Ende einer Karriere – Der Fall der Frau Hinz

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hinz hat ihren Lebenslauf gefälscht. Ihr angekündigter Rücktritt blieb bisher aus. Die Empörung ist groß. Aber ist sie berechtigt?


Auf der Homepage der Bundestagsabgeordnete Petra Hinz steht eine Stellungnahme ihrer Anwälte, in der es u.a. heißt:

Frau Hinz hat im Jahr 1983 am heutigen Erich-Brost-Berufskolleg der Stadt Essen die Fachhochschulreife erworben. Sie hat jedoch keine allgemeine Hochschulreife erworben. Sie hat darüber hinaus kein Studium der Rechtswissenschaften absolviert und auch keine Juristischen Staatsexamina abgelegt.

In der Rückschau vermag Frau Hinz nicht zu erkennen, welche Gründe sie seinerzeit veranlasst haben, mit der falschen Angabe über ihren Schulabschluss den Grundstein zu legen für weitere unzutreffende Behauptungen über ihre juristische Ausbildung und Tätigkeit.“

Das dürfte das Ende ihrer politischen Karriere sein. Da ist in der Öffentlichkeit ganz schnell die Rede von „Betrug“ und es wird neben der Forderung nach einem sofortigen Rücktritt auch nach Strafe gerufen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte den Eingang mehrerer Strafanzeigen. Vermutlich soll die volle Härte des Gesetzes sie treffen. Die wird immer gerne genommen.

Dabei dürfte Frau Hinz sich überhaupt nicht strafbar gemacht haben. Glauben Sie nicht? Dann mal schön der Reihe nach.

Lügen sind nicht verboten

Soweit bisher bekannt ist, hat Frau Hinz wohl vor rund 30 Jahren erstmalig behauptet, sie habe ein Abitur abgelegt, Jura studiert und die beiden Staatsexamen erworben, obwohl das alles nicht stimmt. Wem gegenüber und aus welchem Grund sie das gemacht hat, ist bisher nicht bekannt. Sie hat also gelogen. Aber Lügen ist strafrechtlich  nicht allgemein verboten. Ansonsten säßen ja alle im Knast oder haben Sie noch nie gelogen?

Wenn von der Straftat Betrug gesprochen wird, handelt es sich um ein spezielle Art der Lüge.

In § 263 Abs. 1 StGB heißt es:

(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Nun, einen Irrtum über ihren Berufsweg hat Frau Hinz wohl bei wem auch immer erregt und auch über die Jahre hinweg aufrecht erhalten. Gleichwohl liegt eine strafbare Handlung wegen Betruges aus mehreren Gründen fern.

Ein durch Betrug erzielter Vermögensvorteil muss nämlich durch eine Vermögensverfügung des Getäuschten eingetreten sein. Wer wurde denn getäuscht? Die Mitglieder des SPD-Verbandes, der sie auf die Wahlliste setzte? Ihre Wähler? Kann man unterstellen, dass Frau Hinz nur wegen ihrer Angaben zu ihrem beruflichen Werdegang auf die Kandidatenliste gesetzt wurde und nicht etwa wegen ihres politischen Engagements in der Partei? Oder weil sie eine Frau ist? Haben die Wähler sie gewählt, weil sie behauptet Juristin zu sein? Juristen sind in der Bevölkerung nicht übermäßig beliebt. Selbst wenn, sie haben dadurch keinen Vermögensnachteil erlitten.

Money for nothing?

Ja, aber die hat doch Abgeordnetendiäten bezogen, wird eingewendet. Richtig. Die hat sie für ihre Tätigkeit als Abgeordnete bekommen. Insoweit ist überhaupt kein Schaden entstanden, denn, dass sie ihre Pflichten als Abgeordnete nicht erfüllt hätte, hat bisher noch niemand ernsthaft behauptet.

Um Abgeordnete zu werden muss man auch weder Juristin sein, noch studiert oder Abitur haben. Einzige Voraussetzung für das passive Wahlrecht ist nach Art. 38 Abs. 2 GG, dass man am Wahltag Deutscher oder Deutsche ist, das 18. Lebensjahr vollendet hat und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen ist. Der frühere Außenminister Fischer verließ das Gymnasium vor Beendigung der 10. Klasse ohne Abschluss und begann eine Lehre als Fotograf, die er nie beendete. Gewählt wurde er trotzdem oder gerade deshalb. Frau Hinz hatte immerhin die Fachhochschulreife.

Jurist darf jeder Doof sich nennen

Ja, aber die hat doch gesagt, dass sie Juristin sei.

Stimmt. Aber das dürfen Sie ebenfalls tun, wenn Ihnen das Freude bereitet. Der Begriff „Juristin“ ist keine geschützte Berufsbezeichnung wie etwa Apotheker, Arzt, Rechtsanwalt, Psychotherapeut und andere. Jurist darf jeder Doof sich nennen. Dass Frau Hinz sich jemals als Rechtsanwältin bezeichnet hätte oder für jemanden juristisch tätig gewesen wäre, ist nicht bekannt. Hätte sie das getan, läge eine Straftat nach § 132a StGB oder eine Ordnungswidrigkeit nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz vor.

