Tango tanzende Jünglinge III. Teil: Von Saló nach Treblinka

Haß auf und Gewalt gegen andere, lenken ab von den wahren Verursachern von Haß und Gewalt. Teil III von Wolfgang Brosches Kolumne über DeSade und seine Bezüge zur aktuellen Politik.


Das enrichissez-vous- Versprechen des kapitalistischen Endstadiums, das uns die Neoliberalen einflüstern – die ja auch nur die alten Manchesterkapitalisten sind, bloß besser designed, wie man auf den Wahlplakaten der FDP sehen konnte – und die Gerechtigkeitsversprechen der Sozialdemokraten und Sozialisten sind natürlich Camouflage. Es geht in jedem Fall um die Steigerung des Mehrwertes durch Verbrauch von allem und allen.

Wie selbst Marx in diese kapitalistische Logik verstrickt blieb, hat der englische Politologe Ronald Sampson in seinem Vorwort zu Tolstois „What then must we do?“ sehr klar beschrieben:

Indem die Produktion zum übergeordneten Ziel wurde, glich Marx´ ideologisches System dem kapitalistischen. Unbegrenztes Wachstum und Erweiterung der Produktion wurden zum Ideal.“

Unsere ganze Gesellschaft ist in jeder Facette ihres Denkens darauf ausgerichtet, Produktivität und Effektivität ins Unendliche zu steigern. Mitgefühl und Kooperation sind nur Bordüre und enden höchstens in Charity, die ja den caritativen Charakter in seiner Grandiosität und seinen Allmachtswünschen befriedigt.

Jene, die sich darauf konzentrieren, Produktivität um jeden Preis zu maximieren, haben aufgehört, den Menschen in seiner Ganzheit zu sehen und als ein Wesen dessen Hauptanliegen der Sinn des Lebens ist. Stattdessen haben sie ihn auf den Status eines unerläßlichen Produktionsteils reduziert.

(R. Sampson, Vorwort zu Leo Tolstois „What then must we do?” Bideford: Green. 1991- zitiert nach Arno Gruen, Der Verlust des Mitgefühls. 4. Auflage 2001 S. 168 und 169)

Um dieses Ziel der Ausbeutung jedes kleinsten „Produktionsteiles“ zu erreichen, müssen die Herren bei deSade am Ende also ihre Objekte in Teile zerstückeln, um auch noch den letzten Lustgewinnen daraus zu ziehen.

Das Ziel des immerwährenden Konsumismus – und der dafür nötigen ausbeuterischen Produktion – muß natürlich schmackhaft gemacht werden durch jene Versprechen hierarchischer Teilhabe; aber die Teilhabe ist Täuschung: es geht nur um Hierarchie.

Die fälschlich Populisten genannten Verweser dieser neoliberalen Versprechen, die neuen und alten Rechten, haben noch nicht einmal Scheinversprechen, die wenigstens ab und zu satt machen, sondern nur die Hohlformeln von Volk und Vaterland, der überlegenen Kultur oder Rasse.

Wer meint, mit den falschen Versprechungen der von den Einflüsterern gar nicht gewollten Teilhabe am System des Konsumismus, die auch wieder nur den gesteigerten Konsum befördern sollen (getarnt als Gerechtigkeitsdebatte), könnte man die aggressiven Schreihälse, die Internettotschläger oder die desperat gewordenen Rechtsterroristen zufrieden stellen, der irrt gewaltig. Der angestrebte, ersehnte und gleisnerisch angebotene Konsumismus befördert Haß und Gewalt, notwendige Eigenschaften dieses Systems, die uns vom Beginn als Lebensprinzipien eingetrichtert werden. Haß auf und Gewalt gegen andere, lenken ab von den wahren Verursachern von Haß und Gewalt. Wir haben alle schon sehr früh unter ihnen gelitten, aber akzeptiert, daß Leistungs- und Gewinnmaximierung selbstverständlich seien. Wir machen alle mit, um diese Prinzipien aufrecht zu erhalten, indem wir das Mitgefühl für sich selbst und für andere, zerstören. „Das Leben ist kein Ponyhof“ – erzählen wir bereits den Kindern und meinen damit: es gibt Pferde, Reiter und Pferdebesitzer. Aber diese Strukturen darf niemand durchschauen. Deshalb lenken wir Enttäuschung, Zorn, Hilflosigkeit und Trauer um auf Popanze und Chimären, Sündenböcke und falsche Opfer, um uns abzulenken, damit wir glauben, die Macht von Haß und Gewalt sei eine Naturkraft, gegen die man nichts ausrichten könne – es sei denn, man folgt ihren Spielregeln der Gier. Es geht darum, diese zu installieren als politischen Naturzustand.

