Von Quantenheilung und weiterem Firlefanz

Über Quantenheilung und sonstigen Schwachsinn. Eine Kolumne von Christian Unger


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Ja, ich gebe es zu. Ich habe auch ein T-Shirt mit dem Satz „Schrödinger’s Cat ist adleiavteh“ („Alive“ und „Death“ jeweils mit halben Buchstaben ineinander geschrieben). Um alle Katzen- und Tierfreunde gleich zu beruhigen: Die Katze, die gleichzeitig als lebendig und als tot angesehen werden kann, ist ein reines Gedankenexperiment. Kein ernstzunehmender Physiker würde auf die Idee kommen, dieses Experiment wirklich durchzuführen.

Der Aufbau des Experiments ist ganz einfach. Man nehme eine Katze, die in eine blickdichte und perfekt abgeschirmte Stahlkiste eingesperrt wird. Ebenfalls wird eine gewisse Menge instabiler Atomkerne, die nach einer gewissen Zeit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zerfallen werden, sowie ein Detektor eingefügt. Wird der radioaktive Zerfall detektiert, setzt sich ein Gift frei, welches die Katze tötet. Nach einer Stunde beträgt die Wahrscheinlichkeit des Zerfalls eines Atomkerns 50 % und damit liegt auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Gift freigesetzt wurde und die Katze getötet hat, bei 50 % (Störer, wie das der Detektor kaputt geht, schließen wir der Einfachheit halber einfach aus).

Eine lebende Katze in einem kohärenten System?

Ist die Katze jetzt tot oder lebendig? Unsere Erfahrung sagt uns an dieser Stelle, dass sie entweder tot oder leben ist. Nach der sehr populären Kopenhagener Deutung der Quantenphysik sieht das allerdings anders aus, deutete Erwin Schrödinger an. Die Katze ist tot und lebendig, ihr Zustand ist überlagert. Erst wenn jemand in die Kiste schaue, zerfällt die Wahrscheinlichkeitsfunktion und es steht fest, ob die Katze lebendig oder tot ist.

Es gibt aber einen sehr guten Grund, warum das Experiment nicht in der Realität durchgeführt werden kann: Eine Katze ist in einem dekohärenten System „gefangen“. Das heißt, sie wechselwirkt in mannigfaltiger Weise mit sich selbst und der Umwelt. Schon die Wärmestrahlung zwischen verschiedenen Körperteilen ist wie das Atmen eine ständige Wechselwirkung, durch die der sogenannte Beobachtereffekt eintritt. Es passiert damit also dasselbe, wie wenn jemand reinguckt: Es entscheidet sich, ob die Katze tot oder lebendig ist. Wer die Katze in Kohärenz versetzen will, muss sie unter anderem in ein Hochvakuum auf eine möglichst kalte Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt (-273,15 °C) versetzen. Man muss kein Biologe oder Veterinär sein, um zu wissen, dass die Katze dann definitiv tot ist.

Bakterien in der Superposition

Viele Bakterien sind hingegen in der Lage, diese Temperaturen und auch ein Hochvakuum auszuhalten. Was passiert, wenn wir einzelne kohärente Bakterien durch einen Doppelspalt schicken? Es zeigt sich ein Interferenzmuster, welches sich nur durch eine Welle erklären lässt, welche durch beide Spalten geht. Die Welle bricht an den Spalten und es gibt zwei von den Spalten ausgehende Wellen, deren Wellenberge und Wellentäler sich treffen und sich damit ausgleichen. Bezogen auf eine Wahrscheinlichkeitsfunktion heißt das, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es an dieser Stelle auftrifft, 0 ist. Das lässt sich ähnlich abbilden wie eine Wasserwelle, wobei dieses Gleichnis mit Vorsicht zu genießen ist. Spätestens bei zwei Quellen fällt das Gleichnis durch.

