Fette Autos – Woher diese kollektive Lust an der Hässlichkeit?

Kolumnist Sören Heim schreibt über die Ästhetik von Automobilen:


Ich kann den Reiz fetter Autos kaum nachvollziehen. Nein, ich bin keiner von denen, die ihre Kritik an der Anwendung einer Technologie aufs Ästhetische übertragen, was man sowohl im Bereich Automobile als auch etwa in der Windkraft beobachten kann. Einmal, weil ich Autos nicht prinzipiell ablehne, auch wenn ich hoffe, dass damit irgendwann nur noch tatsächlich notwendige Strecken gefahren werden. Und dann, weil eine solche Projektion doch sehr durchsichtig ist.

Sportwagen, das kann man verstehen…

Mit fetten Autos meine ich nicht Sportwagen. Viele Sportwagen sind tatsächlich schön. Mancher berührt vielleicht sogar die Sphäre des Erhabenen („Erhaben nennen wir das, was schlechthin groß ist“). In einem guten Sportwagen-Design drücken sich eine Zeit, eine Idee und/oder ein Lebensgefühl aus, manche Reihe lässt sich ähnlich lesen wie das Werk eines Bildhauers oder Malers: Entwicklungslinien werden deutlich, Reaktionen auf den Zeitgeist, aber meist lässt sich auch durchgehend eine grundlegende Handschrift aufspüren. Die rustikale Eleganz der Bugattis, die noch die Traktoren-Herkunft ahnen lassende Brutalität des Lamborghini, die kraftvolle Leichtigkeit des Ferrari, die pragmatische 911er-Halbspindel. Ich würde wahrscheinlich keines dieser Autos jemals fahren, und ebenso wenig einen bezahlbaren Sportwagen aus der zweiten Reihe. Noch nicht mal aus klimaschützenden Erwägungen, sondern einfach mit Blick auf den Geldbeutel. Denn die großen Kosten kommen ja nach dem Erwerb, und was beim Spritverbrauch (und in vielen anderen Situationen) den eigenen Geldbeutel schont, ist „zufällig“ meist auch genau das, was fürs Klima besser ist. Aber ich kann die Schönheit klassischer Sportwagen sehen und verstehen, wenn man einen fahren möchte.

… aber diese gestrandeten Pottwale?

Aber fette Autos? Diese meist schwarzen Mercedes-Limousinen mit einem Arsch wie ein Brauereipferd? Die immer breiter und länger werdenden neuen Audis, bei denen mittlerweile schon die Modelle der Mittelklasse aussehen, als soll darin der Big Boss einer kleinen Diktatur geschützt werden? Und dann die immer gleich aussehenden Pseudo-Geländewagen, sei es von Porsche, von BMW, von Mercedes, oder oder oder? Einen ästhetischen Appeal haben diese Dinger nicht. Sehen aus wie aggressive Pottwale, die die Verschmutzung der Meere an Land getrieben hat, und jetzt wollen sie nochmal so richtig die Sau raus lassen. Das kommt nämlich noch hinzu. Zumindest die Autos aller deutschen Marken kennen derzeit nur noch einen Entwicklungsrichtung: Dicker und aggressiver. Fast überall wird der Kühlergrill in der Höhe immer ausgedehnter, ob A3 oder X3, immer sehen die Teile aus, als würden sie die Fresse verziehen über die Geschmacksverirrungen des Fahrers. Wurden die „Gesichter“ (also die Front) von Automobilen in den Neunzigern noch immer sanfter, setzen sich seit den Nullern und vermehrt in den letzten zehn Jahren wütende Anblicke durch. Mit schräg gestellten Scheinwerfern, die wie nach innen gerichtete Augen wirken, und eben diesem Aggro-Kühler. Dazu die allgemeine Verbreiterung der Karosserie.

Ja, auch das ist letztlich wohl eine ästhetische Reaktion auf die Zeit, auch das drückt ein Lebensgefühl aus. Aber was für ein erbärmliches! Weg da, hier komme ich. Ich mag nicht so hübsch sein wie ein Ferrari, nicht so teuer, vielleicht fresse ich noch nicht so anmaßend viel Benzin. Aber Alter, wenn du nicht rasch zur Seite springst, mach ich dich platt!

Ja, auch der Reiz von fetten Autos lässt sich analytisch erschließen. Nachvollziehen kann ich ihn im Gegensatz zu den Sportwagen nicht. Und ich finde es bedenklich, dass mittlerweile selbst die kleinsten Kleinwagen aus Deutschland „fette Autos“ sein wollen. Wie kann man denn den „Mini“ (BMW) überhaupt guten Gewissens noch „Mini“ nennen? Wollen eigentlich auch die Fahrer solche Gefährte? Oder ist das das letzte wütende Aufbäumen der Designabteilung der Automobilindustrie, und der Deutsche kauft deshalb, weil er es gewohnt ist, deutsche Autos kaufen?

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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