https://www.alice-miller.com/de/was-ist-hass/

http://www.alice-miller.com/de/die-wurzeln-der-gewalt-sind-nicht-unbekannt/3/

Die AfD (und ihre Geschwister in anderen Ländern) versprechen ja eben nicht Wohlstand für Alle – was ja auch absurd wäre – oder gar ein menschlicheres, vernünftigeres, mithin bescheideneres Miteinander, das Allen ein Auskommen und Überleben garantierte. Hinter dem verschlingenden Konsumismus verborgen verspricht die AfD etwas ganz anderes: die Vernichtung des Mitgefühls! Die AfD wie andere rechte Bewegungen, setzt Sehnsüchte frei nach Gewalt und Destruktivität, nach Herrenmenschentum, nach Ungleichheit, dem Wunsch, bevorzugt zu sein, der Hoffnung wie jene Tango tanzenden Jünglinge bei Pasolini, auch einmal die Grandiosität des Gefühls zu verspüren, wie es ist, Fleischer zu sein. Die AfD bietet die Verheißung schamloser Vernichtung, um sich für einen Augenblick schadlos zu halten für die eigene Vernichtung und psychische Zerstückelung, die einem selbst schon ganz früh widerfahren ist. Die Sehnsucht nach dem Leid und Tod der anderen – eine erotische und zugleich mörderische Sehnsucht, das zentrale Thema bei deSade.

Alle Süchte haben selbstzerstörerische Ursachen – so lange menschlicher Anstand und Mitgefühl nur rituelle Bestandteile von Zucht und Ordnung, von Erziehung, Disziplin und zynischen Witzen sind, bleiben sie gleisnerische Lügenware. Der „Anstand“. den etwa Axel Hacke in seinem applaudierten Buch „Über den Anstand in schwierigen Zeiten“ fordert, ist nichts weiter als einstudierter Benimm, eine Geste, eine Floskel, eine Hohlformel. Diese konservative Empörung z.B. angesichts der Pöbeleien und Ausfälle der AfD und ihrer Kumpane, ist nichts weiter als Entrüstung über schlechten Stil. Wenn die Schmutzfinken gelernt haben mit Messer und Gabeln zu essen, wenn ihnen die angelernten Floskeln „Bitte und Danke“ leicht von Lippen gehen, wenn sie Knix und Diener machen (die vornehmen Versionen des Arschkriechens) und sich „artig“ stellen, dann wird die AfD auch an den Tisch der Erwachsenen geholt werden.

Es geschieht ja schon. Vor kurzem faselte Ole von Beust, ehemaliger Hamburger CDU-Bürgermeister, in einer Maischbergersendung, man müsse auch mit der AfD koalieren können, dem stünden nur Schmuddelkinder wie Höcke im Wege. Doch Höcke, der immer öfter ohne Larve unterwegs ist, steckt ja tatsächlich hinter den Masken von Gauland, Weidel und Meuthen, von Markus Frohnmaier oder Beatrix von Storch – sie werden jetzt zur unterhaltsamen Jagd aufbrechen, der ja Herrenmenschen so gerne frönen.

Wie von Beust meldete sich einen Tag nach der Wahl die sächsische CDU-Abgeordnete Veronika Bellmann mit Gedanken zu einem Bündnis von CDU und AfD; eine sehr junge Frau, die sicher gerne Tango tanzt.

Der Lautsprecher der Rechtskatholiken und Reichshomosexuellen, David Berger, hat schon vor geraumer Zeit verkündet, er hoffe, daß unter einem Kanzler Jens Spahn endlich die Koalition zwischen CDU und AfD realisiert werde. – Jens Spahn ist auch so einer dieser Jünglinge, die zum Erreichen eines kurzfristigen Hochgefühls der Sattheit zu allem bereit sind…in der irrigen Hoffnung, sie würden am End nicht gefressen, weil sie den Thron-Herren auf dem Fummel-Schoß sitzen oder auf den Hüpfburgen Verrenkungen machen.

