Die NATO: Würdiger Friedenspreisträger
Die NATO und ihr Generalsekretär Mark Rutte werden 2026 mit dem Westfälischen Friedenspreis ausgezeichnet. Dafür gibt es zwei gute Gründe.

Der Westfälische Friedenspreis wird im kommenden Jahr an die NATO vergeben, das hat die Wirtschaftliche Gesellschaft für Westfalen und Lippe in der vergangenen Woche mitgeteilt. Selbstverständlich hat diese Entscheidung sofort die erwartbaren Reflexe ausgelöst. Mit Blick auf die Jury-Mitglieder, zu denen drei CDU-Politiker, zwei prominente Genossen von der SPD sowie der Prinz von Preußen gehören, könnte man auch sagen: klar, da war nichts anderes zu erwarten. Und auch in der Liste der bisherigen Preisträger fällt die NATO nicht besonders auf.
Diskussion anregen?
Man wolle zur Diskussion anregen mit dieser Entscheidung, so verlautete es von Seiten der WWL. Die Frage ist, ob das überhaupt gelingen kann, ob es, über die wenig überraschenden Kommentare der Zustimmung und der Ablehnung hinaus, überhaupt zu einer ernsthaften Diskussion kommen kann. Was wäre denn zu diskutieren? Über die Frage, wer den Frieden schützt und wer ihn gefährdet, ist die Öffentlichkeit heillos zerstritten, da wird es anlässlich dieser Preisverleihung kaum zu einem konstruktiven Austausch kommen.
Dennoch wäre es natürlich gut, wenn eine solche Diskussion in Gang käme. Ein erster Schritt dazu könnte sein, nicht nur auf die Gegenwart, sondern auch auf die Zeit zu schauen, in der die NATO entstand und in der sie sich zu dem entwickelt hat, was sie heute ist.
NATO: Frieden im Innern
Die erste große Friedensleistung der NATO ist es, Länder in einem Bündnis zusammengebracht zu haben, die über viele Jahrzehnte verfeindet waren und die immer wieder Krieg gegeneinander geführt haben. Da sind natürlich zuerst Frankreich und Deutschland zu nennen. Was heute kaum noch vorstellbar ist, dass diese beiden Länder gegeneinander in den Krieg ziehen, ist letztlich vor allem dadurch möglich geworden, dass sie in der NATO zu Bündnispartnern geworden sind.
Jahrzehntelang hat es in Europa quasi keinen Krieg gegeben, weil sich hier zwei Militärbündnisse gegenüberstanden, die zum einen je dafür gesorgt haben, dass die jeweiligen Bündnispartner miteinander keine Kriege angefangen haben, und die zum anderen gegen das je andere Bündnis eine Macht verkörpert haben, die der andere nicht angreifen mochte. Es war eigentlich eine paradoxe Situation: beide Seiten haben sich je selbst als Verteidigungsbund gesehen und den anderen als potentiellen Angreifer. Ob tatsächlich einer den anderen überfallen hätte, wenn der nur schwach genug erschienen wäre, bleibt Spekulation, ist aber schwer vorstellbar.
Nach dem Ende der Blockkonfrontation blieb nur eines der beiden Bündnisse übrig, auf Seiten der osteuropäischen Länder gab es offenbar keinerlei Interesse, die militärische Kooperation mit dem „großen Bruder“ im Osten nur einen Tag länger als nötig fortzusetzen. Es wird eigentlich im Westen viel zu wenig darüber nachgedacht, dass kein einziges der Mitglieder des Warschauer Paktes Anstalten gemacht hat, das militärische Bündnis mit der Sowjetunion resp. Russland fortzusetzen. Wohl aber gab es den Wunsch, dem Bündnis der ehemaligen Feinde beizutreten.
Nach dem Ende der Blockkonfrontation
Es gab die Idee, mit dem Warschauer Vertrag auch die NATO aufzulösen. Das aber wäre vermutlich schon deshalb keine gute Idee gewesen, weil es die alten Zwistigkeiten zwischen den Mitgliedern wieder aufleben hätte lassen können. Auch wenn kaum jemand darüber spricht: Wenn Deutschland, Frankreich, Spanien, das Vereinigte Königreich und Italien nicht in einem militärischen Bündnis vereint wären, wüchse die Gefahr, dass alte nationale Zwistigkeiten und Aversionen wieder eskalieren könnten. Ein militärisches Bündnis, das möglichst alle europäischen Nationen und Armeen zusammenführt, ist eben der beste Garant dafür, dass diese nicht gegeneinander in den Krieg ziehen. Schaut man sich an, wo es in Europa in den letzten Jahrzehnten zum Krieg gekommen ist, bestätigt sich diese These.
Nun kann man fragen, ob man dann nicht auch Russland hätte in die NATO aufnehmen müssen. Allerdings ist die Frage sehr akademisch. Spätestens mit der Präsidentschaft Putins hat Russland nie ernsthaft den Eindruck gemacht, einen solchen Verzicht auf militärische Souveränität tatsächlich in Kauf nehmen zu wollen. Und es gehört zu den großen Mysterien des späten 20. und des jungen 21. Jahrhunderts, dass kaum ein Land in Europa eine allzugroße Nähe zu Putins Russland anstrebt – und wenn doch, dann wird dieses Land zumeist von einem autoritären oder diktatorischen Präsidenten regiert.
Wer sollte Friedenspreise erhalten?
Man könnte nun natürlich sagen, dass Friedenspreise doch an Leute oder Organisationen gehen sollten, die in der Öffentlichkeit für Friedlichkeit und Freundschaftlichkeit auf allen Seiten werben, die mahnen und die nicht müde werden, Aufrüstung und Kriegsübungen anzuprangern, die immer wieder auf die Millionen Menschen verweisen, die in vergangenen Kriegen getötet und verstümmelt wurden, die die Grausamkeit eines jeden Kriegs ins öffentliche Bewusstsein bringen. Man kann allerdings auch fragen, ob diese Menschen mit ihrer aufopferungsvollen Arbeit je auch nur einen Krieg verhindert, auch nur die Zahl der Opfer in irgendeinem Krieg reduziert haben.
Es zeigt sich jedenfalls, dass die NATO offenbar ein Bündnis ist, dem seit seiner Gründung zweierlei gelingt: Erstens, weitgehend Frieden im Inneren, unter den Mitgliedern, zu bewahren. Und zweitens, dafür zu sorgen, dass es nicht zum Krieg zwischen der NATO oder ihren Mitgliedern und anderen Ländern kommt. Das ist angesichts der Geschichte Europas, eine enorme Friedensleistung, die tatsächlich preiswürdig ist.
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