Corona und der Krieg. Eine persönliche Kolumne

Bei Corona waren wir einig, bei der Gefahr des Krieges sind wir es nicht. Eine persönliche Kolumne über verschiedene Weltsichten.

Collage Corona und Krieg
Wer viel schreibt, macht auch seine Denkwege öffentlich Collage: Jörg Phil Friedrich

Eine Liedzeile von Hans-Eckardt Wenzel, die mich seit Jahrzehnten begleitet, lautet „Nur im Vergang’nen waren wir uns einig, was kommen würde, wird uns entzwei’n“. In den letzten Jahren, zwischen Nachdenken über Corona und Fragen nach der Möglichkeit von Krieg, muss ich wieder verstärkt daran denken.

Zwischen Corona und Krieg

2020, in der Pandemie, bin ich zum „Maßnahmenkritiker“ geworden. Ich habe vor allem in der WELT viele engagierte Artikel geschrieben, die Leopoldina kritisiert, Wissenschaftler, das Bundesverfassungsgericht und die Rolle des Virologen Christian Drosten – was mir eine Erwähnung in seinem Podcast und eine Unterlassungsklage eingebracht hat. Es hat mir aber auch eine gewisse Fangemeinde gebracht, vor allem bei X, das da zu Beginn noch Twitter hieß, aber auch im realen Leben.

Nun erlebe ich, dass ich diese Fans verliere, wenn ich über den Ukraine-Krieg oder über die Auseinandersetzung mit Russland und die Konsequenzen für die europäische Verteidigungsfähigkeit schreibe. Ich erlebe das nicht zum ersten Mal. „Nur im Vergang’nen waren wir uns einig“. Die Argumentationsweise meiner Unterstützer bei Pandemie-Themen hat sich eigentlich gar nicht geändert. Sie bezweifeln die Verlautbarungen der Politiker, der Journalisten, der Mehrheit der Wissenschaftler, sie sehen Interessen und Vorurteile der Akteure als handlungstreibend an.

Misstrauen oder Vertrauen?

Deshalb trauen sie auch weder den verantwortlichen Politikern des eigenen Landes noch den Medien, die in diesem Land im grundsätzlichen Konsens mit den Institutionen der Politik agieren und auch nicht den Wissenschaftlern, die in staatlichen Universitäten ebenfalls im prinzipiellen Einverständnis mit den politischen Institutionen arbeiten und von den Medien gern als Experten befragt werden. Dieses Misstrauen war womöglich schon länger vorhanden, hat sich im Verlauf der Pandemie gefestigt, und wird nun auch in den Fragen von Krieg und Frieden und wohl auch beim Thema Klimawandel praktiziert.

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Ich hingegen traue eher den Menschen. Genauer: Ich glaube, dass Politiker, Wissenschaftler und Journalisten ungefähr genauso ehrlich, selbstlos, berechnend und eigennützig sind wie ich selbst und meine Freunde. Ich denke, dass auch Drosten und Merkel im Wesentlichen nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben, natürlich auch immer mit Blick auf ihre Reputation und ihren Einfluss und ihre Gestaltungs- oder Machtoptionen. Und ich denke, dass auch die Leute, die heute in Verantwortung sind oder als Experten gefragt sind, genauso sind.

Aber warum war ich dann ein Kritiker der Corona-Maßnahmen und bin heute kein Gegner der Maßnahmen zur Kriegstüchtigkeit und zur Aufrüstung?

Freiheit und Würde oder Leben um jeden Preis?

Erstaunlicherweise gibt es dafür eine Antwort, die tatsächlich so einfach ist, dass ich selbst überrascht war, als sie mir klar als Gedanke im Kopf erschien: weil für mich in letzter Konsequenz Freiheit, Selbstbestimmung und Menschenwürde wichtiger ist als das Leben. Genauer: das bloße Überleben, das aber durch Unfreiheit und unwürdige Lebensbedingungen erkauft wird, erscheint mir wertlos. Keine Maßnahme zur bloßen Lebenserhaltung darf letztlich in einem Leben enden, das von Zwang, Fremdbestimmung und Unterdrückung geprägt ist. Das wäre für mich nicht akzeptabel.

Das hat mich zum Maßnahmengegner bei Corona gemacht, weil die Maßnahmen menschenunwürdige Konsequenzen hatten, weil die Freiheit der Menschen, ihre Möglichkeit, sich zu entwickeln und ihr Leben selbst zu gestalten, unzumutbar und auf absurde Weise beschnitten wurden. In so einer Welt würde ich nicht leben wollen, dann lieber an einem Virus zugrunde gehen. Und das macht mich heute zum entschiedenen Putin-Gegner und zum Unterstützer einer starken NATO und einer gut gerüsteten Bundeswehr, die dafür sorgen, dass sich Leute wie Putin nicht weiter vorwagen, und deshalb bin ich dafür, die Ukraine militärisch zu unterstützen, damit sie Putin möglichst irgendwann zurückdrängen und der es unterlässt, andere Nachbarn anzugreifen.

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Nun mag man sagen: Deine Prämissen nehmen auch den Tod von Menschen in Kauf, die das vielleicht anders sehen. Voraussetzung für Freiheit ist Leben und überhaupt kannst du das doch nicht für alle entscheiden. Letzteres ist richtig, aber ich kann mich in den gesellschaftlichen Diskurs einmischen und meine Position verteidigen. Und nicht jedes Leben ist Voraussetzung für Freiheit, es gibt auch Lebensbedingungen, die keine Freiheit und Selbstbestimmung zulassen und deshalb unwürdig sind.

Und das macht mich jetzt auch zum Unterstützer einer starken NATO, der Investition in Waffentechnik, der Pflicht zum Dienst für die freiheitliche Gesellschaft. Ich bin vollkommen überzeugt davon, dass ein Leben unter einer Putin-Diktatur mit Verletzungen der Menschenwürde verbunden ist, und dass allen geholfen werden muss, die sich zu Recht davor fürchten, von diesem Diktator angegriffen zu werden. Mir schiene ein Leben unter solchen Bedingungen wert- und sinnlos und auch wenn ich mich selbst, hier in Münster, nicht fürchten muss, denke ich, dass ich diejenigen unterstützen muss, die sich da nicht so sicher sein können.

Irrtum nicht ausgeschlossen, weder in der Kriegs- noch in der Corona-Frage

Aber, so könnte man sagen, was ist, wenn du dich nun irrst, wenn du den Politikern, Medien und Wissenschaftlern gar nicht trauen kannst? Hat das die Pandemie nicht bewiesen? Glaubst du wirklich, dass die da alle ehrlich waren und nur die falsche Balance zwischen Freiheit und Leben gewählt haben?

Ja, das weiß ich nicht, weder für die Frage nach Corona noch bei der nach dem Krieg. Ich kann dazu nur sagen, dass ich diese Maßnahmen während der Corona-Zeit eben auch nicht plausibel und sinnvoll fand, und dass ich das aber mit der Hilflosigkeit und dem Bedürfnis nach Handlungssicherheit bei den Verantwortlichen, verbunden mit dem Erwartungsdruck der Öffentlichkeit erklären konnte. Heute, wo ein Krieg wieder denkbar wird, finde ich die Notwendigkeit von Aufrüstung und Stärkung der Verteidigungsfähigkeit plausibel und sehe auf der anderen Seite keinen vergleichbaren öffentlichen Handlungsdruck.

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Aber ich kann mich irren, so, wie ich mich schon manches Mal im Laufe meines Lebens geirrt habe.

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