Dasselbe gilt für bestimmte und sogar unter einem guten Mikroskop sichtbare Molekülverbindungen aus Kohlenstoff. Solche Makromoleküle werden speziell erschaffen und müssen spezifische Bedingungen erfüllen, damit das Ganze funktioniert. Auch hier: Im kohärenten Zustand geht das einzelne Molekül durch beide Spalten durch. Wir können nur eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit berechnen, wo es auftrifft.

Menschen an mehreren Stellen?

Sowohl Makromolekül als auch Bakterien zeigen: Im kohärenten Zustand verhalten sie sich nicht wie einzelne Teilchen. Ihre Position ist unbestimmt, sie sind also „überall und nirgendwo“. Es handelt sich um eine Welle mit einer gewissen Aufenthaltswahrscheinlichkeit, die mit sich selbst so interagieren kann, dass sie an bestimmten Stellen 0 ergibt. Nämlich dort, wo ein Wellental auf einen Wellenberg trifft. Der Detektor bleibt dort leer, egal, wie viele Teilchen wir dort durchschicken. Wenn wir sie nach dem Messen fragen könnten, würden sie es auch selbst nicht wissen. Erst eine Messung (z.B. auf einem Detektor) sagt uns, wo das Bakterium/Molekül/Teilchen ist. Setzen wir es in die Spalten, geht das Bakterium/Molekül/Teilchen also nur durch einen Spalt.

Ist das ganze auch mit Menschen durchführbar? Theoretisch ist das nicht verboten. Allerdings ist das Problem, dass es äußerst kompliziert und wahrscheinlich sogar unmöglich ist, einen kompletten Menschen in einem wechselwirkungsfreien Zustand zu versetzen. Und: Berichten könnte er davon nicht mehr, denn er wäre definitiv tot. Fast -273,15 °C und Hochvakuum, Sie wissen schon…

Die Quanten- und Kernphysik spüren wir täglich auf unserer Haut

Quanten- und Kernphysik ist schon krass. Das liegt vor allem daran, dass viele dieser Eigenarten unserer alltäglichen Erfahrungswelt völlig widersprechen. Dennoch haben sie einige Auswirkungen, die wir täglich merken. So sorgt der Tunneleffekt erst dafür, dass in unserer Sonne die Kernfusion funktioniert. Denn trotz hoher Temperatur und enormen Druck würden sich zwei Protonen niemals so nahekommen, dass eines von ihnen unter Aussendung eines Positrons und eines Neutrinos zum Neutron zerfällt. Das Positron trifft auf ein freies Elektron, wovon es in der Sonne ja genug gibt, und die beiden annihilieren sofort zu zwei Gammaquanten mit 1,022 MeV. Diese suchen sich ihren Weg langsam aus der Sonne heraus und je nachdem, wie viel Energie sie dabei verloren haben, können sie beispielsweise als UV-Strahlen oder als sichtbares Licht unsere Erde erreichen. Teile von den unzähligen Reaktionsprozessen spüren wir also täglich auf unserer Haut und nur so ist Leben überhaupt möglich.

Handelt es sich um UV-Strahlung, kann diese nicht nur in unsere Haut eindringen, sondern dort oder auch in den Augen bis in die Zellkerne und die dort gelagerte DNA vordringen und diese massiv schädigen. Kann diese nicht oder nicht richtig repariert werden, kann das zu Krebs führen. Riechen und anderes funktioniert ebenfalls nur mit Quantenphysik. Und wer gerne viele Bananen isst, nimmt viel Kalium-40 in sich auf. Dieses zerfällt radioaktiv. So strahlt der Körper pro Minute etwas radioaktive Strahlung aus. Aber keine Sorge: Für eine LD50-Dosis müsste man schon einige Tonnen essen. Pro Sekunde. Bitte nicht ausprobieren, es könnte aus anderen Gründen tödlich enden. Selbst wer auf Bananen verzichtet, nimmt andere (sehr schwach) radioaktive Substanden in sich auf.

