„Hoffnung, Mut und Stolz“ – Die neue Regierung in den Niederlanden fährt einen rechten Kurs

In den Niederlanden ist die neue Kabinettsbildung fast abgeschlossen. Es soll ein neuer rechter Kurs gefahren werden. Die Koalition sieht die strengste Asylpolitik aller Zeiten vor. Nicole Krey durfte als Bürgerin mit deutscher Staatsangehörigkeit zwar nicht wählen, hat sich aber die Koalitionsvereinbarung angesehen und fragt heute: Ist der rechte Kurs ein Trend, der sich auch in Deutschland und Europa durchsetzen wird?

Bild von Nikodi auf Pixabay

Die Niederlande waren zuletzt gleich zwei Mal in aller Munde: Erst im Rahmen des Eurovision Song Contests, als der niederländische Kandidat Joost Klein kurz vor dem Finale disqualifiziert wurde und wenige Tage später gleich noch einmal, weil überraschend eine Koalitionsvereinbarung gefunden wurde die einen rechten Kurs vorsieht. Es soll die strengste Einwanderungspolitik aller Zeiten werden. Laut Wilders sollen „die Niederlande wieder den Niederländern gehören“. „Die Sonne wird wieder scheinen in den Niederlanden“, verspricht er.

Nach 56 Tagen „formatiegesprekken“ ist es nun soweit: Die Niederlande haben die Grundlage für eine Koalition gefunden. In den Niederlanden spricht man im Rahmen der Koalitionsverhandlungen von „Formationsgesprächen“, da es einen sogenannten „Formateur“ oder „Regierungsbildner“ gibt, der die Rolle innehat, nach den Wahlen der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments im Auftrag des Königs ein Kabinett zu bilden. Der Formateur wird seinerseits empfohlen vom „Informateur“, der im Namen des Königs die Möglichkeiten ermittelt hat, wie ein Mehrheitskabinett zustande kommen könnte.

Die Parteivorsitzenden Geert Wilders (Partij voor de Vrijheid, PVV), Dilan Yesilgöz (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie, VVD), Pieter Omtzigt (Nieuw Sociaal Contract, NSC), Caroline van der Plas (Boeren Burger Beweging, BBB) sprachen am Formationstisch miteinander und kamen zum sogenannten Hoofdlijnenakkoord, das den Titel „Hoop, Lef en Trots“ („Hoffnung“, „Mut“ und „Stolz“) trägt. „Hoofdlijnenakkoord“ bedeutet, dass die Koalitionsabsprachen in Grundrissen festgelegt und die Einzelheiten später ausgearbeitet werden, ähnlich einer Absichtsvereinbarung. Sobald der „Hoofdlijnenakkoord“ vorliegt, müssen die Fraktionen noch zustimmen. Dann können noch kleine Änderungen vorgenommen werden, aber die Hauptbestandteile der Vereinbarung bleiben im Regelfall bestehen.

Wilders: „Die Sonne wird wieder scheinen in den Niederlanden“

Der neue rechte Kurs wurde festgelegt. Wer Ministerpräsident des Kabinetts werden wird, ist allerdings weiterhin unklar. Wilders hat auf den Posten im Rahmen der Vereinbarung verzichtet. Als Vorsitzender der größten Partei im Kabinett verkündete er aber bei der Präsentation des Hoofdlijnenakkoord am 16. Mai auf X: De zon gaat weer schijnen in Nederland! (“Die Sonne wird wieder scheinen in den Niederlanden”).

Die Kommentatoren sind vorhersehbarerweise grob in zwei Lager verteilt, sowohl unter den niederländischen als auch unter den deutschsprachigen Kommentatoren. Einige deutsche Kommentatoren erklären sinngemäß, es lese sich wie ein „Wunschprogramm für Deutschland“ und dass sie jetzt in die Niederlande immigrieren wollen, während einige niederländische Kommentatoren ihrerseits auswandern wollen, wo nun die extreme Rechte an die Macht käme. Niederländische Medien weisen auf Steuererhöhungen für kulturelle Veranstaltungen und Kürzungen beim Bildungs- und Klimabudget hin. Die Volkskrant interviewt Moscheenbesucher zum neuen Kabinett. Alice Weidel (AfD) gratuliert auf X indessen Geert Wilders und der niederländischen Regierung. Sollte es weitere Gratulationen gegeben haben, habe ich diese jedenfalls nicht mitbekommen. Eventuell liegt das aber auch an der Tatsache, dass die Regierung noch gar nicht endgültig gebildet wurde. Unklar ist auch weiterhin, wer den Posten des Ministerpräsidenten bekleiden wird. Die PVV wird die größte Regierungspartei im Kabinett sein. Das Formationsmitglied Yesilgöz von der VVD hatte jedoch im Vorfeld der Gespräche verlauten lassen, dass ihrer Meinung nach Wilders nicht die richtige Person sei, die Niederlande im Ausland zu repräsentieren und sie kein Kabinett mit ihm als Premier bilden würde. Ein Premier müsse „Menschen verbinden können“.

