Schöffen – Die robenlosen Richter
Nächstes Jahr werden wieder rund 100.000 Schöffen neu gewählt. Was soll das eigentlich? Eine Kolumne von RA Heinrich Schmitz
Bild von Debora Alves auf Pixabay
Stellen Sie sich vor, Sie müssten zu einer Operation ins Krankenhaus. Zur Voruntersuchung erscheinen neben dem Anästhesisten und dem Operateur zwei weitere Menschen an Ihrem Bett: ein Rentner und eine Hausfrau. Sie schauen etwas verwundert. Aber diese beiden beraten ganz ernsthaft mit dem Chirurgen über die Notwendigkeit und die Durchführung der Operation.
Plötzlich kommt es zu einer Meinungsverschiedenheit und einer Abstimmung. Die Hausfrau und der Rentner überstimmen den Facharzt, sodass dieser nun tun muss, was die Laien meinen. Absurd? Sollte man meinen. Möchten Sie wirklich, dass Laien über Ihr Wohl entscheiden? Würden Sie da als Rheinländer nicht fragen: „Watt soll der Dress?“
Laien
Aber genau dasselbe kann passieren, wenn Sie wegen einer Straftat angeklagt werden. Außer beim Einzelrichter am Amtsgericht sitzen Ihnen immer zwei Laien gegenüber, die über Ihre Schuld oder Unschuld, über Geld- oder Freiheitsstrafe, über Bewährung oder Verbüßung mitentscheiden.
Laien, die weder Jura studiert, noch sonst irgendetwas gelernt haben müssen. Sogenannte ehrenamtliche Richter, die Schöffen.
Beim Schöffengericht sitzen zwei von ihnen gemeinsam mit einem Berufsrichter über Sie zu Gericht, d.h. die können den Fachmann locker überstimmen. Na ja, werden Sie vielleicht sagen, ist ja nicht so schlimm – wenn das Urteil falsch sein sollte, kann ich doch in Berufung gehen.
Ist ja schließlich ein Rechtsstaat. Rechtsmittel und so. Haben wir doch gelernt, dass das den Rechtsstaat ausmacht.
1+2
Ja stimmt im Prinzip. Aber wundern Sie sich dann bitte nicht, wenn in der Berufungsinstanz plötzlich wieder – in einer sogenannten kleinen Strafkammer – ein Berufsrichter und zwei Schöffen vor Ihnen sitzen. Klingt seltsam, ist aber so.
Nur bei der großen Strafkammer haben Sie immerhin mit 3 Berufsrichtern auf 2 Schöffen zu tun. Nur da sind die Fachleute in der Mehrheit. Ansonsten sind die Laien in der Mehrheit.
Auf der Suche nach der Begründung für diesen auf den ersten Blick recht unheimlichen Umstand stößt man auf folgende Begründungen:
Die Beteiligung ehrenamtlicher Richter hat in Deutschland eine lange Tradition und ist trotz mehrerer Änderungen von Strafprozessordnung und Gerichtsverfassungsgesetz nie ernsthaft infrage gestellt worden.
Für die Beteiligung von Schöffen in der Strafrechtspflege sprechen vor allem
folgende Punkte:
– Repräsentative Teilnahme des Volkes an der Rechtsprechung.
– Erhaltung und Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in die Rechtsprechung durch Teilnahme hieran.
– Besserung der Rechtskenntnisse des Volkes und seines Verständnisses der Rechtsprechung und der dabei auftretenden Probleme. Denn wenn man einen Angeklagten unmittelbar vor sich hat und seine Tat unter Berücksichtigung der konkreten Situation und seiner gesamten Lebensgeschichte beurteilen muss, versteht man manchmal ein Urteil, dass in den Medien als Milde bewertet wird, viel besser.
– Einbringen des „gesunden Menschenverstandes“ in die Urteilsfindung.
– Notwendigkeit für die Berufsrichter, die eigenen – juristisch geprägten – Wertungen in eine allgemein verständliche Form zu bringen.
– Erweiterung des Informationsstandes der Berufsrichter durch Sachkunde und Lebenserfahrung der Schöffen.
Tradition
Aha, lange Tradition, das haben wir schon immer so gemacht. Kein wirkliches Argument. Was haben wir nicht alles schon an Traditionen abgeschafft? Nur weil man etwas schon immer gemacht hat, muss man das ja nicht immer weiter so machen. Das hat sogar Papst Benedikt erkannt und hat seinen Rücktritt erklärt, obwohl die Tradition ja verlangt hätte, dass er sich gefälligst bis zum Tode mit der Bürde seines Amtes rumquält.
Wir haben auch traditionell in der Kneipe geraucht; jetzt stehen die Raucher vor der Kneipe in Regen und Schnee. Traditionen bedeuten erst mal nur, dass man etwas lange macht, aber nicht dass er auch noch sinnvoll ist. Wer traditionell gesoffen hat, tut gut daran, mit dieser Tradition aufzuhören, bevor er sich das Hirn und die Leber vollends zerstört, oder?
Und die anderen Argumente?
Volksbeteiligung
Repräsentative Teilnahme des Volkes an der Rechtsprechung, Erhaltung und Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in die Rechtsprechung durch Teilnahme hieran. Da habe ich schon ganz große Zweifel. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Qualität der Strafjustiz scheint nicht das größte zu sein. Dafür, dass das nicht so ist, sorgt ja schon die BILD regelmäßig. Stichwort Kuscheljustiz.
Und dass die Schöffen das Volk repräsentieren, ist auch nicht gewährleistet. Denn schon die Auswahl der Schöffen ist nicht gerade ein Musterbeispiel für eine demokratische Wahl.
