Der Ruhm und die Asche – den Pogues eine Kolumne

Vor 30 Jahren erschien das Überalbum der Pogues „If I Should Fall From Grace with God“. Ulf Kubanke nimmt das Jubiläum zum Anlass, in seiner Hörmal-Kolumne Platte und Band genauer unter die Lupe zu nehmen.


 “People are talking about immigration, emigration and the rest of the fucking thing. It’s all fucking crap. We’re all human beings, we’re all mammals, we’re all rocks, plants, rivers. Fucking borders are just such a pain in the fucking arse.”
(Shane MacGowan)
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa

The Pogues sind seit 1982 eine Art irisches Nationalheiligtum, gelten als Schutzpatrone trinkfester Partygänger und dürfen sich mit Fug und Recht den Titel „Erfinder und ewige Könige des Folkpunk“ auf die Fahnen schreiben. Jetzt feierte ihr Überalbum „If I Should Fall From Grace With God“ seinen 30. Geburtstag. Allemal Grund genug Platte und Band ein wenig genauer in Augenschein zu nehmen.Wer kennt nicht Songs wie „Fiesta“ oder „Fairytale Of New York“. Nicht nur diese Lieder, sondern die gesamte Kombo ist mittlerweile ein musikhistorisch bedeutender Teil des Weltkulturerbes. Im Zentrum dieser Betrachtung steht meist ihr charismatischer Frontman und Hauptsongwriter Shane MacGowan. Das ist zwar wenig verwunderlich in Ansehug des ehemals exzessiven Lebensstils, führt aber in die Irre. Doch der Reihe nach. Zunächst einmal gehen wir der Frage nach, was diese Kapelle musikalisch so besonders macht.

Die essentiellen Alben:

Man braucht die ersten vier Alben. Mit „Red Roses For Me“ und „Rum, Sodomy & The Lash“ (letzteres produziert von Elvis Costello) legten sie 1984/85 den Grundstein des Folkpunk und definierten diesen mustergültig. Überwiegend aus der Punkszene stammend, ersann man die Idee, Geschwindigkeit und Energie mittels traditionell überliefertem Instrumentarium zu entfesseln. Damit entstaubten sie etliche Evergreens und umrahmten diese mit Tracks, die nahezu komplett aus der Feder Shane MacGowans stammten. Beide Killeralben sind maßgeblich verantwortlich für die Wahrnehmung MacGowans als scheinbar alleinigem Inhaber des künstlerischen Szepters.

1988 gelang ihnen mit „If I Should Fall…“ unter tatkräftiger Mithilfe von Edelproduzent Steve Lillywhite (Rolling Stones, Talking Heads, U2, Peter Gabriel) die Vertiefung und Verfeinerung der eigenen Musik. Dass der brillante Partysong „Fiesta“ seitdem eine zweifelhafte Parallel-Karriere als von mediokren Coverbands nachgeäffter Karnevalsklopper einschlug, scheint der Preis zu sein. Und zum „Fairytale Of New York“ kommen wir noch. Besonders herauragend ist jedoch das mittlerweile fast ebenso berühmte „Thousands Are Sailing“. Der popkulturelle Siegeszug dieses Liedes ist umso erstaunlicher als das es nie als Single ausgekoppelt wurde. Inhaltlich verkörpert es ebenso mitfühlende wie schroff-realistische Schilderungen irischer Emigrantenschicksale, die es im 19. Jahrhundert in die USA zog. Die Aktualität des Songs ist angesichts unserer momentanen Weltlage ein strukturell anscheinend stets gegenwärtiges Problem der Menschheit. Es wechseln höchstens Akteure und Nationen.

Zuletzt sollte man nicht auf „Peace & Love“ verzichten. Es ist zwar nicht ganz so treibend wie seine Vorgänger, überzeugt jedoch mit hypnotischen Melodien wie „Young Ned Of The Hill“ oder düster-intensiven Balladen der Sorte „Lorelei“ oder „Tombstone“.

 Drei unwahre Legenden:

Zum einen ist diese Band keine im engeren Sinne rein irische. Im Gegenteil: Der überwiegende Teil der Mitglieder hatte englische Pässe; sogar Shane, der in Kent als Sohn irischer Einwanderer geboren wurde. Am Exotischsten ist die Herkunft von Bassistin Cait O’Riordan, die in Nigeria aufwuchs und sowohl schottische als auch irische Wurzeln ihr Eigen nennt.

Zum anderen kann man MacGowan zwar als Fixstern der Pogues bezeichnen. Auch ist sein Talent als Songwriter und Dichter sicherlich von Weltformat. Nicht wenige ihrer Kernsongs gehen dennoch auf das Konto der Bandkollegen. So stammen etwa „Fairytale“ oder „Tombstone“ überwiegend von Jem Finer. Den „Young Ned“ schrieb Terry Woods und die „Lorelei“ ersann Phil Chevron. Gesanglich hat besonders Spider Stacy seine Meriten, der stets zum Einsatz kam, wenn ein Song eher nach emotionalem Klargesang verlangte als nach Shanes vernuscheltem Organ.

