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt. 2Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt. 3Auch ist die zwangsweise Vorführung des Zeugen zulässig; § 135 gilt entsprechend. 4Im Falle wiederholten Ausbleibens kann das Ordnungsmittel noch einmal festgesetzt werden.

(2) 1Die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung eines Ordnungsmittels unterbleiben, wenn das Ausbleiben des Zeugen rechtzeitig genügend entschuldigt wird. 2Erfolgt die Entschuldigung nach Satz 1 nicht rechtzeitig, so unterbleibt die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung eines Ordnungsmittels nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, daß den Zeugen an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft. 3Wird der Zeuge nachträglich genügend entschuldigt, so werden die getroffenen Anordnungen unter den Voraussetzungen des Satzes 2 aufgehoben.

(3) Die Befugnis zu diesen Maßregeln steht auch dem Richter im Vorverfahren sowie dem beauftragten und ersuchten Richter zu.

Und nichts als die Wahrheit

Es klingt ja so einfach. Als Zeuge müssen Sie nur die Wahrheit sagen, nur das, an das Sie sich erinnern, nichts weglassen und nichts hinzufügen. Bevor Sie aussagen, werden Sie darüber vom Gericht auch belehrt.

Es ist aber gar nicht einfach. Die Problematik des Erinnerns ist nicht ohne. Verkürzt könnte man sagen, man nimmt nur das wahr, was man wahrnehmen will und man erinnert sich auch auf völlig subjektive Weise. Eine objektive Wahrnehmung im Sinne einer vollständigen Erfassung aller Fakten, die bei einem Ereignis wahrnehmbar sind, lassen unsere Sinnesorgane gar nicht zu. Das Gehirn selektiert, welche Informationen vermeintlich wichtig sind und welche weniger oder gar nicht. Alles, auf das die Aufmerksamkeit nicht gerichtet ist, wird einfach ausgeblendet. Da ist man blind. Wie Justitia, die eine Augenbinde trägt, was erst seit 1520 als Symbol für ihre Unparteilichkeit gilt und davor, Ende des 15. Jahrhunderts, als Spott über die Blindheit der Justiz gedacht war. Das Thema scheint also nicht ganz neu zu sein.

Der Kinderglaube, dass derjenige, der bei einem Ereignis anwesend war, sich zutreffend an das Ereignis erinnern können müsse, ist ja nicht auszurotten. Erinnern ist eben kein Abrufen eines im Hirn gespeicherten Videos, sondern ein aktiver Vorgang,d.h. jedesmal wenn man über eine Erinnerung nachdenkt, verändert sich diese. Das erklärt auch, warum Aussagen unmittelbar nach einem Ereignis häufig ganz anders klingen, als spätere. Das ist normal.

Ich  verfüge über ein sehr schlecht ausgeprägtes Erinnerungsvermögen, vielleicht weil Dinge, die in der Vergangenheit liegen und für mich abgehakt sind, mich nicht weiter interessieren. Andere erinnern sich an Details, die ich schon in dem Moment der Wahrnehmung gar nicht gesehen habe. Welche Kleidung jemand an hatte, kann ich nie erinnern, es sei denn, es wäre etwas völlig Auffälliges, wie einen schneeweißen Pelzmantel am Sonnenstrand. Manche Zeugen, okay meistens sind es Zeuginnen, können sogar die Marke der Kleidung erinnern. Männer erinnern sich häufiger an Automarken.

Wenn Sie nun als Zeuge vor Gericht stehen, sollten Sie versuchen, wirklich nur das zu sagen, bei dem Sie sich ganz sicher sind, dass das Ihre eigene Wahrnehmung ist. Ansonsten sagen Sie ruhig bei jedem Satz dazu, dass Sie sich da nicht ganz sicher sind. Von Ihrer Aussage hängt unter Umständen ab, ob ein Mensch verurteilt wird. Da wäre es doch schön, wenn das auch der richtige wäre.

Zunächst werden Sie vom Gericht, danach von der Staatsanwaltschaft und dann von der Verteidigung befragt.

So richtig nervös werden Zeugen häufig, wenn sie von einem Verteidiger befragt werden. Wenn Sie sich bewusst machen, dass der Verteidiger nur seinen Job macht, kommen Sie vielleicht etwas besser damit klar, dass er Ihre Aussage mit seinen Fragen zu zerlegen versucht. Der hat nichts gegen Sie persönlich, nur gegen Ihre Aussage.

