Sachsen unter Bundeszwang

Clausnitz, Bautzen, Hetze-Brüder und „Asylkritiker“. Geht es in Sachsen noch mit rechten Dingen zu oder ist es der rechte Schandfleck der Nation? Muss der Bund da eingreifen? Wie wär’s denn mal mit Bundeszwang? Aber, geht das überhaupt?


Als Kind aus dem Westen der alten Bundesrepublik glaubte ich früher, Sachsen seien kleinwüchsige, blonde Frauen, die je einen Pudel auf dem Arm halten und dazu in einer seltsamen Sprache singen. Das war falsch.

Mit Karl May verdanke ich einem vorbestraften, fabulierenden Sachsen viele schöne Lesestunden, imaginäre Ritte durch die Prärie oder das wilde Kurdistan und das Wissen, dass es nur wenige gute und edle Wilde gibt, mit denen ein echter Sachse Blutsbrüderschaft schließt. Die anderen werden erschossen. Zudem erklärte May ganz deutlich, dass der wilde Westen letztlich nur mit Hilfe deutscher, christlicher moralischer Werte und überragender Waffentechnik ( der Henrystutzen war kein G3 ), zu einem guten Amerika, also einem Amerika der Weißen werden konnte. Was mal halt alles so glaubt als Kind.

Kläglicher Versuch einer Vereinigung

Nach der Vereinigung sah ich einmal einen sächsischen Pornodarsteller Namens Sachsen-Paule beim eher kläglichen Versuch einer Vereinigung. Das war der skurrilste Pornodarsteller, den ich je gesehen habe, aber nicht schlimm. Trotzdem, irgendwie fehlte mir lange Zeit der positive Zugang zu Sachsen.

Die Aktivitäten der beiden NSU-Uwes, die ungewöhnlichen, fremdenfeindlichen Dauerdemonstrationen , alles nicht geeignet meine Zuneigung zu Sachsen zu wecken. War dieser Anti-Faschistische-Schutzwall vielleicht tatsächlich doch zu unserem Schutz vor Faschisten errichtet worden? Wollte die DDR ihrer sozialistischen Verpflichtung gerecht werden, den gefährdeten Westen vor einer unkontrollierten Überflutung mit einer als brandgefährlich eingestuften Variante ihrer schwer sozialisierbaren, volkseigenen Vollidioten zu bewahren? Egal, die Mauer ist weg, auch wenn manche auf beiden Seiten das bedauern mögen.

Zeit für Zwang

Ist Sachsen tatsächlich ein einziger brauner Schandfleck auf der Karte der Bundesrepublik und muss die Bundesregierung da mal – wie man immer wieder so schön wie sinnlos sagt – mit der vollen Härte des Gesetzes eingreifen? Wäre es nicht an der Zeit, Zwang anzuwenden? Sie erinnern sich an Clausnitz, manchmal muss man eben ein Kind mit einfacher Gewalt zu seinem Glück zwingen und zwar auf jeden Fall dann, wenn die Polizei einem Mob ein paar gut gemeinte Anweisungen gibt, der aber ganz seltsam reagiert, nämlich nur durch kollektives  Lachen. „Die Versammelten reagieren durch Lachen“ ist mein Lieblingssatz aus der Pressekonferenz eines spaßigen Polizeipräsidenten mit einer chronischen Polizeifehlerfehlsichtigkeit.

In einem Artikel in der Zeit stellte Christian Bangel die Frage, ob es nicht  angebracht sei, auf die seltsamen Sachsen Bundeszwang anzuwenden.
Klingt spannend.

Und tatsächlich gibt es so etwas im Grundgesetz.

Art. 37
(1) Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetze oder einem anderen Bundesgesetze obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten.
(2) Zur Durchführung des Bundeszwanges hat die Bundesregierung oder ihr Beauftragter das Weisungsrecht gegenüber allen Ländern und ihren Behörden.

Dieser Artikel ist zwar in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie angewendet worden, aber das bedeutet ja nicht, dass er nicht einmal angewendet werden könnte. Theoretisch zumindest. Also schaun mer mal:

Erste Voraussetzung wäre ja, dass das Land Sachsen Bundespflichten nicht erfüllt, die es nach dem Grundgesetz oder einem anderen Bundesgesetz hat. Welche das sein sollten, hat Christian Bangel leider nicht verraten und mir fällt da auf Anhieb nichts zu ein.

Clausnitzer Hetzebrüder

Es geht bei dem Grundgesetz-Artikel ja nicht darum, ob irgendwelche Hetze-Brüder irgendwelche Straftaten verüben, irgendwelche Extremisten Häuser anzünden  oder ob einzelne Polizeieinsätze gründlich in die Hose gehen. Dass Herr Tillich meint, die Pöbler seien keine Menschen, sondern Verbrecher, lässt zwar auf ein gewisses Defizit an Art. 1 GG schließen, solange das Land Sachsen aber seiner Verbrecher gleichwohl als Menschen behandelt, besteht kein akuter Hadlungsbedarf. Es muss ja das Bundesland selbst seinen verfassungsmäßigen Pflichten nicht nachkommen. Bei Bayern kommt man vielleicht schon mal auf die Idee, die könnten extrem ausscheren, aber bisher war alles im grünen Bereich. Dass die Hürde für ein Eingreifen der Bundesregierung schon von den Voraussetzungen her sehr hoch sein muss, ergibt sich aus der föderalen Struktur der Bundesrepublik. Es gibt eben aus guten Gründen keinen übermächtigen Zentralstaat.