Die AfD hat längst erreicht, daß nach rechts flexible Politkerdarsteller wie Stanislav Tillich endlich die Hosen herunter lassen und ihre wahre Gesinnung exhibitionieren. Die Neigung der Konservativen zum irrigen „Früher war alles besser“, wird rasch zur schiefen Ebene – angeblich verachtet man autoritäre Barbarei, aber sehnt sich doch in einfachere Zeiten des Primitiven zurück, deren Denkstrukturen dann wieder bei den Wölfen ankommen.

Das sind die Männerträume vom Jagen und Herrschen, vom Zerschlagen der Komplexität (der Gedanken, Gefühle und Körper), die die Moderne inzwischen erlangt hat. Also zurück zu den alten Rollen von Mann und Frau, zu einer Gesellschaft geregelt von Bizeps und Penis ohne komplexe Emotionalität und noch komplexere Intellektualität, zurück zu anscheinend so klaren Strukturen von Gut und Böse (was gut und böse ist, bestimmt der Chef ex cathedra oder per Twitter), von streng geregelter Hierarchie des Oben und Unten, zu dem, was als normal zu gelten hat: zu Disziplin und Unterordnung, zur Prügelstrafe wie sie Hans-Thomas Tillschneider fordert, also zur klaren wölfischen Struktur: Wir gegen Die!

Die da, die Muslime und Türken nehmen Alexander Gauland und uns das Land weg, das uns seit Alters, durch Geburtsrecht gehört. Die da, die LGBTIQ-Perverslinge, stehlen Birgit Kelle das Muttersein und Björn Höcke die Männlichkeit. Die da, die multikulturellen und die Gendervertreterinnen, nehmen Beatrix von Storch alte Sitten und Gebräuche und ihre Rittergüter fort. Die da, die linken Umverteiler wollen an Alice Weidels und August von Fincks mühselig zusammengeklaubte Vermögen in der Schweiz.

Wenn wir einmal bei der Stammhirnideologie von „Wir gegen Die“ angekommen sind, hat die Vernichtung des Mitgefühls, die Grundvoraussetzung für das internationale wohlige Absacken in den Faschismus, ihre Vollendung erreicht.

Schon vor achtzig Jahren, brauchte es nur eine kurze Zeit von der Entwöhnung vom Mitgefühl zur völligen Verteufelung von „denen da“ – die angeblich nichts anders im Sinn hatten, als die einen zu vernichten. Man sei von Juden, Slaven, Untermenschen umzingelt und müsse sie deshalb rücksichtslos ausrotten, war die eindimensionale und zielgerichtete Parole. Das rechtfertigte die Dezivilisierung.

Ein groteskes aktuelles Beispiel für diese gelebte Wolfsformel “die gegen wir“ – ist keineswegs so amüsant, wie es sich zunächst anhört. Im Leben, Denken und in den tatsächlichen Handlungen des Amerikaners Jack Donovan, findet sich das ganze Pandämonium, das der Marquis deSade vor 250 Jahren entfaltet hat, in Reinform: ich fresse alles und als erster!

Der Mittvierziger Jack Donovan stellt die ultimative Verkörperung – Verkörperung im wahrsten Sinne – eines destruktiven Charakters dar. Er ist paradoxerweise ein halbkultivierter Totschlägertypus, der Machiavelli bis Nietzsche gelesen hat und als früherer Satanist auch Alistair Crowley. Er zelebriert und ritualisiert seine Destruktivität, nicht nur schreibend und redend anläßlich von Vorträgen bei amerikanischen Ultrarechten und KuKluKlantreffen, sondern mit dem eigenen muskelbepackten und tätowierten Roid-Körper. Er hätte im Schloß Silling einen der Beschäler, aber nicht der Herren, abgeben können. Seine Mr. Olympia-Muskelhülle, wie die vieler Bodybuilder (die übrigens auch gerne Nietzsche zitieren: „Was uns nicht umbringt…“) ist die pure Oberfläche – es gibt bei ihm kein Innenleben, keine Gedanken, kein Denken mehr, sondern nur noch die wölfische Testosteron-Rohheit dieses Körpers. Daß es sich um einen homosexuellen Sehnsuchtskörper handelt, dürfen solche Anbeter des Physischen auf keinen Fall zugeben, weil dann ihr Bild von Männlichkeit zusammenstürzte.

