Ne Hundescheiße-Kolumne

Er selbst hätte den Haufen eingewickelt in Zeitungspapier überreicht, sagt unser Kolumnist Henning Hirsch.

Bild von Alexa auf Pixabay

Was war geschehen?

Am Abend des 11. Februar, ein Samstag, schmiert Marco Goecke, Ballettchef der Staatsoper Hannover, einer FAZ-Feuilletonistin Hundekot ins Gesicht, weil ihm deren Kritiken nicht gefallen. Im Anschluss fegen Empörungswellen durch die Sozialen Netzwerke und die Kommentarspalten der Zeitungen, sodass der Tanzdirektor keine 48 Stunden später vom Dienst suspendiert wird und sich entschuldigen muss.

Harsche Kritik ./. sensible Künstlerseele

Nun ist Hundekot im Gesicht eine ziemlich eklige Angelegenheit – jeder, der nach einer durchzechten Nacht (wie bspw. der Schreiber dieser Zeilen) schon mal in einer öffentlichen Parkanlage 5 Zentimeter von einem Hundehaufen entfernt aufgewacht ist, kann das bestätigen –; aber auch ne Menge Kritiken sind ziemlich eklig formuliert. Würden schlechte Kritiken Geruch ausströmen, kämen sie dem von frischen Hundehaufen recht nahe.

Dass miese Kritiken einen teils verheerenden Einfluss auf sensible Künstlerseelen haben, weiß jeder. Ich weiß es, Sie wissen es, jeder vierte Facebook-Poster weiß es und selbstverständlich sollten es auch die professionellen Kritiker wissen. Statistisch nicht erhoben, aber keinesfalls vernachlässigbar wird die Zahl der Künstler sein, die sich nach einem Verriss zu Tode saufen, oder – falls das nicht gelingt – morgens 5 Zentimeter entfernt von einem Hundehaufen aufwachen oder freiwillig Hundekot schlucken, um Buße zu tun für ihre von der Kritik zerfetzten Werke.

Jetzt kann die Sensibilität der Künstlerseele natürlich nicht zur Folge haben, dass Kunst ab sofort nicht mehr kritisiert werden darf bzw. nur noch positive Urteile, egal welcher Schrott dargeboten wurde, erlaubt sind. Wie wir alle lebt auch der Künstler nicht im kritiklosen Raum. Deshalb kann, darf, muss es auf jeden Fall auch Kritik in der Art geben, in der Schwachstellen aufgezeigt und Verbesserungsmöglichkeiten genannt werden.

Allerdings ist professionelle Kritik mittlerweile zu einer eigenen Kunstform avanciert, die stark auf Reichweite zielt, was wiederum dazu führt, dass manche Kritiker meinen, selbst die besseren Texte zu schreiben. In diesem Fall geht es dann gar nicht mehr um konstruktive Kritik am analysierten Werk, sondern der Kritiker nutzt das Buch/Stück/die Aufführung bloß als Aufhänger, um sich selbst zu beweihräuchern und dabei verbal einen runterzuholen. Liest sich mitunter ganz amüsant, verfehlt jedoch den eigentlichen Zweck der Sache. Ganz schwierig wird es, wenn der Kritiker glaubt, seine Kritik sei das eigentlich Wichtige und verkennt, dass die Kunst auch (gut?) ohne Kritik leben könnte, während der Kritiker die Kunst wie die Nahrungsaufnahme für den Stuhlgang benötigt, denn ohne sie (gleich ob gut, mittelmäßig oder mies) würde seine Arbeitsgrundlage wegfallen, und er müsste sich alternativ seine Brötchen entweder als mieser Autor oder Hundehaufen-im-Park-Einsammler verdienen.

