Mit Bukowski bei der Darmspiegelung (2)

Die Geschichte geht weiter, wobei Henning Hirsch sich auf dem Behandlungstisch von seinem Kumpel Buk als Feigling verhöhnen lassen muss


Bevor die Story mit Buk und der Darmspiegelung gleich weiter geht, unterbreche ich an dieser Stelle kurz, um einen Einschub zu Andernach zu machen. Andernfalls heißt es: Der Hirsch nutzt nun schon die Kolumnen, um uns seine ollen Kurzgeschichten unterzujubeln.

Schon Cäsar gefiel es hier. Und den Wikingern so gut, dass sie mehrmals anreisten

Also jetzt was zu Andernach: knapp 30.000 Einwohner, landschaftlich hübsch zu Füßen der Vulkaneifel am Mittelrhein gelegen. Allerdings an dessen nördlichem Abschnitt. Das ist der ohne die Ritterburgen. Zwanzig Kilometer bis Koblenz, vierzig nach Bonn. Besitzt einen zu groß geratenen Dom aus der spätromanischen Epoche und eine gut sortierte Eisdiele mit freundlicher Bedienung in der Fußgängerzone. Cäsar ließ hier im Verlauf der gallischen Feldzüge von seinen Pionieren binnen zehn Tagen eine Pfahlbrücke über den Fluss schlagen, um den auf der anderen Seite lagernden Sueben (vielleicht waren es aber auch die Tenkterer oder Usipeter. Diese Stämme waren ja dauernd in Bewegung. Da verliert man schnell den Überblick) einen kurzen Besuch abzustatten und ihnen dabei die Überlegenheit römischer Ingenieurskunst und Kriegsführung zu demonstrieren. Im frühen Mittelalter gab’s zwei Schlachten vor den Stadtmauern. Bei der ersten verlor Karl der Kahle sowohl das Gefecht als auch große Teile seines Westreichs (heute Frankreich) an den Osten (heute: Deutschland). Zwischendurch schipperten immer mal wieder die stets beutehungrigen Wikinger den Rhein hinauf, plünderten und brandschatzten und schleppten alles an beweglicher Hehlerware (schöne und gebärfähige Frauen inklusive) fort, was sie in ihren kleinen Booten verstauen konnten.. Das war’s, was mir zur Andernacher Historie einfällt. Die Stadt befindet sich unmittelbar südlich der westgermanischen Dialektgrenze, die durch den Vinxtbach markiert wird. Von dieser Grenze haben Sie noch nie gehört? Sie sollten entweder mehr lesen oder einen Vater wie meinen gehabt haben, der mich jedes Mal, wenn wir den Vinxtbach passierten, der unterhalb der A61 in etwa auf Höhe der Ausfahrt Bad Breisig plätschert, über dessen linguistische Wichtigkeit aufklärte. Weshalb in Andernach ein moselfränkisches Idiom – im Unterschied zum ripuarischen Kölner Singsang – geredet wird. An berühmten Söhnen listet Wikipedia auf: Adolf Kolping jr., die Renaissance-Humanisten Omphalius, Winter, Hillesheim und den Profifußballer Markus Pazurek. Die kennen Sie alle nicht? Ich muss zugeben, dass ich – bis auf Kolping – von den anderen heute ebenfalls zum ersten Mal erfahre. Aber sie stammen halt aus Andernach. Der bei weitem interessanteste Spross der Stadt ist jedoch sowieso Heinrich Karl Bukowski. Hier geboren an einem schwülheißen Augusttag im Jahre 1920 als Sohn eines US-amerikanischen Besatzungssoldaten und der reizenden bzw. mit ihren Reizen nicht geizenden lokalen Bürgerstochter Katarina, die vor der Hochzeit den stolzen Nachnamen Fett trug. Die Andernacher Periode währte nur kurz. 1923 übersiedelte die Familie nach Los Angeles. Heinrich Karl – mittlerweile zu Charles Henry amerikanisiert –, der zeitlebens gerne deftig nach Hausfrauenart aß und sich von einem Onkel mütterlicherseits jede Weihnachten ein paar Pullen Müller-Thurgau aus dem Ahrtal nach East-Hollywood schicken ließ, kehrte anlässlich einer Deutschlandtournee, die er in den 70er Jahren auf Einladung seines Übersetzers und engen Freunds Carl Weissner absolvierte, ein einziges Mal für 24 Stunden in seine Geburtsstadt zurück.