Hoofdlijnenakkord trägt den Titel „Hoffnung, Mut und Stolz“

Während die Emotionen bei den Kommentatoren auf X hochkochen, habe ich mir den „Hoofdlijnenakkoord“ einmal durchgelesen und möchte schauen, was dieser denn nun beinhaltet, und was darin überhaupt auf Deutschland übertragbar wäre.
Nach den einleitenden Worten, warum der Akkoord den Titel “Hoffnung, Mut und Stolz” erhalten hat, erläutern die Parteien PVV, VVD, NSC und BBB die konkreten Schritte:

– Lastenverlichting vanaf 2025, gericht op de hardwerkende Nederlanders, jong en oud, zoals de middeninkomens, ondernemers. En ook voor mensen in de knel en hun bestaanszekerheid.
– Het strengste toelatingsregime voor asiel en het omvangrijkste pakket voor grip op migratie ooit.
– Een grote impuls in woningbouw, infrastructuur, bereikbaarheid en energietransitie.
– Meer dan halveren van het eigen risico in de zorg tot het niveau van 165 euro in 2027 en investeren in de ouderenzorg.
– Baas in eigen bedrijf in landbouw en visserij; een impuls voor een toekomst van deze sectoren en voor voedselzekerheid voor ons allemaal.
– Meer zeggenschap van burgers door een ander kiesstelsel en versterking van grondrechten door een constitutioneel hof.
– Nederlanders veilig houden door een stevige aanpak van criminaliteit en terreur.”
Übersetzt bedeutet dies so viel wie:

– Steuererleichterungen ab 2025, die sich an die hart arbeitenden Niederländer richten, jung und alt, wie mittlere Einkommensbezieher, Unternehmer. Und auch für Menschen, die in Not geraten sind
-Die strengste Zulassungspolitik für Asyl und das umfassendste Paket zur Steuerung der Migration, das es je gab.
– Ein großer Impuls für Wohnungsbau, Infrastruktur, Erreichbarkeit und Energiewende.
– Mehr als eine Halbierung des eigenen Beitrags im Gesundheitswesen auf 165 Euro im Jahr 2027 und Investitionen in die Altenpflege.
– Eigenverantwortung in der Landwirtschaft und Fischerei; ein Impuls für die Zukunft dieser Sektoren und für die Ernährungssicherheit für uns Alle.
– Mehr Mitsprache der Bürger durch ein anderes Wahlsystem und Stärkung der Grundrechte durch ein Verfassungsgericht.
– Die Sicherheit der Niederländer gewährleisten durch entschlossenes Vorgehen gegen Kriminalität und Terror.

Es würde zu weit führen, jeden einzelnen Punkt vor dem Hintergrund des niederländischen Systems zu erläutern. So gibt es in den Niederlanden lediglich einen sehr kleinen, streng regulierten Mietsektor (Thema Wohnungsbau) und beispielsweise keine Werbepauschale bei der Einkommenssteuer. Dahingegen können Hypothekzinsen für Immobilieneigentum im Rahmen der Steuererklärung geltend gemacht werden. Im Gespräch war, dass diese Geltendmachung wegfallen und Immobilieneigentum stattdessen sogar als Vermögen belastet werden soll. Dieser Gedanke scheint nun nach dem Akkoord vom Tisch zu sein.