Von Quantenheilung und weiterem Simsalabim

Wenn Quantenphysik vom Beobachtereffekt abhängt und auch im menschlichen Körper relevant ist: Kann denn nicht unsere innere Einstellung, aber auch äußere Einflüsse wie üble Kollegen über die Verschränkung die Resultate der Quantenphysik beeinflussen? Könnten wir uns nicht vorstellen, dass wir gesund sind und die Krankheiten nehmen dann wirklich ab? Wohlgemerkt: Wir reden hier nicht über das eigene subjektive Wohlbefinden, welches durch den psychologisch begründeten Placeboeffekt und ähnliches natürlich ebenfalls beeinflusst wird.

Nonsens werden die allermeisten Leserinnen und Leser nun (hoffentlich!) denken. Googlen wir aber nach „Quantenphysik im Körper“, kommen wir auf seltsame Ergebnisse. Man kommt als erstes Google-Ergebnis auf die Seite eines Dr. Platsch. Dieser erklärt unter anderem, dass jede Information in einem Quantenfeld sei, auch die eigenen Gedanken. Diese würden dann darüber entscheiden, ob man gesund oder krank werde. Man könne sich aus diesen Informationen entscheiden, welche Information man zulasse. Wer also beispielsweise an Krebs erkranke, sei selbst schuld, so der logische Schluss. Man hat halt das falsche gedacht. Auweia.

Hokuspokus sogar in seriösen Zeitungen

Schnell die Seite wieder schließen und zurück zu Google. Das zweite Ergebnis klingt auch nicht besser, also nehme ich das Dritte. Ein Artikel der Tageszeitung WELT. OK, die Überschrift ist komisch, aber dass die Überschriften besonders reißerisch gewählt sind, um mehr Leser anzulocken, ist ja normal. Also erstmal lesen. Geister. Nahtoderlebnisse. Und dann die steile These:

Das Fundament für die atemberaubende These liefert das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung.

Bitte? Anschließend kommen weitere abenteuerliche Behauptungen von Leuten, die zu ihren Lebzeiten wirklich Physiker waren beziehungsweise noch heute sind. Allerdings heißt ein Abschluss in Physik nicht, dass die wissenschaftlichen Fakten auch wirklich wissenschaftlich sind. So wird unter anderem behauptet, dass die Seele bei einem Nahtoderlebnis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen würde und deshalb ein Licht am Ende des Tunnels gesehen werde. Häh?

Christian Doppler dreht im Grab

Leider werden spannende Fragen nicht beantwortet. Zum Beispiel: Warum sehen nur manche Leute dieses Licht, vor allem die, die entsprechenden Erwartungshaltungen haben? Warum haben sehr viele andere völlig andere Erlebnisse? Was sorgt denn für die Energie, die für die Beschleunigung zuständig ist? Warum konnte man diese bisher nicht messen, wenn es doch alles physikalisch erklärbar sei? Oder ist die Seele masselos? Wenn die Seele masselos wäre, müsste sie ja bereits Lichtgeschwindigkeit haben. Dann kann sie auch nicht beschleunigen. Was hält sie also fest? Wenn die Seele beschleunigt, wie kommt sie dann wieder zurück, nachdem sie den Körper verlassen hat, denn immerhin sind es ja „nur“ Nahtoderlebnisse? Und vor allem: Wenn man sich superschnell fortbewegt, kommt das Licht zwar wirklich von vorne, wie im Artikel behauptet. Aber eben dopplerverschoben. Im Bereich der Lichtgeschwindigkeit knallt harte Gammastrahlung auf uns ein. Vielleicht ist das nicht schlimm, denn so eine Seele hat bestimmt keine DNA, die zerstört werden könnte. Keine Ahnung…

Aber Moment, wir waren ja bei der Verschränkung. Was steht zu diesem Thema in dem Artikel? Irgendwie nicht viel. Einstein habe sie als spukhafte Fernwirkung beschrieben, so viel stimmt. Es stimmt auch, dass der renommierte Prof. Zeilinger diesen Effekt nachwies. Aber eben für Teilchen, nicht für Seelen. Was er aber eigentlich mit Seele zu tun hat, wird leider nicht beschrieben. Stattdessen wird auf Prof. Hans-Peter Dürr verwiesen, der behaupte, dass der Welle-Teilchen-Dualismus allgegenwärtig sei. Der ehemalige Leiter des Max-Planck-Instituts hat das zwar wirklich behauptet, hat aber praktisch keine Forschung betrieben, sondern seine Vorstellung von Religion mit einer völlig verdrehten Physik vermischt. Fragen Sie deshalb bitte nie eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter vom MPI, was sie von Prof. Dürr halten. Weil die Teilchen- und Welleneigenschaften bei Teilchen vorliegen, müsse es auch ein Dualismus aus Körper und Geist geben, so Dürr. Steile These. Hat nur mit Physik nix zu tun. Schon der denklogische Ansatz ist wenig erfolgversprechend.

Die „Weilchen“ und ihre Verschränkung

Zurück zur Verschränkung. Unter ihr wird der Effekt verstanden, dass zwei Teilchen so zusammen wechselwirken, dass sie sich trotz einer Reihe von möglichen Wahrscheinlichkeiten gleich verhalten, solange sie nicht anders wechselwirken. An einem Beispiel wird dies deutlicher. Nehmen wir verschränkte Photonen, also Lichtteilchen. Wir senden diese aus einem Laser ab und lenken sie so, dass sie teils nach links und teils nach rechts in der Versuchsanordnung fliegen. Dieses Licht ist polarisiert, hat also eine gewisse Schwingungsrichtung. Das einzelne Photon weiß aber erst, in welche Richtung es schwingt, wenn es gemessen wird. Auch das hängt allein von einer Wahrscheinlichkeit ab. Klingt komisch, ist aber so, also einfach akzeptieren.

Wir setzen Polarisationsfilter und einen Photonendetektor ein. Trifft ein Photon auf, wird gemessen, ob es durchgeht oder ob es am Filter hängen bleibt. Verschränkte Teilchen haben die Eigenschaft, dass sie dieselbe Polarisationsrichtung aufweisen, obwohl sie beide mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit sich eine andere Polarisation „aussuchen“ könnten. Verschränkte Photonen gehen also entweder gemeinsam durch den jeweiligen Filter, oder sie bleiben beide hängen. Sie machen immer dasselbe. Perfekter Kommunismus, sozusagen. Da dies de facto zeitgleich passiert, kann es sich dabei allerdings nicht um eine Informationsübertragung zwischen beiden Teilchen handeln. Dazu bräuchte es eine unendliche schnelle Kommunikation, was Albert Einstein aber verboten hat.

Die Nichtlokalität der Verschränkung

Die einfachste Lösung dieser Verschränkung: Die Photonen sind einfach Zwillinge. Dazu müsste aber jede Reaktion auf jede Situation „vorprogrammiert“ sein. Und das scheint nur sehr schwer vorstellbar, denn wie sollen diese Informationen gespeichert werden? Zudem widerspricht es auch weiteren Experimenten. Damit kommen wir zur wahrscheinlichsten Erklärung: In der Quantenwelt gibt es keine Lokalität. Die Photonen sind also auf der Quantenebene gar nicht getrennt. Klingt wahnsinnig? Mag sein, aber nicht wahnsinniger als das ein und dasselbe Bakterium durch zwei Spalten geht, weil es überall und nirgendwo ist, solange es nicht gemessen wird. Und es ist eben auch logisch.

Können dann auch Gedanken zwischen zwei Menschen übertragen werden, wie vereinzelte Physiker wie Dürr aus denktheoretischem Ansatz heraus schließen? Gibt es eine Verschränkung zwischen uns und der Umwelt oder gar Gott? Gottesfragen stellen Sie bitte Ihrem Pfarrer/Priester, liebe Leserin, liebe Leser. Eine Verschränkung im Sinne der Quantenphysik ist aber schlichtweg nicht feststellbar und aus Sicht der Theorie verboten. Zwar können quantenmechanische Zustände wie die Polarisation des Lichts miteinander verschränkt sein, wenn die Teilchen mit ihrer Umwelt nicht wechselgewirkt haben. Sofern aber Wechselwirkung auftritt, fällt die Verschränkung zusammen. Dann macht jedes Teilchen, was es (im Rahmen physikalischer Möglichkeiten) will, ohne auf das andere zu achten. Und: Bei der Verschränkung werden ja keine Informationen übertragen, also auch keine Gedanken oder „böse Wörter“, die zu einer Krankheit führen könnten.

