Venezuela am Abgrund

Die Lage in Venezuela wird immer schlimmer. Nach wie vor mangelt es an Lebensmittel und Medikamenten, dazu erreicht die Inflation ständig neue Höhen. Nachdem die Regierung nun den beliebtesten Geldschein aus dem Verkehr gezogen hat, fehlt allerorts auch Bargeld. Nur mit Trickserei und Drohungen kann sich die Regierung von Nicolas Maduro an der Macht halten.


Die Menschen in Venezuela können einem Leid tun. Immer, wenn man meint, in diesem Land mit seinem dummdreisten Regime und seiner absurden Wirtschaftspolitik kann es nicht mehr schlimmer kommen, überraschen Staatspräsident Nicolas Maduro und seine sozialistische Regierung aufs neue. Im Sommer empfand ich es noch irgendwie zwischen witzig und peinlich, als Maduro die Frauen im Karibikstaat aufforderte, ihre Haare von der Luft trocken zu lassen. Ihm gefalle das einfach besser. Logisch, dass eigentlich massive Stromengpässe, zu denen es im vergangenen Jahr immer wieder kam, Vater des Gedankens waren. Elektrizität wurde massiv rationiert und um Strom zu sparen, mussten Staatsdiener nur vier Tage in der Woche zur Arbeit kommen. Und das in einem Land, das der liebe Gott mit den vielleicht weltweit größten Rohölreserven und idealsten Bedingungen für die Nutzung von Wasserkraft gesegnet hat.

Weniger amüsant ist indes, dass in Hospitälern inzwischen selbst grundlegendste Medikamente fehlen und Menschen nur dann in einigen Supermärkten des Landes einkaufen dürfen, wenn ihr Personalausweis auf eine bestimmte Nummer endet. Gerade Kinder, Kranke und Alte leiden immer mehr unter dem Mangel an Medizin, Hygieneprodukten und selbst gängigster Lebensmittel.

Es mangelt an allem

Der sozialistische Voodoo, mit dem Maduro und seine Mannschaft immer wieder ein paar Strohfeuer zur Belebung der darbenden Wirtschaft zu entfachen versuchen, entpuppt sich aber stets als fauler Zauber. Einer der neusten Renner aus der chavistischen Wundertüte: Urban Gardening. Als ob man mit Beeten auf Stadthausdächern Importausfälle großen Stils ersetzen könnte. Nicht mal der Staatspräsident selbst dürfte daran glauben.

Andere Maßnahmen, mit denen das Regime die grassierende Unzufriedenheit der Menschen zu bekämpfen glaubt, sind Preisvorgaben und Anhebungen des Mindestlohnes. Wenn im Land allerdings kaum etwas produziert und von außen wenig eingeführt wird, kann man mit dem Geld wenig mehr anfangen, als es zum Origami zu benutzen oder Monopoly zu spielen. Die wenigen Waren, die auf den Markt kommen, sind dagegen so begehrt, dass viele Bürger bereit sind, Unsummen des wertlosen Papiers, das Maduro Geld nennt, dafür auszugeben. Auf jeden Fall deutlich mehr, als es die staatliche Vorgabe vorsieht.

IWF rechnet mit 1600 Prozent Inflation

Nun entscheiden über die Verteilung der verfügbaren Waren entweder Regierungsbeamte oder Angestellte von Einzelhandelsunternehmen. Auch deren Gehalt wird in wertlosen venezolanischen Bolivar ausgezahlt. Nicht selten nutzen diese Leute dann ihre Machtposition, um die Waren dorthin zu verkaufen, wo sie harte Devisen, also US-Dollar oder wenigstens kolumbianische Pero dafür bekommen. Das heißt: Entweder ins Ausland oder an chavistische Bonzen und Systemprofiteure in Venezuela. Maduro fällt dann nichts anderes ein, als wieder einmal eine imperialistische Verschwörung für derartigen Schwarzhandel verantwortlich zu machen und Milizen zur Warenkontrolle in die Supermärkte zu schicken.

Dabei ist es sein unausgegorenes System selbst, dass die Anreize für Schwarzmarktgeschäfte schafft. Und oft sind es Funktionäre des Chavismus, die den Grundsatz „Geld stinkt nicht“ zur Handlungsmaxime machen. Da kann der Machthaber noch so viele Milizionäre in die Läden aussenden, die Inflation kennt in Venezuela seit Jahren trotzdem nur eine Richtung: höher, höher, immer höher. Bis zu 700 Prozent soll sie in diesem Jahr betragen haben. Für 2017 geht der IWF sogar von einer Inflationsrate von mehr als 1600 Prozent (!) aus. Gerade Mittelstand und Arbeiter werden dabei immer ärmer. Sie haben in der Regel ja keine Sachwerte größeren Umfangs oder Auslandskonten, die vor Inflation geschützt sind.

