Das große Gähnen

Selten wurde eine an und für sich spannende Geschichte derart langweilig in Szene gesetzt wie Schätzings „Der Schwarm“ in der gleichnamigen ZDF-Miniserie, sagt Kolumnist Henning Hirsch.

Bild von Reimund Bertrams auf Pixabay

Bevor ich loslege, gibt’s:

3 einschränkende Bedingungen

3 Sachen muss ich voranschicken:
(1) ich bin etwas spät dran mit meiner Kritik
(2) Serien schaue ich eigentlich nicht so gerne
(3) den Roman von Schätzing habe ich nie gelesen.

Zu meiner Verteidigung: Der Vorteil des Hobby-Kolumnist-Seins besteht darin, dass es für uns keine Deadlines gibt. Wir können unsere Texte dann abgeben, wann immer uns der Sinn danach steht. So halt auch eine etwas verspätete Rezension. (ja ja, es wurde schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem. Ist mir bekannt dieses Valentin-Zitat. Ich mach’s aber trotzdem: also ne weitere Rezi tippen. Einfach aus dem Grund heraus, weil ich gerade Lust und Zeit dafür habe). Und wenn man den zugrundeliegenden Roman gelesen hat – ich hab den, ehrlich gesagt, wegen der enormen Seitenzahl bisher nicht angefasst –, ist das zwar kein Nachteil, man kann den Unterhaltungswert eines Films aber auch ganz gut ohne diese Kenntnis beurteilen. Zumindest einer wie ich, der VIELE Filme anschaut, kann das. Ach so, bevor ich es vergesse: Serien haben immer die Tendenz zur Langatmigkeit, weshalb ich 90- oder 120-Minuten-Produktionen eindeutig bevorzuge.

Und damit wollen wir uns von den langweiligen einschränkenden Bedingungen ab- und dem Schwarm zuwenden.

An und für sich ne spannende Geschichte

Der Plot ist schnell erzählt: In der arktischen Tiefsee leben seit Jahrmillionen Einzeller, die in der Lage sind, sich miteinander zu vernetzen und mittels dieser Agglomeration (als Schwarm) sowohl Intelligenz als auch enorme Kraft zu entwickeln. Diese, von den Wissenschaftlern, die sie aufgespürt haben, YRR getaufte, Lebensform hat erkannt, dass es für unseren Planeten mittlerweile 1 Minute vor Mitternacht ist, und beginnt plötzlich damit, sich gegen den größten Ressourcenkiller des Universums, den Menschen, zu wehren. Die Folge sind Plagen biblischen Ausmaßes: Hummer, die tödliches Gift verspritzen, das in die Kanalisation und von dort in den menschlichen Magen gespült wird, Krebse, die unsere Küsten fluten und jeden auffressen, dem nicht rechtzeitig die Flucht gelingt. Aggressive Wale greifen Touristen an. Tsunamis zerstören die am Meer gelegenen Städte. Der Schwarm kann sogar hochmoderne Schiffe zum Kentern bringen. Das oben genannte Wissenschaftlerteam versucht nun verzweifelt, Kontakt mit YRR aufzunehmen, um mit dieser, uns überlegen erscheinenden, Spezies auf dem Verhandlungsweg zu einer friedlichen Koexistenz zu gelangen, bevor die gesamte Menschheit ausgerottet wird. Mehr soll an dieser Stelle nicht gespoilert werden.

Geschichte, auch wenn sie mir nicht völlig neu vorkommt, ist schon intelligent und könnte durchaus spannend erzählt werden. Ob man dafür allerdings ne Serie benötigt, oder das nicht auch auf der Wegstrecke von 120 Minuten bewerkstelligen kann – daran scheiden sich die cineastischen Geschmäcker.

Der Daseinszweck von Serien

„Ich schaue deshalb gerne Serien, weil in denen – im Gegensatz zum 90-Minuten-Film – die Charaktere langsamer entwickelt werden und so mehr Tiefe erhalten“, erklärte mir noch vor kurzem eine befreundete Autorin. Das mag durchaus so sein und mag auch für manche Serien gelten – für „Der Schwarm“ trifft es hingegen Nullkommanull zu. Selten habe ich so lieblos, jederzeit austauschbare, Figuren gesehen wie in dieser Produktion. Zu keinem Akteur baute ich als Zuschauer eine engere Bindung auf, ob 2 Darsteller – wegen eines Ruckzuck-Tsunamis – mittendrin plötzlich weg waren – wen juckte das? Die Liebesbeziehungen („das Pilchern“ wie Frank Schätzing das bezeichnete) bar jeglichen Tiefgangs, völlig belanglos, einfach nur ins Drehbuch reingefummelt, weil’s in Serien hin und wieder halt auch zwischenmenschlich ein bisschen knistern muss. Da steckt in jeder Kölner Süßwasserpfütze mehr YRR-Erotik drin als in den im Schwarm gezeigten Diversity-Romanzen.

Zwischenfazit „weshalb ne Serie?“: aus dem Roman hat man v.a. deshalb 8 Folgen gemacht, weil so mehr Sendezeit generiert wird. Mit Spannungsbogen und Figurenentwicklung hatte das nichts zu tun.