Da müsste schon ein Ministerpräsident wie ein durchgeknallter Vollhorst z.B. die Landesgrenzen schließen. Rundum, wohlgemerkt, auch zu den übrigen Bundesländern hin. Oder die für den Bund bestimmten Zahlungen verweigern. Einfaches politisches Versagen reicht da nicht.

Failed State Sachsen?

Aber selbst wenn man spaßeshalber einmal unterstellen würde, das Land Sachsen würde seinen Bundespflichten nicht nachkommen, dann würde dies alleine ja auch noch nicht ausreichen, damit Bundeszwang angewendet werden könnte. Erstens müsste die Bundesregierung den auch noch wollen und zweitens müsste der Bundesrat den notwendigen Maßnahmen auch noch zustimmen. So etwas ist praktisch nur dann vorstellbar, wenn ein Bundesland sich in einen komplett gescheiterten Staat verwandeln würde, wenn bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen würden.

Das ist aber auch in Sachsen alles nicht der Fall. Hier gibt es zwar offensichtlich mehr Probleme mit „besorgten Bürgern“ als in anderen Bundesländern und hier scheint es auch teilweise ein etwas vom Bundestrend abweichendes Verständnis von Polizeiarbeit – insbesondere bei spontanen Versammlungen –  zu geben, aber es ist nun nicht so, dass Sachsen eine Art Unrechtsstaat wäre. Sie bekommen garantiert eine Knolle, wenn sie falsch parken und die Steuern werden dort  auch eingezogen und die Beamten bekommen garantiert ihre Besoldungsbezüge – aber Scherz bei Seite.

Ein Volker ist nicht das Volk

Der wohl kaum ernst gemeinte Ruf nach dem Bundeszwang ist gleichwohl nicht ganz ungefährlich. Er kann den Irrglauben der heute unter dem Namen Asylkritiker vor Flüchtlingsheimen auftretenden „besorgten Bürger“, sie seien das Volk, noch unterstützen. Die glauben doch alles und es kann sein, dass sie schon beginnen, sich gegen den drohenden Bundeszwang zu rüsten – falls einer zufällig mal die ZEIT gelesen hat oder jemanden kennt, der das getan hat.

Es ist doch offenkundig, dass auch in Sachsen die Mehrheit des Volkes solch widerwärtige Aktionen wie in Clausnitz oder Bautzen, ganz ungeachtet der persönlichen Meinung zur Asylpolitik der Bundesregierung, ablehnt.  Dasselbe gilt für die absolute Mehrheit der Parteien im Land. Wenn es Parteien gibt, die diese Demonstrationen der Ekelhaftigkeit verteidigen oder beschönigen wollen, dann ist es erst mal Sache der Sachsen, diesen bei den nächsten Landtags-Wahlen klarzumachen, dass Sachsen kein Pariastaat sein möchte. Umgekehrt muss man sich auch nicht gleich Pippi in die Hose machen, wenn postdemokratische Parteigebilde bei so einer Wahl auch einmal 15 oder 20% erreichen würden. Der Protestbürger geht halt neuerdings wieder wählen, was grundsätzlich ja etwas positives ist.  Das gäbe erst dann Anlass zu größerer Sorge, wenn eine der anderen Parteien sich aus Machtgründen zum Steigbügelhalter solcher Parteien hergeben würde und diese in echte Machtpositionen kämen. Dafür spricht aber bisher gar nichts.

Der Bundesregierung und den übrigen Bundesbürgern bleibt statt eines Bundeszwangs erst einmal nur, sich daran zu erinnern, dass es verdammt viele berühmte Sachsen oder auch in Sachsen tätig gewesene Menschen gibt, ohne die es eine deutsche Kultur gar nicht gäbe. Wagner – also der Komponist, nicht der Kolumnist der BILD, der eher für Unkultur steht -, Robert und Clara Schumann, Johann Sebastian Bach, der größte aller Musiker, Lessing, Fichte, nicht zuletzt Friedrich Nietzsche und unzählige andere. Und auch heute sind die allermeisten Sachsen wunderbare Menschen und keine Org-artigen Menschenhasser. Gerade in Sachsen gibt es tolle Menschen, die sich dem dummen Hass mutig entgegenstellen. Eine von diesen Menschen ist z.B. Grit Maroske. Aber sie soll hier nur beispielhaft für viele andere erwähnt werden. In Wiederau gibt’s auch prima Sachsen, die „ihre“ Flüchtlinge nicht verlieren wollen.
Die Voraussetzungen eines Bundeszwanges nach Art. 37 GG liegen in Sachsen nicht einmal in Ansätzen vor, es macht deshalb auch keinen tieferen Sinn, über dessen Anwendung weiter zu philosophieren. Trotzdem ein Danke an Christian Brangel, dessen Idee mich zum Nachdenken über einen Artikel des Grundgesetzes gebracht hat, den ich ehrlich gesagt vorher noch nie bewusst wahrgenommen hatte. Mag sein, dass die Vorschrift mehr symbolischen als praktischen Wert hat.

Sachsen gehört zu Deutschland

Bleibt die Frage, was man tun kann, um den Sachsen zu helfen, ihre Probleme zu bewältigen. Vielleicht wollen die Sachsen ja nur vom Rest der Republik mal lieb gehabt werden und vielleicht hilft es, wenn jemand, den die Sachsen mögen, also vielleicht jetzt nicht gerade ein Bundespräsident, einmal laut und deutlich sagen würde: Mittlerweile gehört auch Sachsen zu Deutschland. Vielleicht glauben sie es ja. Und ein eherner sächsicher Grundsatz macht ebenfalls Hoffnung im Hinblick auf die Hartherzigen: das Weiche bricht das Harte – jedenfalls bei der sächsichen Aussprache. Gönnse mer gloom.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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