May hat es verzockt

Die britischen Konservativen haben bei den Parlamentswahlen ihre absolute Mehrheit verloren. Zugewinne konnte die Labour Party unter Jeremy Corbyn verbuchen. Dennoch bleiben die Tories stärkte Kraft. Ungewiss ist die Zukunft von Regierungschefin Theresa May. Die Verluste gehen auf ihr Konto.


Zunächst einmal eine Klarstellung: Jeremy Corbyn hat die Unterhauswahlen in Großbritannien nicht gewonnen. Ein weniger ideologischer Oppositionsführer, der sich noch dazu deutlicher gegen den Brexit positioniert hätte, hätte Premierministerin Theresa May und ihre konservative Partei schlagen können, ja sogar müssen. Der Altlinke Corbyn dagegen, der noch 2013 den venezolanischen Autokraten Hugo Chavez auf twitter feierte, schreckte zu viele Menschen in der Mittelschicht ab. Die ist auch auf der Insel letzten Endes wahlentscheidend. Allein mit Ewiggestrigen und jungen Schwärmern kann man keine Regierung kippen.

Dabei hat May alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Sie wollte die vorgezogenen Neuwahlen, weil sie angeblich eine deutlichere Mehrheit für die anstehenden Bexit-Verhandlungen mit der Europäischen Union brauchte. So zumindest die offizielle Lesart. Tatsächlich wollte sie die Schwäche der Opposition nutzen, um ihre eigene Macht zu konsolidieren und auszubauen. In das Amt des Regierungschefs wurde sie nicht vom Volk gewählt, sie hatte es bloß von ihrem gescheiterten Vorgänger David Cameron geerbt. Diesen Makel wollte die Pfarrerstochter unbedingt loswerden.

May kniff vor Fernsehdebatte

Der Ball lag auf dem Elfmeterpunkt, doch statt ihn locker einzunetzen, schoss May Eigentore am Fließband. Der Oppositionschef notorisch führungsschwach, Labour zerstritten, die Brexit-Partei UKIP quasi aus dem Rennen. Nicht nur der frühere Parteichef der Liberaldemokraten, Nick Clegg, sah Großbritannien schon auf den Weg in den Ein-Parteienstaat, mit May als quasi alternativloser Regierungschefin.

Trotz oder vielleicht sogar wegen dieser in Europa nahezu einmaligen Ausgangslage wirkte die Tory-Frontfrau im Wahlkampf wenig souverän. Beinahe linkisch spulte sie ihr Pflichtprogramm herunter und wiederholte ihre Kernbotschaften im Stakkato-Rhythmus. Beim Kontakt mit den Wählern gab sie sich wenig volksnah. Beinahe ein PR-Gau war es, als May vor einer Fernsehdiskussion mit den Vorsitzenden der anderen Parlamentsparteien kniff und sich von Innenministerin Amber Rudd vertreten ließ. In anderen TV-Debatten, in denen die Regierungschefin einzelnen vom Moderator oder dem Studiopublikum befragt wurde, gab sie ein unerwartet schwaches Bild ab. Da stand keine neue Eiserne Lady auf der Bühne, sondern eine Politikerin, die eher unsicher statt führungsstark wirkte. Corbyn dagegen, dem man in bei solchen Fernsehauftritten von vornherein wenig zugetraut hatte, sagte routiniert seine Standardsätze auf. Gerockt hat das wahrlich nicht, es reichte aber, um das Momentum fortan auf die Seite des Labour-Chefs zu ziehen.