Kartoffel-ernste Dialoge

Niemand, der seine 5 cineastischen Sinne beisammen hat, verlangt von einem adaptierten Drehbuch, dass darin die Romanvorlage 1 zu 1 umgesetzt wird. Man kann stundenlang (und oft ergebnislos) darüber diskutieren, wie viel Original in einer Verfilmung drinstecken soll. Ob es evtl Sinn ergibt, die Handlung etwas umzustricken, Figuren komplett rausfallen zu lassen u andere Charaktere umzumodellieren. Auch muss der Erzählstrang nicht immer sklavisch der Vorlage folgen. Zelluloid ist nun mal ein anderes Medium als bedrucktes Papier. Das ändert aber mMn nichts an der grundlegenden Bedingung, dass ein Autor sein Werk in der Verfilmung nach wie vor erkennen sollte. Und das scheint, wenn man Frank Schätzings Kritik Glauben schenkt, die er in diversen Medien geäußert hat, streckenweise nicht der Fall gewesen zu sein. Ich kann das jedoch – siehe oben einschränkende Bedingung (3) – nicht abschließend beurteilen.

Was ich jedoch beurteilen kann: selten habe ich derart langweilig-belehrende Dialoge – und die werden ja vom Drehbuchautor geschrieben – gehört wie in „Der Schwarm“. Noch nie habe ich Fiktion gesehen, bei der jeglicher, auch nur winzigkleine, Anflug von Humor komplett aus den Unterhaltungen gestrichen wurde. Mitunter fühlte ich mich am Bildschirm in Homeoffice-Universitätsseminare versetzt. Und ich tue dabei vielen Universitätsseminaren Unrecht, denn in denen werden mitunter Witze gerissen und darf zwischendurch auch mal gelacht werden.

Gibt’s beim ZDF keine Qualitätskontrolle für Drehbücher?

Zwischenfazit Drehbuch: von allen kartoffel-ernsten Produktionen, die ich kenne, ist „Der Schwarm“ eine der kartoffeligsten.

3 Gesichtsausdrücke

Deutsche Schauspieler (m/w/d, Hautfarbe egal) beherrschen 3 Gesichtsausdrücke:
 sehr ernst
 mittelernst
 nicht ganz so ernst, aber immer noch ernst genug

… schrieb ich in einem Facebook-Post nach Ansehen der Folgen 1 & 2, um mich am Ende der Serie zu korrigieren:

Es waren Akteure dabei, die exakt 1 Miene draufhatten (u zwar über die Wegstrecke von 8 Folgen). Bei einigen vermute ich sogar eine temporäre Gesichtslähmung.

Dass ich von Diversität auf Teufel komm raus bei den Rollenbesetzungen wenig halte, will ich hier nicht weiter ausführen. Das ist ein Thema für sich und hat mit meiner Einschätzung der Spannung/Suspense – einzig um die geht es in dieser Kolumne – nichts zu tun. Ganz unerwähnt wollte ich es jedoch auch nicht lassen.

Zwischenfazit Darsteller: ob ich mir den Bergdoktor, die Rosenheim Cops oder Der Schwarm ansehe – die schauspielerische Leistung ist immer dieselbe.

Das große Gähnen

Dass Frank Schätzing unzufrieden mit der filmischen Umsetzung seines Romans ist, kann ich gut nachvollziehen. Selten (nie?) wurde eine spannende Geschichte derart ideenlos in Szene gesetzt wie in der ZDF-Produktion „Der Schwarm“. Da waren ja manche Weihnachts-Vierteiler der 70-er und 80-er Jahre direkt cineastische Highlights im Vergleich. Mir völlig unbegreiflich, weshalb die Regie nicht mehr auf Bildersprache setzte (was sich bei Bedrohung aus der Tiefsee und biblischen Plagen ja geradezu anbietet), sondern ständig alles von den Wissenschaftlern in sterbenslangweiligen Dialogen und Vorträgen erklären lässt. „Show, don’t tell!“ – kennt man diese goldene Erzähl-Regel nicht in deutschen Produktionsfirmen?

Der Schwarm als TV-Serie mutet an wie die Inszenierung einer Schauspielgruppe aus der Mittelstufe, bei der auch die Eltern mitwirken dürfen: oberflächliche Handlung mit weichgespülten Charakteren jeglicher Hautfarbe und sexueller Orientierung, bar jeder Boshaftigkeit oder bloß menschlichen Kanten, deren einziges Anliegen darin besteht, 24/7 die Welt zu retten. Garniert mit kartoffel-ernsten Dialogen bis zum Erbrechen, die aber jederzeit 1 zu 1 in Fachaufsätzen zum Thema „politisch korrektes Reden“ als Zitate abgedruckt werden können. Wär’s ne Doku gewesen, dann okay. Bei Fiktion denke ich hingegen: oh weh! Dieses mediokre Zeug wird allen Ernstes als Highend-Produktion gelabelt? Da waren die meisten Folgen von Monaco Franze high-endiger als der dröge Schmarrn (pardon: Schwarm).

Finales Fazit: Das große Gähnen oder: wie ich es schaffe, 40 Millionen Euro im Polarmeer völlig uninspiriert zu verbrennen (bzw. den Nordatlantik runterzuspülen).

Bewertung: 5 (von 10) Punkten. Aber nur, weil es die zugrundeliegende Geschichte tatsächlich wert ist, erzählt/gezeigt zu werden.

PS. die Folgen 1 bis 8 stehen in der ZDF-Mediathek zum Abruf bereit.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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