Aufruhr wegen Bargeld-Mangel

Die neuste Schote der Chavisten: Angeblich um den Schwarzhandel zu bekämpfen, hat Maduro den bislang größten Geldschein, die 100-Bolivar-Note, am vergangenen Donnerstag aus dem Verkehr ziehen lassen. Allerdings konnten die neuen Scheine im Wert von 500 Bolivares nicht ausgeliefert werden. Fatal, in einem Land, in dem fast jeder Zweite über kein Bankkonto verfügt und deshalb auf Bargeld angewiesen ist. Vor allem, wenn die Leute in der Vorweihnachtszeit Geschenke für das Fest kaufen wollen. Dass Maduro einmal mehr ausländische Verschwörer und die heimische Opposition der Sabotage bei der Einfuhr der neuen Banknoten bezichtigt, geschenkt. Entscheidend ist, dass es wieder vielerorts zu Unruhen kam und der Präsident kleinlaut einen Rückzieher machen musste. Bis zum 2. Januar bleiben die 100-Bolivar-Scheine nun erst einmal gültig. Kluges Regierungshandeln sieht anders aus.

Auch um Menschenrechte und Demokratie ist es schlecht bestellt. Die Gefängnisse sind voll von Anhängern der Opposition, während das Regime ansonsten die weiße Fahne vor der organisierten Kriminalität hisst. Inzwischen hat die Hauptstadt Caracas die höchste Mordrate der westlichen Hemisphäre. Das Parlament, in dem die Opposition aus Liberalen, Sozialdemokraten und Konservativen seit einem Jahr über eine Mehrheit verfügt, hebeln Maduro & Co. mit allerlei Verfassungstricks, Einschüchterung und schlichtem Ignorieren gezielt aus. In Wohngegenden, in denen die Opposition starken Rückhalt hat, marodieren nicht selten dem Regime nahestehende Schlägertrupps, die Collectivos. Mit einem Klima der Angst soll der Protest unterdrückt werden. Apokalypse Venezuela. Und Medien, die kritisch über den Chavismus berichteten, verloren entweder ihre Lizenzen oder bekamen im Alltag Schikanen zu spüren. Meldungen, denen zufolge die Wirtschaft im Land nicht gut läuft, wurden von den Mächtigen wohl als Fake News gewertet.

Vorwärts immer, rückwärts nimmer

Dabei ist die tatsächliche Lage mittlerweile so desaströs, dass die regierenden Chavisten selbst in ihren Hochburgen Zustimmung verlieren. An Rückzug denken Maduro und Genossen jedoch nicht. Keinen Jota, so zumindest der Eindruck, wollen sie den demokratischen Kräften, die immerhin bei Parlamentswahlen eine Mehrheit gewonnen haben, entgegen kommen. Diosdado Cabello, ein Scharfmacher des Regimes, droht schon einmal unverhohlen damit, dass im Zweifel alle Macht aus den Gewährläufen kommt. Und über die verfügt das dem Chavismus treue Militär zuhauf (Cabello selbst und vor allem der verstorbene Revolutionsführer Hugo Chávez begannen ihre Karriere in der Armee).

Letzte Hoffnungen werden auf eine Vermittlungsaktion des Vatikan gesetzt. Doch obwohl der aus Lateinamerika stammende Papst Franziskus unverdächtig ist, sozialistischen Ideen allzu feindseelig gegenüber zu stehen, misstrauen die Chavisten den Klerikern aus Rom. Derzeit stagnieren die Vermittlungsgespräche im besten Fall. Gleichzeitig wächst im ganzen Land die Resignation. Wer noch irgendwie genügend Devisen oder Verwandte im Ausland hat, versucht Venezuela zu verlassen. Selbst Kolumbien, einst als Unruheherd deutlich im Schatten des mit Erdöl gesegneten Venezuelas, gilt inzwischen als Land in dem vergleichsweise Milch und Honig fließen. Wann immer Maduro die geschlossene Grenze zum Nachbarn öffnet, übertreten sie Venezolaner in Massen. Manche nur, um wieder einmal vernünftige Lebensmittel einzukaufen, viele jedoch haben langfristige Pläne.

Kolumbien geht es besser

Vergleicht man gerade die Entwicklung, die Kolumbien und Venezuela seit etwa 20 Jahren genommen haben, dann kommt man einmal mehr zu einem vernichtenden Urteil über die realen Wirkungen eines autoritären Sozialismus. Man mag von Margret Thatcher halten was man will, aber ihr Satz „Der Sozialismus ist dann am Ende, wenn das Geld der anderen Leute weg ist“ beschreibt die Lage in Venezuela ziemlich treffend. Kolumbien dagegen ist mit Sicherheit weit davon entfernt, ein Hort des Wohlstandes und des Friedens zu sein. Dennoch ist es dem konservativen Präsidenten Alvaro Uribe und seinem liberalen Nachfolger Juan Manuel dos Santos gelungen, ein für Investoren freundliches Klima zu schaffen und die Inflation zu drücken. Seit etwa zehn Jahren gehört Kolumbien – neben Peru und Chile – zu den dynamischsten und offensten Volkswirtschaften in Südamerika.  Das durchschnittliche Wachstum lag im Schnitt bei 4,5 Prozent. Außerdem wurde die öffentliche Infrastruktur massiv ausgebaut. Die Hauptstadt Bogota gilt dabei sogar als so etwas wie ein lateinamerikanischen Innovationslabor. Unter dem grünen Bürgermeister Antanas Mockus entstand beispielsweise das Nahverkehrskonzept „Transmillenio“, das überall auf dem Subkontinent staunend bewundert und vielfach kopiert wurde. Vor allem die einstige Drogenmetropole Medellin wurde zur Boomtown, deren Wachstum noch einmal deutlich über dem Landesdurchschnitt liegt. Es gibt dort etwas, was man in ganz Venezuela mit der Lupe suchen muss und was das verbohrte Regime dort auch gar nicht zulässt: einen innovativen Mittelstand. Kommt es in Kolumbien nun tatsächlich zum Friedensschluss mit der Guerilla FARC, dann erwarten Experten einen weiteren Impuls für das Wirtschaftswachstum, eine Friedensdividende.

Diese kolumbianische Erfolgsgeschichte muss schwer auf der stolzen venezolanischen Seele lasten (die das weltweite linke Idol Hugo Chávez durchaus zu pflegen wusste, was einen Teil seines Erfolges erklärt). Denn einst waren die Verhältnisse umgekehrt: Hier das ölreiche Venezuela, dort das als „Drogenstaat“ verächtlich gemachte Kolumbien, in dem sich eine schwache Zivilregierung gegen linke Revolutionäre, rechte Paramilitärs und die allmächtigen Narcos aufrieb. Aber dann gingen die Venezolaner Hugo Chávez auf den Leim, dem König der Populisten.

Chávez, König der Populisten

Sicher, als Chávez noch ein putschender Fliegeroberst oder oppositioneller Agitator war, lag er mit seiner Kritik an der Allmacht der venezolanischen Eliten und ihrem offenkundigen Desinteresse am „einfachen Volk“ nicht ganz falsch. Einmal zum Staatschef gewählt, setzte er aber auf Spaltung statt auf Versöhnung, auf spinnerte Utopien statt auf solides Regieren und auf autoritäre Cliquenwirtschaft statt auf Demokratie. Hätte Chávez auch nur einen Funken Realismus, ein Quantum Maß und Mitte sowie ein Gramm Selbstreflektion besessen, er hätte mit all den Ölmilliarden aus Venezuela tatsächlich einen besseren Staat machen können. Er hätte dazu die Infrastruktur modernisieren, die Wirtschaft diversifizieren, die Bildung fördern und nachhaltige Sozialprogramme auflegen können. Aber stattdessen sponserte er Gesinnungsgenossen in anderen Ländern, verlängerte den Castros auf Kuba ihr politisches Überleben und machte unfähige Parteikader im eigenen Land zu Bossen frisch verstaatlichter Unternehmen. Gäbe es ein Lehrbuch „Wie richte ich einen Staat in kürzester Zeit zu Grunde“, Chávez und seine Epigonen hätten wohl intuitiv alle Ratschläge richtig befolgt.

Während Showtalent Chávez unbestritten Charisma und politische Begabung hatte, ist Nachfolger Maduro auch in diesen Punkten weitgehend talentfrei. Rethorisch ist er so brilliant wie hierzulande etwa Volker Kauder oder Rudolf Scharping. Damit kann man bei den Jusos oder der Jungen Union durchaus Karriere machen zu können, für einen lateinamerikanischen Caudillo ist es aber zu wenig. Eine echte Begeisterung, die Menschen den miserablen Alltag vergessen lässt, gibt es nicht im Volk nicht. Selbst ein deutlicher Wiederanstieg des Ölpreises wird Maduro nicht populär machen. Dazu hat er zu viel Inkompetenz gezeigt. Außerdem dürften mehr Öleinnahmen zunächst einmal in die Schuldentilgung fließen. Das ganz große Füllhorn kann selbst bei allergünstigster Entwicklung des Rohölmarktes nicht ausgeschüttet werden.

Maduro fehlen Charisma und Fortune

Maduro können daher nur ein Wunder oder militärischer Flankenschutz retten. Aber vielleicht gibt es innerhalb des Chavismus auch Bestrebungen, den Mann an der Spitze auszutauschen, etwa gegen einen Favoriten der Armee. Solche Gerüchte existieren immerhin, man weiß nur nicht, wer sie mit welchem Ziel streut.

Für das venezolanische Volk bleibt zu hoffen, dass Maduros Nachfolger kein chavistischer Militärmachthaber wird, sondern es stattdessen zu einem echten Neuanfang kommt. It´s time for a change, Venezuela!

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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