Fragen über Fragen

Wenn Sie immer nur bei der Wahrheit geblieben sind, kann Ihnen das aber auch herzlich egal sein. Es kann ihm dann nicht gelingen, Sie zu verunsichern. Kleine Lügen wird er aber gnadenlos entlarven und Ihre gesamte Aussage damit unglaubhaft und Sie unglaubwürdig machen. Vielleicht wird er auch versuchen, Sie zu provozieren, damit Sie so richtig austicken und etwas Unbedachtes sagen, vielleicht versucht er auch Sie oder Ihre Aussage lächerlich zu machen, kann alles passieren.

Besonders anstrengend ist es, wenn man als Zeuge in einem sogenannten Umfangsverfahren mit vielen Angeklagten und dann zwangsläufig noch mehr Verteidigern und eventuell auch noch Nebenklägervertretern sitzt. Da kommen dann nicht nur zwangsläufig mehr Fragen auf den Zeugen zu – schon alleine, weil ja jeder Verteidiger was für sein Geld tun will – es kann auch sein, dass die anwesenden Verteidiger untereinander besondere Strategien abgesprochen haben. Es gibt da sehr unterschiedliche Charaktere und derjenige, der Sie ganz ruhig und leise befragt, kann viel gefährlicher sein als der Polterer. In politischen Verfahren treten auch häufig sogenannte Szeneanwälte auf, die unter Umständen politisch mit ihren Mandanten in einem Boot sitzen und deshalb den Zeugen von vorneherein oft unheimlich sind, insbesondere, wenn der Zuschauerraum voll mit Kameraden ist, die keinen Hehl aus ihrer Haltung machen.

Es kann aber auch ganz schön gruselig sein, wenn man bereits auf dem Weg zur Vernehmung an einem vollständig erschienenen Motorradclub in Kutten vorbei muss, der zur moralischen Unterstützung ihres Mitglieds schon früh am Morgen mit sonorem Motorengeräusch zum Gericht gefahren ist und jetzt höhnisch grinsend den Flur und den Sitzungssaal bevölkert.

Zeugenbeistand

Wenn Sie sich allzu unsicher sind oder Angst haben, können Sie auch als Zeuge jederzeit einen Anwalt als Zeugenbeistand beauftragen, der sich dann neben Sie setzt und zumindest versucht, Ihnen unzulässige Fragen vom Hals zu halten. Das ist manchmal sinnvoll, weil einige Richter auch ziemlich seltsame Fragen nicht beanstanden, um sich nicht einem Befangenheitsantrag der Verteidigung auszusetzen. Außerdem kann einem Zeugen auch ein Anwalt auf Kosten des Staates beigeordnet werden, wenn für das Gericht ersichtlich ist, dass er seine Befugnisse bei der Vernehmung nicht selbst wahrnehmen und seinen schutzwürdigen Interessen auf andere Weise nicht Rechnung getragen werden kann. Das kommt gar nicht mal so selten vor. Es bewahrt häufig vor einer mehr oder weniger unbeabsichtigten Falschaussage.

Wenn ein Zeuge tatsächlich ernsthaft gefährdet ist, kann ihm auch gestattet werden, seinen Wohnort oder seine Identität nicht öffentlich anzugeben oder unter ganz engen Bedingungen auch, seine gerichtliche Aussage nicht in Anwesenheit des Angeklagten oder in öffentlicher Verhandlung machen zu müssen.

An all dem lässt sich leider nicht viel ändern. Zwar kann der Vorsitzende im Rahmen der Sitzungsleitung einzelne Fragen als unzulässig unterbinden und bei einem offenkundigen Missbrauch des Fragerechts dem Fragenden auch dasselbe entziehen. Bis das aber geschieht, muss wegen der hohen Bedeutung des Fragerechts schon einiges passieren.

Versuchen Sie als Zeuge einfach nur die gestellten Fragen zu beantworten oder, wenn Sie das nicht können, deutlich zu machen, dass Sie das nicht können. Das nimmt Ihnen niemand übel. Zeugen sind oft geneigt, Erwartungen zu erfüllen. Das brauchen Sie nicht. Sie bekommen weder einen Orden noch ein Fleißkärtchen.

Wenn Sie eine Frage nicht verstehen, fragen Sie nach. Ich erinnere mich daran, dass eine grenzdebile Zeugin, die von ihrem beinamputierten Vater jahrelang sexuell missbraucht worden war, auf die Frage der Vorsitzenden, ob es jedes Mal zum Coitus gekommen sei, nur mit einem „Hä?“ antwortete. Die Frage nach „Geschlechtsverkehr“ kam ebenfalls nicht richtig bei der Zeugin an, sie blieb bei ihrem „Hä?“. Erst als der Verteidiger mit Zustimmung der Vorsitzenden die Frage übernahm und diese für die Zeugin verständlich mit „Hätt dä dich jedes Mol jefick?“ (Hat der Dich jedes mal gefickt?“) stellte, strahlte sie und konnte diese Frage beantworten. „Jedes Mol, wenn er et Been affjeschnallt hät.“ (Jedes Mal, wenn er das Bein abgeschnallt hat.)