Das mag Sie jetzt erstaunen, aber tatsächlich ist nicht ersichtlich, dass Frau Hinz sich mit ihrer dummen Hochstapelei irgendwie strafbar gemacht hätte.

Abgeordnete zwingt man nicht

Gut, dann muss man sie aber wenigstens sofort raus werfen, oder?

Auch da muss ich Sie enttäuschen. Als gewählte Abgeordnete des Deutschen Bundestages genießt Frau Hinz einen ganz besonderen Schutz. Sie hat ja nicht einen Arbeitgeber in einem Arbeitsverhältnis über ihre Qualifikation getäuscht, wie dies die selbstgemachten Ärzte oder Psychologen getan haben. Der Bundestag ist kein Arbeitgeber und die Abgeordneten keine Angestellten. Niemand kann sie rausschmeißen oder zur Niederlegung ihres Mandates zwingen, niemand. Ganz im Gegenteil, wer das versucht – und die Setzung von Ultimaten könnte man durchaus als solchen Versuch betrachten – der macht sich unter Umständen selbst strafbar.

§ 106 Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans

(1) Wer

1. den Bundespräsidenten oder
2. ein Mitglied
a) eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes,
b) der Bundesversammlung oder
c) der Regierung oder des Verfassungsgerichts des Bundes oder eines Landes

rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, seine Befugnisse nicht oder in einem bestimmten Sinne auszuüben, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Offenbar übersieht das ein oder andere SPD-Mitglied, dass Abgeordnete nach ihrer Wahl nicht Lakaien ihrer Partei sind oder den Forderungen ihrer Partei oder gar der Ortsverbände unterliegen, sondern Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind.

Ob Frau Hinz es mit ihrem Gewissen vereinbaren kann, weiterhin ihr Mandat zu behalten, kann und darf nur Frau Hinz entscheiden, ist ja ihr Gewissen. Vielleicht kann sie es auch einfach nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, dass die Mitarbeiter ihres Büros im Falle eines eiligen Rücktritts von einem auf den anderen Augenblick arbeitslos werden. Vielleicht denkt sie auch an ihre Altersversorgung oder was auch immer. Ich weiß es nicht, aber ihr jetzt ausschließlich Raffgier zu unterstellen, ist etwas zu einfach. Sie muss sich nicht rechtfertigen. Wenn sie mag, kann sie ihr Mandat auch bis zur nächsten Bundestagswahl einfach behalten. Es ist ihr Bier, so sehr das anderen auch stinkt. Wenn die Partei oder die Fraktion sie rausschmeißen möchte, muss sie das nicht kümmern. Abgeordnete bleibt sie trotzdem. So wie die eigenen Parteigenossen mit ihr umgehen, könnte ich sogar gut verstehen, wenn die den Bundestag noch etwas alleine aufmischt.

Das mag jetzt irgendwie blöde und unbefriedigend klingen, aber es hat schon gute Gründe, dass die Abgeordneten derartigen Schutz vor Beeinflussung haben. Nur so können sie ihre Aufgaben frei von Druck erfüllen.

Grottendummer Schwindel

Rechtlich läuft also gar nichts gegen Frau Hinz. Tatsächlich läuft gegen sie allerdings so einiges. Neben einem fulminanten Shitstorm in den Medien und im Internet, muss sie sich auch damit auseinandersetzen, dass alles, was sie sich bisher aufgebaut hat, wie eine Seifenblase zerplatzt. Was muss diese Frau in den vergangenen Jahrzehnten Angst gehabt haben, dass ihr grottendummer Schwindel auffällt. Allen, die jetzt moralisch höchst erregt Vergeltung fordern, sei die Frage gestellt, ob sie nachdem die Mär von der Juristin erst mal von allen geglaubt wurde, den Mut gehabt hätten, sich hinzustellen und diesen Fehler einzugestehen.

Im Gegensatz zu anderen Hochstaplern hat Frau Hinz ja weder in einem Beruf gearbeitet, in dem sie mangels Qualifikation nicht arbeiten durfte, noch hat sie ihr Mandat nicht mit den nötigen Engagement erfüllt. Wie viele der SPD-Ortsverbandsmitglieder mögen sich wohl in ihrem MdB-Glanz gesonnt haben und wie viele von denen sind jetzt bereit, einer Gestrauchelten wieder auf die Beine zu helfen? Sagt der ungnädige Umgang mit einer Parteifreundin, die bei der SPD sogar Genossin genannt wird, nicht einiges über die gerade in der SPD so wichtige Solidarität aus?