Mit diesem Hintergrundwissen ausgestattet, können wir endlich wieder in die gestern abrupt unterbrochene Kurzgeschichte in der Suchtklinik eintauchen.

Die Geschlossene schläft und im Schwesternzimmer wird ein Schlauch ausgerollt

Die Uhr im Schwesternzimmer zeigte 4.17. Außer Buk, mir und Beate, die die Nachtschicht innehatte, war niemand auf den Beinen. Die Geschlossene pennte und dämmerte dem nächsten Morgen entgegen.

»Was kann ich für die Herren tun?« Beate legte ein Sudokuheft beiseite, mit dem sie sich die Zeit vertrieb.
»Ich nehm nochmal zwei Pillen«, sagte ich.
»Und Sie, Herr Bukowski? Sie sind doch Herr Bukowski, oder?«
»Klar, bin ich der. Mich kennt jedes Kind hier in Andernach.«
»Ich komme, wie Herr Hirsch, aus Köln. Kann mich nicht erinnern, dass wir uns schon Mal begegnet sind.«
»Was??«
»Beruhige dich. Nicht jeder liest deine Bücher«, sagte ich.
»Weiß ich doch. In den USA kennt mich kein Schwein. Dachte aber, hier in meiner Geburtsstadt wäre ich schon berühmter.«
»Also, womit kann ich Ihnen dienen, Herr Bukowski: Tabletten gegen den Entzug?« Beate ließ ihre Wimpern klimpern und die Augen rollen. Fast schien es mir, sie flirtete mit meinem Kumpel.
»Wollen Sie mich vergiften? Ich schlucke nie Pillen. Die sind was für Weicheier wie Herrn Hirsch. Aber gegen einen Whiskey hätte ich nichts einzuwenden.«
»Den bekommen Sie draußen im Rewe, sobald man sie bei uns entlässt.«
»Für so unbelehrbar halten Sie mich?«
»Die Statistik besagt, dass die Hälfte der hier behandelten Alkoholiker bereits am ersten Tag rückfällig werden. Wir machen uns da wenig Illusionen.« Beate wollte freundlich sein. Der Prozentsatz lag aus meiner Erfahrung heraus eher bei 70 bis 80 Prozent.

»Kein Whiskey, keine Weiber. Ein richtiger Scheißladen, den Sie hier managen.«
»Ich kann gar nichts für Sie tun?«
»Von Hämorrhoiden haben Sie zufälligerweise Ahnung? Meine schmerzen nämlich ganz fürchterlich.«
»Sie haben unverschämtes Glück. Bevor ich in der Psychatrie anfing, habe ich in der Proktologie gearbeitet. Lassen Sie mal sehen!«
»Das muss jetzt wirklich nicht sein, Hank«, sagte ich.
»Was willst du?«, blaffte er zurück. »Würden deine Hämorrhoiden jucken, hättest du schon längst um Pillen gebettelt.« Er zog die Hose herunter und entblößte seinen Hintern, der dafür, dass er seit Jahrzehnten soff und keinerlei Sport betrieb, noch gut proportioniert war. Ich hatte schon weitaus traurigere Ärsche gesehen. Der von Rosi war jetzt auch nicht der Hit gewesen.
»Was glotzt du so?«, fragte er. »Bist du im Alter schwul geworden?«

»Stark entzündet«, sagte Beate, die hinter Bukowski kniete und mit Kennerblick seine Rosette betrachtete. »Bevor ich das in Ordnung bringe, will ich aber noch was anderes überprüfen.« Sie lief nach hinten in ihre medizinische Besenkammer und kehrte mit einem langen, grünen Schlauch zurück.
»Was soll das werden?«, fragte ich. »Ein Einlauf?«
»Einläufe sind etwas aus der Mode gekommen«, antwortete sie. »Ich werde jetzt eine Darmspiegelung vornehmen. Denn der Analtrakt von Herrn Bukowski gefällt mir ganz und gar nicht.«

