„Hinter Wunder steckt Arbeit“ – Marco Sailer vom SV Darmstadt 98 im Interview
Wunder gibt es immer wieder. Das gilt nicht nur für Lieder des Blödelbarden Guildo Horn. Die Fußballwelt hat gerade eine solche Sensation erlebt. Fast in Liga 4 abgestiegen, schaffte Darmstadt 98 den Durchmarsch in die höchste deutsche Spielklasse. Und das mit einem Etat, der in etwa so hoch ist, wie das Jahresgehalt von Bastian Schweinsteiger. Was ist das Geheimnis dieses Erfolges? Stürmer Marco Sailer spricht über Teamgeist, zweite Chancen, das familiäre Umfeld und einen außergewöhnlichen Trainer.
Andreas Kern (AK): Darmstadt 98 hat in den vergangenen Jahren ein Fußballwunder verbracht. Vor drei Jahren fast in Liga 3, jetzt in Liga 1 – und das mit bescheidenem Etat und Spielern, die andernorts als gescheitert galten. Erklären Sie uns dieses Wunder.
Erfolg nährt Erfolg
Marco Sailer (MS): Hinter dem Wunder steckt viel Arbeit und ein phänomenaler Trainer. Er hat eine hungrige Truppe zusammengestellt, in der es einfach passt, in der jeder für jeden kämpft. Dirk Schuster hat einfach die richtige Mischung gefunden. Zwar hat jeder von uns Spielern schon in anderen Vereinen Höhepunkte gehabt. Aber, was wir in Darmstadt leisten und erleben, das übertrifft alles. So nährt der Erfolg eben den Erfolg.
AK: Gibt es eine Erfolgsformel? Auch andere Clubs hätten wohl gern mit so geringem Budget so viel Erfolg. Warum klappt es gerade in Darmstadt?
MS: Der Verein ist eben sehr familiär, was sich positiv auf den Zusammenhalt auswirkt. Und dann sind in der Stadt auch nach den Aufstiegen alle auf dem Teppich geblieben. Keiner hat den Boden unter den Füßen verloren. Am wichtigsten ist für mich aber das Trainerteam um Dirk Schuster.
Mentalität schlägt Qualität
AK: Was genau macht den Trainer Dirk Schuster aus?
MS: Er ist ein unglaublicher Menschenkenner. Er hat ein feines Gespür für andere – und ist unglaublich neugierig. Er ist in der Lage, die Stärken und Schwächen jedes Menschen zu erkennen und jeden zu nehmen wie er ist. Das gilt für den Ruhigsten genauso wie für den Extrovertiertesten. Niemand muss sich verändern, jeder darf so sein, wie er nun einmal ist. Was Schuster aber unbedingt verlangt, sind Teamgeist und Disziplin. Da kennt er keine Abstriche. Aber den Kader hat er schon so zusammengestellt, dass es hier ohnehin keine Probleme gibt.
AK: Schusters Mantra lautet ja bekanntlich „Mentalität schlägt Qualität“…
MS: So ist es. Und das lebt er auch vor. Er gibt immer alles. Arbeitet selbst hart und sorgt dafür, dass die Stimmung gut ist.
AK: Mit seinem Minimal-Etat, dem familiären Umfeld und den positiven Typen wirkt Darmstadt 98 manchmal wie das Gegenbild zum überkommerzialisierten Profi-Fußball, wie wir ihn aus der englischen Premier League kennen – oder aber von Teams wie Wolfsburg, Hoffenheim oder Leipzig mit ihren übermächtigen Geldgebern. Kann Darmstadt Vorbild sein für eine Rückkehr zum „echten, ehrlichen Fußball“?
Die Fußball-Nostalgiker freuen sich
MS: Sicher freuen sich Fußball-Nostalgiker in ganz Deutschland über unsere Erfolge. Das zeigt sich auch daran, dass nicht nur in der Region Südhessen über uns berichtet wird. Aber ob unser Modell überall hin übertragbar ist, daran zweifle ich. Die Welt ist halt so, wie sie ist. Je größer die Etats, umso größer normalerweise die Erfolge. Was man ja auch ablesen kann, wenn man sich die oberen Ränge der Bundesliga-Tabelle ansieht. Zudem stehen viele Teams unter enormem Druck. Nicht überall kann man so ruhig arbeiten, wie in Darmstadt.
AK: Aber beim großen Nachbarn, sprich Eintracht Frankfurt, spricht Vorstandsboss Heribert Bruchhagen doch auch oft davon, dass sein Club unter finanziellen Zwängen leidet und die Positionen in der Bundesliga durch die Höhe der Etats zementiert ist. Könnte er sich da nicht etwas von den Lilien abschauen?
MS: Das bezweifle ich. Die Eintracht hat schon eine gewisse Qualität im Kader. Zudem war der Club – mit wenigen Jahren als Ausnahme – immer in der Bundesliga. Da gibt es schon eine ganz andere Erwartungshaltung als bei uns. Ein Darmstadt-Kurs wäre für die Eintracht nicht sinnvoll.
AK: Sie bestätigen die überragende Rolle von Dirk Schuster für den Verein. Ist da die Gefahr nicht groß, dass andere Clubs ein Auge auf ihn werfen.
Sag niemals nie
MS: Ich habe schon den Eindruck, dass sich Dirk Schuster in Darmstadt sehr wohl fühlt und hier auch eine Mission hat. Die Erfolge sprechen ja auch für ihn, sowohl bei uns als auch bei seiner vorherigen Station, den Stuttgarter Kickers. Daher wäre es schon normal, wenn irgendwann mal ein wirklich attraktives anderes Angebot für unseren Trainer kommt. Man kann ja nicht immer nie sagen. Aber das Leben ginge in Darmstadt auch dann weiter.
AK: Und wie sieht es bei Ihnen selbst aus?
MS: Für mich zählt jetzt vor allem, mit unserem Team den Klassenerhalt zu schaffen. Ansonsten fühle ich mich im Club und in der Stadt gnadenlos wohl. Ansonsten gilt auch für mich: Niemand kann in die Zukunft schauen, niemand weiß, was in zwei oder drei Jahren ist. Deshalb konzentrieren wir uns am besten, auf die nächsten Aufgaben und die nächsten Spiele. Denn gerade das ist ein Stück Erfolgsrezept in Darmstadt. Sich nicht verrückt machen lassen, sich nicht den Kopf verdrehen lassen. Die Zukunft wird von Spiel zu Spiel gemacht. Und wenn wir das nächste Spiel gewonnen haben, denken wir an das übernächste.
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