GG-Änderung? Ganz dünnes Eis.
Friedrich Merz will das Grundgesetz mit dem alten Bundestag ändern. Ganz dünnes Eis, meint unser Kolumnist Heinrich Schmitz.

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Das könnte nun auch Friedrich Merz erfahren. Als die Ampel an der Schuldenbremse drehen wollte, fand der Kanzlerkandidat das doof und verhinderte so die Aufnahme milliardenschwerer Kredite. Kann man ja mal machen.
Nun aber, wo er künftig als Kanzler regieren möchte, hat er gemerkt, dass das vernünftig ohne eine kräftige Ausweitung der Schulden wohl in die Hose gehen würde. Also Kommando zurück und schnell mal das Grundgesetz ändern.
Nicht einfach
Nun ist das nicht so einfach wie man denken mag. Denn für eine Verfassungsänderung benötigt man eine Zweidrittelmehrheit. Und die dürfte im bereits neu gewählten Bundestag vermutlich an AfD und Linken scheitern. Macht doch nichts, denkt sich der Merz, dann lassen wir das mal einfach den alten Bundestag entscheiden. Der ist ja noch handlungsfähig, solange der neue seine konstituierende Sitzung noch nicht einberufen hat.
Im Prinzip ist das richtig, denn das Grundgesetz schränkt nach dem Wortlaut zunächst einmal den alten Bundestag nicht ein.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 39
(1) Der Bundestag wird vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen auf vier Jahre gewählt. Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. Die Neuwahl findet frühestens sechsundvierzig, spätestens achtundvierzig Monate nach Beginn der Wahlperiode statt. Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen statt.
(2) Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.
(3) Der Bundestag bestimmt den Schluß und den Wiederbeginn seiner Sitzungen. Der Präsident des Bundestages kann ihn früher einberufen. Er ist hierzu verpflichtet, wenn ein Drittel der Mitglieder, der Bundespräsident oder der Bundeskanzler es verlangen.
Nun ist es aber nichts Ungewöhnliches, wenn man sich nicht nur die Buchstaben des Grundgesetzes ansieht, sondern auch den Gesamtzusammenhang. Manche nennen das auch den Geist des Grundgesetzes. Und da gerät man schon ins Zweifeln, ob eine solche Hauruckaktion des alten Bundestages noch im Sinne der Erfinder war.
Demokratieprinzip
Und da begonnen wir mal mit
Art 20
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Ja, alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Da der Bürger außer Wahlen aber kaum eine direkte Einflussmöglichkeit auf die Gesetzgebung hat, sollte zumindest die Wahlentscheidung bedacht werden, wenn man das Grundgesetz ändern und damit den neuen – vom Volk gerade erst gewählten – Bundestag ausbremsen will.
Ausbremsen
Denn nichts anderes als Ausbremsen ist es ja, was man versucht, wenn der alte Bundestag noch flink dafür sorgt, dass die künftige Regierung das Volk mit astronomischen Schulden belasten will. Das sagt nicht, dass die Verschuldung nicht vielleicht sinnvoll oder meinetwegen auch alternativlos sein könnte. Es hat aber halt mindestens ein Geschmäckle.
Hinzu kommt, dass sich der neue Bundestag ja spätestens am 25.3.25 konstituieren muss. Das sind also gerade mal 7 Tage nachdem nach den Plänen der eventuellen neuen Koalition am 18.3.25 die Grundgesetzänderung durchgeprügelt werden soll. Gefallen tut mir das nicht.
Früher
Und es ist ja so, dass der 25.3.25 nicht etwas das erste Datum ist, an dem die Konstituierung passieren muss, sondern das letzte. Es wäre also verfassungsrechtlich vollkommen in Ordnung – und angesichts der Tragweite der Änderungen geradezu geboten, den neuen Bundestag bereits früher einzuberufen. Seitdem das amtliche Endergebnis vorliegt, also seit gestern, ist das möglich. Ob die Bundestagspräsidentin mit ihrer Entscheidung, erst mal den alten zusammenzutrommeln, da richtig liegt, darf man zwar bezweifeln, das Bundesverfassungsgericht hat das aber gestern in drei Beschlüssen bestätigt:
Karlsruhe
Auch wenn ich wenig von der AfD halte, war doch ihr Gang und der Gang der Linken nach Karlsruhe richtig. Als bereits gewählter Abgeordneter des Bundestages käme ich mir reichlich verarscht vor, wenn eine Woche vor meinem Antritt die abgewählten Abgeordneten noch schnell was entschieden haben.
Es wäre nach den neuen Beschlüssen des BVerfG allerdings auch möglich, dass der neue Bundestag sich vorher konstituiert. Aber da müssten die neuen Abgeordneten schon Gas geben, wenn das noch vor dem 18.3.25 passieren sollte.
Denn
Zwar entspricht es der parlamentarischen Übung und § 1 Abs. 1 GO-BT, dass die Präsidentin des alten Bundestages den neuen Bundestag einberuft. Insoweit stützt sie sich aber nicht auf das ihr vom alten Bundestag verliehene Amt. Ihr Handeln wird vielmehr als treuhänderische Ausübung des Selbstversammlungsrechts des neugewählten Bundestages angesehen (vgl. etwa Hölscheidt, in: Bonner Kommentar, Art. 39 Rn. 126 f. <Juli 2019>; Klein/Schwarz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 39 Rn. 46 <August 2024>: „ohne Auftrag als dessen Geschäftsführer handelnd“). Diesem steht es frei, auch auf anderem Wege zusammenzutreten (vgl. Hölscheidt, in: Bonner Kommentar, Art. 39 Rn. 127 <Juli 2019>; Payandeh, in: Schliesky/Morlok/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 7 Rn. 9). – https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2025/03/es20250313_2bve000325.html?nn=68112
Ob das nun so läuft, wie Friedrich Merz das meint, werden wir sehen. Ich bin gespannt.