Bundestagswahl 2017: Eine Opposition für die Opposition!

Was sollen Sozial- oder Christdemokraten anfangen, wenn sie keine weitere Große Koalition möchten, aber eine Stimmabgabe für Linke oder AfD ebenso wenig in Frage kommt? Sie sollten in der eigenen Partei für eine Opposition gegen das Regieren um jeden Preis eintreten. Das stärkt die Demokratie und schwächt die Radikalen.


Gegen Links, aber dann doch mit Links?

Robin Alexander hat einen sehr bemerkenswerten Artikel in der Welt über CDU-Generalsekretär Peter Tauber und die strategische Ausrichtung der Partei für die Bundestagswahl geschrieben. Das Rezept lautet angeblich: Lagerwahlkampf mit Angela Merkel gegen Rot-Rot-Grün und dem Minimalziel, die große Koalition fortzusetzen, falls es für Schwarz-Grün nicht reicht.

Fest steht, so viel vorab, dass diese Strategie aufgehen wird. Die Mehrheit der Deutschen will Angela Merkel an der Spitze des Staates, egal wer an ihrer Seite die Regierung stellt. Aus professioneller, parteipolitischer Perspektive ist Taubers Strategie also richtig. Irgendwann werden LINKE und AfD vielleicht einmal so viele Stimmen auf sich vereinen, dass es selbst für die Große Koalition knapp wird. Aber dieser Tag wird nicht der Wahlabend 2017 sein.

Damit ist eigentlich alles gesagt. Außer natürlich, man ist ganz normales und also unprofessionelles Parteimitglied. Da kann einem schon mal die Frage in den Sinn kommen, wie genau man sich mit einer Strategie identifizieren soll, die Sozialdemokraten und Grüne verteufelt, solange sie mit der LINKEn antreten, dann aber doch mit einem von beiden regieren will. Außerdem fragt man sich, wie Leuten außerhalb der Union, die Rot-Rot-Grün ebenfalls um jeden Preis verhindern wollen, klar gemacht werden kann, dass sie nicht AfD wählen sollen. Auch jede Stimme für Petry, Gauland und Höcke ist eine Stimme gegen ein linkes Dreierbündnis. Genau genommen, braucht es CDU und CSU dazu nicht unbedingt.

Parteien dienen der Demokratie, nicht den Regierungen

Auch was dann bis 2021 passiert, möchte man sich nicht ausmalen. Die absolute Mehrheit dürfte es dann kaum mehr werden. Anscheinend sind diese Zeiten eh endgültig vorbei. Postmoderne, Komplexität, Multilateralismus halt, schon klar. Dabei hätte Angela Merkel das Wunder bei der vergangenen Wahl beinahe noch zu Stande gebracht. Vielleicht trübt das der christdemokratischen Parteibasis noch etwas die Sicht auf die neuen Realitäten. Die Sozialdemokraten sind da schon weiter. „Regierungsfähigkeit“, „Inhalte durchsetzen“ und „Opposition ist Mist“ lauten die Zauberworte der Genossen.

Natürlich ist es immer besser, wenn die eigene Partei am Kabinettstisch vertreten ist, entweder um Schlimmeres zu verhindern, oder ein paar eigene, wesentliche Inhalte durchzusetzen. Tatsächlich funktioniert Regieren auch genau so: Ein bißchen Frauenquote und Mindestlohn für die Linken hier, etwas Neuregelung des Länderfinanzausgleichs plus Schuldenbremse für die Fiskalkonservativen dort und alles im allem eine einigermaßen integrative Linie in der EU sowie mit Blick auf die Ukraine und Syrien. Exekutive heißt Verwaltung, im wahren Sinn des Wortes.

