Volksabstimmung – ja/nein

Im Zusammenhang mit dem britischen Referendum zum EU-Ausstieg geistert auch in Deutschland die Frage nach der Einführung von Volksabstimmungen durch die Presse. Ein Grund für unseren Kolumnisten, sich einmal näher damit zu beschäftigen.


Manche Befürworter einer solchen im Grundgesetz bisher nur für die Neugliederung des Bundesgebietes (Art. 29 Abs. 2 GG) und im Fall einer neuen Verfassung (Art. 146 GG) vorgesehenen Abstimmung meinen, Volksabstimmung bedeutete mehr Demokratie. Insbesondere bei sogenannten „Schicksalsfragen“ der Nation würden damit staatliche Entscheidungen auf eine breitere Basis gestellt und in der Folge dann auch von den Bürgern besser akzeptiert. Das klingt auf den ersten Blick vielleicht ganz einleuchtend, zwingend richtig ist das aber keineswegs.

Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sich zur Gesetzgebung und Entscheidungsfindung gegen eine direkte Beteiligung des Volkes an der Regelung von Sachfragen entschieden und diese den gewählten Repräsentanten überlassen. Wer diese Repräsentanten sind, entscheiden die Bürger bei regelmäßigen Wahlen.

Ich halte das für den klügeren Weg und bisher sind wir damit ja auch ganz gut gefahren.

Das bedeutet nun aber nicht, dass Volksabstimmungen grundsätzlich Teufelszeug wären. Wäre das der Fall, dann wäre die Schweiz bereits lange in der Hölle verschwunden.

Wenn man also meint, mit Volksabstimmungen die durch die unsägliche GroKo-Manie etwas eingeschlafene Akzeptanz des Staates wieder aufwecken zu können, dann muss man genau überlegen, unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen die Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene zu einer Bereicherung der demokratischen Mitwirkung ohne schädliche Risiken und Nebenwirkungen führen könnte.

Das Grundgesetz erwähnt Abstimmungen in Art. 20 Absatz 2 GG:

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Allerdings erwähnt das Grundgesetz im Gegensatz zu den Wahlen an keiner Stelle, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Bedingungen denn diese Abstimmungen möglich sind.

Um also Volksabstimmungen auf Bundesebene tatsächlich rechtmäßig durchsetzen zu können, müsste zunächst das Grundgesetz geändert werden. Das ist mit einer 2/3-Mehrheit im Bundestag durchaus möglich.

Danach müsste es ein „Volks-Abstimmungsgesetz“ ähnlich dem Wahlgesetz geben, in dem dann die Einzelheiten einer solchen Volksabstimmung zu regeln wären. Dabei gäbe es einiges zu bedenken.

Keine Chance für Verfassungsfeinde

Klar muss sein, dass die Ziele einer Volksabstimmung nicht verfassungswidrig sein dürften. Verfassungsfeinde dürfen keine Chance haben. Auf Volkes Stimme zu hören, bedeutet nicht die Tyrannei des Mobs. Wenn also der Lynchmob der Initiative „Todesstrafe für Kinderschänder“ auf die naheliegende Idee käme, ihre sadistischen Mordphantasien durch eine Volksabstimmung  zur Einführung der Todesstrafe durchsetzen zu wollen, dann müsste dies durch eine Vorabprüfung des anvisierten Zieles ausgeschlossen sein. Volkswille hin oder her. Die Grund- und Menschenrechte stehen nicht zur Disposition. Diese Vorprüfung könnte sinnvollerweise dem Bundesverfassungsgericht zugewiesen werden. Das wäre dann zwar eine Art vorweggenommener Normenkontrolle, die im üblichen Gesetzgebungsprozess ausgeschlossen ist, aber hier geht es ja auch um einen Ausnahmeprozess. Da darf man auch kreativ sein.

Klar muss ebenfalls sein, dass sich an der grundsätzlichen Zuständigkeit des Parlaments für die Gesetzgebung durch die Aufnahme der Möglichkeit von Volksabstimmungen nichts ändern darf. Das hat zwei Gründe:

  1. Die Gesetzgebung ist ein relativ komplizierter Vorgang, der dadurch, dass verschiedene demokratisch gewählte Abgeordnete sich mehrheitlich auf bestimmte Gesetze und Gesetzesformulierungen einigen müssen und der Bundesrat häufig auch noch mitspielen muss, eine gewisse Gewähr dafür bietet, dass grober Unfug sich meist in Grenzen hält. Gerade bei einer GroKo besteht allerdings immer die Gefahr, mit der Kraft der absoluten Mehrheit auch schon mal das ein oder andere verfassungswidrige Gesetz durchzuprügeln. Das haben wir in den letzten Jahren mehrfach erlebt. Diese Gesetze werden dann allerdings vom Bundesverfassungsgericht bisher zuverlässig wieder eingefangen.
  2. Die Bürger können nicht alle naslang abstimmen.

Außerdem sollte sich die Möglichkeit von Volksabstimmungen nur auf die Themen beschränken, bei denen das Parlament – aus welchen Gründen auch immer – keine Regelung getroffen hat.

Die Volksabstimmung sollte auf keinen Fall die Möglichkeit bieten, bereits vom Parlament getroffene, rechtlich einwandfreie Entscheidungen wieder auszuhebeln. Dies wäre dann nämlich eine neue Lieblingsbeschäftigung populistischer Zwerggruppen, die das Parlament ohnehin für eine untaugliche Volksvertretung, eine Ansammlung von bezahlten Volksverrätern halten und deren vorrangiges Ziel es ist, mit Hilfe des „Volkssturms“ das ihnen verhasste System und seine Repräsentatnten insgesamt wegzufegen.

Ja oder Nein

Ich kann mir allerdings kaum geeignete Fragen für so eine Volksabstimmung vorstellen. Bei einer solchen kann es ja nur um eine Ja- oder Nein-Entscheidung gehen, nicht aber um ein Jein oder ein Na. Wer den Gesetzgebungsprozess kennt, der weiß, dass kaum ein Gesetz die Gesetzgebungsmaschinerie Parlament so verlässt, wie es als Entwurf hineingekommen ist. Bei einer Volksabstimmung sind aber sinnvolle Änderungen nicht denkbar. Und welche Fragen kann man heute schon einfach mit Ja oder Nein beantworten? Falls die Welt jemals schwarz-weiß war, sie ist es nicht mehr.

Sollte sich der Gesetzgeber – und nur der könnte das – dazu entscheiden, die Möglichkeit von Volksabstimmungen zuzulassen, dann müsste ein recht aufwändiges Verfahren betrieben werden.

Sicher kann nicht jeder einzelne Bürger mit einem Antrag dafür sorgen, dass zigmillionen Wahlberechtigte an die Wahlurnen gerufen werden. Es müssten also zunächst einmal, nach der Formulierung der zu entscheidenden Frage – wer formuliert die? – und der Vorprüfung der grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit, Unterschriften gesammelt werden. Da wird es schon spannend. Wie viele Unterschriften sollen es sein, um die Maschine anzuwerfen? Ein paar Hunderttausend? Eine Million? Mehrere Millionen? Ein bestimmter Prozentsatz der Wahlberechtigten oder nicht besser ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung?

Denn Volksbefragung wäre ja etwas anderes als Wählerbefragung. Sieht man sich z.B. die britische Brexit-Abstimmung an, dann fällt auf, dass diejenigen, die von einer solchen Entscheidung für die Zukunft des Landes am allermeisten betroffen sind, nämlich die Altersstufe von 0 – 18 Jahre, überhaupt nicht beteiligt wurden, obwohl sie zweifellos auch zum Volk gehören. Müssten da nicht vielleicht auch die oder deren Eltern ein Stimmrecht bekommen?Nun, man sollte das diskutieren.  Wenn Micky Beisenherz meint

Demokratie ist eine feine Sache. Das Dumme daran ist nur, dass die Doofen mitmachen dürfen.

dann ist das nicht falsch. So ist das ja auch bei Wahlen. Für die vermeintlich Klugen und Informierten ärgerlich, aber dennoch richtig. One man, one vote. Okay „man“ sind mittlerweile auch Frauen. Wenn aber die Alten, die Ungebildeten und Uninformierten mitmachen dürfen, warum dann nicht auch, die jungen und die ganz jungen?

Wer zahlt, schafft an?

Es stellt sich auch die Frage, wie die Initiatoren einer Volksabstimmung ihren wahnsinnigen Aufwand alleine für die Unterschriftensammelei finanzieren sollen. Besteht da nicht doch wieder die Gefahr, dass diejenigen, die über reichhaltige Mittel verfügen, im Vorteil sind. Würde z.B. ein Konzern wie Monsanto nicht gute Aussichten haben, mit entsprechenden Mitteln eines seiner segensreichen Produkte gegen das Votum des Parlaments durchzusetzen, weil das Volk, mit „Informationsmaterial“ zugeknallt, das will? Wären da nicht wieder die im Vorteil, die eine Kampagne durch Werbeagenturen pushen können? Bliebe am Ende die Idee, dass die Bürger selbst etwas entscheiden, nicht auf der Strecke? Welche Rolle spielte Fleet-Street beim Brexit?

Es mag sein, dass in einzelnen Fällen der „Gesetzesverweigerung“ oder wechselseitige Blockade im Parlament, eine durch die Parteien verursachte Entdemokratisierung der Entscheidungsgewalt, mittels einer aus der Bevölkerung kommenden Initiative etwas gelöst werden könnte. Es kann aber ebenso gut sein, dass das Mittel der Volksabstimmung von bestimmten Gruppen dazu verwendet würden, das demokratische System als solches zu destabilisieren, indem den Bürgern immer wieder vorgemacht wird, das Parlament vertrete grundsätzlich nicht ihre Interessen. Wo die von Blockparteien oder Systemparteien, Lügen- oder Pinocchiopresse und Regierungsmedien die Reden ist, da ist der Ruf nach Volksabstimmungen nicht fern. „Wir sind das Volk“ rufen mittlerweile schon Gruppen von 20 Leuten und glauben das vermutlich auch noch. Dass aus dieser Ecke tatsächlich mehr Demokratie gewünscht wäre, wenn nach Volksabstimmung gerufen wird, darf man getrost bezweifeln.

Die Stunde der Demagogen

Eine Lehre aus der Brexit-Abstimmung in Großbritannien ist, unabhängig davon, wie man das Ergebnis bewertet, dass im Vorfeld einer solchen Abstimmung mit Lügen und leeren Versprechungen hantiert wird, die die Bevölkerung in zwei Gruppen spalten. Am Ende verpisst sich der größte Demagoge dann nach gewonnener Abstimmung. Vielleicht wollte er nur spielen. Mehr noch als der Wahlkampf der Parteien zur Bundestagswahl, wären Volksabstimmungen das Metier der großen Demagogen. Wirre Gedanken korrespondierend mit wirren Frisuren bringen zwar jede Menge Unterhaltung und reichlich Stoff für sarkastische Kolumnen, ob das aber der Gesellschaft insgesamt dient, bezweifle ich sehr.

Wenn Sie also von mir hören wollen, ob ich für die Einführung von Volksabstimmungen in Deutschland bin, kann ich nur mit einem kraftvollen JEIN antworten. Und dieses Wort enthält ein Viertel Ja und dreiviertel Nein.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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