Drei und ein Liebesgedicht

Seit Wochen ist es heiß, und Kolumnist Henning Hirsch liest heute lieber Bukowski als politische Hasskommentare


Der Sommer ist heiß, ich schwitze tagsüber, wälze mich nachts im Bett, höre den Mücken zu, wie sie um mich herum schwirren, bevor sie zur Landung ansetzen, zähle morgens die Einstiche, der Kaffee kälter als die Temperatur in meiner Küche, duschen verschafft Linderung für maximal dreißig Minuten, dann klebt das Hemd schon wieder wie Neopren am Oberkörper. Ich bewege mich langsam, esse wenig – allerdings zu viele Zitronenbällchen in der Eisdiele Belluno –, schütte literweise Wasser, Coke Zero, Grapefruitlimo in mich rein, denke jenseits der 35 Grad bloß noch im Zeitlupentempo, habe Mühe, mehrere zusammenhängende Sätze aneinanderzureihen, stelle Wortfindungsschwierigkeiten bei mir fest. Eigentlich sollte die Republik für sechs Wochen komplett schließen und ans Meer fahren. Aber wir Kolumnisten lassen uns ja vom Wetter – oder ist es das Klima? Komme da ständig durcheinander – nicht unterkriegen und hauen sogar unter extremen Witterungsbedingungen unsere Texte raus.

Sie wollen heute mal wieder einen politischen Beitrag von mir lesen, damit Sie sich im Anschluss in den Kommentarspalten so richtig auskotzen können? Ich muss Sie enttäuschen. Jetzt gerade ist mir mehr nach Liebesgedichten. Über die können Sie sich gerne ebenfalls auskotzen, wobei ich vermute, dass Sie einen Jambus nicht von einem Trochäus unterscheiden können, und Songtexte von DJ Ötzi für hohe Poesie halten.

Bukowski liegt schon lange unter der Erde

Vor drei Tagen hatte übrigens Bukowski Geburtstag. Ja ja, ich weiß, dass der schon seit zweieinhalb Jahrzehnten unter der Erde liegt. Wäre sein 98ster gewesen. Geboren am 16. August 1920 im beschaulichen Andernach, malerisch gelegen am Fuß der Vulkaneifel mit schönem Blick über den Rhein, der hier Stromkilometer 612 durchfließt, auf die am jenseitigen Ufer schroff ansteigenden Hügel des Westerwalds. Als Sohn eines polnischstämmigen US-Besatzungssoldaten und der reizenden Bürgerstochter Katarina Fett. 1923 bestieg die kleine Familie in Bremerhaven ein Schiff – Namen des Kahns habe ich vergessen – und übersiedelte nach Los Angeles, wo der Autor den Großteil seines restlichen Lebens verbrachte. An Ort und Haus seiner Geburt, in dem heute ein Karnevalsshop untergebracht ist, kehrte Bukowski erst in den späten 70ern für eine kurze Stippvisite zurück. Der alten Heimat verbunden blieb er vor allem durch den Kontakt zu seinem Onkel Heinrich – Bruder der Mutter –, der ihm jede Weihnachten einen Kasten Müller-Thurgau (lieblich) aus dem Ahrtal nach East Hollywood schickte.

Bukowskis Œuvre ist gewaltig: vierzig Bücher und Bände mit Short Stories und Gedichten entstanden im Zeitraum von 1960 bis 94. Hinzu kommen drei Romane, von denen der erste  Der Mann mit der Ledertasche (1971) mein persönlicher Liebling ist.

Bei all seiner vordergründigen Misanthropie, Bärbeißigkeit und offenkundigem Hang zu Alkohol und schnellem Sex hat er wunderschöne Liebesgedichte hinterlassen, von denen ich nun drei vorstellen werde. Auf Englisch, weil Sprachmelodie und Gedanken im Original klarer herauskommen als im Deutschen. Wäre heute ohnehin zu faul, die Texte zu übersetzen. Kolumnistentum ist übrigens unbezahlte Arbeit am Wochenende. Wussten Sie das überhaupt?

3 love poems

LAYOVER
Making love in the sun, in the morning sun
in a hotel room
above the alley
where poor men poke for bottles;
making love in the sun
making love by a carpet redder than our blood,
making love while the boys sell headlines
and Cadillacs,
making love by a photograph of Paris
and an open pack of Chesterfields,
making love while other men – poor fools –
work.

That moment – to this …
may be years in the way they measure,
but it’s only one sentence back in my mind –
there are so many days
when living stops and pulls up and sits
and waits like a train on the rails.
I pass the hotel at 8
and at 5; there are cats in the alleys
and bottles and bums,
and I look up at the window and think,
I no longer know where you are,
and I walk on and wonder where
the living goes
when it stops.

Liebe auf einem Teppich roter als unser Blut, hat was. Starkes Bild.
Uns lieben, während andere – arme Idioten – arbeiten müssen: Die kalifornische Art und Weise, La dolce vita zu sagen.