Hinsichtlich der Halbierung des eigenen Beitrags im Gesundheitswesen bleibt festzuhalten, dass die Situation hier mit der deutschen ebenfalls nicht vergleichbar ist: In den Niederlanden wird keine Unterscheidung gemacht zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung. Der Versicherungsnehmer zahlt monatlich an seine Krankenversicherung die festgelegte Prämie und darüber hinaus gilt eine Selbstbeteiligung. Der Gesetzgeber hat die Selbstbeteiligung für alle Versicherten für 2024 auf 385 EUR festgelegt. Erst wenn der Versicherte oder der Dienstleister Rechnungen einreichen die diesen Betrag übersteigen, erstattet die Krankenkasse notwendige Arztbesuche, Therapien oder Medikamente. Diese Selbstbeteiligung soll reduziert werden.

Die Bauern sollen laut dem Akkoord pragmatischeren Regelungen unterworfen werden, Import von Nahrungsmitteln soll eingeschränkt werden, die niederländische Fischerei wieder einen höheren Stellenwert bekommen. Dazu soll das Ministerium auch einen neuen Namen bekommen, bei dem die Fischerei ausdrücklich mitaufgenommen wird. Das Budget für Klima soll gekürzt und anderweitig eingesetzt werden.

Interessante geplante rechtsstaatliche Reform

Interessant finde ich als Juristin die geplanten Reformen in Bezug auf den Rechtsstaat und insbesondere den folgenden Punkt: Es soll ein Verfassungsgerichtshof eingerichtet werden, vor dem die Prüfung der klassischen Individualgrundrechte möglich wird. In den Niederlanden gibt es keine dem Bundesverfassungsgericht vergleichbare Instanz, weshalb die Prüfung von Grundrechten derzeit lediglich vor dem EuGH möglich ist.

Ausdrücklich soll dem Bürger ein „Recht auf Irren“ eingeräumt werden. Ein einziger Fehler dürfe nicht mehr dazu führen, dass ein Bürger große Probleme bekomme. Staatliche Mahn- und Inkassogebühren werden stark runtergeschraubt, so der Akkoord. Dieser Punkt ist positiv hervorzuheben, denn in den Niederlanden ist Irren nach meiner Erfahrung oft nur auf der „stärkeren“ Seite ein Recht. Befindet man sich dagegen in der schwächeren Position, sieht es oft leider schwarz aus. Ob hier implizit auf die sogenannte toeslagenaffaire („Kindergeldaffäre“) angespielt wird, kann ich nicht sagen. Die Kindergeldaffäre hat zu existenziellen Problemen bei Betroffenen geführt. Dort wurde Bürgern von den Behörden Sozialbetrug unterstellt. Rechtliche Verteidigung gegen die Vorwürfe war quasi unmöglich, da den „Betrügern“ sämtliche Mittel entzogen wurden. Bürger verloren ihre Wohnungen, Kinder betroffener Eltern wurden in Obhut genommen. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Fehler hier auf Seiten des Staates lag, wurden Pauschalbeträge ausgezahlt. Der wirkliche Schaden und der Verbleib der in Obhut genommenen Kinder sind bis heute nicht aufgearbeitet.

Strengste Einwanderungspolitik aller Zeiten

Kommen wir nun zum vieldiskutierten Punkt der Asylpolitik. Es sollen konkrete Schritte unternommen werden um die strengste Migrationspolitik aller Zeiten umzusetzen. Dazu soll ein zeitweises Asylkrisengesetz erlassen werden, um die Asylströme der kommenden Zeit in den Griff zu bekommen. Dazu ist vorgesehen:

– Die Registrierung zu erzwingen und die Abwicklung von Asylanträgen auszusetzen. Während dieser Dauer wird das Recht auf Aufnahme eingeschränkt;
– Personen ohne Aufenthaltstitel werden so viel wie möglich abgeschoben;
– Es soll ein Verbot erlassen werden, Flüchtlingen Vorrang am sozialen Wohnungsmarkt zu geben.
Die Überwachung an den Grenzen wird verschärft; die Niederlande sollen ein Opt-Out-Recht bezüglich europäischer Migrationspolitik und die strengsten Zulassungsvoraussetzungen für Asylsuchende erhalten.