Der Maskulist, Frauenfeind und White Supremacist Jack Donovan träumt (das ist nur scheinbar originell) einen schwulen Traum: alle Männer müßten so wie er werden, vorzivilisierte Muskelbarbaren, die miteinander – Frauen sind ausgeschlossen und höchstens zum Kinderkriegen da – in Horden leben, auf die Jagd gehen, aufeinander eindreschen wie in „Fight Club“, um sich als weiße Männer zu bestätigen, die mit Blut- und Jagdritualen ihre durch und durch phallische Gemeinsamkeit feiern, um so über Frauen, Kinder, Schwarze, Schwächere zu herrschen. Als tiefsten menschlichen Lebensantrieb sieht Donovan männliche Gewalt- und Mordrunst, an der man sich erfreuen solle, um so die weiblich-weibische Zivilisation zu zerstören. Die Schwulenbewegung hält er für einen Ableger des Feminismus. Eigentlich gleicht der Hypermacho Donovan in seinem radikalen Menschenhaß den Kämpfern des IS, die er allerdings weniger als Bedrohung des sowieso weiblichen Abendlandes sieht, denn schlicht als feindliche Rotte, die bekämpft gehört. Ausschließlich das Recht des stärkeren Bizeps, der Ejakulation, die Gnadenlosigkeit der muskulösen Dummheit und der blutrünstigen Jagd, der Eroberungstrieb und die männliche Freßsucht sollen herrschen.

Und da sind sie wieder wie bei Breivik oder Höcke die phallischen Männlichkeitsalpträume, der sich unterdrückt Wähnenden. Diese Träume stellen den tatsächlichen Keim dar von allem Faschismus, von Nationalismus, Patriotismus, absolutistischer Religion und existenziellem Menschenhaß. Kein Wunder, daß amerikanische Nazis, Rassisten und Maskulisten Donovan zu Zehntausenden zujubeln; europäische ebenso. Inzwischen versucht Götz Kubitschek, der Vordenker der deutschen Neo-Rechten und Höcke-Kumpan, Donovan zu importieren. Er verlegte im Frühjahr 2017 in seinem Antaios-Verlag, dem Sammelbecken der rechten Schreier und Pseudophilosophen von Akif Pirincci bis Marc Jongen, Donovans Machwerk „Der Weg der Männer“- eine einzige Verteidigungsschrift der Brutalität und Skrupellosigkeit. In einem auch auf youtube zugänglichen Vortrag – „Violence is Golden“, den Donovan im Februar auf Kubitscheks Rittergut Schnellroda, jenem heiligen Gral der Rechten, vor Corpsstudenten hielt – breitet er seine faschistische Körperideologie aus. Donovan erklärt mit theatralisch zum Bariton trainierter Stimme, daß es in der gesamten Weltgeschichte und in allen Gesellschaften nur um ein männliches „Wir gegen die“ ging, um Gegnerschaft – und das Vernichten, Ausschalten, konsequent gedacht, das Morden und Aufessen der Gegner.

https://www.youtube.com/watch?v=4v48H9FreyY

Es ist zweifelsfrei, daß Donovan wie der Marquis deSade seine Träume verwirklichen möchte – dem Marquis fehlte es noch an Finanzmitteln und öffentlicher Anerkennung. Donovan wird nicht nur in den USA von zehntausenden von Anhängern unterstützt. Die Bewunderung seiner Anhänger, die sich mit ihm identifizieren, bringt ihm ein breites Siegeslächeln ins Gesicht. Dieses Lächeln gleicht dem Grinsen, Grienen, Feixen und Lachen aller siegessicheren Rechtsradikalen und Neofaschisten. Sie träumen rücksichtslos verroht von der Zerschlagung, der Zerstörung, dem Auslöschen anderer. Das Internet ist voll von solchen destruktiven Charakteren; Typen wie Donovan geben ihnen Hoffnung. Von Herzen können diese Leute nicht Lachen, schon gar nicht weinen.

Für sich übrigens hat Donovan diese seine Welt in Ansätzen realisiert: er lebt in einer neuheidnischen Wikingerkommune, in der man bei Fackelschein Tiere schlachtet und Faustkämpfe bis aufs Blut durchführt. Seinen Partner hat er nicht „geheiratet“, sondern sich ihm in einem grotesken Blutritual verbunden – darüber hat er sogar ein weiteres Buch geschrieben. Blut, Tätowierungen, Faustkämpfe. Gerne setzt er Bilder ins Internet von sich bei Schlachtfesten zu Fackelschein, blutbeschmiert, halbnackt und unzweifelbar in höchster auch sexueller Erregung…kaum anders wird es in den Katakomben von Schloß Silling ausgesehen haben.

