Auf dem Nachttisch… Nummer 2

…nannte Kurt Tucholsky eine Rubrik, die er in den 1920er Jahren für die „Weltbühne“ schrieb. Ob nun eine Monographie über John Heartfield, Gedichte von Walter Mehring, Studien über das „Geschlechtsleben in Melanesien“, katholische Moralbroschüren oder wohl im Suff geschriebene deutsch-französische Wörterbücher, den lombardischen Leser interessierte auch das, was sonst wenig öffentliche Beachtung fand, aber sie doch verdient hatte.


Fotograf: Albert, Joseph
Entstehungsjahr: um 1863
Aufbewahrungsort: München
Sammlung: Stadtarchiv
Land: Deutschland
Kommentar: Ludwig II.

gemeinfrei  / geschnitten HS

Ich lese zwar nie im Liegen, aber auch bei mir sammelt sich Gedrucktes, das ich nicht wegwerfen kann und das es verdient hätte, eine breitere Öffentlichkeit zu finden. Also, Tucho zu Ehren, bauen wir am Nachttisch an…diesmal auch für andere Medien…

Mordbrenner und Meuchler

Was für ein schöner Herbst: überall nur Gold, Kupfer und Messing. Da weiden die Schafe der frommen Denkungsart und ein englisches Landlüftchen weht, mit dem man sich die Lungen vollatmen möchte. Doch was sind das für beunruhigende Hammerschläge, die über diese Idylle hallen? Die Büttel der Rechtreligiösen zimmern einen Galgen – zwischen all diesen lieblichen Hügeln und Auen und der Sattheit des Septembers. Damit das Unbehagen, das den Zuschauer in seiner anfänglichen Wohligkeit beschleicht, sich noch steigert, führt man eine erbärmlich vor Angst schreiende Frau heran. Vorneweg der bibelheuchelnde Pfarrer und hinterdrein das verschreckte, gleichwohl neugierige Volk, das Hinrichtungen liebt, sofern es nicht die eigene ist.

Den letzten Befehl, das Seil zu straffen, gibt der Pfaffe mit einem Kopfnicken und die Schreie der Frau, die man als Hexe hinrichtet, ersticken. Hinter den Hagen und Hainen schleicht sich das Musik-Motiv für den Unhold heran, noch nur ein Grummeln, das aber Resonanz findet unten, auf unseren Zwerchfellen. In der Ferne, verschwommen und deshalb genauso diffus wie die jetzt hineinkriechende Beunruhigung, das Mißtrauen und die Angst, auf seinem so reinen, weißen Schimmel: Matthew Hopkins, „Der Hexenjäger“ – „The Witchfinder General“.
So beginnt ein bald 50 Jahre alter Horrorfilm, der seinen legendären Ruf bis heute immer wieder unter Beweis stellt. 1968 galten seine Gewaltdarstellungen als Tabubruch – vor allem aber der eindeutige Zusammenhang von Sex und Brutalität. Das Junggenie Michael Reeves drehte diesen, seinen dritten Spielfilm mit 23 Jahren – und starb bald darauf unter mysteriösen Umständen. Eine herrschsüchtige Mutter, folglich Drogen und Depressionen hatten ihm den Rest gegeben. Ein Frühunvollendeter.

Nach der drastischen Hinrichtung in der Pretitle-Sequenz, die Böses erahnen läßt, werden wir Zuschauer erst Mal beruhigt mit der Szenenfolge eines Scharmützels zwischen Königstruppen und Männern des Oliver Cromwell. Vielleicht ist dies ja doch bloß ein flamboyanter Abenteuerfilm aus der Zeit des englischen Bürgerkrieges, denn wir bekommen hier den tapferen und hübschen Rundkopf Richard Marshall präsentiert, der seinen Vorgesetzen vor einem Schuß aus dem Hinterhalt rettet. Ein bißchen beruhigen uns auch die Farne, Fichten und Föhren von Black Park, jenem Drehort, in dem Hammer Films oft die Außenszenen für ihre gemütlichen Horrorepen drehten, die eigentlich immer für kommoden Grusel mit Happyend sorgten. So schlimm wird es also wohl nicht werden… Doch das Blut der im Kampf Unterlegenen nimmt sich in diesem Film unappetitlicher aus als in anderen Farbfilmen zuvor.
Nach den Hekatomben von Leichen und den Meeren an realistischem Blut, die seitdem die Leinwände überschwemmten, können wir heute kaum mehr verstehen, weshalb dieser Film seinerzeit soviel Abscheu erzeugte. Damals aber stellte er einen Markstein in Sachen realistische Grausamkeit dar, wie es sie bis dahin noch nicht gegeben hatte.