Ich gebe ja zu, erst auch so meine Witzchen über Frau Hinz gemacht zu haben. So hatte ich z.B. getwittert

Frau Hinz fälscht ihren Rücktritt

oder gemutmaßt sie sei vielleicht in Wirklichkeit Herr Kunz.

Bei näherer Beschäftigung mit der Causa Hinz habe ich aber festgestellt, dass mich die Motive von Frau Hinz für ihren Schwindel und ihr jahrzehntelanges Festhalten daran und die Reaktionen auf das Outing, dann doch mehr interessieren, als mich daran zu beteiligen, die am Boden liegende noch kräftig zu treten.

Kein Mensch ohne Abitur?

Glaubte sie, ohne eine Akademikerlaufbahn sei sie in dieser Gesellschaft nichts wert oder könne nichts bewirken? Wäre das so falsch gewesen oder ist es heute falsch? Gucken Sie sich einmal die Zusammensetzung des Bundestages im Hinblick auf die Berufe an. Ist das ein Abbild der Bevölkerung? 92 freiberufliche Juristen tummeln sich da, aber nur ein Arbeitsloser und 9 Auszubildende. Trauen „normale“ Menschen sich schon gar nicht mehr, politisch aktiv zu werden oder sortieren die Parteien ihre Kandidaten so vor?

In der Sexta hatten wir ganz zu Beginn einmal einen Vertretungslehrer, der uns kleinen Kindern erzählte, unser Ziel sei das Abitur und wer das nicht mit allen Kräften wolle, solle gleich wieder verschwinden, weil nur Menschen mit Abitur richtige Menschen wären. Ich war erschrocken, dachte dann der scherzt, aber der meinte das so.

Zweite Chance

Frau Hinz tut mir leid und ich hoffe, dass sie sich angesichts der schroffen Reaktionen der Öffentlichkeit nichts antut.

Für Frau Hinz ist es fast schon schade, dass sie nicht strafrechtlich belangt werden kann. Dann hätte sie dazu stehen können, die Strafe akzeptieren und wäre irgendwann nach deren Erfüllung rehabilitiert worden. So sieht das unser Rechtssystem vor. Jeder hat Anspruch auf eine zweite Chance. So bleibt ihr nur, mit sich selbst und der Öffentlichkeit ins Reine zu kommen. Hoffentlich bleiben ihr ein paar Freunde, die ihr dabei helfen.

Wenn der FDP-Politiker Hirsch prognostiziert,

Die Frau ist einfach Hartz IV, die ist vorbei. Das wird sie natürlich sehr zum Nachdenken bringen, was sie eigentlich machen soll, denn ich glaube, sie ist Mitte 50, also sie hat das Pensionsalter auch bei Abgeordneten noch nicht erreicht, sie muss jetzt noch ein paar Jahre überbrücken. Das wird für die verdammt schwierig werden, die wird das sehr bereuen, was sie getan hat.

dann hoffe ich einmal, dass dies eine zu pessimistische Einschätzung der persönlichen Zukunft von Frau Hinz ist. Es gibt Politiker, die mit 1,75 Promille Blutalkohol einen Unfall verursacht und einen Menschen getötet haben, die wenige  Jahre später in eine Landesregierung berufen wurden.

Kaiser von China

Das empörte Verhalten der SPD lässt den Schluss zu, dass diese sich der Tatsache bewusst sein könnte, dass sie bei der Aufstellung ihrer Bundestagswahlkandidaten selbst lieber dem schönen Schein folgt, als der tristen Realität. Sieht halt schicker aus, wenn eine Juristin kandidiert, als jemand ohne Berufsausbildung. Warum sollte man von den Kandidaten nicht verlangen können, dass sie angegebene Anschlüsse auch durch entsprechende Dokumente belegen. Ich müsste zwar ein wenig suchen, könnte aber sowohl die beiden Staatsexamen als auch die Zulassung der Anwaltschaft vorlegen. Fände ich auch nicht ehrenrührig, wenn das bei einer Kandidatur vorlegen müsste. Wie muss man sich das denn bei der SPD vorstellen? Kann ich da einfach erzählen, ich sei der Kaiser von China oder würde man da doch stutzig? Dass es irgendeine Form der Verifizierung gäbe, konnte ich den bisherigen Stellungnahmen jedenfalls nicht entnehmen. Die Peinlichkeit ist also zu einem nicht geringen Teil von der Partei selbst verursacht. Da besteht Handlungsbedarf.

Ich sähe auch kein Problem darin, wenn die Angaben für das Handbuch des Bundestages belegt werden müssten. Aber das ist eben nicht so. Da kann jeder sich seine Karriere basteln, wie es ihm gefällt. Vielleicht singt Frau Nahles deshalb so gerne das Pippi-Langstrumpf-Lied?

Dass sie etwas kann, hat Frau Hinz bewiesen. Warum sollte sie dann keine Chance mehr bekommen? Weil sie das Vertrauen der Wähler missbraucht hat? Ach herrje, da wäre sie wahrlich nicht die Erste.

 

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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