Hundescheiße lieber im eigenen Wohnzimmer verteilen

Die Botschaft, manche Kritik mit einem Haufen (Hunde-) Scheiße gleichzusetzen, ist deshalb grundsätzlich erst mal nicht verkehrt. Ich bin, wenn ich Verrisse von Ich-hol-mir-verbal-einen-runter-Kritikern lese, da ganz der Meinung des Ballettdirektors. An seiner Stelle hätte ich jedoch den Text, der mein Blut in ungesunde Wallung versetzt, aus dem Feuilleton ausgeschnitten, gewartet, bis mein Hund da einen Haufen draufsetzt (ich habe keinen Hund, hätte mir den Haufen also entweder von meinem Nachbarn borgen oder in einer Parkanlage einsammeln müssen) und diese kleine Aromatüte der Kritikerin am Rande einer Aufführung überreicht. Wahrscheinlich stumm, man könnte aber auch flankierend dazu sagen: „Das ist das, was ich von Ihren Kritiken halte“. Ebenfalls mit dieser Aktion wäre mir der Shitstorm sicher gewesen; jedoch hätte ich mir die Vorwürfe wegen körperlicher Übergriffigkeit und Misogynie (wobei: dieser Vorwurf kommt ja immer) erspart.

Noch schlauer wäre es zwar gewesen, die Kritik von sich abperlen zu lassen und sich seinen (Hundescheiße-) Teil dazu zu denken. Oder, wenn es in diesem Fall unbedingt Hundekot sein muss, den (vom Nachbarn geborgt) im eigenen Wohnzimmer zu verteilen, anstatt ihn der Kritikerin ins Gesicht zu schmieren. Denn, und das ist eine wichtige Beobachtung, Kritiker verstehen überhaupt keinen Spaß, wenn man ihre Kritiken kritisiert oder gar mit Hundescheiße gleichsetzt. Dann geht sofort das Lamento los von wegen mangelnder Kritikfähigkeit des Künstlers, Einschränkung der Meinungsfreiheit, dass Kunst ohne Kritik gar nichts wert sei bis hin zu (staatlich alimentierte) Künstler wären wie verwöhnte Kinder, denen Mami und Papi ständig die Kohle zuschieben, ohne dafür ne entsprechende Gegenleistung zu bekommen. Und so vorhersehbar langweilig weiter und so vorhersehbar langweilig fort.

Mehr Humor wäre auch bei Hundekot nicht verkehrt

In dieser Auch-ne-Scheiß-Kritik-ist sakrosankt-Atmosphäre nimmt es nicht wunder, dass der Ballettdirektor nen Shit-Tsunami erlebt, seinen Job los ist und von ihm täglich neue Entschuldigungen eingefordert werden. Die gescholtene Kritikerin wiederum ist schockiert über Scheißentschuldigungen, die ihrer Meinung nach keine sind und redet von Beleidigung und Körperverletzung. Bei den ersten beiden Sachen (Shit-Tsunami und Job los) bin ich Mainstream: Scheiße ins Gesicht geht nicht; dafür muss man dann halt die Konsequenz tragen und sich nen neuen Arbeitgeber suchen. Bei der Entschuldigung hingegen sage ich: Scheiß drauf! Was nützen schon eingeforderte Lippenbekenntnisse, die so gut wie nie aufrichtig sind?

Und der Kritikerin rate ich, so was in Zukunft mit mehr Gelassenheit zu nehmen. Wie viel cooler wäre es gewesen, wenn sie sich mit dem Finger durchs beschmierte Gesicht fährt, kurz daran gerochen hätte und dann fragt: „Pudel oder Neufundländer?“ Stattdessen die altbekannte Tonfolge: Schock, Beleidigung, Körperverletzung, nochmaliger Schock, weil die Entschuldigung nicht ausreicht. Und natürlich Misogynie. GÄHN! Ich hoffe, sie schreibt lustiger, als sie im realen Leben auftritt. Obwohl – es gibt so gut wie keine humorvollen Kritiker. Vor allem nicht in Deutschland. Die meisten sind von der Wichtigkeit ihrer Aufgabe tief durchdrungen. Von daher passt es schon, wie auf die Provinzposse reagiert wird.

Womit wir am Ende angelangt sind. Schluss mit Hundekot für heute.

PS. wie ich mit der Kritik zu dieser (Scheiß-) Kolumne umgehen werde?
(a) ich hab mir angewöhnt, dass mir die großenteils scheißegal ist
(b) falls sie mich doch über Gebühr ärgern sollte, schließe ich Fenster und Türen und schreie meinen Laptop an
(c) notfalls kann ich mir bei meinem Nachbarn sicher einen Hundehaufen (Rottweiler) leihen.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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