Gebrochene Herzen

Bei Liebeskummer hilft Wahrscheinlichkeitsrechnung ungemein, behauptet Kolumnist Henning Hirsch


[aus der Serie: Männer und Frauen sind das nackte Grauen]

Vorab ein bisschen Statistik

57 Prozent meiner Bekannten leiden an periodischem Liebeskummer. Das ergab eine stichprobenartige Befragung im erweiterten Freundeskreis in den Postleitzahlbereichen 4 und 5. Das Alter der Probanden variierte zwischen 40 und 60, mit Schwerpunkt im Intervall 45-55, beide Geschlechter in etwa hälftig vertreten, sämtliche Teilnehmer in teils besser, teils schlechter bezahlten, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen tätig, einige Freiberufler darunter. Nationalität und Migrationshintergrund egal, wobei die Kurzinterviews in deutscher Sprache geführt wurden.

Das Ergebnis überrascht in zweierlei Hinsicht. Zum einen hätte ich den Anteil der Herzschmerzgeschädigten in der oben genannten Altersgruppe deutlich niedriger eingeschätzt. Zum anderen übersteigt der männliche Wert (61%) den der Frauen (53) mit der Differenz 8 deutlich. Was ist los mit all diesen Leuten? Warum führen sie keine harmonischen Beziehungen? Weshalb sind sie keine glücklichen Singles? Können sie sich durch ihren Job oder ein spannendes Hobby nicht genügend anderweitig austoben? Wozu überhaupt Liebeskummer, wenn doch die Auswahl an potenziellen Partnern riesig groß ist?

Frau nach sieben Jahre Gruselehe mit einem Arbeitskollegen durchgebrannt? Für den zurückgelassenen Ehemann bricht plötzlich die Welt zusammen. Schlaf- und Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwäche, endlose, traurige Gedankenschleifen im Kopf, das Volltexten aller Freunde sind die Folge. Warum freut er sich stattdessen nicht, dass der immerwährende Zoff mit ihrem Auszug nun endlich vorbei ist? Also ich an seiner Stelle würde die Chance nutzen, die Wohnung entrümpeln und all den kitschigen Dekokram, den sie ständig anschleppte, in die Mülltonne kloppen. Überflüssige Möbel und Küchengeräte in ebay-Kleinanzeigen verkaufen, die Bude auf minimalistisch und männlich trimmen. Notfalls, wenn sie es sich mit dem Arbeitskollegen doch noch anders überlegen und reumütig zurückkehren sollte, das Schloss auswechseln. Vorbei ist vorbei. Klingt plausibel? An und für sich ja. Aber erklären Sie das mal dem vom Herzschmerz zerfressenen Kumpel. Der will so logische Sachen überhaupt nicht hören. Bezeichnet Sie als empathielos, sobald Sie ihm ehrlich sagen: »Sei froh, dass du die Alte quitt bist«.

89% der Befragten schoben die Schuld für ihren desolaten Gemütszustand dem Expartner in die Schuhe. Es ist zwar ein altbekanntes Phänomen, dass sich viele Menschen lieber in der Opfer- als in der Täterrolle sehen; trotzdem überraschte mich auch hier die prozentuale Höhe der Antwort. Denn aus meiner Beobachtung heraus verursachen stets beide Teilnehmer der Mesalliance das Desaster. Nicht immer ganz gleichverteilt, jedoch nie einer alleine. Der, der geht, zieht bloß die ultimative Reißleine und tut das einzig Richtige: nämlich den Beziehungsterror durch Verlassen des Schlachtfeldes beenden. Trotz dieser vernünftigen Vorgehensweise wird von den Zurückgebliebenen im Nachgang oft gejammert und das Umfeld mit negativen Informationen über den/ die Ex versorgt. Anstatt sich einzugestehen, dass die Angelegenheit auf einem Missverständnis oder gar einer strukturellen Täuschung beruhte. Man kann natürlich auch Unglücklichsein als Dauerzustand akzeptieren.

Beziehung bedeutet oft Krieg unter einem Dach

Viele sind zudem in einer Partnerschaft zu wenig kompromissbereit, neigen zu Nickligkeiten, reiben sich mit albernen Machtspielchen auf und – am schlimmsten von allen – lassen sich optisch hängen. Wer will es dem 40-jährigen Werner verdenken, wenn der, nachdem seine große Studentenliebe Ursula in der Ehe zwanzig Kilo zunahm und ihre lange Lockenpracht in eine praktische Wischmoppfrisur eintauschte, sie erst in Gedanken und dann konkret mit der attraktiven Bettina aus dem Fitnessstudio betrügt? Oder andersherum Verena an Rechthaberei und Jähzorn des vor der Hochzeit stets charmanten Rüdiger verzweifelt? Bis sie sich in einem Internetforum einen digitalen Brieffreund sucht, dem ihr Herz ausschüttet und eines Tages beschließt, Rüdiger zu verlassen und ihr neues Glück an einem 500 Kilometer entfernten Ort zu versuchen. Vor Jahren geschworene Liebe bedeutet keinen Freibrief für Ich-lasse-mich-gehen-bis-ich-aussehe-wie-Mutter-Flodder-morgens-um-acht-Uhr-nach-dem-ersten-Glas-Wodka oder Ich-lebe-zuhause-ALLE-meine-Launen-ungehemmt-aus.

