Luthers Thesen: Das Martern der Buße

Innere Buße reicht nicht, meint Luther. Die Schuld muss uns martern, um Wirkung zu haben.


Jetzt geht es zur Sache. Nachdem Luther in der ersten These lebenslange Buße gefordert hatte, stellte er in der zweiten These klar, dass es sich dabei nicht um eine formale, ritualisierte Entschuldigung handeln kann. In der dritten These deutet er zum ersten Mal an, was wahre Buße wirklich ist. Sie lautet:

Gleichwohl zielt dieses Wort nicht nur auf eine innere Buße; ja, eine innere Buße ist keine, wenn sie nicht äußerlich vielfältige Marter des Fleisches schafft.

Das klingt martialisch, aber es verliert schnell seinen Schrecken, wenn wir den Text in die heutige Zeit holen.

Nachdem Luther also die bloße Entschuldigung für eine schlechte Tat abgelehnt hat, sagt er nun, dass „innere Buße“ aber auch nicht reicht. Was könnte damit gemeint sein?

Innere Buße

Nehmen wir ein Beispiel. Ich habe jemanden belogen, vielleicht, um meine Ruhe zu haben. Ein Freund wollte mich treffen, weil er persönliche Probleme hat, die er gern mit mir besprochen hätte. Vielleicht hätte er meinen Rat gebraucht. Ich hatte aber keine Lust darauf, und deshalb habe ich ihm gesagt, ich hätte keine Zeit.

Bedenken wir, dass es Luther bei der Buße darum geht, dass der Mensch ins Himmelreich kommen möchte. Wir hatten diesen Begriff so interpretiert, dass er bedeutet, mit sich selbst und mit den anderen im Reinen zu sein, letztlich mit dem Ziel, dass jeder von sich sagen kann, für die anderen gut zu sein, und in guter Erinnerung zu bleiben.

Deshalb packt mich nun das schlechte Gewissen. Ich hätte mich auch mit dem Freund treffen können. Ich sinniere darüber nach, warum ich so eigennützig war und nehme mir vor, beim nächsten Mal auf den Wunsch des Freundes einzugehen.

Das wäre innere Buße. Luther reicht das nicht aus. Er fordert „vielfältige Marter des Fleisches“. Man könnte denken, dass wir uns selbst geißeln oder strafen sollten, aber das wird Luther nicht gemeint haben. Was gemeint sein dürfte: Die Buße sollte nicht nur in geistvollen theoretischen Erwägungen bestehen. Sie muss mich auch wirklich ganz packen. Echte Buße bestürzt mich, sie macht mich schlaflos, sie lässt mich leiden. Sie martert nicht nur meinen Geist, sie packt mich auch körperlich. Ich spüre meine Schuld an meinem Leib.

Schuld, die weh tut

Vielleicht ist mein Beispiel zu klein dafür, um die Notwendigkeit einer solchen Buße ganz deutlich zu machen. Sie ist uns heute ohnehin eher fremd. Wir sagen ja oft, dass wir einander nichts schuldig sind, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist. Wenn man da mal einem Wunsch eines anderen nicht gefolgt ist, wenn man eine inständige Bitte ignoriert hat, wenn man nicht geholfen hat, wo man hätte helfen können – Na ja, kann passieren. War doch nicht meine Schuld!

So kann man das sehen. Aber man kann sich auch fragen, ob einem der innere Frieden, die Gewissheit, das Gute getan und in der Welt gestärkt zu haben, dann eben verwehrt bleibt.

Schuld kann wehtun, gerade wenn die Vernunft mir sagt, dass ich eigentlich doch gar nicht verantwortlich bin für das Leid, das ich nicht gelindert habe. Und wenn sie weh tut, wenn sie sich nicht lindern lässt durch die Argumente der Vernunft, dann kommt man auf den Weg, auf dem man sich vielleicht tatsächlich ändert. Dazu reicht theoretische Reflexion über die Frage, was man vielleicht beim nächsten Mal anders machen könnte, nicht aus. Erst durch schmerzhaftes Schuldbewusstsein kommt man vielleicht dahin, für andere wirklich Gutes zu tun.

Hier geht es zur zweiten These.

Hier geht es zur vierten These.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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