Die Anzahl der Schöffen wird zunächst durch den Präsidenten des Landgerichts bestimmt. Aufgrund dieser Vorgabe werden von den Gemeinden Vorschlagslisten erstellt, die doppelt so viele Vorschläge enthalten müssen, wie Schöffen gebraucht werden. Auf diese Vorschlagslisten kommen erst mal die Bürger, die sich ganz bewusst für das Schöffenamt bei der Gemeinde bewerben.
Rechte Schöffen
Warum sie das tun, bleibt dabei offen. Es gab zum Beispiel bei der letzten Schöffenwahl einen Aufruf der NPD, sich auf die Listen setzen zu lassen, um auf diese Weise die Rechtsprechung zu beeinflussen. Es gibt aber auch Leute, die sonst keine richtige Beschäftigung (mehr) haben. Und natürlich gibt es auch engagierte Bürger, die etwas für ihr Land tun wollen.
Aus den Vorschlagslisten wählt dann ein Wahlausschuss die Schöffen. Dieser Ausschuss besteht aus einem Richter des Amtsgerichts, einem sogenannten Verwaltungsbeamten sowie sieben Vertrauensleuten.
Diese Vertrauensleute werden von den Vertretungen der Kreise gewählt. Der Ausschuss wählt die Schöffen für das Schöffengericht des Amtsgerichts und für die Strafkammern des Landgerichts. Bei der Wahl soll darauf geachtet werden, dass alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigt werden.
Ob das so richtig klappt, darf ebenfalls bezweifelt werden. Während immerhin die Verteilung auf Männer und Frauen einigermaßen zu funktionieren scheint, sind jedenfalls nach meiner persönlichen Beobachtung ziemlich wenige Selbständige, Arbeitnehmer, Menschen mit Migrationshintergrund, Schwarze, Schwule, Lesben und Personen unter 40 Jahren unter den robenlosen Richtern zu finden.
Die Verteilung von Alter und Beruf kann seit einigen Jahren eh nicht mehr kontrolliert werden, weil die Statistik im Jahre 1998 einfach eingestellt wurde.
Rechtskunde
Die Besserung der Rechtskenntnisse des Volkes und seines Verständnisses der Rechtsprechung können keine wirkliche Begründung für das Schöffenwesen darstellen. Da wäre das von mir seit Jahren geforderte Schulfach „Rechtskunde“ über die bisherigen popeligen Arbeitsgemeinschaften hinaus wesentlich effektiver.
Aber diese intensive Besserung der Rechtskenntnisse der Bevölkerung will der Staat offenbar gar nicht so richtig haben. Die rechtskundigen Bürger könnten ja auf die Idee kommen, ihre Rechtskenntnisse dann auch in die Tat umzusetzen.
Aber Fortbildung als Rechtfertigung für die Beteiligung von Laien an der tatsächlichen Rechtsprechung – also sozusagen learning by doing –, das würde auch als Argument für die Laienoperateure im Krankenhaus nicht greifen, auch wenn diese dann mehr Verständnis für ärztliche Kunstfehler entwickeln würden.
„gesunder Menschenverstand“
Das beliebte Argument „Einbringen des ‚gesunden Menschenverstandes‘ in die Urteilsfindung“ ist mir aus zwei Gründen suspekt: Zum einen unterstellt es den Volljuristen ohne nachvollziehbaren Grund eine „kranken“ Menschenverstand, zum anderen bewegt sich der „gesunde Menschenverstand“ manchmal verdammt nah am „gesunden Volksempfinden“, das sich in der Vergangenheit häufig als äußerst ungesund erwiesen hat. Man erinnere sich zum Beispiel an den Emden-Mob und ähnliche Aufwallungen der Volksseele.
Auch das Argument der durch Schöffen erzeugten Notwendigkeit für die Berufsrichter, die eigenen – juristisch geprägten — Wertungen in eine allgemein verständliche Form zu bringen, hat offenbar in der Vergangenheit wenig Gewinn gebracht.
Verständlichkeit
Dass Urteilsbegründungen von Schöffen- oder Berufungsgerichten allgemeinverständlicher wären als die des Einzelrichters, ist mir jedenfalls noch nie aufgefallen. Es gibt Richter, die sich verständlich und solche, die sich unverständlich ausdrücken. Daran ändert auch ein Schöffe nichts, denn die Begründung wird nach wie vor vom Berufsrichter geschrieben.
Auch das letzte Argument für die Schöffen, dass sie einer Erweiterung des Informationsstandes der Berufsrichter durch Sachkunde und Lebenserfahrung dienen, ist nicht überzeugend. Benötigt der Richter mangels eigener Sachkunde jemanden, der ihn bezüglich eines Themas schlau macht, dann kann und muss er einen Sachverständigen befragen. Woher soll der Richter denn wissen, ob das Wissen, das der Schöffe ihm vermitteln will, auf dem neuesten Stand ist? Was soll das bringen, wenn der Schöffe seine „Lebenserfahrung“ einbringt?
Nicht, dass ich das teilweise bewundernswerte Engagement mancher Schöffen nicht zu würdigen wüsste. Es gibt sogar Schöffen, die in der Hauptverhandlung den Mut aufbringen, eigene Fragen zu stellen. Manchmal allerdings auch Fragen, mit denen sie sich wegen Befangenheit gleich aus dem Verfahren schießen, wie zum Beispiel,
Warum gestehen Sie denn nicht endlich, wir wissen doch alle, dass sie schuldig sind?
Die Schöffen können nichts dafür, sie sind ja Laien.
Aber nochmal: Möchten Sie von einem Laien operiert werden ?