Fluch und Segen der Verjährung

Im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen den Regisseur Dieter Wedel spielt insbesondere die Frage der Verjährung eine wesentliche Rolle. Ein Anlass, sich mit dem Thema Verjährung einmal etwas intensiver zu beschäftigen.


Mit Ausnahme der Wurst, die bekanntlich zwei hat, hat alles einmal ein Ende, auch die Strafverfolgung. Nach Ablauf bestimmter Fristen ist eine Strafverfolgung gesetzlich ausgeschlossen. Das mag man bedauern, weil damit ein möglicherweise begangenes Unrecht nicht mehr gesühnt werden kann.

Die Verjährung ist aber dennoch eine sinnvolle und kaum verzichtbare Einrichtung. Die Verjährung ist der Verzicht des Staates auf Ahndung und Anordnung von Maßnahmen wegen Straftaten, die so lange zurückliegen, dass kein Strafbedürfnis mehr besteht oder ein faires Strafverfahren wegen des Verlusts oder der schleichenden Entwertung von Beweismitteln unmöglich erscheint.

Die Verjährung ist in § 78 StGB wie folgt geregelt:

§ 78 Verjährungsfrist

(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht.

(3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjährungsfrist

1.

dreißig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind,

2.

zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind,

3.

zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind,

4.

fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind,

5.

drei Jahre bei den übrigen Taten.

(4) Die Frist richtet sich nach der Strafdrohung des Gesetzes, dessen Tatbestand die Tat verwirklicht, ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind.

Alles außer Mord

Alle Straftaten, mit Ausnahme des Mordes verjähren also irgendwann einmal.

Neben der Frage, wie lang die Verjährungsfrist ist, ist mindestens ebenso wichtig zu wissen, wann die Verjährung beginnt. Denn davon hängt ab, wann die Verjährung endet und eine Tat unverfolgbar wird.

Normalerweise beginnt die Verjährung sofort nach Beendigung der Tat zu laufen. Nur wenn der Erfolg der Tat erst später eintritt, dann gilt der Zeitpunkt des Erfolgseintritts als Starttermin.

Auf das Alter kommt es an

Nimmt man also zum Beispiel – wie im Fall Wedel – eine Vergewaltigung, dann betrüge die Verjährungsfrist wegen der Strafdrohung 20 Jahre. Wenn die Tat also im Jahr 1996 begangen worden wäre, dann wäre sie im Jahr 2016 verjährt. Allerdings nur, wenn das Opfer zur Tatzeit bereits 30 Jahre alt gewesen wäre. Wer also im Jahr 1996 eine 30-jährige oder ältere Frau vergewaltigt hat, kann sich entspannt zurücklehnen. Da läuft strafrechtlich nichts mehr.

Wedels vermeintliches Opfer war im Jahre 1996 allerdings erst 27 Jahre alt. Und da ist die Verjährung eben noch nicht eingetreten. Sie tritt erst 2019 ein, falls denn nicht vorher ein erstinstanzliches Urteil gesprochen würde.

Gemäß § 78b StGB ruht nämlich die Verjährung, d.h. sie beginnt noch nicht zu laufen, bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers bei Straftaten nach den §§ 174 bis 174c, 176 bis 178, 180 Absatz 3, §§ 182, 225, 226a und 237 StGB.

Eine seltsame Regel

Diese Vorschrift ist relativ neu. Sie wurde erst aufgrund des Fünfzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 04.11.2016 (BGBl. I S. 2460), in Kraft getreten am 10.11.2016 – eingeführt. Besonders durchdacht und klug erscheint sie mir nicht.

Mit dieser Verjährungsverschiebung soll den Opfern von Sexualstraftaten, die zwar nicht immer, aber häufig zu traumatisiert sind, um die Taten anzuzeigen oder als missbrauchte Kinder noch mit dem Täter unter einem Dach leben müssen, die Gelegenheit gegeben werden, die Taten erst zu einem späteren Zeitpunkt anzuzeigen. Das ist auf jeden Fall gut gemeint.

Ob es auch wirklich gut ist, ist eine andere Frage. Zum einen schafft man zwei Gruppen von Opfern mit unterschiedlichen Verjährungsfristen, zum anderen ist mir nicht so ganz klar, warum ein Täter, der an einem Tag eine 25-jährige und eine 30-jährige vergewaltigt, nach 20 Jahren nur noch wegen der ersten Vergewaltigung, nicht aber wegen der zweiten verfolgt werden können soll. Erklären Sie das mal dem älteren Opfer. Der Unrechtsgehalt der Taten ist identisch, aber trotzdem soll nur einen Tat bestraft werden können? Das ist ein merkwürdiges Ergebnis.

Einfach abschaffen?

Es gibt deshalb Stimmen, die die Verjährung für Vergewaltigung komplett abschaffen wollen. Vergewaltiung sei genauso schlimm wie Mord, wird da zum Teil argumentiert. Das halte ich allerdings für mindestens übertrieben. Man mag über eine Verlängerung der Verjährungsfrist diskutieren, aber auch da rate ich zu Vorsicht.