An dem Groteskclown Jack Donovan läßt sich besonders deutlich zeigen, was das „Wir gegen Ihr“, dieses Anbeten der wölfischen Welt, tatsächlich bedeutet, was hinter all den Blutritualen, den geregelten Morden, den Chimären von Volk und Vaterland wirklich steckt. In diesen Chimären und den Apotheosen des Blutes steckt wie bei deSade etwas Vorpolitisches, und ich meine nicht die Unzivilisiertheit, denn von deSade bis Donovan ist die Primitivität eine Maske, um die eigene Verzerrung und frühe Ver-und Zerstörung zu verbergen und zu betäuben.

Donovans hypertrophierter Männerkult, dem ja auch der Marquis deSade ebenso wie die Nazis, alle Diktatoren, Attentäter wie Breivik oder Mohammed Atta oder sonst schwachbrüstige und sauertöpfische Agitatoren wie Björn Höcke frönen, verbirgt ein armes, geschädigtes Würstchen. Donovan speziell, ist unfähig mit seiner Homosexualität umzugehen. Er gibt sie zwar zu, aber überhöht das, was er als Makel ansieht, seine Verletzungen als Außenseiter, seine erschütterte Männlichkeit, der er jede Weiblichkeit, die er verachtet – auch in sich selbst verachtet – austreiben will. Die Vernichtung des Selbst, des Eigenen durch die mörderische Vernichtung des Anderen: und so ist das „Wir gegen Sie“ eigentlich ein bitteres „Ich gegen Mich!“

Donovan ist ein Verletzter und Geschlagener, Mißachteter, Ausgeschlossener gewesen und kann das nur kompensieren, in dem er sich mit den Aggressoren, die ihn einmal ausgeschlossen haben, (über)identifiziert und so die Aggression gegen Unschuldige wendet, aber nicht gegen deren wirkliche Verursacher.

Alice Miller hat in eindringlichen Studien über Hitler, Stalin und Saddam Hussein (denn auch diese Diktatoren und Herrenmenschen waren einmal Kinder) nachgewiesen, wie sie Missachtung und Gewalt, die sie erleiden mußten, als Erwachsene gegen Sündenböcke wendeten. Dadurch bewahrten sie das mörderische System „wir gegen sie“, die Hierarchie der gewalttätigen Eltern und der anderen ebenso brutalen erzieherischen Institutionen unserer Gesellschaft — es blieben aber ein blinder Fleck, eine Wunde, ein alter Schmerz, die immer und immer wieder bekämpft werden mit den einmal erfahrenen Gewaltmitteln an anderen. Es wurden also so lange Schmerzmittel eingenommen, bis ihre nie endende Dosiserhöhung selbst zu Schmerzen führte…das Symptom wurde bekämpft, nicht die Ursache.

Solcher Art ist auch der blinde Fleck von Marx und seinen Adepten: eigentlich setzen sie im Kern die Ungerechtigkeiten und Unmenschlichkeiten des kapitalistischen Systems fort und tauschen nur die Zielrichtig ihres Unmutes, ihrer Gewaltbereitschaft aus – sie stellen aber nicht das System der Herrschaft selbst in Frage, nicht die strukturelle Gewalt, die von ihm ausgeht. Der Kapitalismus wie der marx´sche Kommunismus sind sich selbst reproduzierende Gewaltsystem.

Gewalt funktioniert mit dieser einen Grundregel – auf der dann all die vielen Regeln der Ordnung, Disziplinierung, Erziehung usw. aufbauen: Schule, Gefängnis, Psychiatrie und HartzIV, das Michel Foucault heute auch unter die Agenten der Gouvernementalität gerechnet hätte, sollen nicht das Leben des Einzelnen lebbar machen, sondern das Systems des Verbrauchs als Prinzip der Existenz erhalten.

Nicht bei allen rechten Führerfiguren wie bei Donovan liegt der eigentliche Kern ihrer Gewaltneigung und Verdrängung so offen. Keine Frage, daß sich der Amerikaner als überlegenes Individuum versteht mit dem Recht andere zu unterwerfen und sich nutzbar zu machen. Unsere gesamte Gesellschaft erwächst und existiert aus dieser Verdrängung der einmal erlittenen Mißachtung und der körperlichen Schmerzen. Diese existentiellen Schmerzen rechnet man dem vorpolitischen Raum, dem Privaten zu. Auch das ein Trick: keiner darf merken, daß sie aber die Hauptsache sind – deshalb wird die psychologische Analyse auch in der jetzigen rechtsdrehenden Situation abgewertet. Doch dieser angeblich „vorpolitische Raum“ prägt unsere ganze Existenz und wir richten auf dieser frühen Erfahrungsbasis der Mißachtung und der Schmerzes unsere Gesellschaft ein.