Nur ist zuverlässige Verwaltung nicht der letzte Sinn der Demokratie. Die ist zunächst einmal ein Ventil für Konflikte und polarisierende Strömungen in der Bevölkerung. „Leider!“ mögen manche seufzen, denn die Demokratie stört den Verwaltungsapparat, irrational und launisch, wie Volkes Wille zuweilen eben so ist. Aber Parteien haben nunmal diese lästige doppelte Rolle: Ihr Zweck ist es, sowohl die Selektion für Mandate und folglich Posten in der Regierung zu übernehmen, als auch die politischen und gesellschaftlichen Strömungen zu repräsentieren und in konstruktive Bahnen zu lenken. Wehe, wenn das eine zu Lasten des anderen Überhand nimmt. Das endet dann in diffusem Populismus oder Exekutivbürokratismus.

Jeder darf sich selbst die Frage vorlegen, ob das Gleichgewicht derzeit nicht vielleicht zu Lasten der repräsentativen Zwecke gestört ist, insofern in den Parteien die Sorge um die Karrieren der Repräsentanten in einem gewissen Missverhältnis zur Sorge um die Wünsche der Repräsentierten steht. Aktuell grassierende Narrative um Europaskepsis, Anti-Establishment-Movement und Politikverdrossenheit lassen zumindest etwaiges vermuten.

Wer gewinnen will, muss auch verlieren können

Ganz konkret stellen sich derzeit wahrscheinlich ebenso viele Christdemokraten wie Sozialdemokraten eine viel einfachere Frage: Was tun, wenn man weder eine weitere Große Koalition möchte, noch auch nur in den kühnsten Träumen Linke oder AfD in Erwägung zieht? Dann bleibt eigentlich nur eines: Schluss mit dem Regieren um jeden Preis und eine Opposition in der eigenen, an der Macht klebenden Partei für den Gang in die Opposition fordern. Eine Opposition für die Opposition!

Die SPD, ohnehin nur noch Notnagel der Kanzlerin, sollte sich einfach festlegen und der Union die Gefolgschaft versagen. Stattdessen lautete dann die Botschaft: Wer SPD wählt, bekommt eine linke Bundesregierung unter Führung eines sozialdemokratischen Kanzlers. Warum nicht mit Olaf Scholz an der Spitze? Der Liberale aus dem Norden kann mit Pragmatikern wie Bodo Ramelow oder Realisten wie Winfried Kretschamen und Boris Palmer im Gepäck die Panikmache zerstreuen, das Land würde darüber in den Sozialismus abrutschen.

Und auch in der Union würden sich alle am ehesten hinter der Kanzlerin versammeln, wenn sie sich auf das Erreichen der absoluten Mehrheit und alleiniges Regieren festlegte. Das gilt vor allem für die CSU, die den rechten Rand kaum mehr dicht bekommt. Denn wer in so einer Konstealltion AfD wählt, unterstützt de facto Rot-Rot-Grün: Jede stimme gegen die Kanzlerin ist ein für die Linken.

„Was“, werden da zu Recht die Profis in der Union fragen, „wenn dieser radikale Plan fehl schlägt?“ „Fair enough!“ sollten die Amateure an der Basis antworten. Eine Niederlage bedeutet eben den Rücktritt der Spitzenkandidatin. Das ist nicht das Ende der Welt. Man nennt es Demokratie.

Für gesunden politischen Wettbewerb gilt schließlich: Wer gewinnen will, muss eben auch bereit sein, eine Niederlage einzustecken und die Konsequenzen daraus zu ziehen. So wird es freilich nicht kommen, weil das unprofessioneller Idealismus wäre. Ein braver Konservativer ohne Ambition auf irgendein Amt und etwas Respekt vor dem Gegner im Leib, darf sich trotzdem auch für das Wohl des Landes in Form seines politischen Systems verantwortlich fühlen. Vielleicht lassen sich ja doch einige Repräsentanten finden, die diesen sehr speziellen Willen repräsentieren möchten. Auch das nennt man Demokratie.

Philipp Mauch

Philipp Mauch ist von Berufs wegen Stratege für Regulierungsmanagement in der Konsumgüterindustrie. Als Stipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung hat er über Nietzsche promoviert – eine Kombination, die er als Ausweis seines liberal-konservativen Nonkonformismus verstanden wissen möchte. In seinem Blog „Variationen der Alternativlosigkeit“ grübelt er über Deutschlands politische Kultur.

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