Buk musste sich bäuchlings auf den Behandlungstisch legen, was er zu meinem Erstaunen ohne Murren tat. Beate gefiel ihm, sonst hätte er ihr spätestens in diesem Moment einen Spruch reingedrückt.
»Jetzt bitte nicht verkrampfen«, sagte Beate. »Denken Sie an was Schönes. Entspannen Sie sich.«
»Wenn ich an Ihre Titten denke, bekomme ich einen Steifen«, sagte Bukowski.
»Denk eben nicht an ihre Titten, sondern was anderes«, sagte ich.
»Mir fällt aber gerade nichts anderes Schönes ein.«
»Dann denk mal kurz überhaupt nichts. Das kann doch nicht so schwer sein.«

Beate rammte ihm ohne Vorwarnung ein keilförmiges Instrument in den Arsch. Das musste höllisch wehtun. Buk stöhnte, zeigte sich aber tapfer und schrie nicht. Sie drehte an einer Kurbel und drückte damit eine Spirale mit vorne drauf installierter Kamera in seinen Dickdarm rein.
»Ist vermutlich ein bisschen unangenehm«, sagte Beate. »Am besten schnauben Sie laut wie ein Hund. Erleichtert sehr. Das können Sie doch, oder?«
»Ich hasse Hunde«, antwortete Buk.
Beate drehte und drehte. Die Kamera musste mittlerweile in Bukowskis Gehirn angekommen sein, so tief steckte die Spirale schon in seinem Hintern.
»Sie sind ein guter Patient«, lobte Beate. »Es ist gleich vorbei.« Sie kurbelte das Schlangending nun wieder heraus und begutachtete die Filmaufnahme auf ihrem Monitor.
»Glück gehabt«, sagte sie. »Der Darm scheint in Ordnung zu sein. Aber gegen die Hämorrhoiden sollten Sie was tun. Die sind dick wie die Tentakeln eines Tintenfischs.«
»Fein«, meinte Buk. »Mit einem gesunden Darm schläft es sich besser.«

»Und nun Sie, Herr Hirsch!«
»Was ist mit mir?«
»Hose runter und mich nachschauen lassen.»
»Ich habe keine Hämorrhoiden.«
»Und der Stuhlgang?«
»Der funktioniert ganz ausgezeichnet.«
»Irgendwas ist immer in Ihrem Alter. Und wenn es bloß eine ordinäre Fettleber oder die gereizte Bauchspeicheldrüse sind. Ich werde jetzt nachsehen.« Beates Miene signalisierte, dass sie innerhalb der Wände ihres Schwesternzimmers keine Widerworte duldete.
»NEIN!«
»Er ist ein Feigling«, sagte Bukowski. »Fürchtet sich vor einem kleinen Schlauch, braucht Pillen gegen den Entzug, erzählt den Ärzten und Psychologen seit Jahren, dass er aufhören wird, um draußen sofort wieder zu saufen. Was für ein erbärmliches Affentheater. Und das Allerbeste: er glaubt ernsthaft, dass er schreiben kann. Dabei sind seine Gedichte allenfalls mittelmäßig.« Er hielt mich nun von hinten festumklammert wie in einem Schraubstock. Beate zog mir die Hose nach unten, grinste, während sie mit dem Schlauch vor meinem Gesicht hin und her wedelte, und ihr Grinsen glich nun aufs Haar dem Alligatorlächeln Bukowskis.

Ich schlug die Augen auf, mein Herz klopfte mit 150 Sachen die Minute, ich war klitschnass. Neben mir stand die alte Ordensschwester von gestern Abend, kontrollierte Puls und Blutdruck, steckte mir ein Thermometer ins Ohr und fragte: »Alles in Ordnung mit Ihrem Stuhlgang, Herr Hirsch?«
»JA!«, schrie ich.
»Kommen Sie bitte vor dem Frühstück zu mir, um sich Ihre Tabletten abzuholen«, sagte sie und verschwand durch die Tür.

Der Russe oder Kasache oder Usbeke stand vor dem Waschbecken, grinste mich an, drehte sich wieder um und pisste hinein. Auf meinem Bauch lag das Buch, das mir Matthias vor dem Schlafengehen in die Hand gedrückt hatte. Ich spürte plötzlichen Druck auf dem Darm und fühlte mich beschissen.

In Teil 3 unternehme ich mit Matthias einen Ausflug zu Bukowskis Geburtshaus und mache mir dabei langsam Sorgen um meine Zukunft

Weiterführende Literatur: Alle Arschlöcher auf der Welt und meines. In: Ein Profi – Stories vom verschütteten Leben. © Charles Bukowski, 1973

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Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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