Frauenbeauftrage vs. Nationalhymne – Eine Kolumne der Befindlichkeiten

In dieser spontan eingeschobenen Folge der „Hörmal“-Kolumne setzt Ulf Kubanke sich mit der Diskussion „weibliche Gleichberechtigung vs. patriarchalisches Nationalgefühl“ auseinander, entlarvt beide Seiten als selbstbezogen und unterbreitet einen ganz eigenen Vorschlag zur Lösung.


1. Als jemand, der tagtäglich über Kunst schreibt und dem der Geist des Urhebertums nahe liegt, halte ich insgesamt wenig von der moralpanischen Mode, heutige Sprache in von Autoren im Original getextete Zeilen und längst vollendete Werke eingreifen zu lassen.
Das ist für mich allerdings keine Genderfrage, sondern eine kulturelle. Mein Credo: „Willste was ändern? Na, super. Dann schreib dein eigenes Piece of Art oder sei der Autor des in Rede stehenden Stücks.“ Alles andere ist verfälschender Pfusch, gerechtfertigt nur durch die breite Brust des jeweiligen Zeitgeistes.

Im Grunde spricht mithin nichts dafür, historische Dokumente aus ihrer Zeitgeschichte per Vorschlaghammer heraus zu brechen. Denn sie sind Boten einer Vergangenheit, aus der man nur lernen kann, wenn man sie authentisch als Dokument belässt. Warum nicht gleich die Höhlenmalerei umpinseln, weil da ja nur Männer auf der Jagd waren und nur Frauen an der Feuerstelle kochten?

Nein, jedes Ding atmet den Hauch seiner jeweiligen Ära; auch die unsrigen Bücher, Filme, Lieder etc. Alles baut dialektisch aufeinander auf per These, Atithese und Synthese. Wer diesen dokumentarischen Fluss trocken legt, verhindert Herleitung und Analyse.

Ein Beispiel: Im quicklebendigen Jazzroman „Young Man With A Horn“ etwa wimmelt es (geschrieben 1938) von zeitgenössischer Straßensprache voller „Coons“, „Kikes“ und „Krauts“.

Bei Bukowski ebenso. Wollen wir die auch allesamt umschreiben, weil das Publikum angeblich unfähig sei, Inhalte im Kontext seiner Zeit wahr zu nehmen?

Songs – auch die Nationalhymne – samt ihrer Zeilen sind somit immer Ausdruck der jeweiligen Entstehungsepoche – Quasi Museen in Note und Wort.

Doch hier kommt folgendes hinzu:

2. Gleichwohl habe ich natürlich großes Verständnis, wenn man als Frau zum obigen Beispiel sagt:

Ok, fuck you. Das ist patriarchalischer Schnee von vorgestern. Wir wollen auch dem sich stetig ändernden Fluss der Sprache in diesem Symbol ethisch Rechnung tragen und uns hier endlich repräsentiert und rspektiert fühlen.

Das ist ja legitim. Womöglich sogar überfällig. Keine Frage. Denn unser heutiger Horizont ist weiter als jener vergangener Jahrhunderte.

Problem des nur ein bisschen schwangeren Vorschlags der Frauenbeauftragten:

Warum denn überhaupt an Museumsstücken festhalten und herumdoktern, statt einfach eine komplett neue Hymne zu schreiben, oder zu erwählen? Tradition ist doch eh nur die Illusion der Permanenz. Dann sich doch lieber ganz vom in vielerlei Hinsicht überkommenen Lied trennen und das Stück unangetastet ins Museum verfrachten.

Ist ja vielleicht ohnehin eine gute Idee, einen Track ad acta zu legen, zu dessen Melodie nicht nur die jetzige Fußballmannschaft ins Pariser Stadion einmarschiert, sondern bereits deren Großeltern mit Panzer und Knobelbecher. Aber natürlich hat man diese Sensibilität nur für sich und die eigenen Befindlichkeiten (eigenes Geschlecht hie oder eigenes Nationalgefühl dort) und nicht für andere und diesen dekadenlangen Fauxpas. Schon klar. Wohlfeiler geht es doch kaum.

Dabei gäbe es genug würdige Songs da draußen im Orbit, die das Deutschlandlied ersetzen könnten.
…Hauptsache nix von Naidoo.

Mein persönlicher Liebling – weil ganz ohne von allen Seiten meckernde Menschen und sehr nordisch ist Brels „Mijn Vlakke Land“. Dazu existiert sogar eine deutsche Textfassung, übersetzt von Hildegard Knef.

Was wäre Euer Vorschlag?

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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