Der Fall Magnitz – Zwischenbilanz
Am Montag gegen 17 Uhr wurde der Bremer AfD-Chef Frank Magnitz Opfer einer Attacke. Die Ermittlungen laufen, die mediale Aufmerksamkeit ist gewaltig. Versuch einer Zwischenbilanz.
Das Opfer selbst, Frank Magnitz, sorgte sehr schnell dafür, dass sein verletztes Gesicht den Weg in die Medien fand. Noch unbehandelt, mit einem blutigen Cut auf der Stirn, ließ er sich fotografieren und das Bild über die Bremer AfD-Seite verbreiten.
Dort hieß es dann:
7. Januar um 23:04 ·
Pressemitteilung
Attentat auf Frank Magnitz, MdB
„Unser Landesvorsitzender und Bundestagsabgeordnete Frank Magnitz ist am Montag von drei vermummten Männern angegriffen worden. Sie lauerten ihm vor dem Theater am Goetheplatz auf, als er den Neujahrsempfang des Weser-Kuriers in der Kunsthalle verließ. Mit einem Kantholz schlugen sie ihn bewusstlos und traten weiter gegen seinen Kopf, als er bereits am Boden lag. Dem couragierten Eingriff eines Bauarbeiters ist es zu verdanken, dass die Angreifer ihr Vorhaben nicht vollenden konnten und Frank Magnitz mit dem Leben davongekommen ist. Er liegt nun schwer verletzt im Krankenhaus.
Der polizeiliche Staatsschutz und die Staatsanwaltschaft Bremen ermitteln, da die Tat politisch motiviert gewesen ist. Wir werden in den kommenden Tagen die Reaktionen der Politiker anderer Parteien genau beobachten. Nicht nur die LINKEN, sondern auch SPD und die Grünen unterstützen die Antifa und ihre Angriffe. Ist es das, was die anderen politischen Kräfte wollen? Ist das Ihr Verständnis von Demokratie? Immer wieder steht die AfD im Fokus linker Angriffe, die von den anderen Parteien nicht verurteilt oder gar unterstützt werden.
Heute ist ein schwarzer Tag für die Demokratie in Deutschland.
Die Polizei sucht dringend Zeugen: Wer hat den Vorfall im Bereich des Goetheplatzes beobachtet? Wer kann Hinweise geben? Zeugen werden gebeten, sich beim Kriminaldauerdienst unter der Telefonnummer 0421 362-3888 zu melden.
Die bisherigen Ermittlungen der Polizei widersprechen dieser dramatisierenden Darstellung in einigen wesentlichen Punkten:
So konnten Videoaufnahmen von Überwachungskameras ausgewertet werden, die laut Polizei den Vorfall recht genau zeigen. Danach wurde weder ein Kantholz noch ein sonstiger Schlaggegenstand eingesetzt. Das Opfer wurde auch nicht getreten, weder gegen den Körper noch gegen den Kopf. Einen couragierten Bauarbeiter, der eingriff hat es nicht gegeben, nur zwei Bauarbeiter, die erst nach der Tat auf das Opfer aufmerksam wurden und die Polizei riefen. Die Behauptung der AfD, die Tat sei politisch motiviert ist bisher weder belegt, noch widerlegt. Insoweit ist auch noch nicht klar, ob es sich um einen „schwarzen Tag für die Demokratie“ handelt oder um eine gewöhnliche Gewalttat, die mit Politik vielleicht gar nichts zu tun hat.
Der brutale, grauenvolle Angriff auf den Bremer AfD-Vorsitzenden Frank Magnitz muss aufgeklärt werden. Jede Form von politischer Gewalt ist scharf zu verurteilen.
schrieb die Publizistin Liane Bednarz auf ihrer Facebookseite. Und ja, Gewalttaten sollte nach Möglichkeit immer aufgeklärt werde. Und ja, auch jede Form von politischer Gewalt ist scharf zu verurteilen.
Grauenvoll?
Aber „Der brutale, grauenvolle Angriff“ ist eine von rund 140000 gefährlichen Körperverletzungen, die es jährlich in Deutschland gibt. Ob es sich im Fall Magnitz überhaupt um eine „gefährliche“ KV handelt, hängt im Wesentlichen davon ab, ob die drei Täter gemeinschaftlich gehandelt haben. Ansonsten wäre es sogar „nur“ eine einfache KV.
Nimmt man die zu den gefährlichen dazu, dann sind es rund 560000 Fälle im Jahr, also rund 1534 pro Tag. Dass dieser Fall nun ein besonders brutaler oder grauenvoller Fall wäre, ist Ansichtssache. Ich sehe das nicht so. Vielleicht habe ich zuviele Opfer gesehen und kann das deshalb differenzieren.