Eigentore am Fließband

Als dann der Terror London und Manchester heimsuchte, schaffte es May nicht, mit dem Thema Innere Sicherheit wieder in die Vorhand zu gelangen. Obwohl Law & Order eigentlich ureigenes Terrain einer konservativen Partei sein sollten und die Premierministerin früher Innenministerin war. Zum Verhängnis wurde May allerdings, dass unter ihrer Ägide im Innenressort massiv gespart wurde. Seit 2010 müssen die 43 Sicherheitsbehörden ihre Kosten senken, deren Haushalt wurde um 18 Prozent gekürzt. May stützte sich auf Zahlen, die einen Verbrechensrückgang im Königreich seit den 1990er Jahren darlegten. In der Folge wurden Polizeireviere geschlossen, dafür aber die Zusammenarbeit zwischen den Behörden verstärkt. Auch die Zahl der Polizisten sank. Corbyn wäre als Oppositionsführer Fehl am Platz gewesen, wenn er daraus nicht Honig gesaugt hätte. Allerdings darf man nicht übersehen, dass sich Corbyn mehrfach kritisch gegenüber Anti-Terror-Gesetzen der Regierung gezeigt hat.

Mays alles entscheidender Fehler war aber die „Demenz-Steuer“. Ausgerechnet in Großbritannien, dem Land der Hausbesitzer, überraschte Sie mit dem Vorschlag, die Bürger für eine zukünftig möglicherweise notwendige Pflege im Alter mit ihrem Immobilienbesitz in Haft zu nehmen. Nur ein Restwert von umgerechnet 115.000 Euro sollte garantiert  werden. Nachdem der vorhersehbare Sturm der Entrüstung losgebrochen war, strich May, die sich doch als standfeste Frau im Brexit-Taifun profilieren wollte, diesen Punkt aus dem Wahlprogramm.

Unsichere Zukunft

Es kam wie es kommen musste. Die Konservativen bleiben weit vor Labour stärkste Kraft, verloren aber ihre absolute Mehrheit. Wer immer Premierministerin oder Premierminister werden will, sie oder er ist auf eine Koalition angewiesen. In Deutschland mag so etwas der Normalzustand sein, für das Vereinigte Königreich ist es eine Ausnahmesituation. Zuletzt war es David Cameron, der bis 2015 in einer Allianz mit den Liberaldemokraten regieren musste. Hierzulande dürfte ein liberal-konservatives Bündnis für viele Bürgerliche so etwas eine Herzensangelegenheit sein. Für Theresa May dagegen wäre es eine Verbannung ins Fegefeuer. Denn keine Partei hat sich im Wahlkampf eindeutiger gegen den Brexit gestellt als die Liberaldemokraten, die schottischen Nationalisten einmal ausgenommen. Eine liberal-konservative Koalition im Unterhaus ist deshalb nur schwer vorstellbar. Unter einer Regierungschefin May erscheint sie beinahe unmöglich.

May hat deshalb angekündigt, ein Bündnis mit den nordirischen Unionisten anzustreben. Allerdings verfügt diese Allianz nur über eine äußerst knappe Mehrheit. Zudem haben die Nordiren auch mit Blick auf die Grenze zur Republik Irland Sonderinteressen beim Brexit. London stehen spannende Zeiten bevor, mit einem wackligen Bündnis, das sich inhaltlich schnell entzweien könnte.

Koalition mit Nordiren-Partei angestrebt

Angesichts der selbst verschuldeten Jahrtausendaufgabe Brexit haben die Briten ihren Politikern mit diesem Wahlausgang eine schwere Aufgabe gestellt. Er ist aber auch Folge eines Wahlkampfs, im dem niemand wirklich überzeugen konnte. Theresa May indes will erst einmal weiter machen. In die von ihr gewollten Wahlen ist sie als alternativlose Anführerin gegangen, herausgekommen ist eine angeschlagene Regierungschefin. Und angeschlagene Leader haben es in der britischen Politik naturgemäß schwer. Nachzufragen bei David Cameron. So sind innerparteiliche Rivalen wie George Osborne, einmal Camerons Kronprinz, und der frühere Oberbrexiteer Boris Johnson bereits verbal von May abgerückt. Ihre Zukunft erscheint plötzlich offen. Handlungsfähige Regierungschefs sehen anders aus. Ganz schlecht in den Zeiten des Brexit! Was immer die Premierministerin mit den vorgezogenen Neuwahlen auch erreichen wollte, schlimmer hätte der Schuss für sie nicht nach hinten losgehen können.

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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