Der Gedanke, daß der Mensch, ein defizitäres Wesen sei, das erzogen dressiert, diszipliniert werden müsse, ein eigentlich vorzivilisiertes barbarisches Wesen, bringt die Vorzivilisiertheit und das Barbarentum erst hervor. Alle Maßnahmen zur Erziehung und Disziplinierung der Kinder, die auch noch als Elternrecht und in perspektivischer Verlängerung als Recht des Staates ausgegeben werden, – entstanden zur Rechtfertigung der eigenen Brutalität – „Wir gegen sie“! – In diesem Sinne sind die „120 Tage“ eigentlich ein Erziehungsroman!

Der Glaube, daß ein Mensch vom Beginn seines Lebens an diszipliniert werden müsse, liegt allem Konservatismus und seiner Wucherung, dem Faschismus zugrunde, der dann ja selbst wieder in Barbarei endet – aber geregelter Barbarei, ohne die Auschwitz nicht möglich war. Konservatismus ist die Angst vor der Differenz, der Individualität, der ungehemmten Lebendigkeit des Kindes, das Mundverbot des Schmerzensschreis und der erhellenden Erkenntnis der Trauer. Der Faschismus ist dessen sadistische Fortführung: für all die Verluste durch den Konservatismus bietet der Faschismus Kompensation durch Gewalt und Mord, aber keineswegs in einer anarchischen Geste. Dieser Faschismus, erinnert uns Foucault, wurde „von den Kleinbürgern, den übelsten, biedersten und ekelhaftesten, die man sich vorstellen kann, “ eingeführt. Bei deSade, geistig ein Kleinbürger, kein Anarchist der Lust, ist alles ebenso reglementiert wie in der faschistischen Angstgesellschaft, deren Ziel die absolute Beherrschung der bürgerlichen Objekte ist, um sie bis aufs Blut womöglich, zu gebrauchen, zu verbrauchen.

Deshalb bemühen sich Parteien wie die AfD Angst zu schüren bis zum Exzeß. Dieser Angst begegnet man mit Kontrolle, Überwachung, Reglementierung, Erziehung, Hierarchie, Gehorsam und Strafen: was Hans-Thomas Tillschneider fordert, ist das System von Schloß Silling. Foucault nennt deSade einen „Rechnungsbeamten der Ärsche“; wie sollte man Phänomene wie die AfD, ihre Mitglieder und Wähler anders benennen als Rechnungsbeamte dieser rektalen Art?

Die Angst vor dem Leben, das den Eltern in offenen, freimütigen Kindern entgleitet, ist es, die den sogenannten vorpolitischen Raum, speziell im Verhältnis von Eltern und Kindern beherrscht – gepaart mit Neid, daß die Kinder ganz schlicht die Eltern überleben werden. Darum entwickeln wir Instrumente der Zensur, Zügelung und Zerstückelung. Die Freiheiten, der Zukunftsmut, beides haben wir uns seit 1968 mühselig erkämpft haben, werden nicht nur im großen politischen Raum wieder rückgängig gemacht, sondern erst einmal gründlich im privaten – darum schreit ja vor alle die AfD immer lauter nach Grenzen oder man will wie Jörg Meuthen – gebeutelt von Angst vor einemLeben ohne Angst- ´68 revidieren.

Ein länger schon zu beobachtendes Symptom dieser Umsturzversuche zwecks Installierung von Angst und Abhängigkeit als Zaumzeug der Gesellschaft waren übrigens Manifeste der Grenzen und Erziehung, die sogar auf die Bestsellerlisten rutschten:

Manifeste der „Dressur“ des barbarischen-tyrannischen Kindes, wie sie etwa Michael Winterhoff mit seinem Erziehungsratgeber „Tyrannen müssen nicht sein“ oder Bernhard Bueb mit dem „Lob der Disziplin“ vor geraumer Zeit in die Welt setzen, sind tatsächlich nicht weniger übel als die Erziehungsratgeber der Johanna Harrer, die seit der Nazizeit bis in 70er Jahre jungen Frauen anempfohlen wurden. All diese „Manifeste“ handeln eigentlich von der Angst vor dem eigenen Selbst, dem man mißtraut und das man im Kind bekämpft, um es zu zerbrechen, angeblich zu dessen Wohl.

