Wie DSGVO und „Leistungsschutzrecht“ die gefährliche Erzählung von der totalitären EU stützen
Die DSGVO mag gut gemeint sein, doch sie hat Fehler und wurde erbärmlich kommuniziert. Und was passiert eigentlich, wenn Staaten in Zukunft nicht das berühmte „Fingerspitzengefühl“ walten lassen?
Der Zugang zum Gesetz ist nicht für alle gleich. Die entsprechende Parabel in Kafkas Process mag man so interpretieren können, dass der einzelne Schuld ist, wenn er die Möglichkeit nicht wahrnimmt. Im Alltag ist die Situation eher mit der des Stephen Blackpool aus Charles Dickens Hard Times vergleichbar. Der Aufwand, an Geld, Zeit, Nerven, lässt bereits vor dem Versuch, sein gutes Recht einzufordern, zurückschrecken. Glücklich, wer so viel Geld hat, dass er den aufreibenden Kampf großenteils delegieren kann. Je schwächer die ökonomische Position, desto weniger Risiken wird man im Regelfall vor Gericht eingehen können. Und das nicht aus Unvermögen oder falscher Angst, sondern weil man seinen Lebensunterhalt zu verdienen hat und sich einen ungünstigen Ausgang finanziell erst recht nicht leisten kann.
Die psychologische Wirkung der DSGVO
Heinrich Schmitz mag Recht haben, dass die EU Datenschutz-Grundverordnung in erster Linie auf die großen Konzerne zielt. Und vielleicht stimmt auch seine Rechtsauslegung, dass in Deutschland das Kunsturhebergesetz unverändert weiterhin die DSGVO im Regelfall aussticht und sich auch ansonsten relativ wenig ändert. Dass hier von gesetzgeberischer Seite nicht von Anfang an für deutlich mehr Klarheit gesorgt wurde, ist dennoch fatal. Die DSGVO, wie sie in Deutschland kommuniziert und umgesetzt wurde, wirkt wie ein Gesetz, einzig dazu geschrieben, die Erzählung von der totalitären Europäischen Union, die die Freiheit der Kleinen zu Gunsten großer Unternehmen und Kartelle einschränkt, kraftvoll fortzuschreiben. Und die bekannten Tücken des deutschen Abmahnwesens tun ihr Übriges, dieser Sorge Futter zu geben. Und nachdem kurze Zeit nach Inkrafttreten der DSGVO
a) Ein sich noch auf die Zeit davor sich stützendes, doch wohl übertragbares, Urteil zur Haftbarkeit von Facebook-Seitenbetreibern klarmacht, dass man in der EU durchaus bereit ist, ähnlich wie im Kampf gegen die Mafia sich auf die kleinen, vom großen Datenschutzmissachter abhängigen Unternehmer zu stürzen, wenn man des Strippenzieher snicht habhaft wird
und b) vor allem auf deutsches Bestreben mit dem EU-weiten Leistungsschutzrecht ein weiteres Gesetz durchgeprügelt werden soll, das, nach strenger Auslegung, das Verlinken und Zitieren von Presseerzeugnissen und damit auch die inhaltliche Kritik gerade der großen Presseorganen (und in erster Linie des Springer-Konzerns, aus dessen Feder, überspitzt gesagt, das Gesetz stammt), deutlich erschweren könnte,
ist die Sorge, dass in Zukunft große Konzerne zusätzlich zu ihrer Marktmacht auch noch ihren deutlich längeren Atem vor Gericht effektiv ausspielen könnten, um kleinere Publizisten ins Abseits zu drängen, durchaus nicht ganz aus der Luft gegriffen.
Das Problem mit dem Interpretationsspielraum
Es stimmt: Viele Freiheiten, über deren Verluste nach DSGVO und Leistungsschutzrecht geklagt wird, waaren in Wirklichkeit schon vorher verboten und teilweise sind die Vorstöße gegen Urheber- und Wettbewerbsrecht online geradezu beeindruckend dummdreist. Aber: Dass Politik über Emotionen gemacht wird, ist nichts, was Donald Trump oder Horst Seehofer erfunden haben. Und selbst, hätte die DSGVO nicht die problematischen Lücken, die sie hat, sie wäre noch immer ein kommunikatives Debakel und als solches ein weiterer Nagel im Sarg der EU (Das befürchtet auch dieser Beitrag, der in die Gespräche über die DSGVO hineinlauscht).
Das größte Problem mit diesen und vergleichbaren Gesetzen aber liegt in der Zukunft. Es mag sein: wäre das deutsche Abmahnwesen nicht, so könnten die wenigen klageberechtigten Organisationen und die Behörden eines zivilisierten Rechtsstaates tatsächlich Fingerspitzengefühl wahren und nur gegen eklatante absichtsvolle Datenschutzverstöße mit empfindlichen Strafen vorgehen und ansonsten mahnend und beratend eingreifen. Aber dieser Rechtsstaat ist in Europa ein Auslaufmodell. Ein Viktor Orban, der in den vergangenen Jahren Weitreichendes geleistet hat, wenn es darum geht unter den schläfrigen Augen der Europäischen Union die Gewaltenteilung aufzuheben und die freie Presse de facto abzuschaffen, hätte mit DSGVO und Leistungsschutzrecht ein mächtiges Instrument zur Hand, dieses Unterfangen heute in praktischer Anwendung von EU-Recht durchzuführen. Das gilt ebenso für seine ehrgeizigen Nachahmer unter anderem in Polen, Italien und Österreich. Und auch in Deutschland lauern Kräfte, die ihre Sympathien für das Modell Orban offen bekunden, auf die Machtübernahme. Eine Demokratie sollte ihren Gegnern nicht die Gesetze schreiben, mit denen sie selbst besonders leicht bekämpft werden kann. Solange die Datenschutz-Grundverordnung nicht deutlich präziser gefasst wird und das Leistungsschutzrecht in seiner derzeitigen Form aufgegeben, sind aber beide, bei aller Liebe zu Datenschutz und Urheberrecht an sich, solche potentiell hochgefährlichen Gesetze.
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