RAW WITH LOVE
Little dark girl
kind eyes
when it comes time to
use the knife
I won’t flinch and
I won’t blame
you,
as I drive along the shore alone
as the palms wave,
the ugly heavy palms,
as the living does not arrive
as the dead do not leave,
I won’t blame you,
instead
I will remember the kisses
our lips raw with love
and how you gave me
everything you had
and how I
offered you what was left of
me,
and I will remember your small room
the feel of you
the light in the window
your records
your books
our morning coffee
our noons our nights
our bodies spilled together
sleeping
the tiny flowing currents
immediate and forever
your leg my leg
your arm my arm
your smile and the warmth
of you
who made me laugh
again.
Little dark girl with kind eyes
you have no
knife. The knife is
mine and I won’t use it
yet.

Hat er sie getötet?
Sie ihn?
Er sich selbst, nachdem die Liaison endete?
Dient das Messer einzig dazu, das Band der Liebe zu zerschneiden?

Dein Lächeln und die Wärme, die mir ein Lachen auf die Lippen zaubern: Wunderschöne Liebeserklärung.

FOR JANE
225 days under grass
and you know more than I.
They have long taken your blood,
you are a dry stick in a basket.
Is this how it works?
In this room
the hours of love
still make shadows.

When you left
you took almost
everything.
I kneel in the nights
before tigers
that will not let me be.

What you were
will not happen again.
The tigers have found me
and I do not care.

Nach 225 Tagen unter Dauerstrom verlässt sie ihn Hals über Kopf. Und er, alleine zu Hause in der ausgeräumten Wohnung sagt: „In diesem Raum werfen die Stunden unserer Liebe immer noch lange Schatten“: Wow!  Prägnanter kann man Schmerz und Leere nicht ausdrücken.
„Die Tiger haben mich gefunden, und mir ist es egal.“ Genau so fühlt sich Liebeskummer an, der einer mittelschweren Depression gleicht.

Ich möchte die Gedichte weder langatmig interpretieren, noch totanalysieren, sondern einzig auf mich wirken lassen. Wer noch über einen letzten Rest Empathie verfügt, spürt, dass sich hinter dem ganzen Dreck, dem Suff, dem häufig miesen Lyrischen Ich ein hochsensibler Mann verbirgt, der zeitlebens auf der verzweifelten Suche nach Nähe war. Ein kalifornischer Steppenwolf. Ein LIEBENDER! Es ging ihm niemals darum, sich in billigen Absteigen von fetten Nutten das Gehirn aus dem Schädel vögeln zu lassen; er will uns mit diesen grellen Bildern bloß das Dasein mit all seiner Härte zeigen. Niemand beschrieb den tristen Alltag der Menschen und ihre widersprüchlichen Gefühlslagen so exakt wie der misanthrope Schriftsteller aus East Hollywood. Wenn ihn der Blues packte – und der hätte ihn heute bei all den Trumps, Johnsons, Le Pens, Salvinis und Gaulands ganz sicher gepackt –, zog er sich in sein kleines Arbeitszimmer zurück und dichtete die Nächte durch. Von ihm stammt das Bonmot:

Das Leben ist eine Illusion, hervorgerufen durch Alkoholmangel.

Noch ein Gedicht

Zum Schluss noch ein (Liebes-?) Gedicht aus meiner Feder:

TACHYKARDIE
Wenn du liebst … richtig liebst
Herzrhythmusstörungen … Tachykardie
Magen verkrampft … in die Toilette gekotzt
Schweißausbrüche bei minus 20 Grad
spring aus dem Bett und hau ab
ihr Lächeln spiegelt in jeder Pfütze
alle Stimmen sind ihre Stimme
du kannst keinen anderen Mund küssen
pack deine Sachen und verschwinde

Die Welt ist voller Russinnen,
Griechinnen, Äthiopierinnen
schau dir die vollen Lippen an
sieh, wie ihre Brüste trommeln
im Takt der Meteoreinschläge
stell den Koffer ins Hotelschließfach
tanz mit dir selbst
lass keine an dich ran
sei wie Packeis an Grönlands Küste

Die Milchstraße wie ein Supermarkt
lerne zu kaufen
biete dich an
gib, nimm … nimm, gib
verhandele
laufe, kämpfe
trinke, esse, verdaue
mach es dir nicht in fremden Kissen bequem
fahr mit einer Harley durch die Kalahari

Wenn du liebst … richtig liebst
musst du immer auf der Flucht sein
Glut erkaltet
Lächeln gefriert
Sex fade wie Tütensuppe
Schwäche wird sofort bestraft
verlass das Haus
atme tief ein und aus
weine erst, sobald du alleine bist

Und nun stoppe ich abrupt, weil mir nichts Gescheites mehr einfällt, und ich vor lauter Tipperei vergessen habe, zu duschen, mir die Zähne zu putzen, und Brötchen muss ich auch noch an der Tankstelle kaufen.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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