Statt sich damit abzufinden, dass man die grundlegenden Fähigkeiten für eine Langfristpartnerschaft überhaupt nicht besitzt, wird nach einer ultrakurzen Spanne des Wundenleckens und das Nervenkostüm der Kumpels mit der Ich-bin-das-ärmste-Schwein-im-deutschen-Hochsommer-Story Strapazierens sofort wieder in den Akquisemodus gewechselt. Die Pause, die dringend notwendig wäre, um sich zu sammeln und schonungslos selbst zu analysieren, überspringen viele, stürzen sich kopfüber in das nächste Abenteuer, ziehen nach ein paar Wochen mit dem/ der Neuen zusammen, die minimalistische Männerbude wird binnen weniger Tage wieder in einen Schöner-Wohnen-Tempel verwandelt, Friede, Freude, Eierkuchen. Die beiden Frischverliebten kleben 24/7 aneinander, strahlen um die Wette, möchten, dass jeder ihr Glück schon von Weitem sieht und daran teilnimmt. Trotzdem ist bereits in dieser frühen Phase der Keim fürs abermalige Scheitern gelegt, lautet die Frage nicht „ob“, sondern: „Wann wird das Drama seinen Lauf nehmen?“. Das Ende ist aufgrund mangelnder Fehleranalyse und zu frühen Aufgebens der räumlichen Distanz vorprogrammiert.

Drei Kernvoraussetzungen für die erfolgreiche Partnersuche

Ob mir das alles noch nie passiert ist, fragen Sie? Klar kenne ich Beziehungsstress und Herzschmerz. Habe darüber seitenweise rührselige Gedichte und Kurzgeschichten geschrieben. Mich allerdings bei drei Kernvoraussetzungen für die erfolgreiche Partnerschaft lernfähig gezeigt:

(.1) Nach einer Trennung erstmal eine mehrmonatige – besser: mehrjährige – Verschnaufpause einlegen, zur emotionalen Ruhe kommen. Alleinsein ist kein Makel und – sobald man sich daran gewöhnt hat – oft entspannter als der tägliche Kampf mit dem Feind im eigenen Haus.

(.2) Auf die Große Zahl vertrauen. Frauen (Männer) gibt’s wie Sand am Meer. Wenn ich meine individuellen Parameter zugrunde lege, schränkt das die Anzahl logischerweise ein. Aber auch dann sind es noch zig Millionen. Okay, nicht jede/r passt zu mir, nicht jedem/ jeder laufe ich über den Weg. Es bleiben jedoch immer noch massig übrig, die ich kontaktieren und anflirten kann. Die Wahrscheinlichkeit, jemand Neuen zu finden oder gefunden zu werden, ist höher als die Chance, dauerhaft sein Singleleben zu genießen. Von daher ergibt es keinen Sinn, eine/r/m Verflossenen länger als maximal vier Wochen hinterherzutrauern (vom Spezialfall des frühzeitigen Ablebens mal abgesehen). Es hat nicht gepasst, besser ein Ende mit Schrecken als ein grenzenloses Grauen. Neues Spiel, neues Glück. Wobei die Tugend der Geduld bei diesem Spiel sehr hilfreich ist.

(.3) Von der Utopie „immerwährende Liebe“ lösen. Wer für die Formel „bis dass der Tod euch scheidet“ nicht gemacht ist und sich als Single auf Dauer doch einsam fühlt, der kann in Hybridmodelle der Beziehung ausweichen. Als da wären: Serielle Monogamie und Freundschaft plus. Während bei der Erstgenannten ein Time-out nach einigen Jahren erfolgt, steht Option 2 für den Versuch, hin und wieder mit Freunden ins Bett zu gehen, ohne sich dabei in sie zu verlieben. Sowas wie Swingertum im Bekanntenkreis. Vor die Wahl gestellt bevorzuge ich eindeutig Variante 1. Aber noch bin ich (halbwegs) glücklicher Single und beabsichtige nicht, an diesem Zustand zeitnah was zu ändern. Aber: grau ist alle Theorie. Sollte ich eines Tages meiner Traumfrau begegnen, sieht die Angelegenheit schon wieder komplett anders aus. Gemäß dem rheinischen Motto, „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“, wäre ich dann eventuell doch bereit, mit ihr Tisch, Bett und Fernbedienung zu teilen und meine Aversion gegen Kommunikation vor zehn Uhr morgens zu überdenken. Man wächst mit jeder neuen Aufgabe bzw. Partnerschaft.

Lange Rede, kurzer Sinn: Herzschmerz, der länger als einen Monat und maximal drei Frustbesäufnisse andauert, lohnt nicht und ist aufgrund der theoretisch und praktisch riesengroßen Auswahlmöglichkeiten an potenziell neuen Partnern wirklich nicht notwendig.
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PS. Für all diejenigen, die trotz dieser Kolumne weiterhin am Blues leiden, gibt’s ein Forum im Internet: Die Liebeskümmerer

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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