Drittens stimmt das verbreitete Vorurteil nicht, wonach die Pogues vor allem eine verschrammelt-alkoholisierte Pubcombo wären. Trotz aller toxischen Eskapaden MacGowans handelte es sich um höchst versierte Multiinstrumentalisten mit ausgeprägtem Händchen für subtile Details. Dem „Fairytale“ etwa wollten sie unbedingt das märchentypische „Es war einmal“ impfen. Als gesungene Zeile kam ihnen die Einleitung jedoch zu abgedroschen vor. So zitierten sie kurzerhand ein paar Noten aus Morricones Score zu „Es war einmal In Amerika“. Raffinierter geht es kaum.

Die schwerste Geburt: „Fairytale Of New York“

Der Song steht seit 30 Jahren für Liebe und Romantik, die sich ihren Pfad durch den derben Schlagabtausch eines irischen Emigrantenpaares von der falschen Seite der Stadt bahnen muss. Vielen gilt es als das ultimativ beste Weihnachtslied aller Zeiten. Das Subversivste ist es allemal. Wer muss nicht grinsen, wenn deutsche Kirchen- und Kinderchöre in stoischer Unwissenheit zur Adventszeit das „Du Drecksack, du Made, du billige, lausige Schwuchtel“ des weiblichen Parts intonieren?

Genau diesen zu fnden, war ihre größte Herausforderung. Schon vor der Veröffetlichung gingen Finer und MacGowan jahrelang schwanger mit dem Track, ohne den rechten Dreh zu finden. Die musikalische Pointierung gelang erst durch die tatkräftige Mithilfe des erfahrenen Lillywhite. Man plante die weibliche Rolle ursprümglich für O Riordan, die bereits als Sängerin der Ballade „A Man You Don’t Meet Every Day“ nicht wenige Fans beeindruckte. Doch diese verließ die Band vor Fertigstellung des dritten Albums, um Elvis Costello zu heiraten und mit diesem zu arbeiten.

Nun war guter Rat so teuer wie guter Whiskey. Wer könnte den Job übernehmen? Man ging Freundinnen der Band durch. Chrissie Hynde von den Pretenders? Passend, war aber verhindert. Suzie Quatro? Stilistisch nicht kompatibel. Sinead O’Connor? War noch nicht wirklich auf der muskalischen Bildfläche aufgetaucht.

Lillywhite schlug seine Frau, Kirsty MacColl vor. Die Pogues reagierten zunächst reserviert. MacColl war eine enge, höchst beliebte Freundin. Ihre Karriere hingegen nahm man nicht ganz so ernst, da ihre wenigen Shows deutlich unter extrem ausgeprägtem Lampenfieber litten. In Eigenregie legte sie am Wochenende einfach im Studio los, sang den Part allein ein und mixte ihn mit dem bisherigen Rohentwurf der Männer. Das Ergebnis war – wie wir alle wissen – berückend.

Das traurige Ende

So fabulös ging es nach dem märchenhaften Erfolg von Album und Song nicht weiter. Trotz weltweiter Erfolge und Freundschaften zu Ikonen wie Tom Waits oder Nick Cave zog MacGowans Sucht die Pogues mehr und mehr runter. 1991 trennte sich die Band vom Enfant Terrible. Ersatz fand sich für einige Zeit in Kumpel Joe Strummer (The Clash). Danach übernahm Spider Stacy das Ruder. Ohne die künstlerische Reibung mit Shane fehlte ihrer Musik jedoch hörbar der letzte Funke.

Eine volle Dekade später fand man wieder zusammen. Doch reichte die Kraft nur für sporadische Konzerte. Neue Songs gab es nicht. Dafür jede Menge Tragödien. Kirsty MacColl verstarb 2000 bei einem spektakulären Badeunfall in Mexico; getötet von einem rücksichtslos geführten Motorboot. Joe Strummer verschied 2002 überraschend an einem zeitlebens unentdeckten Herzfehler. Phil Chevron verlor 2013 den langem Kampf gegen einen nicht operablen Hirntumor.

Shane MacGowan überstand Drogensucht und Alkoholismus. Ausgerechnet dieser Mann mit zuvor anscheinend 1000 Schutzengeln stürzte 2015 vollkommen nüchtern und clean so unglücklich, dass ein Trümmerbruch des Beckens nicht mehr richtig heilte. Gefesselt an den Rollstuhl hat er jegliche musikalische Tätigkeit aufgegeben. „For its stupid to laugh and its useless to bawl about a rusty tin can and an old hurley ball.“

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

More Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert