Vorteil Künast
Das Bundesverfassungsgericht hob die unsäglichen Beschlüsse des Kammergerichts Berlin in Sachen Künast gegen Facebook auf. Ein wichtiges Urteil und ein Zwischenerfolg. Die Samstagskolumne von Heinrich Schmitz
Foto: geralt (Pixabay, gemeinfrei)
Am 21.9.2019 schrieb ich in der Kolumne „Drecksfotze soll okay sein?“, was ich vom Beschluss des Landgerichts Berlin hielt – nichts. Da war ich noch der Hoffnung, das Kammergericht würde es besser machen, die verfassungsrechtliche Problematik erkennen und das tun, was Sache der Gerichte ist, nämlich eine gründliche Abwägung zwischen dem Schutz der persönlichen Ehre und dem Recht auf Meinungsfreiheit vornehmen. Hat nur zum Teil geklappt.
Aber – und das ist das, was mir am Rechtsstaat am meisten gefällt – nun hat das Bundesverfassungsgericht dem Kammergericht noch einmal genau erklärt, wie es in einem solchen Fall vorzugehen hat.
Halbe Wahrheit
Wenn es nun in der Presse häufig heißt, Frau Künast habe einen großen Sieg errungen, dann ist das erst einmal nur die halbe Wahrheit. Das Bundesverfassungsgericht hat die Sache nicht „durchentschieden“, sondern die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen. Die müssen also jetzt „nachsitzen“ und das Ganze nochmal neu entscheiden.
Dabei sollte das Kammergericht – wenn es schon meine Kolumnen nicht liest – den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts umso gründlicher lesen und in seiner neuen Entscheidung auch umsetzen. Sonst kann es durchaus passieren, dass es erneut aus Karlsruhe was auf die Mütze gibt.
Zum Grundproblem und zur Ausgangslage zitiere ich mich mal selbst, damit Sie meine alte Kolumne nicht nochmal ganz lesen müssen:
Was mögen sich die Richter beim Landgericht Berlin gedacht haben, als sie diese Beschlussbegründung schrieben? Normalerweise gilt ja das eherne Gesetz, dass zwei Juristen mindestens drei Meinungen haben, aber in diesem Fall ist mir bisher kein Kollege bekannt, der diesen Beschluss für richtig hält.
Aber von vorne. Um was ging es bei der Sache?
Im Zusammenhang mit einem Post bei Facebook, der eine Äußerung der Grünen-Politikerin Renate Künast aus dem Jahr 1986 in einer Debatte des Berliner Abgeordnetenhauses zum Gegenstand hatte, kam es zu zahlreichen Äußerungen von Usern, die die Politikerin mit allen möglichen Worten beschimpften.
Hier eine kleine Auswahl der „Nettigkeiten“ von Facebookwütern:
„Altes grünes Drecksschwein“, „Geisteskrank“, „kranke Frau“, „Schlampe“, „Gehirn Amputiert“, „Stück Scheisse“, „Krank im Kopf“, „Drecks Fotze“, „Sondermüll“, „Alte perverse Dreckssau“
Verständlich, dass Frau Künast die Urheber dieser Äußerungen zivilrechtlich in Anspruch nehmen wollte. Nun kennen wir aber alle das Problem, dass die größten Hatespeaker bei Facebook in den seltensten Fällen unter ihren echten Namen auftreten. In der Anonymität des Netzes hetzt es sich halt leichter, als wenn man sich gegenüber steht. Feiglinge mit großem Maul. Oder sollte ich sagen Drecksfressen? Um also überhaupt erst einmal zu wissen, wer hinter diesen Accounts steht, bedarf es einer Auskunft des Plattformbetreibers.
Die darf der Betreiber aber nur nach den Kriterien des § 14 Telemediengesetz (TMG) erteilen.
In Absatz 3 ist geregelt:
Der Diensteanbieter darf darüber hinaus im Einzelfall Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte, die von § 1 Absatz 3 des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes erfasst werden, erforderlich ist.
Nun prüft aber nicht Facebook selbst, ob es sich um rechtswidrige Inhalte handelt, sondern ein Gericht. Damit das passieren kann, muss der Verletzte nach § 14 Abs.4 TMG einen entsprechenden Antrag stellen.
Für die Erteilung der Auskunft nach Absatz 3 ist eine vorherige gerichtliche Anordnung über die Zulässigkeit der Auskunftserteilung erforderlich, die vom Verletzten zu beantragen ist. 2Für den Erlass dieser Anordnung ist das Landgericht ohne Rücksicht auf den Streitwert zuständig. 3Örtlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk der Verletzte seinen Wohnsitz, seinen Sitz oder eine Niederlassung hat. 4Die Entscheidung trifft die Zivilkammer. 5Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. 6Die Kosten der richterlichen Anordnung trägt der Verletzte. 7Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die Beschwerde statthaft.
Gegenstand des Verfahrens war also nicht etwa ein Strafverfahren, das sich gegen die Hetzer richtete und auch noch kein Zivilverfahren gegen diese, sondern „nur“ ein Verfahren gegen Facebook im Hinblick auf dessen Auskunft und zwar nicht einmal in der Hinsicht, dass Facebook die Auskunft erteilen müsste, sondern nur, dass es Facebook erlaubt ist, diese Daten an die Antragstellerin herauszugeben.
Was nun rechtswidrige Inhalte sind, muss das Gericht dem Netzwerksdurchsetzungsgesetz entnehmen.
Dort findet sich in § 1 Abs. 3 NetzDG
Rechtswidrige Inhalte sind Inhalte im Sinne des Absatzes 1, die den Tatbestand der §§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b in Verbindung mit 184d, 185 bis 187, 201a, 241 oder 269 des Strafgesetzbuchs erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.
Im konkreten Fall ging es um den § 185 StGB, also die Beleidigung.
§ 185 Beleidigung
Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Soweit, so gut. Nun hat aber das Kammergericht bei seiner Entscheidung einige bereits bekannte Vorgaben des Verfassungsgericht nicht wirklich beachtet.
Das BVerfG schreibt nun:
Hinsichtlich der hier verfahrensgegenständlichen Kommentare 4, 5, 6, 9, 10, 11, 12, 14, 15 und 22 führte das Kammergericht aus, es verkenne zwar keineswegs, dass es sich um erheblich ehrenrührige Herabsetzungen der Beschwerdeführerin handele. Unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben sei aber festzustellen, dass die Schwelle zum Straftatbestand des § 185 StGB nicht überschritten sei. Denn es liege kein Fall der abwägungsfreien Diffamierung vor, und die Verletzung des Persönlichkeitsrechts erreiche kein solches Gewicht, dass die Äußerungen unter Einbeziehung des Kontexts lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung der Beschwerdeführerin erschienen.
Nicht nett
Diese verfahrensgegenständlichen Kommentare sind:
4. „Pädophilen-Trulla“
5. „Die alte hat doch einen Dachschaden, die ist hol wie Schnittlauch man kann da nur noch“
6. „Mensch… was bist Du Krank im Kopf!!!“
9. „Die ist Geisteskrank“
10. „Ich könnte bei solchen Aussagen diese Personen die Fresse polieren“
11. „Sperrt diese kranke Frau weck sie weiß nicht mehr was sie redet“
12. „Die sind alle so krank im Kopf“
14. „Gehirn Amputiert“
15. „Kranke Frau“
22. „Sie wollte auch mal die hellste Kerze sein, Pädodreck.“
Bei diesen Nettigkeiten meinte das Kammergericht, die seien sämtlich von der Meinungsfreiheit gedeckt,
da alle Kommentare einen Sachbezug hätten, stellten sie keine Diffamierungen der Person der Beschwerdeführerin und damit keine Beleidigungen nach § 185 StGB dar.
Ja nun, nach dem Sachbezug kann man lange suchen, und wo das Kammergericht den gefunden hat, hat es uns noch nicht verraten. Mag ja sein, dass ich da etwas übersehe. Ich käme jedenfalls im Traum nicht auf die Idee, die Richter des Kammergerichts angesichts ihrer verfassungswidrigen Entscheidung als „Gehirnamputiert“, „krank im Kopf“ oder „hohl wie Schnittlauch“ zu titulieren und mir dabei einzubilden, das sei ein verfassungsrechtlicher Bestandteil meiner Meinungsfreiheit.
Machtkritik ja
Das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Machtkritik ein schützenswertes Grundrecht im Rahmen der Meinungsfreiheit ist und gerade die „Mächtigen“ sich da mehr gefallen lassen müssen als Lieschen Müller und Erika Mustermann. Das gibt allerdings keinen Freibrief um im Schutze der vermeintlichen Anonymität des Internets munter und ohne irgendwelche rechtliche Schranken in die unterste Schublade zu greifen.
Allerdings bleiben die Gesichtspunkte der Machtkritik und der Veranlassung durch vorherige eigene Wortmeldungen im Rahmen der öffentlichen Debatte in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgerinnen und Amtsträgern oder Politikerinnen und Politikern. Gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächtlichmachung oder Hetze setzt die Verfassung allen Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen und nimmt hiervon Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträgerinnen und Amtsträger nicht aus. Auch hier sind Äußerungen desto weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf in die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen wegbewegen und die Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund tritt. Welche Äußerungen sich Personen des öffentlichen Lebens gefallen lassen müssen und welche nicht, liegt dabei nicht nur an Art und Umständen der Äußerung, sondern auch daran, welche Position sie innehaben und welche öffentliche Aufmerksamkeit sie für sich beanspruchen.
Nicht ohne Grenzen
Auch im Hinblick darauf, dass Personen, die sich in den Dienst der Öffentlichkeit stellen, einen Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte verdienen, können diese nicht jedem Äußerungsdreck schutzlos ausgesetzt sein. Deren Schutz liegt nicht nur im eigenen, sondern auch im öffentlichen Interesse. Würden Sie für ein politisches Amt kandidieren wollen, wenn man Sie ungestraft als gehirnamputiert oder gar als Drecksfotze bezeichnen dürfte? Wohl kaum.
Dabei liegt insbesondere unter den Bedingungen der Verbreitung von Informationen durch „soziale Netzwerke“ im Internet ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgerinnen und Amtsträgern sowie Politikerinnen und Politikern über die Bedeutung für die jeweils Betroffenen hinaus im öffentlichen Interesse, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken kann. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist (vgl. BVerfGE 152, 152 <199 Rn. 108> – Recht auf Vergessen I; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19 -, Rn. 32).
Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass das Kammergericht wiederholt einen fehlerhaften, mit dem Persönlichkeitsrecht der von ehrenrührigen Äußerungen Betroffenen unvereinbaren Maßstab anlegt, wenn es annimmt, eine strafrechtliche Relevanz erreiche eine Äußerung erst dann, wenn ihr diffamierender Gehalt so erheblich sei, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheine.
Kern der Entscheidung ist diese Feststellung:
Infolge fehlerhafter Maßstabsbildung mangelt es ebenfalls an der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der betroffenen Rechtspositionen im Rahmen der rechtlichen Würdigung der verfahrensgegenständlichen Äußerung „Sie wollte auch Mal die hellste Kerze sein, Pädodreck“. Die vom Fachgericht begründungslos verwendete Behauptung, die Beschwerdeführerin müsse den Angriff als Politikerin im öffentlichen Meinungskampf hinnehmen, ersetzt die erforderliche Abwägung nicht, bei der auch zu berücksichtigen wäre, dass ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern auch im öffentlichen Interesse liegt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19 -, Rn. 32).
Wenn nun z.B. der SPIEGEL titelt, „Künast erringt klaren Sieg gegen Facebook-Hetzer“, dann ist das so nicht richtig. Die Facebook-Hetzer waren bisher nicht einmal an dem Verfahren beteiligt. Konnten sie auch gar nicht sein, weil Facebook deren Namen erst herausgeben darf, wenn ein Gericht das gestattet. Das ist bis jetzt noch nicht geschehen. Und es muss auch nicht zwingend in allen genannten Fällen passieren.
Was Frau Künast gelungen ist, ist zunächst einmal nur – aber immerhin – die Feststellung, dass sie durch die Entscheidung des Kammergerichts in ihren Grundrechten verletzt wurde. Es mag durchaus sein, dass das Kammergericht in einer neuen Entscheidung mit kunstgerechter Begründung ebenfalls wieder einzelne Äußerungen für zulässig und von der Meinungsfreiheit gedeckt ansehen wird. Ich wüsste zwar jetzt auch nicht so genau, welche das sein könnten, aber denkbar ist das jedenfalls.
Nachsitzen
Unterm Strich kann man sagen, dass das Kammergericht eine kostenlose Nachhilfestunde erhalten hat, und dass das Bundesverfassungsgericht mit dieser wichtigen Entscheidung noch einmal vertieft hat, was es zum Äußerungsrecht bisher auch schon immer gesagt hat. Warum das Kammergericht da so schluderig begründet hat, kann ich nicht sagen und spekulieren möchte ich auch nicht.
Ob Frau Künast letztlich einen großen Sieg gegen die Hetzer erringen wird, steht noch in den Sternen. Denn selbst wenn Facebook die Accountdaten mitteilt, ist damit ja noch lange kein Täter ermittelt. Es kann sich z.B. um Fakeaccounts handeln, die auf fremde Namen angemeldet wurden; es kann auch sein, dass jemand den Account eines anderen verwendet hat. Wer nun letztlich vor dem Rechner gesessen hat, ist meist nur schwer nachzuweisen. Ich drücke da mal die Daumen, würde ihr aber nicht allzu viel Hoffnung machen. Gleichwohl halte ich es für richtig und wichtig, wenigstens zu versuchen, die Hetzer zur Verantwortung zu ziehen.