Das muß zum Desaster führen – ob im Leben des Einzelnen oder in der gesellschaftlichen Gemeinschaft, die auf dieser Zerstörung der Persönlichkeit und Individualität aufbaut. Sie bietet uns als Ersatz den Konsum. Haben oder Sein…

Was im Kind vom ersten Lebenstag an niedergemacht wird, ist die Fähigkeit zur Empörung über diese Verwüstung und Verletzung, die dem Kind als notwendig suggeriert werden, so lange bis es das glaubt und fleißig weiter mitarbeitet am autoritären Projekt. Daß diese Verwüstung ei den Jungen schon weit fortgeschritten ist, hatte vor einigen Jahren den damals 90 Jahre jungen Stéphane Hessel dazu gebracht seien Essay „Empört Euch“ zu schreiben

Was mit dem Unterdrücken der Empörung hat zum Ziel das Mitgefühl für sich selbst zu zerstören – und dann das Mitgefühl für andere. – Arno Gruen hat das besonders eindringlich in seinem Buch „Der Verlust des Mitgefühls. Über die Politik der Gleichgültigkeit“ beschrieben. Wenn man die eigenen Schmerzen nicht mehr wahrnehmen kann, wird man auch die Schmerzen von anderen, die ebenso zerbrochen werden, nicht mehr wahrnehmen und sie abwehren. Man wird zwar jammern übers eigene „Opfer“ („die Flüchtlinge im Mittelmeer werden uns die Haare vom Kopf fressen. Sie haben I-Phones und ich kaum einen Festnetzanschluß!) – wie zur Zeit vor allem die rabiatesten Exponenten der neuen Rechten, aber die Wut gilt stets Sündenböcken: den Juden, den Muslimen, den Linken, den Homosexuellen, den Feministinnen, die die Ordnung der Dinge auf den Kopf stellen. Die Herren bei deSade stellen ja auch eine penible Ordnung der Dinge von Anfang an her. Sie schlagen die Mädchen und Jungen ihres Harems zu den Dingen, ihrem Besitztum, dazu.

Für das abgetötete Mitgefühl und Mitempfinden kriegen wir Sentimentalität geboten, von der ich zu Anfang sprach: Tafeln für HartzIV-Empfänger und Flachbildschirme für den Mittelstand. Und all das hält das Prinzip des Konsums am Laufen.

Zugestanden: „Wir suchen nach dem Besseren, verfallen aber immer wieder Führern, die uns unterdrücken, uns zwingen unsere individuelle Geschichte der Unterdrückung und Rebellion zu wiederholen“, schreibt Arno Gruen. (Der Verlust des Mitgefühls. Über die Politik der Gleichgültigkeit S.273)

Hier liegt der Grund für die scheinbare „Natürlichkeit“ der unendlichen Serie sich steigernden Grausamkeiten bei deSade, der auch Grund ist für das endlose Geplärr der neuen Rechten, deren Hunger nie zu stillen sein wird; es ist kein politischer oder sozioökonomischer Hunger. Solange wir ihm mit der ewigen Repetierung des maroden Systems begegnen, solange wird „… unsere Leidensgeschichte weiter gegeben. Sie mag zwar unterschiedlich verlaufen, aber der Inhalt des Leidens und der Unterdrückung bleibt.“(Arno Gruen)

Das gilt für den Einzelnen, wie für das Gesellschaftssystem. Marx war nicht fähig, das System der Ausbeutung wirklich zu verlassen; auch sein System beruht auf dem Prinzip des nie enden wollenden Gebrauchs von Ressourcen und Menschen. Die Jugendlichen auf Schloß Silling waren nicht mehr fähig den Aufstand zu wagen. Und die Deutschen scheinen vor diesem Muster auch schon kapituliert zu haben und wählen sich devot Faschisten ins Parlament. Brecht hatte schon recht mit den Kälbern und ihren Metzgern.

