Alle wollen Klimawandel

Wer mag bei strahlend blauem Himmel und milden Temperaturen im Herbst schon an den Klimawandel denken? Die Katastrophen sind weit weg und das Eiscafé so nah.


Egal, ob man das Radio einschaltet oder die Freunde fragt, alle freuen sich über den wunderbaren milden Herbst. Man genießt die Sonne und die wunderbaren Herbstfarben, sitzt – wenn auch in Decken gehüllt – vor den Cafés und schleckt noch ein letztes Eis oder einen Capuccino. Und kaum wird die Sonne nun von ein paar dünnen Wolken verdeckt, sehnt man sich nach dem blauen Himmel der vergangenen Tage zurück. Niemand sorgt sich um den Klimawandel, und wer in so einem Moment von der globalen Erwärmung spricht, gilt als Spielverderber. 

2015 – was für ein Wetter!

In Deutschland waren schon die ersten Monate dieses Jahres zu warm. Der Februar war zwar etwas kalt, dafür aber viel zu sonnig und zu trocken. Aber kann es überhaupt “zu sonnig” sein? War es nicht ein wunderbarer milder März, gefolgt von wunderbar sonnigen April.

Dann kam der Sommer mit seinen Hitzerekorden. Wir stöhnten ein bisschen, aber wir lagen doch meistens entspannt in der Sonne. Wer in der Mitte und im Süden Deutschlands wohnt, genoss Sonne satt und bedauerte ein bisschen die Leute im Norden Deutschlands, die nur einen durchschnittlichen Sommer hatten.

Nun hatten wir also seit fast drei Wochen einen “Indian Summer”. Am Schluss wird es wohl dazu führen, dass das Jahr 2015 in Deutschland wieder als “wesentlich zu warm” in die Statistiken eingeht, wieder mal so eine Nachricht, die uns eigentlich Sorgen machen sollte, da sie ein Zeichen für den Klimawandel, für die globale Erwärmung ist.

Niemand mag sich Sorgen machen

Derweil  hören wir von einem außergewöhnlichen Wirbelsturm, der Oman und den Jemen verwüstet – das ist auch so ein Klimawandel-Vorbote. Aber das sind abstrakte Nachrichten, die niemanden im sonnigen Europa wirklich erschrecken können. Überhaupt haben wir zurzeit ja andere Sorgen als den Klimawandel, wir wissen nicht, wie es mit den Flüchtlingen weitergeht, von Griechenlad hört man zwar weniger als im Frühjahr, aber ob das ein gutes Zeichen ist, weiß keiner, und wenn wir schlaflose Nächte wegen der ferneren Zukunft haben, dann eher wegen zu geringer Altersabsicherung als wegen zu hoher Temperaturen.

Diese ganz alltäglichen Erfahrungen illustrieren ein paar Selbstverständlichkeiten über die Natur des Menschen: Wir können unser Handeln eigentlich nur im Hier und Jetzt orientieren. Je weiter entfernt ein Problem ist, sei es eine Überschwemmung in Asien oder eine Klimakatastrophe in ein paar Jahrzehnten, desto abstrakter ist es – und alles, was abstrakt ist, steht in unseren Sorgen und Entscheidungen hinter den konkreten Erlebnissen und Erfahrungen zurück, die sich alltäglich aufdrängen. Das Mitleid mit Sturmopfern in Oman ist genauso theoretisch wie das mit unseren Nachfahren, die in ein paar Jahrzehnten mit den Problemen klar kommen müssen, die wir ihnen hinterlassen haben werden.

Und der Klimawandel ist ja nur eines dieser Probleme, vielleicht nicht mal das größte. Die globalen Migrationsbewegungen und die Staatsverschuldung werden für das alte Europa vielleicht viel gravierendere Konsequenzen haben als Dürreperioden und Überschwemmungen. Aber wer kann sich schon vorstellen, sein ganz persönliches Leben heute aus freien Stücken radikal zu ändern – in dem er z.B. aus Verantwortung für die Zukunft ein paar Kinder mehr in die Welt setzt und in den nächsten zwei Jahrzehnten seine Kraft darauf konzentriert, diese ins Leben zu führen?

Kölner Grundgesetz für alle?

Die Frage, die sich aufdrängt, ist ob der Mensch wirklich so ein rationales Wesen ist wie das neuzeitliche, naturwissenschaftlich geprägte Bild vom animal rationale es behauptet. Offenbar nicht. Wir sind nur sehr begrenzt in der Lage, unser aktuelles Wohlergehen irgendwelchen rationalen Erwägungen zu opfern, um die Probleme an fernen Orten oder in ferner Zukunft zu lösen. Keine Aufklärung, keine dramatischen Medienberichte, keine Expertenvorträge scheinen etwas daran ändern zu können: wer bringt schon die Kraft auf, die Welt zu retten, wenn er auch in der Oktobersonne im Café sitzen kann?

Scheinbar gibt es nur zwei Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen. Die erste ist, wir gestehen uns ein, dass wir eigentlich alle Kölner sind und erklären das Kölner Grundgesetz als allgemeingültiges Lebensprinzip. Das heißt: wir lassen die Zukunft eben auf uns zukommen, genießen das jetzige Leben und lösen die Probleme, wenn sie im Alltag angekommen sind. Allerdings werden die meisten großen Probleme dann nicht mehr zu lösen sein, man wird sich nur noch arrangieren können. Aber das ist nicht neu, jede Generation musste sich bisher mit der Welt so abfinden, wie die vorherigen sie hinterlassen hatten.

Die Alternative ist, dass wir die Sorge um die fernen und zukünftigen Probleme an die Apparate der Behörden delegieren. Wir verhalten uns dann ein bisschen so wie der Süchtige, der um seine Sucht weiß und sie doch nicht alleine in den Griff bekommt: Er übergibt sich der Gewalt der Entzugsklinik und lässt sich mit Zwang davon abhalten, das zu tun, was ihn langfristig zerstört. Das hieße allerdings, dass Basisdemokratie in wirklich langfristig wichtigen Fragen keine Chance hätte. Und ob wir wirklich bereit wären eine Regierung zu akzeptieren, die uns mit mahnendem Blick auf die Zukunft den Spaß an der Gegenwart verdirbt, kann wohl auch bezweifelt werden.

Lesen Sie auch die Kolumne von Jörg Friedrich zu den Chancen der Großen Koalition für die Demokratie.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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