Menschen töten

Der Krieg um die Ukraine macht es erneut sichtbar: Menschen töten. Seit ewigen Zeiten und immer wieder. Was sind die Konsequenzen? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild: PDPhotos/pixabay

Seit ewigen Zeiten bringen Menschen sich gegenseitig um. Ob das nun mit Kain anfing, der seinen jüngeren Bruder Abel erschlagen haben soll, wie es die Bibel berichtet, geschenkt. Immer gab es Menschen, die andere getötet haben. Zunächst mit einfachen Mitteln wie Fäusten, Steinen, Knüppeln oder Keulen. Später mit Steinschleudern, Speeren, Messern und Schwertern. Viele der eingesetzten Gegenstände dienten auch der Jagd. Mit Pfeil und Bogen konnte man nicht nur das Wild jagen, sondern auch auf größere Entfernung Menschen töten. Aber weil der Mensch ja nie zufrieden und recht kreativ ist, wurden weitere Waffen entwickelt. Und so gab es bald Katapulte, Schusswaffen, Rammen, Granatwerfer, gepanzerte Fahrzeuge, Kampfflugzeuge, Bomben, Raketen, Handgranaten und Drohnen. Damit konnte man dann schon aus größerer Entfernung töten und zwar gleich größere Menschenmengen. Und weil der Mensch erfinderisch ist, gab es immer effektivere Erfindungen hin bis zu Massenvernichtungswaffen wie Atombomben, chemische und biologische Waffen. Von denen existieren auf der Welt so viele, dass man die Menschheit damit komplett auslöschen könnte. Theoretisch sogar mehrfach, was praktisch ja nicht funktioniert, weil, watt fott is, is fott.

Massenvernichtung

Aber es müssen ja nicht nur Waffen sein, mit denen man Menschen in großer Zahl vernichten kann. Unsere Vorfahren entwickelten eine industrielle Tötungsmaschinerie in Form von Vernichtungslagern, in denen Menschen auf grauenhafte Weise mithilfe von Gas getötet und dann verbrannt wurden. Alleine vier Millionen Juden wurden in den Vernichtungslagern wie Auschwitz oder Bergen-Belsen ermordet. Weitere zwei Millionen starben bei den Massakern in den von der Wehrmacht eroberten Gebieten, vor allem im Russlandfeldzug. Gerade wir Deutsche kennen uns mit Massenmorden aus.

Alleine m zweiten Weltkrieg starben durch Kriegseinwirkungen 60 – 65 Millionen Menschen. Nun war das ja nur der bisher letzte Krieg, der hier in Deutschland selbst stattfand. Auch in den napoleonischen Kriegen oder im dreißigjährigen Krieg, im Vietnamkrieg, im Koreakrieg und natürlich auch im ersten Weltkrieg gab es Millionen von Toten. Im Schnitt sterben seit Jahren pro Tag ca. 500 Menschen bei kriegerischen Auseinandersetzungen – wobei da der Ukrainekrieg noch gar nicht berücksichtigt ist. Irgendwie haben wir das verdrängt, scheint mir.

Pazifismus

Da kann einem die Sehnsucht nach Frieden schon als naive Träumerei erscheinen. Ich finde Pazifismus ja auch als Idee etwas schönes, in der Praxis hoffe ich aber, dass wir über eine militärische Abwehr verfügen, die irgendwelchen potentiellen Angreifern gleich den Garaus macht oder sie vielleicht durch Abschreckung daran hindert, es überhaupt zu versuchen. Ja, mag sein, dass man seine Feinde lieben soll, aber das bedeutet ja nicht, dass man sich wehrlos von ihnen erschießen lassen muss. Es bedeutet nur, dass man an den besiegten Feinden keine Rache nehmen und ihnen nicht mit Hass begegnen soll. Das ist schon schwer genug, wenn der Feind einem gerade die Heimat und die Familie genommen hat. Aber, wie gesagt, das Gebot der Feindesliebe heißt nicht, dass man sich nicht wehren darf.

Und wer da meint, Frieden schaffen, ohne Waffen, sei eine gute Idee, der kann sich ja gerne mal in Mariupol auf die Straße stellen und mit Blümchen winken. Das ist sicher nett, wird aber nicht lange klappen. Es schadet sicher auch nichts, für den Frieden zu beten, aber dass es etwas nützen würde, habe ich auch noch nicht erlebt.

Nein, die Menschen sind eben nicht von sich aus friedlich. Zumindest waren sie es in der Vergangenheit nie, und ich habe keinen Anlass anzunehmen, dass sie es in naher Zukunft sein werden. Wie auch, wenn das Töten in der Natur des Menschen liegt.

Monster

Nun sollte man sich allerdings davor hüten, den jeweiligen Angreifer zu entmenschlichen. „Der Russe“ ist sowenig ein Monster, wie „der Deutsche“, „der Ami“ oder „der Chinese“. Das ist schon bei gewöhnlichen Straftätern nicht sinnvoll, die von der Yellow-Press auch gerne als Monster oder Bestien bezeichnet werden. Dieser kleine Trick funktioniert ja auch bei PC-Spielen. Menschen abschlachten macht da ja kaum einer, aber reihenweise Zombies oder Aliens zerballern, dass sie in Stücke fliegen, das bringt Punkte und macht Spaß. Und damit rettet man dann eine virtuelle Menschheit. Nein, tut man nicht. Man will sich selbst nur davor beschützen, darüber nachzudenken, dass das Böse, das in diesen Taten zum Ausdruck kommt, in jedem Menschen steckt, weil es zur menschlichen Natur gehört. Die meisten von uns sind nun mal die Nachfahren von denen, die überlebt haben. Nicht die derjenigen, die mit der Keule erschlagen  oder im KZ ermordet wurden. In manchen von uns steckt mehr, in anderen weniger Böses. Aber nur in Heiligen steckt nichts davon, sagt man.

Gute und Böse

Die Menschen in Gut und Böse aufzuteilen und dann die Bösen gleich zu Un- oder Nicht-Menschen zu erklären, mit denen man selbst nichts gemeinsam hat, ist ein bequemer Ausweg. Das vermeintliche Recht, andere zu töten, gönnt man sich gerne erst mal bei Verbrechern, und dann kann man es aber auch beliebig ausdehnen auf Anhänger bestimmter Religionen, auf Menschen, die die einen Freiheitskämpfer und die anderen Terroristen nennen oder auf Menschen anderer Hautfarbe. Wenn der Mensch einmal mit dem Töten angefangen hat, ist er schwer zu bremsen, solange ihm sich irgendeine Rechtfertigung bietet. Das sollte man sich immer mal wieder bewusst machen.

Gleichwohl und auf den heutigen Überfall auf die Ukraine übertragen, sollte man sich der Tatsache bewusst sein, dass es das gute Recht der Ukraine, wie das eines jeden anderen Volkes, ist, sich gegen den völkerrechtswidrigen Angriff auf sein Territorium und vor allem auf seine Menschen zur Wehr zu setzen. Es kann keine Option der sogenannten freien Welt sein, von der Ukraine zu verlangen, die Waffen zu strecken und sich dem Aggressor Putin zu unterwerfen. Wer glaubt, diese Unterwerfung würde der Ukraine in Zukunft ein Leben in Frieden und Freiheit bescheren, der irrt.

Appeasement

Und wer glaubt, Frieden und Freiheit in Europa ließen sich durch eine Politik des Appeasements erreichen, der irrt ebenso. Wir verdanken unsere Freiheit und unseren Wohlstand den Völkern, die das nationalsozialistische Verbrecherregime mit Waffengewalt vom Platz gefegt haben. Das hat viele Millionen Menschen das Leben gekostet, aber ohne dieses Opfer hätte Hitlers Mordlust kein Ende gefunden. Es war im Gegenteil so, dass das ursprüngliche Appeasement, also eine Politik der Zugeständnisse, der Zurückhaltung, der Beschwichtigung und des Entgegenkommens gegenüber Aggressionen zur Vermeidung eines Krieges, Hitlers Größenwahn nur befördert hat. Warum sollte das bei Putin anders sein? Churchill hatte Recht, wenn er meinte, Appeasement könne nur aus einer Position der Stärke erfolgen.

Solange Putin über die Geschicke seines Landes bestimmt, wird dieses Land im Falle eines russischen Sieges oder einer ukrainischen Unterwerfung eine ständige Bedrohung für ganz Europa darstellen. Und deshalb liegt es auch in unserem ureigenen westlichen Interesse, die Ukraine mit Waffenlieferungen zu unterstützen.

Atomdrohung

Es mag sein, dass unser Kanzler deshalb so hasenfüßig daherkommt, weil Putin mit einem Atomkrieg gedroht hat. Und wegen dieser Drohung ist es auch richtig, dass die NATO zur Zeit nicht unmittelbar in diesen Krieg eingreift. Die Ukraine aber ihrem Schicksal zu überlassen wäre ebenfalls töricht und würde ja die fortwährende Drohung mit Atomwaffen nicht aus der Welt schaffen. Und um einen Atomkrieg auszulösen, braucht Putin nicht zwingend einen Vorwand. Solange Russland nicht selbst militärisch angegriffen wird, kann es für ein solches Selbstmordkommando auch keinen Grund geben. Und auch wenn es manche behaupten, ich halte Putin nicht für einen verrückten Weltzerstörer, sondern vielmehr für einen kalten Taktiker, der sich offenbar verzockt hat, weil er die Widerstandskraft des ukrainischen Volkes unterschätzt hat. Dass ein Ersteinsatz von Atomwaffen nicht ohne atomare Antwort bliebe, muss ihm klar sein. Und als Vernichter des russischen Volkes in die Geschichte – sofern es die dann noch geben sollte – einzugehen, darauf wird er wenig Lust verspüren.

Recht vor Brutalität

Nur wenn es der Ukraine – und über Sanktionen der Weltgemeinschaft – gelingt, die russischen Truppen zum Abzug von ihrem Staatsgebiet zu bringen, kann es einen Frieden geben, der diesen Namen verdient hat. Erst dann kann man über ein künftiges Sicherheitskonzept unter Einschluss Russlands verhandeln. Es muss klar gemacht werden, dass nicht das Gesetz des Brutaleren greift, sondern das internationale Völkerrecht. Und zu diesem Zweck muss die Völkergemeinschaft die Ukraine mit allem unterstützen, was diese zur Vertreibung der russischen Streitkräfte benötigt.

Aber auch nach einem hoffentlich baldigen Ende dieses Krieges wird sich nichts daran ändern, dass Menschen töten und wir aufgefordert sind, das nach besten Kräften zu verhindern. Wenn das dann irgendwann einmal ohne Waffen möglich sein sollte, wäre ich der Letzte, der das bedauern würde. Allein, mir fehlt der Glaube. Und bis dahin muss unsere Demokratie nach innen wie nach außen wehrhaft sein.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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