Der Tatnachweis bei Sexualdelikten ist selten einfach, schon wenn sie unmittelbar angezeigt werden. Das liegt in der Natur der Sache, da bei der Tat, die ja meistens im privaten Bereich stattfindet, außer dem Opfer selten einmal Zeugen zur Verfügung stehen. Geständnissse sind da eher selten. Und nicht immer läuft – wie im Fall Gina-Lisa . eine Videokamera mit. Selbst wenn es Spuren, wie Verletzungen oder Spermanachweise gibt, bedeutet das ja nicht zwingend, dass der Geschlechtsverkehr erzwungen wurde oder gegen den Willen des Opfers stattfand. Die Geschmäcker sind auch beim Sex verschieden. Das wird nach 30, 40 oder 50 Jahren nicht leichter nachzuweisen sein. Ergebnis wären Freisprüche in Serie und dadurch erneut eine Traumatisierung der tatsächlichen Opfer. Damit täte man den Opfern bestimmt keinen Gefallen.

Und auch für Beschuldigte stellt eine ellenlange Ausdehnung der Verfolgungszeit ein gewaltiges Problem dar, was das Beschaffen von Beweisen für die Unschuld angeht. Gerade wenn gar nichts passiert ist, gibt es für den Beschuldigten ja auch gar keinen Grund, seine Erinnerung über ein halbes Jahrhundert zu konservieren. Vielleicht hatte der Lehrer unmittelbar nach einer Anzeige noch die SMS oder Whatsapp-Nachrichten seiner Schülerin, die ihm droht, ihn anzuzeigen, wenn er ihr keine gute Note gibt. Aber wer behält so einen Bullshit über Jahrzehnte?

Das Mediengericht urteilt

Es ist schon schlimm genug, wenn Beschuldigte vor Eintritt der Verjährung in der Öffentlichkeit durch einen medialen Prozess ohne jegliche Kontrolle verurteilt werden. Wer kann sich schon leisten, gegen eine Vielzahl von Medien mit den Mitteln der Justiz und einem teuren Medienanwalt vorzugehen. Und selbst wenn er es kann, wird auch über diese Verfahren berichtet und der Verdacht in den Köpfen der Medienkonsumenten solange verdichtet, bis die öffentliche Verurteilung sozusagen rechtskräftig ist.

Fragen Sir einmal Jörg Kachelmann, wie so etwas die Existenz vernichtet.

Ja, es ist wichtig und richtig über Sexualstraftaten zu berichten. Und es ist auch gut, wenn Opfer, die – aus welchen Gründen auch immer – jahre- und jahrzehntelang geschwiegen haben, nun im Rahmen der #metoo-Bewegung den Mut finden, zu reden. Es besteht allerdings auch die Gefahr, dass dieses „Ich auch“ und seine mediale Wirkung Trittbrettfahrerinnen auf den Plan ruft oder auch Personen, die mit falschen Erinnerungen hantieren. Bei Tatzeiten im letzten Jahrtausend ist das zunächst einmal ganz schwer auseinanderzuhalten. Ergebnis von #metoo darf nicht sein, dass jede Beschuldigung mit einem Wahrheitsbeweis gleichgesetzt wird. Nicht jede Frau ist Opfer und nicht jeder Mann ist Täter.

So wie jedes Opfer die Chance haben muss, das was ihm angetan wurde zu äußern, so muss der Beschuldigte die Gelegenheit haben, sich angemessen zu verteidigen. In einem Strafprozess ist das wegen der Unschuldsvermutung und einer Strafprozessordnung, die die Rechte des Beschuldigten wahrt, trotz medialer Vorverurteilung immerhin noch möglich. Wenn aber der BILD- oder ZEIT-Gerichtshof spricht, dann bleibt dem Beschuldigten kaum eine Chance. Für die Presse ist das nicht leicht, denn natürlich erhält man mit möglichst spektakulär aufgemachten Beschuldigungen gegen Prominente eine gute Quote.

Das darf aber nicht dazu führen, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, die Presse sei die Instanz, die über Schuld und Unschuld zu befinden hat. Das ist weder sie, noch die Politik oder eine Bewegung, so gut sie auch gemeint sein mag. Dass es in der richtigen Justiz gelegentlich zu Freisprüchen kommt, liegt nicht – wie häufig vermutet – an einem übertriebenen Täterschutz, sondern daran, dass die Frage, ob jemand tatsächlich ein Täter ist, da eben erst am Ende einer regelgerechten Beweisaufnahme steht und nicht in großen roten Buchstaben gleich am Anfang.

Gerade bei vermeintlichen Straftaten aus grauer Vorzeit, bei denen der Beschuldigte infolge der Verjährung strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden kann und damit auch nicht mehr die Möglichkeit auf einen ordentlichen Freispruch hat, sollten die Medien mehr als vorsichtig sein, mit dem was sie so veröffentlichen. Und sie sollten stets wirklich deutlich machen, dass das, was sie da tun, keine Rechtsprechung, sondern nur eine Verdachtsberichterstattung ist. Dazu reicht es nicht, den Begriff „mutmaßlich“ mit einem hinzugedachten „bitte nicht ernst nehmen, wir müssen das dazu schreiben“ zu verwenden. Gerade ein Prominenter, aber auch jeder andere Mensch, kann durch eine solche Berichterstattung existenziell vernichtet werden. Das darf nicht geschehen. Schon gar nicht, wenn die Tat längst verjährt ist.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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