Fantasy mit ostafrikanischem Setting – Marlon James‘ „Schwarzer Leopard, roter Wolf“
Schwarzer Leopard, roter Wolf ist ein sprachlich überaus starker, im Setting unverbrauchter Fantasyroman, der leider etwas sehr dick aufträgt, findet Literaturkolumnist Sören Heim.
Einige Rezensenten haben schon bemängelt: Das sei keine richtige Fantasy. Auf die Idee könnte man kommen. Vom ersten Satz an entwickelt Schwarzer Leopard, roter Wolf einen erzählerischen Sog, der eher an Romane Ngugis, Marquez‘ oder Ben Okris erinnert. Kein Wunder, Autor Marlon James ist zuvor mit dem hervorragenden A Brief History of seven Killings in Erscheinung getreten. Schwarzer Leopard, roter Wolf kennt keine Exposition, kein World-Building im tolkienesquen Sinne, stattdessen eine Stimme, die Geschichte auf Geschichte türmt, und aus der sich erst langsam die Geschichte des „Suchers“ schält, des bisexuellen Ich-Erzählers, der nach dem Glauben seines Dorfes weibliche und männliche Merkmale in sich trägt, weil er die Mannbarkeitsrituale verpasst hat und nicht beschnitten wurde.
Fantasy und Klassifizierungswut
Nur durch die Augen dieser Figur, als deren große Fähigkeit sich bald eine besonders feine Nase herausstellt, und die nach diversen kleineren Aufträgen schließlich gedrängt wird, einen Jungen aufzupüren, der vor drei Jahren spurlos verschwand, lernen wir die lose auf verschiedenen Mythen und geographischen Örtlichkeiten des östlichen Afrikas basierende Welt kennen, die mit allerlei magischen Wesen, viel Gewalt, explizitem Sex und vor allem einem erzählerischen Bilderreichtum aufwartet, der sich vor den besten Momenten Rushdies nicht verstecken muss.
Eigentlich ist alles da. Magische Parallelwelt, Heldengeschichte, ungewöhnliche Städte, Reisen durch Wildnis. Warum spricht mancher Schwarzer Leopard, roter Wolf dennoch ab, „Fantasy“ zu sein?
Ich kann es durchaus nachvollziehen. Besonders die High Fantasy hat uns daran gewöhnt, das Fantastische ganz im Sinne der verwalteten Welt zu denken. Es gibt Rassen und Klassen, und eine wohldefinierte Magie, die gewissen Regeln folgt, kurz, dass Fantastische ist von Tolkien über diverse RPGs bis Martin stärker durchsystematisiert als ein typischer Tag in einer deutschen Kleinstadt. Und auch wenn Fans an dieser Stelle gern widersprechen: Sogenannte Low Fantasy und Urban Fantasy weichen da stellenweise zwar von ab, gehen aber höchst selten wirklich einen ganz anderen Weg.
Chaos als Prinzip
Schwarzer Leopard, roter Wolf aber geht diesen Weg. Seine Welt funktioniert eher wie die des magischen Realismus, sie ist chaotisch, wird mit allen Mitteln der literarischen Moderne als chaotische „visualisiert“, und ihre Magie ist ungezügelt, gleichzeitig kaum greifbar und doch immer und in jedem Moment Teil der Welt. Aber auch die Schublade „magischer Realismus“ greift nicht, denn jener zeichnet sich ja gerade durch das enge Arbeiten an der realen Weltgeschichte aus, die durch magische Momente mit symbolischer Bedeutung gebrochen wird. Meist lässt Magisches sich sowohl übersinnlich als auch (kollektiv) psychologisch lesen. Schwarzer Leopard, roter Wolf aber spielt in einer ausgearbeiteten Parallelwelt.
Klar IST das Fantasy, aber eben in einem Sinne, der gleichzeitig Genre-Zuordnungen bedeutungslos werden lässt.
Starker Fokus auf Sex und Gewalt
Zuletzt einige Schwächen: Was Kämpfe betrifft merkt man Marlon James die Faszination für klassische Fantasy an, hier sinkt das erzählerische Niveau regelmäßig – zumindest in der deutschen Übersetzung – ab, bis hin zu einigen Sätzen, für die man sich schämen möchte, wie etwa „Einer griff mich mit Schwertkunst an“ (S. 31).
Das Ausmaß der Welt wirklich fühlbar zu machen, gelingt James nicht. Der Held ist zu stark, wenn er stark ist, und plötzlich schwach, wenn es der Plot verlangt. Die Reise von Stadt zu Stadt wird teilweise lapidar in Sätze gepackt wie, „Ich ging nach XY“, – man bedenke, durch unwegsame Wildnis voller Gefahren.
Und trotzdem ist der Roman zu lang. James will zu viel erzählen, verliert sich dann auch noch in seinen Kampfszenen und Beschreibungen, so dass nach 800 Seiten gerade erst ein Drittel der Geschichte fertig erzählt ist, denn dem Plan nach handelt es sich um eine Trilogie. Da kann dann gerade der sprachliche Sog, der am Anfang so an das Buch fesselt, mit der Zeit auch ermüden. Zu viel Überbordendes wirkt irgendwann redundant. Und meine Fresse: Ich glaube ich habe noch nie in einem Roman so oft das Wort „ficken“ gelesen. Es steht mindestens einmal auf jeder Seite. Zwar spricht James über Sinnlichkeit, die in der Literatur oft zu kurz komme. Doch nein: Fast aller Sex ist hier gewaltsam, vieler nicht-konsensuell. Zahlreiche Nebencharaktere sind nur dazu da, vergewaltig zu werden. Eine Zeit lang akzeptiert man das als die generelle „Düsternis“ der Welt. Mit der Zeit wirkt es nur noch pubertär. James soll ein großer Fan von Mervyn Peaks Gormenghast sein. Dort könnte man sich abschauen, dass düster und beklemmend auch ohne dauerndes Blutvergießen und Vergewaltigungen geht.
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