Der Wind trägt uns hinfort! – Eine französische Kolumne über die Abgründe der Liebe.
Die Hörmal-Kolumne von Ulf Kubanke trägt diese Wochen Frenchcoat. Es geht um im weitesten Sinne um beachtenswerte französische Musik und im Besonderen um die Abgründe der Liebe.
Rodophe Burger ist ein echtes Urgestein der französischen Rockszene. Mit seiner bis 2002 aktiven Band Kat Onoma schrieb er Geschichte als nationaler Wegbereiter französischen Indie-Rocks. Doch auch solo hält er die Eigenschaft „Independent-Artist“ zeitlebens hoch. Als Mitglied einer vermögenden Familie im Elsass würde er ausgesorgt haben, so er seinen Erbanteil am familiären Sägewerk angenommen hätte. Doch Burger schlug aus und beschritt lieber den Pfad des Musikers und Lebenskünstlers in Paris.
Politischer Humanist
Sein Spiel auf der Gitarre hat eine sinistre, sehr individuelle Präsenz. Soli spielt er höchst exzentrisch mittels eines mehr als unkonventionellen Daumenanschlags. Nebenbei veranstaltet er alle zwei Jahre ein Kult gewordenes Rockfestival in den heimatlichen Vogesen. Auch politisch ist er als aktiver Humanist und Philanthrop bekannt. So sprach er u.a. gegen den rechtsextremen Geist Le Pens und der rassistischen Front National.
Besonders beeindruckend ist das kürzlich erschienene 2017er Album „Good“. Höchst intensiv kombiniert er dort warme, fast kuschelige Klänge mit unheilvoll schattenhafter Atmosphäre. Paradies trifft Dystopie. Die hier besungene Unfähikeit vieler Menschen, der Mangel an Empathie und Herzenswärme ist ein gefundenes Fressen für Burgers Sarkasmus. Humanismus, Romantik, Liebe? Vergesst es. „This is Winter.“
Als zweiten Song des Albums stelle ich sein nicht minder faszinierndes „An Lili“ vor. Diesmal ist die Romantik pur und bar jedes ironischen Seitenhiebs. Ein Happy End bleibt trotzdem außer Sichtweite. Es ist die Umsetzung eines Liebesgedichts von Goethe. Burger strickt daraus eine ebenso schmerzvolle wie romantisch schmachtende Ballade. Leider vermochte ich nicht, heraus zu finden, wer die kongeniale Duettpartnerin an seiner Seite ist.
Wem das nicht finster genug ist, kann sich getrost an die Alternativfassung des Stücks halten. Zusammen mit Olivier Cadiot gibt es hier eine düstere Variante. Sehr intensiv, wie Burger nach dem collagenhaften Einstieg die zweite Hälfte des Tracks von der gitarre dominieren lässt.
Weiter geht es mit einem tiefen Griff in meine Schatztruhe. „Tief“ nicht etwa, weil das folgende Lied so verschüttet wäre, sondern weil es einer meiner ewigen Lieblingssongs ist. Ursprünglich stammt das 2001 veröffentlichte Lied von der französischen Rock-Institution Noir Desir um Bertrand Cantat, einer Band deren musikalische Qualität und künstlerisches Erneuerertum zu aktiven Zeiten wahrlich herausragend war. Der Song ist eine romantische Hymne an Liebe und Freiheit in untrennbarer Zweisamkeit eines nur halbfiktiven Liebespaares.
Denn gleichzeitig spiegelt es die damals noch perfekte Welt von Cantat und seiner Lebensgefährtin Marie Trintignant, die drei Jahre später in einem tragischen Strudel voller Depression, Drogen, Gewalt und Streiterein für letztere ein tödliches Ende fand. Ein trauriges Drama, dem auch die Band letzten Endes zum Opfer fiel.
Cover als Eroberung
An diesem Punkt kommt 2010 Sophie Hunger ins Spiel (Album: „1983“). Die grandiose schweizer Singer/Songwriterin ist gebannt von der melodischen Kraft des Liedes. Sie covert ihn nicht lediglich, sondern erobert ihr regelrecht. Kurzerhand amputiert sie alle Frühlingshaftigkeit und Ausgelassenheit des Originals. An dessen Stelle setzt sie eine Melancholie, die sich nur wenige Schritte von unheilvoller Auszehrung und Endlichkeit bewegt. Das Ergebnis ist dermaßen berückend und einschneidend: Man kann dem Song nicht entkommen. Hört es nur selbst, hier kommt „der Wind, der uns hinfort trägt“.
Le vent nous portera:
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