Keine Sinnsuche

Ob Sie den Sinn einer Frage verstehen, ist unerheblich, wenn Sie denn die Frage selbst verstehen. Als Zeuge sind Sie nicht auf Sinnsuche.

Ein Kollege hielt einmal während der Vernehmung einer Zeugin eine Faust in die Luft und fragte: „ Wie viele Finger können Sie sehen?“ Die Zeugin war irritiert, fragte, was die Frage solle, und holte eine Brille mit mindestens 15 Dioptrien aus der Handtasche. Damit war die Identifikation des Angeklagten, den diese nachts von ihrem Schlafzimmerfenster aus in 25 Metern Entfernung ohne ihre Brille erkannt haben wollte, gestorben.

Zickige oder aggressive Gegenfragen wie „Warum wollen Sie das wissen?“ sollten Sie sich einfach schenken. Es kann Ihnen völlig egal sein, warum derjenige, der gerade das Fragerecht ausübt, etwas wissen will. Der Klassiker, „Ich stelle hier die Fragen!“, kommt dann zu Recht wie aus der Pistole geschossen.

Es ist als Zeuge auch nicht Ihre Aufgabe, mit den anderen Prozessbeteiligten zu diskutieren. Kommt gar nicht gut. Führt allerdings manchmal zu unfreiwilligen Eingeständnissen. Auf die Frage einer Amtsrichterin, was sie denn in der Situation gedacht habe, antwortet die ziemlich freche jugendliche Zeugin: „Was hätten Sie denn gedacht?“ Die Antwort der Richterin sorgte für allgemeine Heiterkeit im Saal, weil sie – hoffentlich nicht wahrheitsgemäß – lautete: „Ich denke hier gar nichts.“

Wenn Sie selbst „Dreck am Stecken“ haben, also sich bei wahrheitsgemäßer Beantwortung einer Frage selbst oder einen Ihrer Angehörigen der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen müssten, brauchen Sie diese Frage nicht zu beantworten.

Überhaupt nicht auszusagen brauchen Sie, wenn der Angeklagte ein naher Angehöriger ist, dann haben Sie ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht, können also gleich wieder gehen, wenn Sie nicht aussagen möchten. Auch darüber müssen Sie belehrt werden.

§ 52 Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen des Beschuldigten

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt

1.

der Verlobte des Beschuldigten;

2.

der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;

2a.

der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;

3.

wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.

(2) Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht.

(3) Die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen, in den Fällen des Absatzes 2 auch deren zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts befugte Vertreter, sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zu belehren. Sie können den Verzicht auf dieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen.

Hinkommen müssen Sie aber zunächst. Sie können auch vorher dem Gericht mitteilen, dass Sie von diesem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wollen, dann werden Sie vielleicht abgeladen. Natürlich dürfen Sie trotzdem auch gegen Ihre Angehörigen aussagen, dann muss es aber auch eine richtige Aussage sein.

Auch als sogenannte Berufsgeheimnisträger sind zur Zeugnisverweigerung berechtigt.

Bei fahrlässig oder vorsätzlich falschen Aussagen machen Sie sich strafbar und werden ziemlich hart bestraft. Bei einer uneidlichen Falschaussage, also dann, wenn Sie nach der Aussage keinen Eid schwören müssen, mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, bei Meineid sogar mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Das klingt heftig, ist aber ganz in Ordnung so, weil das Gericht das Wohl und Wehe eines anderen Menschen auf Ihre Aussage hin entscheidet und sich darauf verlassen muss, nicht belogen zu werden. Gefälligkeitsaussagen sollten Sie sich unbedingt verkneifen. Unter Umständen werden Sie selbst bei so einer falschen Aussage härter bestraft als derjenige, dem Sie mit Ihrer Aussage helfen wollten.

Einfach merken: Solange Sie nichts als die Wahrheit erzählen, kann Ihnen vonseiten der Justiz normalerweise nichts geschehen. Wenn Sie außerhalb des Gerichts wegen Ihrer Aussage bedroht oder bedrängt werden, teilen Sie das mit, damit Sie beschützt werden können.

Wenn Sie mit Ihrer Aussage durch sind, bekommen Sie einen Zettel, mit dem Sie sich auf der Gerichtskasse ihre Zeugenentschädigung holen können. Da werden Ihnen Ihre Fahrtkosten und ein Verdienstausfall ersetzt. Reich werden Sie davon nicht, aber nehmen Sie es mit, es steht Ihnen zu.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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