Die wenigsten Opfer von gefährlichen Körperverletzungen sind nach zwei Tagen wieder aus dem Krankenhaus und können Interviews geben. Die wenigsten denken auch auf dem Weg ins Krankenhaus daran, ein Foto ihres Zustandes posten zu lassen und die meisten wären dazu auch gar nicht in der Stimmung oder in der Lage. Die wenigsten können bereits nach zwei Tagen sicher sein, dass ihre Verletzungen ohne Spätfolgen ausheilen. Man könnte also durchaus verbal abrüsten und seelenruhig die Ermittlungsergebnisse abwarten.
Jede Gewalttat – nicht nur politische – sollte schon im Interesse der Opfer aufgeklärt werden und ich kenne persönlich niemanden, der Gewalttaten egal ob sie einen politischen Hintergrund haben rechtfertigt, obwohl es solche Menschen selbstverständlich rechts wie links gibt.
Relativierung tut Not
Ja, das ist – wie mir vorgeworfen wurde – eine Relativierung der Tat, aber es ist eine notwendige Relativierung.
Das gesamte Strafrecht besteht aus Relativierungen. Es ist eben ein Unterschied, ob jemand eine fahrlässige Körperverletzung begeht oder eine vorsätzliche. Es ist ein Unterschied, ob jemand eine einfache oder eine gefährlich Körperverletzung begeht. Es ist ein Unterschied, ob jemand eine gefährliche Körperverletzung begeht oder einen Totschlag und es ist ein Unterschied, ob jemand einen Totschlag oder einen Mord begeht. Die Unterschiede hat der Gesetzgeber bereits in den jeweiligen Strafrahmen getroffen. Und es sind auch nicht nur, wie Herr Magnitz meint, semantische Unterschiede, es sind juristische, die durchaus ihren Sinn in einem unterschiedlichen Unrechtsgehalt oder einer erhöhten Gefährlichkeit einer Tat haben.
Diese Unterschiede herauszuarbeiten ist Aufgabe der Justiz. Und es ist die Aufgabe der Ermittlungsbehörden, die Täter zu suchen, den genauen Tatablauf zu rekonstruieren, die Motive zu eruieren, die Verletzungen und deren mögliche Spätfolgen festzustellen und dann im Idealfall den oder die Tatverdächtigen wegen einer nachweisbaren Tat anzuklagen und in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu einer angemessenen Strafe zu verurteilen.
Schauen wir mal auf den rechtlichen Teil. Magnitz wurde von hinten „angesprungen“ im Schulter-Kopf-Bereich mit dem Ellbogen gestoßen, kam dadurch zu Fall und verletzte sich durch den ungebremsten Sturz. Das ist vom äußeren Tatgeschehen her jedenfalls schon mal eine Körperverletzung.
Wäre das berühmte Kantholz als Schlagwaffe eingesetzt worden, dann wäre es, wegen der erhöhten Verletzungsgefahr auch eine gefährliche Körperverletzung.
§ 224
Gefährliche Körperverletzung
(1) Wer die Körperverletzung
1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4. mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5. mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
Nun, ohne Kantholz oder sonstiges Werkzeug kann es auch noch eine gefährliche Körperverletzung wegen eines hinterlistigen Überfalls oder wegen einer gemeinschaftlichen Begehung sein.
Auch wenn es komisch klingt, alleine die Tatsache, dass der Angriff von hinten erfolgte begründet noch nicht das Tatbestandsmerkmal der Hinterlist.
Ein Überfall ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht schon dann hinterlistig, wenn der Täter für den Angriff auf das Opfer das Moment der Überraschung ausnutzt, etwa indem er – wie hier – plötzlich von hinten angreift. Hinterlist setzt vielmehr voraus, daß der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht gerichteten Weise vorgeht, um dadurch dem Überfallenen die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und eine Vorbereitung auf die Verteidigung auszuschließen, beispielsweise durch Entgegentreten mit vorgetäuschter Friedfertigkeit oder indem er sich vor dem Opfer verbirgt und ihm auflauert oder sich anschleicht (BGHR StGB § 223a Abs. 1 [a.F.] Hinterlist 1; BGH GA 1969, 61, 62; NStZ 2001, 478; BGH, Urt. vom 15. Oktober 1963 – 1 StR 326/63; Beschluß vom 15. Juli 2003 – 1 StR 249/03; siehe auch RGSt 65, 65, 66). https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/04/1-62-04.php
Bleibt als das Tatbestandsmerkmal „gemeinschaftlich“.
Hier nähern sich drei Menschen von hinten, von denen allerdings nur einer gewalttätig wird. Wenn das ein von allen Dreien beabsichtiger Plan war, also eine gemeinsamer Tatentschluss vorliegt, dann war das eine gemeinschaftliche Tat und damit eine gefährliche Körperverletzung. Wenn die beiden anderen allerdings nicht wussten, dass der Dritte einen Menschen anspringen und zu Fall bringen wollte, dann war es keine gemeinschaftliche Tat und damit auch keine gefährliche Körperverletzung.
