Protestantischer als Calvin, unerbittlicher als Hobbes
Ein ausdrückliches Anti-Narnia wollte Philip Pullman mit der Trilogie „His Dark Materials“ schreiben. Doch „Der Goldene Kompass“ & Co geraten zur Apologie, indem darin nur ein Zerrbild des Christentums zerrupft wird.
Zwei Kinder ziehen aus, um erst sich selbst, dann die Welt zu retten, werden in einen uralten Konflikt zwischen organisierter und naiv-emphatischer Religion hineingezogen, lernen die Liebe kennen, lernen, dass es wichtigeres gibt als das flüchtige persönliche Glück und wachsen daran.
Das Anti-Narnia
Das, in aller kürze, der Plot der Trilogie His Dark Materials von Philip Pullman. Ein ausdrückliches Anti-Narnia wollte Pullman damit schreiben. Ein Buch, in dem es darum gehe, Gott zu töten, wie der Autor selbst erklärte. Atheistische Fantasy, die mit all dem Unsinn aufräume, die Märchenerzähler von den Grimms über Tolkien bis zu unseren wohlmeinenden Eltern, die uns jahrelang immer wieder das Seemansgarn vom Weihnachtsmann spinnen, auftischen. Und blickt man allein auf die Reaktionen, scheint das Pullmann gelungen. Die Verfilmung des ersten Buches Der Goldene Kompass floppte womöglich unter anderem auch, weil sich Proteste der Catholic League effektiv zeigten. Fortsetzungen wurden keine gedreht, und auch die nun geplante Serie der BBC nach Vorlage der gesamten Trilogie wird sich wohl wieder harschen Angriffen ausgesetzt sehen. Haben die Kritiker die Bücher gelesen? Hat sich der „Agnostiker“ Pullman einmal ernsthaft mit christlicher Theologie auseinandergesetzt? Mit seinem infantil atheistischen Gottesmord richtet His Dark Materials eine neuerliche Metaphysik auf, an der der just getötete Gott seine helle Freude hätte.
Man müsste Gott töten
„Ich denke technisch müssten Sie mich als Agnostiker bezeichnen. Doch wenn es einen Gott gibt, und er so ist wie die Christen ihn beschreiben, verdient er dass man gegen ihn rebelliert und ihn absetzt“
So beschreibt der Autor den Ausgangspunkt seines Schreibens. Um diese Pointe dem Leser nachvollziehbar zu gestalten versammelt Pullman in seinem Gott alles, was ihm am christlichen verabscheuenswert dünkt. Gott ist ein alter sabbernder Mann, der mit sekulären und spirituellen Kräften um die Weltherrschaft kämpft, er ist böse und selbstsüchtig, mögliche positive Eigenschaften, die sich ebenso aus der Bibel destilliert ließen tilgt Pullman vorsichtshalber und schreibt sie stattdessen Lord Asriel und den gefallenen „Engeln“ zu. Jene sind die „Guten“, mit ihnen sei der Mensch sinnbildlich fähig, so etwas wie eine himmlische Republik zu gründen. Man merkt: Pullman lässt zwar den christlichen Gott gern fallen, will aber zwingend festhalten an der Hoffnung auf Transzendenz. Diese vergegenständlicht Pullman im „Staub“, einer kosmischen Substanz, die alles denkende und fühlende Leben miteinander in Verbindung setzt (andernorts im Roman auch dunkle Materie genannt). Ausgerechnet die Kirche (oder wie es im Roman heißt das Magisterium) versucht Menschen ihrer Verbindung zum Universum (zum Staub, man könnte sagen zu ihrer Seele) zu berauben.
Christlicher Antichrist?
Es vermag durchaus zu faszinieren, wie christlich das anti-christliche Werk des studierten Anglisten Pullman letztendlich daherkommt. Nicht nur wird der klassisch christliche Mythos einfach aufgenommen und – sogar recht behutsam – auf den Kopf gestellt, nicht nur gibt es Gott, obschon er im Buch „böse“ ist – nein, auch die sonst so umstrittene, selbst theologisch gewöhnlich mehr umkreiste als begriffene oder gar festgenagelte Seele existiert ganz real. Als Staub, als sich je individualisierende Weltseele, in der immer wieder auch die Taten ihrer Träger gespiegelt und beurteilt werden ist diese zudem dem christlichen Gottesbegriff, wie er seit Aquinas verstanden wird, deutlich näher, als der mörderische Alte, den Pullman dem Leser als den Gott der Bibel unterjubeln möchte. Jener gemahnt vielmehr an einen fehlgeleiteten Demiurgen, an personifizierte Götter, wie sie etwa in der griechischen Mythologie vorkommen, oder gar an das Zerrbild des rachsüchtigen Gottes, welches man mit durchaus antijüdischen Untertönen gern in Opposition zum gütigen Gott des neuen Testamentes aus dem Alten filtert.
Mutterliebe und sexuelle Enthaltsamkeit
Vor dem Hintergrund vor allem des „neuen Atheismus“ überrascht all das allerdings kaum. Wie die meisten neueren Atheisten ist Pullmann in seiner gesamten Haltung zum Christentum, das scheint’s in erster Linie als Katholizismus (oder im englischen Sprachraum auch als anglikanische Broad Church) ausgemacht wird, durch und durch Protestant geblieben, und treibt den Calvinistischen Bildersturm nur auf die Spitze. So wiederholt letztendlich His Dark Materials, mögen auch Pullmann wie seine christlichen Kritiker gleichermaßen verblendet glauben, der Autor habe etwas ganz Unerhörtes geschaffen, dann auch allein die christliche Heilsgeschichte. Immerhin steht zum Ende der Trilogie hin Lyra, gewissermaßen als Reinkarnation Evas vor der Wahl, mit Will die „Erbsünde“ zu wiederholen, oder zu entsagen und die Welten vor dem Entweichen des Staubes (der Seele) zu retten. Zu Lyra-Eva steht in dieser Konstellation die durch Mutterliebe bekehrte Widersacherin Mrs. Coulter in etwa wie in der Bibel Maria zu Jesus.
Man sündigt nicht, sondern scheidet und verspricht, daran zu arbeiten, die Republik des Himmels wieder aufzubauen. Amen. Mutterliebe und Entsagung triumphieren über den herrsch- (und nebenbei: auch prunk-) süchtigen Gott des Christentums. Wenn Philip Pullman da am Ende mal nicht protestantischer daherkommt als Calvin.
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