Lernen Sie Russisch!

Der Krieg in der Ukraine weckt Erinnerungen an die Schulzeit. Die Samstagskolumne von Heinrich Schmitz


Foto: finemayer

„Lernen Sie Russisch, bevor Sie es müssen!“ war ein oft gehörter Spruch meines alten Lateinlehrers Ende der 60er Jahre. Seine Frau unterrichtete Russisch an der Volkshochschule und so machte er Werbung für ihre Kurse. Ich bin nicht hingegangen. Den Gedanken, dass „der Russe“ mal wieder vor der Tür stehen könnte, fand ich absurd. Warum sollte der das tun? Platz gab es in der damaligen UdSSR genug, Bodenschätze, Öl und Gas und was auch immer in ausreichenden Mengen. Warum „der Russe“ sich im kalten Krieg dem Risiko einer Vernichtung aussetzen sollte, wollte mir nicht einleuchten.

Dann kam eine Zeit, in der ich glaubte, durch Verhandlungen könne ein ewiger Friede erreicht werden. Die Ostverträge schienen da meine Hoffnungen und meine Erwartungen auf ein „es wird immer besser, sicherer und friedlicher“ zu bestärken. Willy Brandt war mein Friedensheld.

Der Russe lügt

Wenn mein Schwiegervater wie Ekel Alfred über den bösen Russen schwadronierte, dessen unfreiwillige Gastfreundschaft er nach dem Krieg in Gefangenschaft erleben musste, meinte ich nur lakonisch, er habe da ja auch nichts zu suchen gehabt und es sei doch gut, dass „der Russe“ uns von der Hitlerdiktatur befreit habe. Hörte er nicht gerne. Und er blieb dabei, dass man „dem Russen“ nicht trauen könne. Putin konnte er da nicht meinen, den hat er nicht erlebt.

Kein Mensch wünscht sich, dass seine Kinder in einem Krieg kämpfen und sterben müssen. Das gilt universell und der von Stephan Sulke so wunderbar besungene „Mann aus Russland“ unterscheidet sich da nicht von der Frau aus Amerika, China Deutschland, der Türkei oder Frankreich.

Nicht „die Russen“ sind der Feind, es ist nur der Kriegsverbrecher an der Spitze des Landes, der gerne wieder ein Imperator sein möchte. A Zar is born, las ich und ja, so sieht es aus, Es sind immer nur wenige empathielose Arschlöcher, die Kriege anzetteln. Gerne werden die als Irre bezeichnet, was allerdings eine Beleidigung der wirklich psychisch Kranken ist, die in aller Regeln nicht zu Gewaltausbrüchen neigen.

Im Philosophie-Abi musste ich Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden“ interpretieren. Fand ich hellsichtig und cool, was der Alte da zu Papier gebracht hatte. Ja, diese Präliminarien brachten zum Ausdruck, was ich für den richtigen Weg zum Frieden hielt – und im Prinzip immer noch halte.

Kants Präliminarien:

1. „ Es soll kein Friedensschluß für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Kriege gemacht worden.“

2. „Es soll kein für sich bestehender Staat (klein oder groß, das gilt hier gleichviel) von einem andern Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung, erworben werden können.“

3. „Stehende Heere (miles pepetuus) sollen mit der Zeit ganz aufhören.“

4. „Es sollen keine Staatsschulden in Beziehung auf äußere Staatshändel gemacht werden.“

5. „Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewaltthätig einmischen.“

6. „Es soll sich kein Staat im Kriege mit einem andern solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen: als da sind, Anstellung der M e u c h e l m ö r d e r (percussores), G i f t m i s c h e r (venefici), B r e c h u n g d e r K a p i t u l a t i o n, A n s t i f t u n g des V e r r a t h s (perduellio) in dem bekriegten Staat etc.“

Alles richtig, alles fein. Der Denkfehler- sowohl der Kants als auch mein eigener – bestand nur darin, zu unterstellen, Menschen würden vernünftig handeln. Glauben Sie mir, das tun die nicht.

Frieden schaffen ohne Waffen?

Ja, war ja schön, all diese Friedenslieder zu singen, mit Blümchen zur Demo zu gehen und sich in dem Gefühl zu suhlen, damit etwas für den Weltfrieden zu tun, während der frühere Schulfreund sich beim Bund verpflichtet hat und Berufssoldat wurde. Natürlich habe ich den Dienst an der Waffe verweigert, das war damals Ehrensache. Frieden schaffen, ohne Waffen. Weiches Wasser bricht den Stein. Nein, meine Söhne geb ich nicht. Okay, zu dieser Zeit hatte ich noch gar keinen Sohn, aber ich glaubte an die Wirkung von „love and peace“, von Imagine und „give peace a chance“. Und ja, tief im Inneren wäre mir das immer noch der schönste Weg zum Frieden. Klappt aber offensichtlich nicht. We shall overcome, klar, aber nicht ohne robuste Verteidigung.

Wie oft hatte ich in der Kirche gebetet, „Gib Frieden in unseren Tagen“, aber offenbar ist Frieden nichts, was irgendjemand gibt. Da ist wohl das Sprichwort „Hilf Dur selbst, dann hilft Dir Gott“ der bessere Ratschlag, selbst wenn auch da der zweite Satzteil wohl nur vergebliche Hoffnung ist. Der „liebe“ Gott guckt wohl lieber dem munteren Morden interessiert zu, seit er das selbst nicht mehr übernimmt. Kammernixmaache.