Dabei bietet er uns zu Anfang auch allerliebste Süßigkeiten: Für seine Heldentat bekommt Richard Marshall Urlaub und reitet durch die zartherbstlichen Gemarkungen mit Sehnsucht und Verlangen. Man kann ihn verstehen – denn in einem kleinen Dörfchen erwartet ihn ebenso sehnsüchtig die schöne Sarah, Nichte eines katholischen Landpfarrers. Kein strenger Katholik, einer, der seinem Mündel diese Liebe gönnt, weil er weiß, wie grausam die Zeit ist, die auf liebende Menschen keine Rücksicht nimmt. Und so läßt der Pfarrer es sogar zu, daß die beiden jungen Leute in dieser lang herbeigesehnten Nacht, miteinander schlafen – ohne getraut zu sein. Wir sehen schöne Körper, die einander umfangen – nein, heute weiß ich, es sind Leiber in all ihrer Verletzlichkeit – und was von Kritikern einmal als Weichzeichner-Kitsch-Sex bezeichnet wurde, braucht der Regisseur, um die Schönheit dieser Leiber und ihrer Jugend zu beschwören, die dann aus Neid, Gier und Haß auf eben diese Schönheit und Jugend, zerstört werden.

Am nächsten Tag muß Richard zurück zur Truppe und verläßt Sarah, nicht ohne ihr zu versprechen sich bald wieder zur Hochzeit einzufinden. Er mahnt sie und ihren Onkel noch zur Vorsicht, denn in diesen finsteren Zeiten treiben sich noch finstere Gestalten herum. Nun sind wir schon zwanzig Minuten im kaum 80minütigen Film – und erst jetzt, in der zarten abendlichen Dämmerung, begegnen wir dem Schurken Matthew Hopkins auf seinem Schimmel und in einem Licht, das an das Gleißen einer Messerschneide erinnert. Ein herrischer Mensch, herablassend, hochnäsig, einen brutalen Büttel im Schlepptau. Vincent Price spielt den historischen Hexenjäger, jener Schauspieler, der zum effeminierten Outrieren neigte, aber hier dieses Chargieren vermeidet – wozu ihn wohl Michael Reeves angehalten hat; kein Wunder daß sich Regisseur und Star bei den Dreharbeiten nicht auf den Pelz gucken konnten.

Matthew Hopkins wurde von den Bewohnern eben jenes Dorfes eingeladen, in dem Sarah und ihr Priesteronkel leben. Hopkins soll den Flecken von Hexen befreien. Daß für die Protestantischen Bauern natürlich der ungeliebte Katholik zur Projektionsfläche des Hexenwahnes wird, versteht sich von selbst. Der andere Glaube ist immer der teuflische.
Matthew Hopkins begibt sich gleich an sein appetitliches Werk und läßt den armen Mann von seinem Gehilfen (die eigenen Hände macht er sich nicht schmutzig) mit dolchartigen Instrumenten in Muttermale stechen, damit man ihn schreien hört – denn schriee er nicht, hätte er keine Schmerzen, und so muß er wohl vom Teufel besessen sein.
Sarah, die von draußen hereinstürmend in diese Foltern platzt, schmeichelt der Sinnlichkeit des Hexenjägers, der sich schon reichlich an den Martern ergötzte – das macht Price wirklich subtil – hätte man von ihm nicht gedacht – all seine Lust und sein Genuß spiegelt sich in seinen Augen und in den leichten Zuckungen seiner Mimik. Die junge Frau, die rasch kapiert, daß sie keine andere Chance hat ihren Onkel zu retten, bietet sich Hopkins an. Und während der gefolterte Priester im Kerker schmachtet und Ratten an ihm nagen, hat der Hexenjäger Grund, sich nachts in die verwaiste Pfarrei zu schleichen.

An dieser Stelle des Films scheinen wir vollkommen von der geistigen, körperlichen und dumpfen Düsternis jener Zeit umfangen…in der man sich aus Sadismus und Christgläubigkeit an Grausamkeiten ergötzte und die Lust nur mit Schmerz verbinden konnte in der tiefsten Nacht.

Ob Richard Marshall seine Sarah retten kann und was im Verlauf der Enqueten an Menschlichkeit und Unversehrtheit draufgeht, das muß man sich schon selbst antun – den „Hexenjäger“ kann man sich heute bequem auf DVD bestellen oder sogar auf YouTube anschauen. Vor fast 50 Jahren galt er als zügellos und obszön, am besten in Bahnhofskinos aufgehoben. Es wurden sogar für verschiedene Länder unterschiedliche Fassungen hergestellt, deren Grausamkeits- und Blutgehalt, der sich im Laufe des Filmes beträchtlich steigert, den Zensurgesetzen des jeweiligen Landes angepaßt wurden.

Aber die Grausamkeiten sind in diesem Film nie Selbstzweck, sondern stets die Kehrseite der Medaille, die Kehrseite von Bonhomie und Bigotterie. Spannend, daß ausgerecht der gläubige Christ Vincent Price diese Seiten sardonischer Freundlichkeit und sadistischer Lust am Quälen so fein ziseliert herausarbeiten konnte; aber vielleicht gerade weil er Christ war.

Das Finale Furioso läßt uns überwältigt und ratlos zurück – denn Blut- und Mordrunst, erfahren wir da, machen auch vor unserem Helden, dem vermeintlich Guten in bösen Zeiten, nicht Halt. Ja, noch mehr, wir die Zuschauer, ertappen uns dabei, daß wir bei den Rachetaten am Ende zwar befriedigt sind, aber schließlich auch Ekel empfinden – vor uns selbst? Dann wäre dem Film ein Kunststück gelungen.

Warum liegt gerade die DVD des „Hexenjägers“, den ich für einen der unterschätzten Genrefilme der 60er Jahre halte – obgleich er Kultstatus bei den Afficionados hat – auf meinem Nachttisch? Weil er von einer Zeit erzählt, in der Glaubenswahnsinnige, Irre einer Ideologie, das Land säubern wollten von dem Anderen, dem angeblich Bösen, den Unangepaßten, denen, die anders aussehen und anders leben. Der Hexenwahn hatte damals das vom Bürgerkrieg erschütterte England im Griff und wurde auch auf dem Kontinent virulent – meist dort, wo politische Unsicherheit herrschte und gesellschaftliche Umbrüche stattfanden. Der diffuse Druck, der emotionale, soziale und politische, der auf den Menschen lastete, wurde umgelenkt auf das erfundene Böse, die Hexen – das führte weg von den wirklichen Verursachern der Beunruhigung.

Es hat sich nichts geändert – Vincent Price hat das sinistre Lächeln von Björn Höcke vorweggenommen, die falsche Freundlichkeit der Frau Petry, das verlogene Mitleid der Lebensschützer um Martin Lohmann, die ja auch mit Kreuzen bewaffnet durch die Gegend laufen und die heisere Selbstzufriedenheit der Marine LePen. Natürlich hat Mr. Price diese Herrschaften nicht gekannt, aber er hat den bösartigen Typus, der ein gewisses Phaszinosum ausstrahlt, wohl auch in sich gefunden und frappant an den Tag gebracht. Dabei war er noch nicht einmal ein method actor.

Der Film endet wie er begonnen hat: mit Schreien – diesmal jedoch mit Schreien des Wahnsinns. Folter und Zerstückelungen, Mordbrennerei und Meuchelei dräuen uns hier aus einem authentischen 17. Jahrhundert entgegen. Aber anders als die Gewaltpornos heute, die bloß noch zynische Ausbeutung des Zynismus selbst sind, zeigt der „Hexenjäger“, daß vor dem Gewaltausbruch die Verlogenheit, die Schmeichelei, die masturbatorische Maulmörderei kommen. Wer einmal die schrille Schreierei der Beatrix von Storch auf einer Demo miterlebt hat, weiß wovon ich spreche.

Naja, „The Witchfinder General“ ist auch ein Film des verflixten Jahres 1968; ob Michael Reeves, ein Getriebener des Kinos, überhaupt politisch gedacht hat, steht zu bezweifeln. Aber die Entlarvung der Mächtigen, der Sadisten, der Herrscher ist ihm trefflich gelungen. Und da sich in allen europäischen Staaten, nicht nur im bukolischen England im Herbst, die Hexenjäger wieder zusammenrotten, lohnt es diesen Film auf dem Nachttisch und im DVD-Player zu haben.

Lungen, aber kein Atem

Man soll es nicht glauben, auch ich habe romantisch-heroisch-tragische Anwandlungen. Seit ich mit halbverständigen 14 Jahren den wirklichen Monstre-Film „Ludwig II.“ von Luchino Visconti zum ersten Mal gesehen habe (mittlerweile müssen es an vierzig Male geworden sein), war ich dem unglücklichen König verfallen; salut le seul vrai roi de ce siécle (Paul Verlaine) – der Film und der König: „monstres sacres“.
Aus der kritischen Nachschau will ich exakter sein: ich war Ludwig verfallen, so wie ihn der damals wohl schönste Mann der Welt, Helmut Berger, gespielt hat. Über die Jahre bin ich dann zum Experten für den unglücklichen, neurotischen und lebensverwirrten König geworden. Alles, was über ihn geschrieben wird, findet mein inzwischen etwas ermüdetes, trotzdem immer offenes Interesse.

Da mußte ich doch zugreifen, als ich das neueste Werk des Ludwig-Experten Alfons Schweiggert entdeckte: „Ludwig II. und die Frauen“. Nun, pourquois pas, auch über den Gröfaz gibt es ähnlich erhellende Werke: Adolf und die Frauen, die Hunde, der Vegetarismus und die UFA-Stars.

Daß Ludwig II. nach einhelliger Meinung der Historiker homosexuell war, erfahren wir am Ende des 300seitigen Buches. Der Autor bedauert daß Prüderie, Katholizismus und Vorurteil des 19. Jahrhunderts den Monarchen zum Unglücklichsein in narzisstischer Persönlichkeitsstörung verdammt hätten. Auch neigt er der Ansicht zu Ludwig sei doch eher ein kleines bißchen bisexuell gewesen und homoerotisch, ja homophil, also mehr platonisch, den Männern zugeneigt – und so gelingt es Schweiggert die von Ludwig als quälend empfundene Homosexualität (er litt daran, ganz so wie es sich heute die Damen von der „Demo für Alle“ wünschen) sozusagen zu verdünnen. Um das zu erreichen werden in dieser bemerkenswert erschöpfenden Monographie schlichtweg alle weiblichen Wesen aufgezählt, mit denen der Monarch im Laufe seines Lebens in Kontakt kam – selbst seine Ammen und Aufwärterinnen. Natürlich auch Kaiserin Sissi, ihre Backfischschwester Sophie, die zeitweise mit Ludwig verlobt war, Schauspielerinnen, Sängerinnen und man staune auch Frauengestalten aus Dramen, Romanen und Sagen. Vergessen werden auch nicht Stalkerinnen, längst verstorbene Königinnen wie Maria Stuart und Marie Antoinette, sogar die Mätressen der französischen Barock- und Rokokokönige, die Ludwig sich zum Vorbild genommen hatte. Und man erbleiche – Erwähnung finden sogar posthume Verehrerinnen.

Das Buch ist auch allerliebst bebildert mit frühen Photographien von Hofdamen oder Wagner-Sopranistinnen – und sogar einer Handvoll von Illustrationen „auf denen Ludwig gemeinsam mit einer Frau“ abgebildet ist. Wir erfahren viel über diese Mädchen, Frauen, Damen, Aristokratinnen – und die recht eigentlich quälende Bewunderung, die Ludwig für sie empfand (quälend für ihn und quälend für sie). All dies Hofgeraune, diese Anekdötchen wie aus der Gartenlaube, manche hinter vorgehaltener Hand erzählt, machen den König aber nicht zu einem Lad of the Ladies.

Wer ein bißchen was von Psychologie versteht und etwas mehr auch über Ludwigs Männerbeziehungen weiß, dem erschließt sich, daß der Unglückselige zu Frauen ebenso wenig in Kontakt treten konnte wie zu Männern. Ein durch Bigotterie, Frömmelei und adeligen Dünkel zum Unglück erzogener Mensch, dessen Anlagen ihn – eine dilettantischer Neigung zu Kunst und Schönheit – mittelmäßiger Verstand und totale Überforderung in jeder Beziehung, politisch und persönlich – gar nicht zum tragischen Heroen machten, sondern zu einem zerstörten und deshalb selbstzerstörerischen Menschen.