Unser Hogwarts an der Oder hat ein Ende

Physiker mit zweifelhaftem Ruf haben es auch an Universitäten teilweise weit gebracht. Das liegt meistens daran, dass sie wirklich hervorragende Abschlüsse und teilweise sogar echte Forschung fertiggebracht haben, ehe sie früher oder später in die Esoterik abgetaucht sind. Die Theoretischen Physiker Harald Atmanspacher und Hartmann Römer haben beispielsweise ernsthafte Physik betrieben. Irgendwann „forschten“ sie dann zu Parapsychologie und entwickelten mit dem Klinischen Psychologen Harald Walach die „Schwache Quantentheorie“. Diese ist auch eine Grundlage der „Quantenheilung“, bei der man sich seine Gesundheit oder eben auch Krankheit „einredet“.

Dabei nehmen sie Begriffe aus der Quantenphysik, insbesondere Komplementarität und Verschränkung, erweitern diese auf die makroskoptische Welt und entfernen dabei den Sinnzweck der Beschreibungen. Eine Verschränkung wie von Walach, Römer und Atmanspacher definiert, hat mit einer quantenmechanischen Verschränkung gar nix zu tun. Zudem gibt es keinerlei ernstzunehmenden, reproduzierbaren Studien, die diese „Theorie“ stützen. Es ist damit also höchstens eine Hypothese und Quanten kann ganz gestrichen werden, da diese bis auf den Begriffsklau kein Thema sind. Schwach passt hingegen. „Schwache Hypothese“ wäre als Begriff aber vielleicht etwas allgemein, wenn auch passend. Walach ist seinen Job am Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), zwischenzeitlich als „Hogwarts an der Oder“ bekannt, zumindest los. Das von ihm geleitete „Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften“ ist nach einigem völlig sinnfreien Arbeiten aufgelöst. Da hat die Verschränkung zwischen ihm und den Entscheidern wohl nicht so gut funktioniert.

Jetzt aber mal ernsthaft, Leute!

Grundsätzlich gilt: Wenn jemand einen Physikabschluss hat, ist die Wahrscheinlichkeit wohl höher, dass er im Bereich der Physik mehr Fachkenntnisse hat als der durchschnittliche Bürger. Er kann aber eben auch völligen Müll reden. Geister? Nahtoderlebnisse? Quantenheilung?

Jetzt mal im Ernst: Physik ist schon ziemlich krass. Sie verbietet nur wenig. Der Tunneleffekt könnte zum Beispiel dafür sorgen, dass Sie durch eine Wand gehen könnten. Es müssen nur alle Teilchen in ihrem Körper zur gleichen Zeit exakt richtig tunneln. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie bis zu ihrem Lebensende jeden Mittwoch und jeden Samstag mit nur einem Feld den 6er mit Zusatzzahl im Lotto abräumen, bei einem Urlaub in Israel zufällig das echte Grab von Jesus Christus finden und einen Außerirdischen nachts in ihrem Garten pinkeln sehen, liegt allerdings um ein vielmillionenfaches höher. Von daher nehmen Sie bitte die Tür.

Dennoch funktioniert die Physik eben nicht beliebig. Sie funktioniert nach klaren Regeln, deren makroskopische Auswirkungen wir schon sehr gut kennen. Auch die Quantenphysik, wie abgedreht sie uns erscheint und wie fern sie von unserer Lebensrealität entfernt ist, funktioniert nach klaren Vorgaben, von denen wir immer mehr verstehen und die wir ausrechnen können. Es ist eben nicht alles beliebig und wir können mit unseren Gedanken die Realität nicht verändern. Warum Quantenheilung und Co. dennoch ab und an „funktionieren“, liegt eben an seit Jahrzehnten bekannten Effekten aus Soziologie und Psychologie, beispielsweise dem Placebo-Effekt.