Deshalb hat es keinen Sinn nur von der Korrektur der materiellen Schieflagen im kapitalistischen System zu schwätzen, die angeblich den neu aufflammenden Faschismus, Patriotismus, Nationalismus oder die Rassismen eindämmen sollen (obwohl diese Maßnahmen unbestreitbar notwendig sind), ebenso ist formale Bildung (die auch nur eine Art von Tischmanieren darstellt) nur eine kurzfristige und oberflächliche Maßnahme. Offenbar hat man die Bigotterie des Martin Schulz gespürt und sein Angebot falscher Gerechtigkeit ausgeschlagen. Herzensbildung wagt kein Politiker mehr zu empfehlen wenn sie sich nicht pekuniär auszahlt.

Wenn wir dieses System der menschlichen Wolfsnatur in Zweifel ziehen – das die Voraussetzung aller Formen der Tyrannei und des Kapitalismus darstellt – wenn wir den Kannibalismus endlich erkennen, dann erst werden wir den neuerlichen Faschismus aufhalten.

Der aktionistisch beschwätzte Versuch soziale Gerechtigkeit herzustellen ist völlig sinnlos, wenn er nur als Salbe auf dem Konsum der Menschlichkeit aufgetragen wird.

Es geht darum diese Menschlichkeit in denjenigen zu stärken, die Zweifel daran haben“ (Arno Gruen)

Die Mitglieder und Wähler der AfD, der FDP, der CDU-CSU und auch der SPD, des Front National, des Pis oder der Republikaner und Demokraten in den USA, die Radaubrüder der Pegida oder der Identitären Bewegung, Björn Höcke, Jörg Meuthen, Petry und Gauland, und solche Groteskclowns wie Jack Donovan sind geschüttelt von Zweifeln. Der Weg zur Menschlichkeit – und das Schloß Silling ist die Urmetapher des Gegenteils- „führt über unsere Kinder“. Es führt alles immer über die nächste Generation; deshalb wird sie ja auch bei deSade zerstört und das ist ebenso das Hauptanliegen der Erziehung.

Der Mord beginnt mit der Erziehung, der Dressur, mit dem Zerstören des Mitgefühls – mit dem mörderischen Unernst mit dem wir Kinder behandeln, der dann zu der Schlachtung dieser Kinder wie bei deSade führt. Und das Schlimmste daran ist, daß wir uns im Namen der Zivilisation vormachen, etwas Gutes zu tun.

Der Jesuitenpater Paul LeJeune, der im 17.Jahrhundert einen Indianerstamm in Kanada missionieren wollte, jammerte über seine Schwierigkeiten:

Diese Primitiven machen es uns unmöglich, ihren Kindern etwas beizubringen. Sie lassen nicht zu, daß ihre Kinder gezüchtigt werden (…). Ich möchte die Kinder von ihren Eltern getrennt an einem anderen Ort unterrichten, weil diese Barbaren es nicht aushalten, daß ihre Kinder bestraft oder auch nur gescholten werden. Sie schaffen es nicht einem weinenden Kind irgendetwas zu verweigern.“ (Zitiert nach E.B.Leacock, Myths of Male Dominance. New York, 1981

Es geht um weitaus mehr als die “Ohrfeige, die auch uns nicht geschadet hat“ – es geht um die Struktur der konsumistischen Leistungsgesellschaft, die ohne diese Ohrfeigen zusammenbrechen würde.

Vor über 100 Jahren schon schrieb Janusz Korczak:

bei uns besteht die Tendenz unsere Kinder nicht ernst zu nehmen, sie so klein wie möglich zu halten, so daß wir nichts von ihnen, über sie und über uns selbst zu lernen brauchen.“ (J. Korczak, Wie man ein Kind lieben soll. Göttingen 1992. Erstmals erschienen 1916)

Ich weiß, die üblichen autoritären und menschenverachtenden Verdächtigen werden über meine tour de force lachen, da sie nichts über sich selbst und ihre Kinder lernen wollen. Aber für die hat Janusz Kocak auch eine Antwort…

Das herablassende Lächeln, mit dem wir den Kindern und solchen Vorschlägen begegnen, spiegelt die Verteidigung des Mordes an der eigenen Kindheit wider.

Wer – das sei zum Schluß ganz deutlich gesagt – jetzt spöttisch auf ausgerechnet Janusz Korzcak weist und sagt: an ihm sehe man ja, was der von seinen eigenen Ideen gehabt habe als ihn die Nazis in Treblinka umbrachten – der gibt den Nazis von damals und denen von heute grinsend Recht!

Diese Kolumne ist die gekürzte und um aktuelle Akzente angereicherte Version eines Essays über den Einfluß des Werkes des Marquis deSade in Politik und Kultur.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert