Böhmermann-Identität / Böhmermann-Kimlik

Hat Jan Böhmermann sich wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts strafbar gemacht? Diese Frage wurde mir in den letzten Tagen häufiger gestellt und ich muss gestehen, ich kann sie nicht mit Gewissheit beantworten. Und das liegt an einem grundsätzlichen Problem.


Grafik: Timo Rödiger

Jan Böhmermanns Performance im ZDFneo-Magazin-Royale kann eine Beleidigung gewesen sein, sicher. Das Auswärtigen Amt meinte sogar, dass Böhmermann sich „höchstwahrscheinlich strafbar gemacht hat“. Der Focus titelte schon mal was mit „Gefängnis“. Nun sind  das Auswärtige Amt und der Focus nicht unbedingt die sichersten Quellen für strafrechtliche Auskünfte. Es muss eben nicht zwingend strafbar sein, was Böhmermann und sein Team da gemacht haben. Ich würde mich da lieber nicht festlegen. Aber, hätte die Kanzlerin mich gefragt, ich hätte ihr gesagt, dass Böhmermann sich nach meiner Einschätzung  höchstwahrscheinlich nicht strafbar gemacht hat. Das hätte ich auch Böhmermann selbst gesagt, wenn er mich vor der Ausstrahlung gefragt hätte.

Eine Beleidigung ist nach § 185 StGB strafbar. Dafür kann man bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe bekommen. Und weil der Erdogan nun mal – ob einem das gefällt oder nicht – ein ausländisches Staatsoberhaupt ist, kann es nach § 103 StGB sogar wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten einen heftigen Zuschlag auf bis zu 5 Jahren Haft geben. Mit Organen sind da übrigens nicht die Geschlechtsorgane der Präsidenten gemeint.

Ehre

Das Strafgesetzbuch selbst definiert den Begriff der Beleidigung an keiner Stelle. Das hielt der Gesetzgeber offenbar nicht für nötig. Deshalb streiten die Rechtsgelehrten schon mehr oder weniger immer darum, was denn nun so eine Beleidigung eigentlich genau ist. Einig ist man sich noch, dass es sich bei dem geschützten Rechtsgut des Opfers um dessen Ehre handelt. Wie nun diese Ehre definiert werden soll, ist aber auch schon wieder recht umstritten. Da gibt es Meinungen wie Sand am Meer. Vom faktischen über den dualistischen zum funktionalen, interpersonalen, sozialen, normativen oder personalen Ehrbegriff wird die „Ehre“ ganz unterschiedlich beschrieben. Es ist schon mal nicht das, was früher auf bestimmten Koppelschlössern stand.

Irgendwie, irgendwo, irgendwann hat man sich dann weitgehend darauf verständigt, dass der Angriff auf die wie auch immer definierte Ehre sich als Kundgabe von persönlichkeitsrelevanten Informationen beschreiben lässt, die geeignet sind, den „Ehrträger“ verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. „Ehrträger“ ist übrigens jeder, auch wenn er nicht dem üblichen Bild eines Ehrenmannes entspricht. Auch ein ausgemachtes Arschloch dürfen Sie nicht einfach so nennen oder auf andere Art und Weise beleidigen. Ob das nun der Fall ist, entscheidet im Einzelfall am Ende das Gericht. Klar ist anders. Ein grundsätzliches Problem bei der Beleidigung. Man kann nicht einfach ins Gesetz gucken und weiß dann, was erlaubt und was verboten ist. Die Begriffe Ehre und Beleidigung sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die erst durch die Auslegung mit Inhalt gefüllt werden. Da kommen dann noch verschiedene tatsächliche und rechtliche Interpretationsmöglichkeiten hinzu. Weitere Rechtfertigungen und Einschränkungen durch Grundrechte wie Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit und Abwägungen gegen das Persönlichkeitsrecht des vermeintlichen Opfers machen die abschließende Beurteilung auch nicht einfacher.

Et es wie et es.

Es mag durchaus sein, dass der eine Richter das anders sieht als der andere, eine Richterin es womöglich wieder anders. Könnte sogar sein, dass die Person des Beleidigten insgeheim eine Rolle spielt. Gerade in diesem ganz schwer zu objektivierenden Bereich spielt die jeweilige Persönlichkeit des Rechtsprechenden durchaus eine Rolle, wenn man mal von der sogenannten simplen Formalbeleidigung absieht.  Auch da gibt es halt empfindliche und unempfindliche. Bei anderen Delikten ist das klarer. Ob ich etwas stehle oder jemanden töte, weiß ich so gut wie später das Gericht. Da gibt es viel  weniger Interpretationsspielraum. Trotz dieser grundsätzlichen Bedenken ist der Beleidigungsparagraph aber nicht etwa vom Bundesverfassungsgericht wegen eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs.2 GG für unwirksam erklärt worden. Das BVerfG meinte vielmehr:

Auch wenn das für eine unter der Geltung des Grundgesetzes erlassene Strafvorschrift als unzureichend anzusehen sein sollte, hat der Begriff der Beleidigung jedenfalls durch die über hundertjährige und im Wesentlichen einhellige Rechtsprechung einen hinreichend klaren Inhalt erlangt, der den Gerichten ausreichende Vorgaben für die Anwendung an die Hand gibt und den Normadressaten deutlich macht, wann sie mit einer Bestrafung wegen Beleidigung zu rechnen haben (BVerfGE 71, 108 (114 ff.))

Nun ja. Wie gesagt, in diesem Fall, wie in vielen anderen Beleidigungs-/Kunst-/Satire-Fällen, kann ich es eben vorher nicht mit Bestimmtheit sagen und das ist ein echtes Grundsatzproblem. Aber egal. Et es wie et es.

Schmäh

Hätte Böhmermann nur und ohne jedes Drumherum sein von ihm selbst so angekündigtes „Schmähgedicht“ vorgetragen, läge ziemlich sicher eine Beleidigung vor. Über den schmähenden, ehrverletzenden Inhalt des Gedichtes bräuchte man gar nicht zu streiten. Was den reinen Text angeht, hat Frau Merkel mit ihrer Meinung, dass es sich um   „bewusst verletztenden Text handelt“ ja durchaus Recht. Das Gedicht enthält so ziemlich alle stereotypen türkenfeindlichen Beleidigungen, die man seit Jahrzehnten so von früher schon besorgten Bürgern, Türkenhassern und manchem Schulhof kennt.

Böhmermann hat aber eben nicht einfach  nur diesen Text vorgetragen. Er hat ihn in einer Rechtskunde ähnlich anmutenden Form, mit ironischem Blick

Jan Böhmermann.Jan Böhmermann – Copyright: ZDF/Ben Knabe – mit freundlicher Genehmigung des ZDF

als Beispiel für eine gerade nicht erlaubte Schmähkritik vorgelesen. Können diese Augen   die Wahrheit sagen? Und er hat ihn eben nicht in einem journalistischen Format vorgetragen, sondern in  einer – wie er das selber nannte – Quatschsendung.

Das dürfte juristisch nicht so einfach sein, wie es auf den ersten Blick scheint. Auch die Wertung der Kanzlerin, dass es sich bei Böhmermanns Stück um einen „bewusst verletzenden Text“ handelte, hilft nicht wirklich, da „der Text“ als solcher ja nur Teil der Inszenierung war. Bewertet werden muss aber das Gesamtpaket und nicht nur ein Teil davon. Okay, muss sie ja nicht wissen, ist ja nicht ihr Fachgebiet.

Nein, Satire darf nicht alles, aber sie darf eine ganze Menge. Ob die Grenzen des Erlaubten überschritten wurden, kann man nicht so hopplahopp feststellen. Das bedarf eine gründlichen Analyse, ganz losgelöst von Aufgeregtheiten.

Böhmermann oder Böhmermann

Fangen wir mal mit dem potentiellen Täter an. Ist das wirklich der Mensch Jan Böhmermann?

NEO MAGAZIN ROYALE mit Jan BöhmermannJan Böhmermann – Copyright: ZDF/Ben Knabe – mit freundlicher Genehmigung des ZDF

Nicht dass Sie mich falsch verstehen, die Person, die da auf dem Bildschirm zu sehen ist, heißt wohl auch im richtigen Leben Jan Böhmermann, aber es ist durchaus wahrscheinlich, dass der Künstler Jan Böhmermann in dieser Sendung unter dem gleichlautenden Künstlernamen Jan Böhmermann auftritt, es sich also beim „ZDFneo-Böhmermann“ um eine reine Kunstfigur handelt, wie z.B. Gernot Hassknecht oder auch Alfred Tetztlaff.

Dass eine Kunstfigur nicht unter dem gleichen Namen auftreten dürfte, wie die Person die sie verkörpert, ist mir nicht bekannt. Wenn Tetzlaff schimpfte:

Immerhin esse ich mit Messer und Gabel. Wenn so“n Türke hierher käme, der wüsste doch gar nicht was das ist. Wenn der so’n Besteck sieht, dann denkt der doch, das hat der Arzt hier vergessen.

dann wäre wohl niemand ernsthaft auf den Gedanken gekommen, den Schauspieler Heinz Schubert oder den Autor Wolfgang Menge der Türken-Beleidigung zu verdächtigen. Nun kann man natürlich Jan Böhmermann leicht mit Jan Böhmermann verwechseln. Aber die Frage, wer ist Jan Böhmermann und wenn ja wie viele, ist nicht zu vernachlässigen.

Voll krass

Als Tathandlung einer Beleidigung ist die Kundgabe von Miss- oder Nichtachtung gegenüber dem Beleidigten oder Dritten erforderlich. Auf den ersten Blick enthält das „Schmähgedicht“ nicht anderes als ekelhafte Schmähungen des türkischen Staatspräsidenten Erdogan, die jedoch in einem Maße übertrieben und überzeichnet sind, dass ich sie als ernst gemeinte Beleidigung einfach nicht für voll nehmen kann und mag. Der hyperbolische Stil dieses „Gedichts“, die ganz bewusste , „voll krasse“ Übertreibung ins Absurde bei gleichzeitiger Betonung der zutreffenden Tatsache, dass man etwas Derartiges in Deutschland nicht sagen dürfe, lässt bereits Zweifel daran entstehen, ob man hier überhaupt objektiv mit einer strafbaren Beleidigung oder einer straflosen künstlerischen Demonstration zu tun hat.

Wenn ich über die Strafbarkeit der Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen schreibe, dann darf ich in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch diese Symbole selbst zeigen, ohne mich strafbar zu machen – auch wenn der entsprechende Text unterhaltend und womöglich sogar vergnüglich sein mag. Die Beleidigung ist ein Äußerungsdelikt, d.h. die Tathandlung besteht zwingend in einer irgendwie gearteten Äußerung. Wenn ich nun erklären will, welche Äußerungen erlaubt und welche verboten sind, komme ich ohne Beispiele für eine beleidigende Äußerung, die ich dann zwangsläufig auch selbst äußern muss, nicht aus. Ansonsten würde es u.U. noch lustiger.

Auf der subjektiven Seite, also dem Beleidigungsvorsatz, wird es noch komplizierter. Trappatoni hätte vermutlich „Was wollen Böhmermann?“ gefragt.

Ein hohes Ross

Wollte er wirklich Erdogan beleidigen? War der wirklich der Adressat des Beitrags?  Oder richtete seine „Präsidentenbeschimpfung“ sich nicht vielmehr gegen diejenigen deutschen Kommentatoren und Politiker, die in der Woche zuvor angesichts des extra3-Beitrages „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ und der damit verbundenen Einladung oder Einbestellung des deutschen Botschafters in der Türkei, vollmundig  und mit dicker Hose das hohe Lied der deutschen Meinungsfreiheit gesungen hatten. Zensur? Gibt’s bei uns doch nicht, hier herrschen Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit! Jawoll. Wir lassen uns doch von einem selbstherrlichen Sultan wie Erdogan nicht vorschreiben, ob wir über ihn lachen dürfen. Was bildet der sich denn ein? Oder vielleicht sogar, was bildet dieser Türke sich denn ein? Saßen wir da vielleicht nicht alle ein wenig auf einem hohen, deutschen Ross? Wie wäre die Reaktion gewesen, wenn es bei der extra3-Nummer nicht um Erdogan, sondern um ein anderes Staatsoberhaupt gegangen wäre? Sie dürfen sich eins aussuchen, am besten eines, dass sie besonders gut leiden können.

Wie fragil das auch in Deutschland alles ist, hat Böhmermann mit Ansage eindrücklich vorgeführt. Wenn – und davon gehe ich jetzt zunächst einmal aus – das ZDF hier nicht einfach mitgespielt hat und die Löschung des Beitrages zur vorher abgesprochenen Gesamtperformance gehörte, dann ist auch der Arbeitgeber ZDF dem „Clown“ Böhmermann übers Stöckchen gesprungen. Dann haben ihm alle, die sich zu dieser schrägen Nummer geäußert haben, einschließlich der Kanzlerin, bewiesen, dass die Meinungs- aber auch die Kunstfreiheit in Deutschland auch nicht schrankenlos ist, dass auch hier Regeln gelten, die dazu führen können, dass ein „Äußerer“ im schlimmsten Fall im Gefängnis landen könnte. Und dass das von aktuellen außenpolitischen Umständen und Befindlichkeiten  abhängen könnte. Dass es hier zwar andere Regeln gibt als in der Türkei oder andernorts, dass diese aber auch nicht ohne sind.

Warum wir uns hier in Deutschland einen besonderen Ehrenschutz z.B. für Kim Jong-un, den feinen Herrn Assad oder den neuen Euro-Türsteher gönnen, kann ich auch nicht sagen und wenn Gideon Böss die Abschiebung des § 103 StGB in die Türkei fordert, schließe ich mich dem gerne an. Warum soll die Beleidigung dieser  Menschen einen höheren Unrechtsgehalt haben, als die Beleidigung von Herrn Hinz oder Frau Kunz? Müssten nicht die normalen Menschen einen viel größeren Schutz erhalten als die Mächtigen dieser Welt?

Böhmermanns Mutti

In welcher Funktion kommt die Kanzlerin eigentlich auf die Idee, einen Fernsehbeitrag  zu bewerten? Ist sie als Kanzlerin die heimliche Qualitätsbeauftragte des ZDF? Oder haben da nur zwei Privatleute telefoniert? Warum dringt der Inhalt dann nach draußen? Hätte in dem Telefonat mit Davutoglu  nicht ausgereicht, diesem mitzuteilen, dass für die Prüfung der Rechtswidrigkeit eines TV-Beitrages in Deutschland die Staatsanwaltschaft und die Gerichte zuständig sind? Wäre es nicht sinnvoll gewesen, dem Mann zu erklären, dass das „Deutsche“  in „Zweites Deutsches Fernsehen“ nicht bedeutet, dass die öffentlich-rechtlichen Sender unter Regierungskontrolle stehen – wie das manch besorgter Bürger gerne behauptet – , dass die Kanzlerin die Programminhalte weder bestimmt noch zensieren kann oder will? Dass sie nicht die Mutti von Böhmermann oder dessen Erziehungsberechtigte ist? Dass GEZ nicht für „ganz erhebliche Zensur“ stand? Völlig zu Recht erinnert Böhmermanns Anwalt Christian Schertz:

Man sollte hier die Grundsätze der Gewaltenteilung beachten.

Ach Quatsch

Wenn Böhmermann davon spricht, er und sein Team machten nur eine Quatschsendung, dann stellt er das Licht des ZDFneo-Teams ganz bewusst unter den Scheffel. Das ist Satire – und zwar Satire vom Feinsten. Was da so grob  gepöbelt daherkommt, ist nur die unterste Ebene des Spiels. Wer nur die wahrzunehmen in der Lage ist, wie z.B. offenbar Lukas Podolski, mag das alles für primitv halten, für niedere Qualität. Tatsächlich wird Böhmermann völlig zu Recht den Grimme-Preis bekommen – auch wenn er sich zur Zeit nicht in der Lage sieht, diesen persönlich in Empfang zu nehmen. Alleine diese Erdogan-Nummer ist wunderbar vielschichtig.

Die Erklärung des ZDF für die Löschung des Beitrags aus der Mediathek ist ein weiteres Stück – vermutlich unfreiwillige – Satire. „Die Parodie zum Umgang des türkischen Präsidenten mit Satire entspricht nicht den Ansprüchen, die das ZDF an die Qualität von Satiresendungen stellt“.

Es gibt also beim ZDF Qualitätsstandards für Satire. Ist ja irre. Die sähe ich gerne mal, den codex satiricus mongotiacum. Wie misst man denn die Qualität von Satire? In welcher Maßeinheit? In Harald oder in Millimerkel? Gibt es da objektive Kriterien? Wann werden die von wem wie angewendet? Schaut nicht normalerweise auch ein Medienjurist mal vorab über die beabsichtigen Gags? Ich kenne die Abläufe beim ZDF nicht, aber bei aufgezeichneten Sendungen wird üblicherweise eben vorher geguckt, ob man sich damit vielleicht juristischen Ärger einhandeln kann oder jemand etwas Unrechtes tut. Wenn die Satirequalitätskommission des ZDF erst nach einer Ausstrahlung greift – vielleicht nachdem es Anrufe von wem auch immer gegeben hat, möglicherweise sogar von Böhmermann selbst mit verstellter Stimme –, dann sendet das ZDF ja nach eigener Aussage erst einmal Material, das seinen eigenen Qualitätsansprüchen nicht genügt. Was würden denn Qualitätskontrollen bei Kondomen nützen, wenn diese erst nach Gebrauch griffen? Und noch was: Von welcher „Parodie“ sprechen die eigentlich? Hat Böhmermann etwa Erdogan parodiert? Ist mir gar nicht aufgefallen. Aber okay, wenn das eine Parodie sein sollte, dann war das natürlich eine von minderer Qualität.

Wenn die Hausjuristen Böhmermann nach einer Vorabprüfung ihr Okay für die Nummer gegeben haben – und davon gehe ich jetzt spaßeshalber mal aus – dann würde der subjektive Tatbestand schon wegen eines Irrtums entfallen.

Zurück zu Böhmermann. Bisher ist nichts über einen Strafantrag des türkischen Staatspräsidenten bekannt geworden, d.h. da die Beleidigung ein Antragsdelikt ist, kann im Moment auch noch keine Staatsanwaltschaft gegen Böhmermann ermitteln. Es ist auch piepegal, ob irgendwelche Wichtigtuer aus dem In- und Ausland  jetzt Strafanzeigen gegen Böhmermann und andere ZDF-Menschen erstatten. Die sind samt und sonders nicht antragsberechtigt. Der einzig berechtigte Wichtigtuer ist Erdogan selbst. Die Staatsanwaltschaft Mainz „sichert“ trotzdem  schon mal Beweise, nur für den Fall, dass da noch was aus Ankara kommen sollte, wer weiß das schon. Aber selbst wenn der Antrag käme, schlössen sich noch nicht die Festungsmauern hinter Böhmermann. Bevor wirklich gegen ihn ermittelt werden könnte, müsste erst noch geprüft werden, ob es in der Türkei ein gleichartiges Gesetz zum Schutze der Ehre unseres Präsidenten gibt (weiß ich nicht). Und selbst wenn das der Fall sein sollte, dann müsste die Bundesregierung auch noch  ihr eigenes Einverständnis für ein Verfahren wegen Beleidigung eines ausländischen Präsidenten geben. So steht das alles in § 104a StGB.

Vermutlich kommt da eher nichts. So schön das nun für Böhmermann wäre, mich hätte schon brennend interessiert, wie die Kanzlerin denn damit umgegangen wäre. Hätte sie das Verfahren verhindert oder wäre Erdogans Wunsch für sie Befehl gewesen? Wie hätte die Staatsanwaltschaft und im Anschluss womöglich die Gerichte den Sachverhalt behandelt? Ich hätte keine Wette gehalten. Das wäre wohl bis zum Bundesverfassungsgericht gegangen.

Böhmermanns Wunsch an Kanzleramtsminister Altmaier

Ich möchte gerne in einem Land leben, in dem das Erkunden der Grenze der Satire erlaubt, gewünscht und Gegenstand einer zivilgesellschaftlichen Debatte sein kann.

und um

Berücksichtigung meines künstlerischen Ansatzes und meiner Position, auch wenn er streitbar ist

möge in Erfüllung gehen.

 

P.S. vom 11.4.2016: Mittlerweile ging eine Verbalnote der türkischen Botschaft ein, in der es um das förmliche Verlangen nach Strafverfolgung gem. § 104a StGB geht. Damit liegt der Ball jetzt im Feld der Bundesregierung, die eine mehrtägige Prüfung angekündigt hat. Die Zwickmühle, in die Frau Merkels Anruf die Regierung nun gebracht hat, ist selbstverschuldet.

P.P.S.vom 12.4.2016: Nun hat Herr Erdogan auch persönlich einen Strafantrag wegen Beleidigung nach § 185 StGB gestellt. Es wird also ganz unabhängig vom Verhalten der Bundesregierung eine rechtliche Prüfung zunächst durch die Staatsanwaltschaft Mainz geben. Jan Böhmermann schreibt Rechtsgeschichte. Wer hätte das gedacht?

vom 15.4.2016: Die Bundesregierung gab heute – gegen das Votum der SPD-Ressorts – die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 103 StGB. Gleichzeitig wird eine Abschaffung dieses Paragraphen für 2018 angekündigt. Warum der Paragraph nicht umgehend ersatzlos gestrichen wird, teilt die Regierung nicht mit. Jetzt ist die Staatsanwaltschaft auch bezüglich dieser Vorschrift am Zug.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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