Daß Ludwig II. Projektionsfläche wurde für so viele andere Lebensenttäuschte, Träumer und Ungeliebte ist viel interessanter als das eigentlich schäbige Leben des Königs selbst. Und Gottchen, er kannte natürlich schon qua seines Amtes ungezählte Frauen – dadurch wurde er aber kein heimlicher Heterosexueller. Das Bekenntnis des Autors zum homosexuellen Ludwig am Ende des Buches ist Lippendienst – eher kommt es mir vor, als wolle er ihn durch den Aufwand mit dem schier endlosen Damenflor, doch ein bißchen normalisieren…
Mich beschleicht das Gefühl, als wären solche Werke wie dieses aus dem Geist geschrieben worden, aus dem der bayerische Staat, nach dem Viscontifilm von 1972 künftig Dreharbeiten in den Ludwigschlössern verbot. Damals behagte nämlich nicht, daß der Regisseur den König bei homoerotischen Anwandlungen zeigte, wie er nackte Pagen im See badend beobachtet oder mit wohlgebauten ebenso nackten Chevaulegers in der Hunding-Hütte Bierorgien feiert.
Sein wir ehrlich – darüber würde ich gern mehr erfahren. Kann man auch – schon 2001 veröffentlichte Robert Holzschuh 27 erhaltene und bis dahin unbekannte Briefe des Königs – „Das verlorene Paradies“. Darin können wir lesen, wie es Ludwig nach bärtigen, kräftigen jungen Männern gelüstete und daß er seinen Angestellten, die diese ihm zuführen sollten, genaue Anweisungen selbst zur Größe und Gestalt des „Kunis“, gab. So nannte der völlig Verklemmte auf altgermanisch den männlichen „Schwanz“.

In diesen Briefen ist mehr (ja alles) gesagt über den König Ludwig II. als in den langen Aufzählung seiner Damenbekanntschaften.

Eigenartig – oder vielleicht auch nicht – daß man oft mehr lernen kann aus künstlerischen Bearbeitungen der Geschichte – wie jenem Film über die Hexenjägerei zur Cromwellzeit – als aus Geschichtswerken, die statt des spannenden „und dann und dann und dann“ (am Lagerfeuer der Geschichtenerzähler geraunt) nur historische Genauigkeit zu bieten haben: Gerüste, Gefäße aber keinen wahren Inhalt. Exakte Beschreibung der Lungen, aber kein Atem.
Volk, Fettfleck und Versteifung

Damit wollte ich eigentlich für diesmal meine Nachttischgedanken beschließen – aber dann flatterte mir ein Ding zu,

ein Dinnnggg,

sag ich, das ich nicht Buch zu nennen wage.

Übrigens flatterte es so rasch wie nie: der Verlag beeilte sich, mir Akif Pirinccis, nun ja, ich sage ja DING, in solcher Eile zuzusenden, wie ich sie nie zuvor erlebt habe: – heute bestellt, morgen schon da – . Fürchtete man die rasche Beschlagnahme wegen Volksverhetzung? Ach, was wäre das für ein großartiger Werbecoup geworden (auch Verleger Kubitschek hätte sich bestimmt gefreut) – aber den Gefallen hat dem Autor keine einzige Staatsanwaltschaft getan; hätte er doch noch mehr jaulen können, er würde mißachtet und verfolgt und kriegte keine Frauen mehr ab. Daran sind Merkel, die Flüchtlinge, die Schwulen und bestimmt auch deutsche Staatsanwälte schuld.

Eines muß ich als erstes feststellen: der Katzenkriminator ( „Nator“, nicht „Autor“) ist ein Schreibtischtäter wie die antisemitischen Autoren der „Protokolle der Weisen von Zion“ – so schlimm wie Heinrich Kramer, der den „Hexenhammer“ zusammenschmierte, jene Schrift auf die sich Sadisten wie Matthew Hopkins im Namen des Herrn berufen konnten. Und Pirincci wünscht sich so sehr, daß man sich auf ihn beruft, ein Berufener, ein Rufer, ein Ruchloser.

Ach, hab ich schon den Titel des Dings genannt? Fremdschamrot schreibe ich ihn hin: „Umvolkung“ – wie die Deutschen still und leise ausgetauscht werden.

Der Lallator (handelt es sich doch hier um zu Papier gebrachte großbrockige Lallomanie) erklärt diesen Titel mit dem Hohlbrustton der Überzeugung als einen aus der Nazizeit ausgeliehenen Terminus.

Huch, jetzt hab ich einen Fettfleck in Pirinccis Werk gemacht, mir ist Eisbeingelee vom Brötchen auf die Seiten geflutscht – na – schad´ nicht mehr viel!

Weiter im Text:

Also, UMvolkung – mit Betonung auf der ersten Silbe – haben die Nazis die Umsiedlung einer angestammten Bevölkerung nach zweitrangig-sonstwo, z.B. in Rußland, genannt, damit das Gebiet anschließend von Deutschen in Besitz genommen werden konnte – „Lebensraum“ im Osten!

Das würden nun, so Pirincci, die deutschen Politiker mit ihrem Lande machen: sie holten sich „muslimische Heuschrecken“ (Originalton) ins Land, um die angestammte Bevölkerung zu verdrängen. Wer da nicht mitmache, wiederholt er die schon einmal hinausposaunte Infamie, den könne man ja in die KZ schicken – die nach Meinung unserer Politiker „leider“ außer Betrieb seien. (Damit mir keine Klagen kommen – das steht auf Seite 90).

Auf den vorhergehenden Seiten hat P. (ich schreib den Namen nicht mehr ganz hin, Punkt genügt! Pünktchen! Ohne Anton) sich in ferkeligster Fäkalsprache erst einmal über diese Heuschrecken ausgelassen – also ungezählte Menschen mit tierischen, satanischen, und Mikrobenbegriffen so verunglimpft und entmenscht, daß es demnach kein Gewissensproblem mehr sein würde, sie zu jagen, zu exorzieren und auszurotten…so wie es Menschenfeinde immer machen.

In dem miesesten aller Nazifilme, dem „Ewigen Juden“, werden die Zielscheiben des Hasses mit Ratten verglichen, die die Pest bringen – also, so die perfide Logik, müsse man sie ausrotten.

Dies wußten Propagandaminister Goebbels und sein Erfüllungsgehilfe, Fritz Hippler, der den Film verbrochen hat, sehr genau: hätten sie die Deutschen schon 1930 einfach so zum Massenmord aufgerufen, man hätte sich angeekelt von ihnen abgewendet. Sie brauchten einige Jahre des steten Tropfens und schließlich der Bombe eines solchen Filmes, um für ihre Volksgenossen die Juden so zu entmenschen und entrechten, daß man sie schließlich als auszurottendes Geschmeiß bezeichnen konnte.

Und P. schiebt nun also in dieser bösen Tradition die Heuschreckenmetapher nach – und noch viele andere Niederträchtigkeiten…ach, ich biete mal ein paar aus dem Sudeldings an – P. hält solche Metaphern für Schriftstellerei, dieser Irrtum gibt ihm breitbeinige Kraft.

Ganz gleich ob Flüchtlinge, Asylanten, Menschen aus Afrika oder vom Balkan – sie haben eine „Afro-Lethargie“ oder besitzen „Zigeunertalent“ und gehören zu „islamischen und afrikanischen Jungmännerhorden“; sie betreiben eine „Brachialpenetrierung von analphabetisch Verschleierten und Männern mit dem IQ einer Bierdose“. In ihren Körpern zirkuliere „mehr Testosteron als in denen von weißen Männern“; deshalb seien sie „Inkompatible“, denn jeder wisse doch, „daß die dümmsten Menschen des Planeten in Afrika, Arabien und in den Islamländern Asiens zu Hause sind.“ Diese Männer – vor allem Männer – hätten eine schwere „Matheschwäche, dafür aber einen oft stark ausgeprägten Trieb“. Die „Flutung des Landes mit Jungmännern“ werde in einen Krieg münden „um die Ressource Frau“, prophezeiht P. und fürchtet: „Bei diesem Krieg wird der deutsche junge Mann auf der Strecke bleiben, das ist so gewiß wie das Allahu Akbar in der Moschee“. In ihren Herkunftsländern seien die Fremden „überflüssige Jungmänner!“, die als „Schwanzträger im besten Mannesalter auf unserer Matte“ stünden.

P. malt ein Menetekel an die Rigipswand: „Was ist, wenn sich fünfzigtausend „Neubürger“ die Frauen nach IS-Manier mit Gewalt nehmen, sie verschleppen und partout nicht rausrücken wollen?“

Diese grausen Befürchtungen ergänzt P. mit einem seiner Alpträume: „In Deutschland fehlen ohnehin schon in eklatantem Umfang Frauen im sexuell attraktiven Alter.“ Und kommt zu dem Schluß „Der Sexkrieg wird in Deutschland sehr bald eskalieren“. Das rechnet er noch genauer vor: die „Flüchtilanten“ würden im übernächsten Jahr 250 000 Frauen für sich beanspruchen und damit den „deutschen Sexmarkt zu ihren Gunsten sprengen“. Das hieße, „daß genau diese Größenordnung an Frauen deutschen Männern entzogen wird.“

In Brasilien weiß P. dann zu berichten, gebe es keinen Frauenmangel und „deshalb auch keine Verteilungskämpfe die Geschlechter betreffend. Das Land besitzt Rohstoffe en masse…“ womit er also auch die Frauen meint.

Ich mußte mal eben eine Pause machen und mir die beschmutzten Tippfinger waschen…da entdeckte ich auf der Toilette noch einige Atemmasken, die ich mir mal zwecks Renovierung meiner Wohnung angeschafft hatte. Fast hätte ich fürs Weitere eine aufgesetzt…

Mit solch aberwitzigem Sprachkot geht es unmunter bis zur letzten von 160 Seiten weiter. Diejenigen, die sich nicht dagegen wehren und diese „Umvolkung“ verhindern, ja sie sogar befördern, nennt P. vergrünisierte Spastiker, Deutschlandhasser und Volksfeinde, die direkt oder indirekt vom Staat lebten.

Ein undsoweiterundsofort von Hysterie und Haß, das einzig zum Ziel hat, Flüchtlinge, Asylanten, Homosexuelle, Feministinnen, liberale, und offene Menschen zu verunglimpfen und zur Jagdbeute auszurufen, wie es weiland Goebbels und sein Erfüllungsgehilfe Hippler in dem eingangs erwähnten Film gemacht haben. So konnte es vor 80 Jahren dazu kommen, daß ganze Menschengruppen ermordet wurden – und keiner hatte dabei ein schlechtes Gewissen.
Den „Ewigen Juden“ und den anderen Hetzfilm „Jud Süß“ zeigte man gerne SS-Truppen, sie sich anschließend in Ghettos oder in Lagern austoben sollten – die Filme hatten die gewünschte enthemmende Wirkung. Nach diesem aufhetzenden Muster soll wohl auch diese Philippika funktionieren. Ein Riesenschwall an Halbgarem und Unverdautem.
Zwischen all dem Unrat überliest man deshalb auch leicht die bewußt nebulös gehaltene Frage – „Wer gibt den ersten Schuß ab?“ (Seite 41) – Das ist natürlich keine Aufforderung zum Schießen, zum Töten, zum Mord, nicht wahr? Nur eine Frage…um sich seine Hände in Unschuld zu waschen. Eine Schreibtischtäterei!

Aber diese Frage muß man in Zusammenhang setzen mit P.´s Ablehnung von Hilfe und Willkommen für Flüchtlinge, die er taschenspielerisch ergänzt: „Der Vorwurf: Ja, sollen denn all diese Menschen dann sterben? Zieht nicht, denn das ist ein scheinheiliger und rein theoretischer Vorwurf (…).“

So kommt er zu dem Schluß: „Der Humanismus in der Form weltfremder Willkommenskultur ist die erste Lügenfassade, die eingerissen werden muß, wenn wir uns als Deutsche behaupten wollen!“

Ich sage es ganz deutlich, dieses Wahnwerk des Herrn P. hat die gleiche grundüble Qualität und Absicht wie der Film „Der ewige Jude“, es zielt darauf ab, Menschen zu dehumanisieren, nicht nur Flüchtlinge, Asylanten, Homosexuelle, Politiker und alle anderen, die dem Autor und seinen politischen Kumpanen im Wege sind. Auch die Leser, die, die er für autochthone Deutsche hält, sollen dehumanisiert werden, denn erst dann werden sie bereit sein zur tödlichen Abwehr, die dieses Machwerk insinuiert als letzte Rettung, damit „wir uns als Deutsche behaupten!“