Auf dem gestern zu Fahndungszwecken veröffentlichten Video sieht man allerdings, dass die Personen sich unmittelbar vor dem Angriff gleichzeitig die Kapuzen ins Gesicht ziehen, was für ein gemeinsames Vorgehen spricht.
Es ist auch keine schwere Körperverletzung i.S.d.
§ 226
Schwere Körperverletzung
(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person
1. das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2. ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3. in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
Weil Magnitz keine der dort vorausgesetzten Verletzungen erlitten hat.
In der juristischen Bewertung handelt es sich also um ein Allerweltsdelikt. Und nur der Prominenz und der Stellung des Opfers als Politiker ist die Tatsache geschuldet, dass eine 20-köpfige Sonderkommission gebildet wurde, die nun jeden Stein umdrehen wird, um die Täter zu finden. Das ist aber in diesem Fall durchaus berechtigt und wünschenswert. Wäre es zwar eigentlich bei jedem Fall, aber rechnen Sie mal durch, wieviele Beamte man bräuchte um jede Körperverletzung mit 20 Mann zu verfolgen.
Neben der juristischen gibt es noch die mediale Aufarbeitung des Falles. Und die ist bisher eher suboptimal verlaufen. Statt ganz entspannt die Arbeit der Ermittlungsbehörden abzuwarten, wurde der Fall in einem Maße hochgejazzt, das seine tatsächliche Bedeutung bei weitem übersteigt. Aber das ist ein anderes Thema.
Narrative leben länger
Warum nun Herr Magnitz und die AfD auch nach Veröffentlichung des Videos an der Mordanschlagstheorie durch Antifaschisten festhalten, ist relativ einfach. Das Netz vergisst nie und immer wenn jemand nun AfD und Mordanschlag googelt, landet er bei den entsprechenden Veröffentlichungen. Narrative leben länger.
Die übrige Medienlandschaft, einschließlich der sozialen Medien und der dort kommentierenden Journalistinnen und Journalisten, sollten sich aber vielleicht mal eine Weile zurückhalten.
Es ist nicht besonders sinnvoll, nun dem heiligen Spekulatius täglich neue Rauchopfer darzubieten. Ja, kann sein und ist auch nicht unwahrscheinlich, dass die Tat einen politischen Hintergrund hatte. Ob der nun ein rechter oder linker Hintergrund ist, weiß man nicht. Es kann auch sein, dass jemand aus persönlicher Betroffenheit gehandelt hat und das die Tat zwar mit der Person Magnitz, aber gar nichts mit seinen politischen Aktivitäten zu tun hat. Das kann finanzielle oder ganz andere Hintergründe haben. Man weiß es einfach noch nicht und weil man es nicht weiß, kann man auch einfach mal seinen Senf auf eine andere Wurst streichen.
Von AfD-affinen Personen wurde bereits die Behauptung aufgestellt, die Veröffentlichung des Videos habe so lange gedauert, weil es erst noch habe gedreht werden müssen. Tja, wer so etwas glaubt, der glaubt auch andere Sachen. Wer einmal Mordversuch im Kopf hat, glaubt natürlich weder den „Systemmedien“ noch den „Systembehörden“. Das ist schon irre, dass die geforderte Veröffentlichung des Überwachungsvideos nun als Beweis für die Mordtheorie herangezogen wird, obwohl es diese suaber widerlegt.
Außerdem wird ebenfalls aus diesen Kreisen das auf indymedia veröffentlichte „Bekennerschreiben“ als authentisch und als Beweis für einen Angriff „der Antifa“ angesehen. Jeder glaubt halt, was er glauben möchte. Dass auf indymedia jeder, also nicht nur Linke, sondern auch Recht oder Identitäre oder unpolitische Irre etwas veröffentlichen können, wird dabei ausgeblendet. Vom Stil her spricht wenig für eine Authentizität des Schreibens, denn dass Antifaschisten das Wort „rassistisch“ nicht richtig schreiben können, mag ich nicht glauben. Aber wer weiß das schon. Und weil es niemand weiß, wird die Polizei und die Staatsanwaltschaft auch hier weiter ermitteln und ich wüsste im Moment keinen Grund, warum ich die Seriosität dieser Ermittlungen anzweifeln sollte.
Gerade dass offen in alle Richtungen ermittelt wird, unterscheidet sich doch wohltuend von den voreilig einseitigen Festlegungen der Behörden bei den sogenannten „Dönermorden“, bei denen man jahrelang halbblind ermittelt hat.
Es gibt also viele Gründe, sich zu entspannen. Die Demokratie geht von dieser Tat nicht unter und der Rechtsstaat erst recht nicht. Der macht seinen Job.