Sterben und Leben in Westeros

Die Siebte Staffel von ,Game of Thrones‘ ist vorbei. Einige halten die neuen Folgen für weniger tiefgründig als die älteren Kapitel, die noch auf Romanen von George R. R. Martin basieren. Dieses Urteil ist zu hart. Die Story neigt sich ihrem Ende zu – und muss zwangsläufig Tempo aufnehmen.


Bildnachweis: Egal ob durch Schwert, Pfeil oder Drachenblut, gestorben wird bei „Game of Thrones“ häufig. Hier illustriert auf einem Bildteppich. Foto: Wikimedia Commons; Autor: Kal242382

Achtung: Spoiler-Alarm!

Nun ist sie vorbei, die lange erwartete siebte Staffel von „Game of Thrones“. Das überraschende dabei war, dass nichts überraschend war. Im Gegenteil: Es sind Dinge passiert, die alle erwartet haben. Bis auf die spontane Hinrichtung von Petyr Baelish vielleicht, besser bekannt als Kleinfinger, und den olympiareifen Speerwurfkünsten des Nachtkönigs. Aber der große Cliffhanger der Staffel, der Einmarsch der Weißen Wanderer in Jon Snows Norden von Westeros, ist genau das, worauf die Serie von Anfang an schnurgerade hinaus gelaufen ist.

Ebenso vorhersehbar war Snows Outing als eigentlicher Thronfolger von Westeros. Dass der Anführer des Nordens kein Bastard des Provinzfürsten Ned Stark, sondern der eheliche Sohn des gemeuchelten Kronprinzen Rheagar Targaryen ist, galt spätestens seit Staffel Fünf als offenes Geheimnis. Dazu passt, dass Snow gerade ein Verhältnis mit Danaerys angefangen hat, die unbekannterweise seine Tante ist. Das mag in hiesigen Gefilden als unschicklich gelten, in Targaryan-Kreisen hält man es in Liebensangelegenheiten aber durchaus so. Vor allem dann, wenn man sich zum Herrschen berufen fühlt. Es wäre wenig überraschend, wenn das Dreamteam Danaerys/Snow bald gemeinsam vom Eisernen Thron grüßen würde. Sie sind ja auch so schön und so edel wie einst Brangelina und mindestens so machtbegabt wie die Clintons, das real existierende Power-Couple.

Brangelina von Westeros

Die Realität hat einem Immobilien-Mann aus Manhattan die Rolle zugedacht, Hillary um den Eisernen Thron, Verzeihung um das Weiße Haus, zu bringen. Es scheint so, als hielte das Weltgeschehen inzwischen mehr Wendungen bereit als die Fiktion bei „Game of Thrones“. Die Serie ist aber immer noch aufregender als der deutsche Wahlkampf. Und wenn sie bloß halb so wetterwendisch ist wie in den frühen Staffeln, dann besteht die immer noch die Möglichkeit, dass entweder die formal amtierende Regentin von Westeros, Cersei Lannister, oder der Nachtkönig die Party crashen werden. Der Nachtkönig präsentiert sich ja bereits in etwa so, wie „Spiegel“ oder „Stern“ den aktuellen Bewohner des Weißen Hauses darstellen. Ok, der spielt vielleicht besser Golf, während der Nachtkönig seine Stärken eindeutig in den Wurfdisziplinen hat. Man darf also gespannt sein, was Staffel Acht bieten wird: Ein Alles-wird-gut in Hollywood-Manier oder zynisches Sterben, wie es der Erfinder der Serie und der zugrunde liegenden Romane, George R. R. Martin, eigentlich mag? Oder vielleicht doch irgend etwas dazwischen?

Wenn ich eine Prognose wagen darf: In irgendeiner Auseinandersetzung mit Cersei oder dem Nachtkönig stirbt Danaerys, Snow dagegen überlebt oder er kriegt auch noch seine zweite Wiederauferstehung hin. Am Ende sitzt er dann allein auf dem Eisernen Thron und regiert ein verwüstetes Land, das in den vielen Kriegen auf erbärmliches Niveau zurückgeworfen wurde. Ein Land, das in etwa so aussieht, wie Europa nach der Zerstörung der römischen Hochkultur, in den Zeiten der Völkerwanderung.

Snow als Fantasy-Ausgabe von Johann Ohneland anstelle von Jon & Danaerys in Love – so ein Szenario würde mich mit der Serie versöhnen. Es entspräche auch Martins skeptischer Grundeinstellung.

Fans hadern mit Erzähltempo

Eine andere Kritik teile ich nur bedingt: Viele Fans hadern mit dem höheren Erzähltempo und der mangelnden Charakterentfaltung in den neuen Folgen. Zwar ist richtig, dass den einzelnen Persönlichkeiten nicht mehr so viel Raum gegeben wird wie zu Beginn, als es noch Romanvorlagen von Martin gab. Aber das ist folgerichtig und unvermeidbar. Alles, was sich in früheren Staffeln langsam angebahnt hat, treibt nun seinem Höhepunkt entgegen: Der Antagonismus zwischen den Thronprätendentinnen Cersei und Danaerys ebenso wie die bevorstehende – und wohl alles übertreffende – Schlacht zwischen den Lebenden und den Toten. Hier bleibt wenig Raum für Nuancen, die es aber dennoch gibt. Beispielsweise in den Dialogen zwischen Cersei und ihren Brüdern, in denen über Familie, Tod und Glück sinniert wird. Oder wenn Ser Bronn vom Schwarzwasser  – weniger feingeistig – den Sinn des Lebens zwischen den Bettlaken ausmacht und Snow-Berater Ser Davos im derbsten Luther-Ton feststellt: „Nichts fickt Dich härter als die Zeit.“

Weniger Raum für Nuancen

Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann. Deshalb: Bitte Milde mit den GoT-Machern! Allen Schwächen und einer nicht zu übersehenden Annäherung an Blockbuster wie ,Herr der Ringe‘ und ,The Walking Dead‘ zum Trotz, dürfte die aktuelle Staffel von „Game of  Thrones“ mit Sicherheit eines der Fernsehereignisse des Jahres gewesen sein. Jeder deutschen Serie ist das handwerklich, dramaturgisch und schauspielerisch so weit voraus wie der JFK Airport dem BER (der geplante, neue Flughafen der hiesigen Hauptstadt, von dem schon seit mehr als einem halben Jahrzehnt Flugzeuge abheben sollten). Und so denken einige meiner Bekannten mit Grausen daran, dass es vielleicht zwei Jahre dauern könnte, bis die Kämpfe um den fiktiven Kontinent Westeros ihr großes Finale erleben werden.

Was immer dann passieren wird, eines dürfte sicher sein: Das Motto von Erfinder Martin wird voll zum Tragen kommen: Jeder Mensch muss sterben. Sogar Jon Snow, aber der steht wieder auf.

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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