Das BVerfG und das Nichtheilungsversprechen eines Heilers

Nun könnte man das alles einfach als Hokuspokus und Simsalabim abtun. Wenn Gelder aus öffentlicher Hand in zweifelhafte Institute fließen und Quantenphysik-Unternehmensberater die Arbeitsplätze zahlreicher Menschen gefährden, ist das „nur“ extrem ärgerlich. Aber wenn Apparate für viele tausend Euro Heilung vom Krebs versprechen, weil ein paar LEDs irgendwelche positiven „Schwingungen“ übertragen würden, hört der letzte Spaß einfach auf.

Das Bundesverfassungsgericht hat es einem da auch nicht einfacher gemacht. Es hat entschieden, dass „Geistheiler“ (und ähnliche Lügenbolde) nicht mal eine Ausbildung als Heilpraktiker brauchen. Insbesondere wurde dabei ausgeführt, dass der „Geistheiler“ nur Handauflegen praktiziere und damit eben keine medizinische Behandlung vorgebe. Damit würde er also auch nicht die Gesundheit des Volkes gefährden. Niemand erwarte von einem „(Geist)Heiler“ eine Heilung. Warum denn jemand sonst zu einem „Geistheiler“ geht, wenn nicht „geheilt“ zu werden, verrät das BVerfG leider nicht. Mit derselben Begründung lassen sich auch tausende Euro teure Blinkekästchen und überteuerte Steinchen verkaufen. Wobei das zumindest einen dekorativen Effekt haben könnte…

Wenn das BVerfG nicht hilft, wer dann? Der Gesetzgeber? Er könnte Heilpraktikern, die teilweise ebenfalls solche abgedrehten Methoden anwenden, eine richtige und fachkundige Ausbildung auferlegen. Das fordern sogar viele Heilpraktiker selbst. In diesem Sinne könnte auch der Begriff umgeändert werden, denn die Tätigkeit des Heilpraktikers ist es nicht, zu heilen. Wenn das BVerfG aber die Berufsfreiheit so weit auslegt, dass jemand als „(Geist)Heiler“ auftreten darf, ohne dass damit ein Heilungsversprechen gegeben wird, ist es schwierig für den Gesetzgeber.

Letztlich hilft nur: Aufklärung. Physiker sollten dabei in der Außenwirkung auf eine allzu wissenschaftliche, aber auch auf eine allzu saloppe Formulierung verzichten. Wer ohne Einschränkungen Quantenwellen mit Materialwellen (wie Wasserwellen) gleichsetzt, vereinfacht nicht nur die Physik. Er macht sie vor allem unpräzise und damit möglicherweise beliebig. Wer rätselhaft von Teilchenbeschleunigern spricht, wo wir womöglich in einer 4. Dimension uns völlig unbekannte Dinge erwarten, weckt in einigen Menschen vielleicht allzu seltsame Fantasien aus mehr oder weniger guten SciFi-Filmen. Eine klare und präzise Kommunikation ohne verfälschende Vereinfachungen sind nötig. Und das möglichst schon in der Schule.

Christian Unger

Christian Unger, Baujahr 1984, ist nach Ausbildung und Studium inzwischen im Bankensektor tätig. Seine persönlichen Leidenschaften liegen in ganz anderen Bereichen, beispielsweise in den Bereichen der Wissenschaftsethik, moderne Mythen und Legenden vom Vampir bis zum LSD bei Aufziehbildern sowie aktuelle Fakenews. Als Kolumnist und Autor war der liberale Überzeugungstäter unter anderem beim "jung&liberal", der Huffington Post und bei Mimikama e.V. (Zuerst denken - dann klicken) tätig. Politisch beschäftigt er sich vornehmlich mit der Innen- und Justizpolitik, Digitales und Bildung.

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