Si vis pacem para bellum

Wie heißt es so schön in einer Bonbon-Werbung für süße Zahnkiller: Heute bin ich der Großvater. Und nicht erst heute ist mir bewusst, dass Platon wohl doch recht hatte:

Die vornehmste Grundlage eines glückseligen Lebens aber ist dies, dass man weder Unrecht tut noch von anderen Unrecht erleidet. Hiervon ist nun das Erstere nicht so gar schwer zu erreichen, wohl aber so viel Macht zu erwerben, dass man sich gegen jedes Unrecht zu sichern vermag, und es ist unmöglich auf eine andere Weise vollkommen zu derselben zu gelangen als dadurch, dass man selber vollkommen tüchtig dasteht. Und ebenso ergeht es auch einem Staate, ist er tüchtig, so wird ihm ein friedliches Leben zuteil, ist er es nicht, so bedrängt ihn Fehde von innen und außen.

Steht es aber so damit, so muss sich jeder nicht erst im Kriege, sondern schon in Friedenszeiten auf den Krieg einüben, und darum muss eine verständige Bürgerschaft in jedem Monat nicht weniger als einen Tag Kriegsdienste tun, wohl aber noch mehrere, wenn es den Behörden nötig erscheint, und dabei weder Frost noch Hitze scheue.

Dieses „Si vis pacem para bellum“ haben wir wohl zu sehr in den Hintergrund geschoben. Ja, auch ich habe gesagt, für das Geld, das eine Rakete kostet, kann man viele Menschen vor dem Hungertod bewahren. Und auch ich war froh, als die Wehrpflicht abgeschafft wurde, weil dadurch mein Sohn nicht zum Bund musste. Aber dieser Abbau von militärischer „Tüchtigkeit“ birgt das nun realisierte Risiko, von anderen für schwach und verweichlicht gehalten zu werden.

Was hilft es, wenn man dem Schulhofbully gegenüber signalisiert, dass man sich nicht gegen ihn wehren kann? Dann gibt es täglich ein paar aufs Maul und irgendwann liefert man sein Pausenbrot und sein Taschengeld freiwillig ab. Wenn man ihm aber signalisiert, dass man sich wehren kann, wird er sich das überlegen. Und wenn man einen Selbstverteidigungskurs gemacht hat und fleißig trainiert, dann kann man ihm auch gleich auf die Fresse hauen und er wird es künftig lassen.

Israel hat dieses Prinzip wohl als erstes Land erkannt und ich muss sagen, trotz der äußeren Bedrohung habe ich mich in keinem Land sicherer gefühlt, als dort. Die Gelassenheit der Israelis beruht mit Sicherheit auf dem Bewusstsein, es mit jedem Angreifer aufnehmen zu können und dies auch tatsächlich zu tun.

Keine Lösung?

Jaja, Gewalt ist doch keine Lösung, hör ich nun manche schimpfen. Richtig. Aber keine Gewalt ist eben auch keine, wenn der andere Gewalt anwendet.

In meinem Beruf als Strafverteidiger habe ich viele Menschen kennengelernt, die gewalttätig waren. Oft solche, die schon als Kinder Gewalt erfahren mussten, sei es von den Eltern, sei es von anderen. Das waren nicht immer böse Menschen, aber es waren Menschen, für die Gewalt oft das einzige Mittel war, ihre Interessen, oder was sie dafür hielten, zu artikulieren.

Lieber Immanuel Kant, Menschen sind nicht vernünftig. Jedenfalls nicht alle und selbst die, die es sein wollen, sind es nicht immer. Und derjenige, der gerade noch einen Friedensnobelpreis bekommen hat, kann kurze Zeit später in einen Krieg ziehen. Menschliches Handeln wird häufig durch Gier bestimmt. Das kann Habgier sein, das kann Raffgier sein oder auch einfach nur Machtgier. Und diese Gier macht Menschen böse. Und böse Menschen sind eine Gefahr für andere Menschen, ganz besonders für die friedliebenden Menschen. Und leider geraten solche Menschen immer wieder in Machtpositionen, die es ihnen ermöglichen, Kriege zu beginnen.

Ich weiß nicht, was Putin getrieben hat, einen souveränen Staat zu überfallen. Aber ein Grund dafür ist derselbe, aus dem der Rüde sich die Eier leckt: weil er es kann. Die Urkraine ist für Putin leichte Beute, auch weil sie im Rahmen ihrer Unabhängigkeit, wohl auch auf Drängen des Westens, auf ihre Atomwaffen verzichtet hat. Ja, man dachte, Russland werde sich als Bruderland nicht als Kriegsgegner melden. Einem Bruder tut man ja nichts, dachte auch Abel.

Wir haben ein wunderbares Grundgesetz und genießen in diesem freiheitlich-demokratischen System Freiheiten, von denen andere Menschen nur träumen können. Dauerhaft wird das aber nur funktionieren, wenn wir auch militärisch und wirtschaftlich unangreifbar sind. Für diese Freiheit werden wir wohl auch kämpfen müssen. Es besteht durchaus Handlungsbedarf bei der Ausstattung unserer Bundeswehr und es besteht auch Handlungsbedarfs im Bereich der Energiegewinnung. Blauäugigkeit können wir uns spätestens seit dem 22.2.2022 nicht mehr leisten. Bleibt zu hoffen, dass die abschreckende Wirkung der NATO uns vor einer Einbeziehung in Putins Größenwahn beschützt. Ohne die Natopartner sähen wir nämlich aktuell ganz schön unbewaffnet aus.

Vielleicht lerne ich ja doch noch Russisch.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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