Wellenreiten – Impfpflicht jetzt?
Die Covid19-Neuinfektionen erreichen Rekordwerte. Eine Mehrheit der Bevölkerung befürwortet nun eine allgemeine Impfpflicht. Muss das sein? Die Samstagskolumne von Heinrich Schmitz
Die Coronapolitik ist eine moderne Form des Wellenreitens. Kaum sanken einmal die Inzidenzen, witterte der ein oder andere Politiker die Chance, sich als Freiheitsbringer beim Wahlvolk anzudienen. Dass das bisher jedes Mal zu früh war und dass ein Blinder sehen konnte, dass das Virus nicht einfach verschwindet, wollte offenbar keiner der Verantwortlichen wahrhaben. In der Coronapolitik ist magisches Denken mindestens so angesagt wie bei Harry Potter. Und nun haben wir wieder mal den Salat.
Ob nun ein Weihnachtsfest mit der Uroma möglich ist, wird wohl davon abhängen, ob sie rechtzeitig ihre Boosterimpfung bekommt und ob das Personal im Pflegeheim durchgeimpft ist. Nicht einmal das ist garantiert und ob jeder, der einen Impfpass vorlegt, tatsächlich geimpft ist, kann man auch nicht garantieren. Es ist schon krass, dass man bei jedem Besuch im Altenheim seinen Impfschutz nachweisen muss, während ein Teil des Personals munter ungeimpft und nicht täglich getestet die Bewohner umbringen kann. Da und überall dort, wo Menschen zwangsweise mit vulnerablen Menschen zusammenkommen, würde mir eine Impfpflicht sehr gut gefallen.
Bei einer allgemeinen Impfpflicht, also einer Pflicht für jeden ab einem bestimmten Alter, wäre das zwar gesetzlich auch möglich, dass das aber eine kluge Entscheidung wäre, bezweifle ich. Eine allgemeine Impfpflicht würde die Hardliner unter den Impfgegnern nur in ihre Verschwörungsräume treiben und sie weiter radikalisieren. Wer bis jetzt nicht geimpft ist, will das offenbar nicht. Solange die nicht mit gefährdeten Menschen in unmittelbarem Kontakt sind, sollen sie sich meinetwegen die Seuche holen und die dann entweder überstehen – dann haben sie ein G für genesen gewonnen – oder halt den Löffel abgeben. Jeder ist seines Unglückes Schmied und wer nicht hören will, darf fühlen. In beiden Fällen stellen sie danach keine Gefahr mehr für andere dar, jedenfalls keine unmittelbar gesundheitliche. Und zum weiter schwurbeln finden die auch ein anderes Thema.
Kontakte beschränken
Und da die gestiegenen Infektionszahlen trotz einer mittlerweile recht hohen Zahl von Geimpften höher sind als vor einem Jahr, als noch niemand geimpft war, dürfte auch klar sein, dass das Impfen zwar der wichtigste Baustein der Pandemiebekämpfung ist, dass man aber um das Schlimmste zu vermeiden, um kontaktbeschränkende Maßnahmen nicht mehr herumkommen wird.
Ja, find‘ ich auch doof, aber Kneipenkarneval mit Ringelpiez und Abschlecken und ähnlich gesellige Events fallen für mich mal wieder aus. Nicht schön, aber wohl nicht vermeidbar. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das so gar nicht notwendig gewesen wäre, wenn man nach der ersten Welle einfach noch ein bisschen länger Lockdown gemacht hätte. Oder dann wenigstens, nachdem man gemerkt hat, dass die ersten Lockerungsübungen vorschnell und unklug waren, beim zweiten Mal die Kurve weiter gedrückt hätte. Aber klar, wer will im Wahlkampf schon als Spaßbremse auftreten? Da glaubt man doch mit Gelaber von Freiheit die Corona geknechteten Wahlbürger für sich zu gewinnen.
Und nun ist die alte Regierung ziemlich klar abgewählt, der Gesundheitsminister nur noch ein geschäftsführender und ob und wann es eine neue Regierung gibt, weiß noch niemand so genau. So rast dann der führerlose Coronabus mit Vollgas gegen die nächste Wand.
Eilig sollen nun die vorzeitig geschlossenen Impfzentren wieder aktiviert werden, einzelne Politiker reden – völlig zu Recht – wieder von Kontaktbeschränkungen und Lockdowns, und der Kolumnist staunt über soviel chaotisches Gehampel nach immerhin fast zwei Jahren Coronaerfahrung. Warum hat die Politik nicht einfach auf die Wissenschaftler gehört?
Wieso soll ausgerechnet jetzt das Ende der pandemischen Lage beschlossen werden? Ist ja schön, wenn der Föderalismus gefördert werden soll, aber wenn wir schon über eine weltweite Pandemie reden, dann wäre doch schön, wenn wir wenigstens in Deutschland einheitliche Maßnahmen hätten. Ja, es ist auch gut und schön, wenn die Parlamente sich mehr in die Pandemiebekämpfung einbringen würden, aber erstens sind Parlamente manchmal ein wenig zu lahmarschig und zum zweiten sehe ich da in dieser Übergangsphase keine echten Bemühungen, das Ruder zu übernehmen.
Unkontrolliert
Nun sollen also 2G und 3G-Regeln die Kohlen aus dem Feuer holen. Aber wer glaubt denn ernsthaft, dass diese Regeln wirklich konsequent kontrolliert werden könnten? Wer soll das tun? Bei der Kontaktverfolgung haben die Gesundheitsämter doch schon das Handtuch geworfen. Will man jetzt vor jede Kneipe einen Polizisten stellen?
Nee Leute, das wird so nichts. Und so werde ich mich weiter selbst weitestgehend von Menschenansammlungen fernhalten, weiterhin Maske tragen und Tag für Tag beobachten, wie die Infektionsrate steigt, bis irgendwann einmal meine Boosterimpfung da ist und irgendwann einmal alle bisher Ungeimpften und viele unvorsichtig gewordene Geimpfte erkrankt waren. Kann ja bei steigenden Zahlen nicht mehr ewig dauern.
Und wenn dann die nächste Coronavariante ihren Siegeszug beginnt, dann sollte die Politik vorher einen bessern Plan haben. Darüber jetzt schon nachzudenken, verbietet ja niemand. Ob ich daran glaube? Eher nicht.
