Zwischen Glühbirne und Bargeld: Auf der Suche nach einer politischen Heimat

Von der AfD über die FDP, CDU bis zu den Grünen – politisch habe ich viel ausprobiert. Heute will ich Bürgermeisterin werden, lokal gestalten und den Mut haben, unbequeme Fragen zu stellen. Ein persönlicher Blick auf Irrwege, Ängste und die Sehnsucht nach echter Mitbestimmung.

Glühbirne
Foto: Katharina Schmitz

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Ich beginne mit einer Beichte: Vor vielen Jahren habe ich mich tatsächlich kurz für die AfD interessiert – damals, als sie noch eine Anti-Euro-Partei war und trotzig für die Glühbirne kämpfte.

Ja, ich hortete sogar Glühbirnen. Ich verstand auch schon damals ihren Einsatz gegen die Abschaffung des Bargelds. Heute ist es Alice Weidel, die das Thema auflädt und sagt: „Bargeld bedeutet Freiheit.“ Sie warnt davor, dass elektronisches Geld „gesperrt oder gelöscht“ werden könne – eine Zuspitzung, die viele Menschen in ihren ja keineswegs unberechtigten Ängsten trifft.

Die Menschlichkeit der Schattenwirtschaft

Man muss nur in autoritäre Staaten schauen, um zu sehen, wie Repression durch Kontrolle des Geldtransfers funktioniert. Außerdem mag ich den Gedanken, dass meine Friseurin nicht jeden Euro versteuert oder der Fliesenleger am Wochenende bei der Freundin zum Freundschaftspreis malert. Nicht, weil ich Schwarzgeldromantik betreibe, sondern weil Bargeld ein kleines Stück Privatheit lässt. Ein kleines Stück Individualität. Ein bisschen Spielgeld übrig lässt für das kleine Extra.

Vielleicht ist es menschlich, dass eine Gesellschaft ein Minimum an Schattenwirtschaft hat – nicht als Verherrlichung illegaler Geschäfte, sondern als stilles Ventil im Hamsterrad. Ein kleiner Rest Unverbuchtes signalisiert: Das Leben lässt sich nicht komplett digitalisieren. Analoge Teilhabe ist politisch.

Und ja: Ich hatte Bernd Lucke heimlich in Schutz genommen. Heimlich! Also bitte nicht weitersagen. Was, bitte schön, dachte ich, war an ihm eigentlich konkret „rechts“? Warum wurde er sofort so krass dämonisiert? 2015 war ihm die Partei sogar selbst zu rechts, und er trat aus.

Ich verstand, dass Menschen sich über verändertes Licht aufregen – die Glühbirne war ein Stück Zuhause, ein Gefühl. Der Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt unser Zeitalter als ein Zeitalter der Verluste, das auf eine Gesellschaft destruktiv wirkt. Auch die Philosophin Isolde Charim spricht von „unteilbaren Gefühlen“ – jenen Reservoiren, aus denen Menschen politische Entscheidungen schöpfen oder Politikverdrossenheit entwickeln. Genau darum ging es bei der Glühbirne und geht es beim Bargeld: nicht um infantilen Trotz, sondern um ein Gefühl.

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Ich konnte auch verstehen, als die Leute Schnappatmung kriegten, als Claus Kleber im ZDF zum ersten Mal den Glottisschlag benutzte. Waren denn jetzt alle verrückt geworden? Die AfD begriff das früh: Menschen wollen nicht nur alternativlos regiert werden und gekünstelt adressiert werden. Die berühmte Kluft zwischen Kosmopoliten und Daheimgebliebenen – später von dem US-amerikanischen Soziologen David Goodhart als Anywheres und Somewheres beschrieben – war längst offen. Die einen jetten als Public Intellectuals um die Welt, die anderen bleiben auf ihrer Scholle sitzen und fragen sich, wann jemand mal eine Idee für sie entwickelt, selbst wenn sie noch so schlicht ist. Europa mit seinen abstrakten Werten wirkte oft wie ein Hohn, nicht nur wegen irgendwelcher Possen, zum Beispiel der Verordnung zur Krümmung von Gurken. Der britische Schriftsteller Jonathan Coe beschreibt in seiner Trilogie Middle England eindrucksvoll, wie es zum Beispiel zum Brexit kommen konnte – Spoiler: nicht, weil die Leute einfach sehr dumm und sehr rechts waren.

Parteien-Flirts

Ich sah damals – ich betone heimlich und eine sehr kurze Zeit lang – bei einer neuen Partei, ähnlich wie heute viele beim BSW, eine Chance, als Quereinsteigerin politisch etwas zu bewegen. Ein hochgestellter Spiegel-Redakteur lachte mich damals hierüber auf Facebook aus: Politik sei kein Ort für Träumer ohne abgeschlossenes Studium, sondern für Apparatschiks. Zehn Jahre später sind Quereinsteiger überall. Nicht, weil Karrieren winken, sondern weil kaum noch jemand Lust hat, sich von AfD-Trollen beleidigen oder bedrohen zu lassen. Die Ironie: Genau diese Menschen, über die man früher lachte, braucht die Politik heute. Zumindest die Lokalpolitik. Ob es so manchen Quereinsteiger als Spitzenpolitikerin wirklich gebraucht hätte, dafür reicht die Zeit hier nicht.

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Zwischenzeitlich flirtete ich kurz mit der FDP. Ich mochte das Progressive, weniger das Marktliberale. Mit alten Haudegen wie Kubicki komme ich klar, mit jungen aggressiv-feministischen Grünen weniger. Trotzdem schätze ich die Grünen – zumindest jene, die noch wissen, was Realität ist und Tacheles reden: Özdemir, Lang. Weniger gut komme ich mit Markus Söders ritualisiertem Wurstessen zurecht. Es deprimiert mehr als jede Rentendebatte. Noch deprimierender: Vom CDU-Landwirtschaftsminister hört man praktisch nichts. Die SPD wirkt wie eine Minipartei mit Megafon – laut, beleidigt, daueraufgeregt. Und Die Linke? Spätestens seit ihren antisemitischen Ausfällen für mich politisch diffizil, aber ihr Sinn für Gerechtigkeit ist unschlagbar, ebenso ihre Lust, politische Verhältnisse wirklich auf den Kopf zu stellen und sich von alten Granden kein X für ein U vormachen zu lassen – ein absolutes Highlight der Partei.

Übrigens: Ich habe ein schlechtes Gewissen – nicht wegen meiner politischen Irrwege, sondern weil ich mich beim Schreiben dieser Kolumne von einem geduldigen Assistenten unterstützen ließ. Aber seien wir ehrlich: Wer hätte nicht gern jemanden, der einem die Gedanken ein wenig zurechtrückt?

Bleiben also ich und meine Gedanken. Und mein Wunsch, eines Tages Bürgermeisterin in meiner Heimat zu werden. Das hat mir keine KI eingeflößt. Ich will einfach, weil ich gestalten will. Weil Visionen da sind. Ein Heimatgefühl. Und auch Lust, mal kritisch nachzufragen. Zum Beispiel gibt es in der Stadt, in der ich Abitur gemacht habe, genau zwei Stolpersteine – vor der Justizvollzugsanstalt Wittlich. Ein Skandal. Der ehemalige Nazi-Terror-Ort Hinzert ist nicht weit.

Was habe ich in der Schule gelernt? Sehr viel über den Nationalsozialismus, aber wenig bis nichts über lokale Schuld. Außerdem würde mir nicht passieren, wie dem Bürgermeister meines Heimatdorfs, dass ich einen Spielplatz ohne Tischtennisplatte plane. „Also bitte, Andreas.“

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Ich will Bürgermeisterin werden. Und ja, auch weil die Rente nicht reicht – irgendwer muss es ja aussprechen. Es ist ein guter Zuverdienst für kreative, rüstige Rentner. 2025 suche ich aber erst noch eine politische Heimat. Vielleicht braucht es für meinen Traum aber wirklich keine Partei.

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