Ist es auch Wahnsinn hat es doch Methode…

…dieser Wahnsinn der Selbstüberhöhung und Überschätzung gründet sich auf einem ohne jede Bildung und Menschlichkeit zusammengestrickten Mythos, der in diesem Gewaltmanifest mit kindischem Geplappere dahingeschrieben steht: Deutschland sei ein Land der Fleißigen, die Reichtum und Wohlstand über Jahrhunderte geschaffen hätten, weil sie intelligenter und schlauer gewesen seien als die anderen. Mit solchen Klippschulbeispielen begründet Herr P. die Überlegenheit der weißen Rasse und vor allem ihrer Männer…

…denn aus dieser einen dürren Quelle speist sich der ganze Schwulst, die ganze Geschwulst dieser Schrift. Es geht um die bedrohte Männlichkeit, die Gefahr sein wichtiges Sperma nicht loswerden zu können – deshalb habe ich zuvor so viele Männlichkeits-Zitate gebracht. Der Urgrund dieses faschistisch verkrümmten Darwinismus besteht in nichts weiter als der Angst, seine Männlichkeit zu verlieren, nicht mehr anbringen zu können – und so sind alle, die dem membrum virile des Herrn P. und seinen Gesinnungsgenossen im Wege stehen (stehen, hehe!) Gefährder seiner eigentlich (selbst)mörderischen Männlichkeit: Araber, Muslime, Homosexuelle, Demokraten, Liberale, Humanisten und vor allem Frauen…

Das ganze DING des Katzators dreht sich letztlich um sein „Ding“ und die Frauen, um die Vorherrschaft seines Penis, den er fürchtet nicht mehr bei Frauen, die ihm andere angeblich wegnehmen, unterbringen zu können.

Das ist ja auch das Herz der faschistischen Finsternis: der wildgewordene Penis, der an seiner eigenen Permanentsteife zerplatzt! Doch dann spritzt nicht nur böses Blut, sondern Eiter und Säure – alles vernichtend. Die ganze Philippika ist nichts als vorzivilisatorischer Priapismus. Die Schmerzen der eingebildeten Dauerversteifung (die ja nur im Gehirn stattfindet) ist hier zum Pamphlet aus Haß und Häme verschmolzen, zu einem Sprachorgasmus, der nur noch unter aberwitzigen Schmerzens- aber nicht mehr Lustschreien, hervorgewürgt wird.

Es geht in diesem Ding um das DING des Herrn P. und seiner Penisgenossen. Die Herzkonstanten des Faschismus: der tatsächliche Rassismus und die Menschenverachtung des Katzators, seines Verlegers und all jener anderen Penilgrößen auf dem rechten Sektor, von Bachmann bis Höcke und Gauland etc. gründet sich in einer vorzivilisierten Männlichkeit. Und all ihre Sprachschwellungen können nicht mehr die Gier loszuschlagen verbergen, wie sie dieser Text unverhohlen präsentiert. Es ist bekannt, daß Soldaten und Krieger bei Mordtaten Erektionen bekommen, daß also Gewalt und Sex etwas gemeinsam haben: hier sehnen sich Männer jenseits des petit mort nach dem großen Tod, nach der Götterdämmerung (übrigens hat Wagner, um im Bild zu bleiben, mehrfach Orgasmen vertont, die immer mit Tod der Protagonisten enden).

Ha – und jetzt muß ich mir den Mund ausspülen, weil ich all diese Unflatpassagen laut gelesen habe, fing ich an, aus dem Munde zu stinken.

P.S.

Muß man noch dazu sagen, daß dieses Machwerk im Antaios Verlag von Götz Kubitschek herausgekommen ist – dem Mann, der sich als Vordenker der Neuen Rechten wähnt?
Aber wenn das die unterirdische Qualität der Verlagsautoren ist, woran ich nicht zweifele, brauche ich ihre Intelligenz nicht zu fürchten. Wovor ich mich aber fürchte, ist die Gewalt, zu der mit solchen Elaboraten bewußt und gezielt angestiftet wird!

Alfons Schweiggert, Ludwig II. und die Frauen. Allitera Verlag, München. 2016

Robert Holzschuh. Das verlorene Paradies Ludwig II. Mit 27 unveröffentlichten Briefen des Königs. Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2008

„The Witchfinder General“, deutscher Titel: „Der Hexenjäger“ ist in Originalversion bei verschiedenen Internetanbietern erhältlich.

Ach so – damit wir das nicht vergessen:

Akif Pirincci, Umvolkung. Wie die Deutsche still und leise ausgetauscht werden. Antaios Verlag, Schnellroda

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