Umgesetzt werden soll dies u.a. durch die folgenden Maßnahmen:
– Innerhalb des Zulassungsverfahren soll die Beweislast beim Asylsuchenden hinsichtlich seiner
Identität und dem Recht seines Aufenthaltes liegen. Handydaten können ausgelesen und der Rechtsbeistand eingeschränkt werden
– Grenzkontrollen werden verschärft und illegale Migranten an der Grenze nach Deutschland
oder Belgien zurückverfrachtet, u.a. wenn diese keinen Identitätsnachweis bei sich tragen;
– Keine automatischen Familienzusammenführungen;
– Hartes Vorgehen gegen kriminelle Asylsuchende. Diese sollen beispielsweise der Flüchtlingsunterkunft verwiesen oder abgeschoben werden können. In Flüchtlingsunterkünften soll streng gegen Flüchtlinge aufgetreten werden, wenn diese mit Gewalt auffallen, insbesondere gegen weibliche Asylsuchende, Asylsuchende mit LHBTIQ+- oder christlichem Hintergrund;
– Nicht mitwirken an der eigenen Abschiebung soll unter Strafe gestellt werden;
– Der Begriff „sicheres Herkunftsland“ soll ausgeweitet werden auf „sichere Gegenden des Herkunftslandes“;
– Menschenhandel soll eingedämmt werden.

Auch soll die Politik in Bezug auf Arbeitsmigranten verschärft und dabei die Arbeitgeber stärker in die Verantwortung genommen werden. Neue Unternehmen sollen kritisch beurteilt werden mit Blick auf die benötigten Flächen, Energie und Arbeitsmigranten, Niedriglöhne bei Arbeitsmigranten vermieden werden. Arbeitgeber sollen beispielsweise dafür verantwortlich sein, wenn Arbeitsmigranten die Ursache für Belästigungen oder Kosten sind und keinen festen Wohnsitz haben. Ferner sollen die Arbeitgeber dazu verpflichtet werden, dass ihre Arbeitsmigranten die niederländische Sprache erlernen.

Im Kontext der Integration wird der Nachdruck darauf gelegt, dass „du einer von uns bist, wenn du mitmachst und die niederländischen Werte unterschreibst“: Es werden Kenntnisse der Sprache und Kultur verlangt. An Universitäten sollen mehr Studiengänge in niederländischer Sprache angeboten werden, die Einbürgerungszeit soll auf 10 Jahre verlängert und das Sprachniveau im Rahmen der Einbürgerung auf das Niveau B1 angehoben werden. Kenntnisse über den Holocaust und seine Opfer sind Voraussetzung für die Integration, Gebetsaufrufe werden reguliert und Maßnahmen gegen ungewünschte Praktiken wie Genitalverstümmelung und Zwangsehen getroffen.

“We zijn hier in Nederland”!

Gewissermaßen betrachte ich die Regierungsbildung und die Pläne der neuen Regierung von außen. Obwohl ich in den Niederlanden wohne, darf ich hier als EU-Bürger mit deutscher Staatsangehörigkeit lediglich bei Kommunalwahlen abstimmen. Dennoch betreffen mich die Regierungspläne natürlich unmittelbar. Mich überraschen die Pläne nicht, denn ich habe die Niederländer auch schon vor der neuen Regierung kennengelernt als ein Volk, dem es wichtig ist, dass du „einer von ihnen bist“. Dazu gehören vor allem niederländische Sprachkenntnisse. Ich kann gar nicht aufzählen wie oft ich den Satz gehört habe: „We zijn hier in Nederland!“(also „Wir sind hier in den Niederlanden!“), der impliziert, dass ich aufgrund meines deutsches Hintergrundes schlicht keine Ahnung habe, wie es in den Niederlanden funktioniert. Für mich war es immer selbstverständlich, dass ich mich dem als Migrantin anpasse und daher spreche ich die Sprache fließend und kenne ich mich mit sämtlichen Gepflogenheiten wie dem Freitagsmittagsumtrunk („Vrijdagmiddagborrel“) aus.

Überraschend war für mich die letzten Jahre, dass die Erwartungshaltung an Migranten schrittweise herabgesetzt und auf einmal toleriert wurde, dass Kollegen in Unternehmen beispielsweise Portugiesisch miteinander sprachen oder Arbeit ablehnen durften, weil sie der niederländischen Sprache nicht mächtig seien. Das Sprachniveau auf B1 anzuheben, hat daher meine vollste Zustimmung, denn ohne gemeinsame Sprache funktioniert das Zusammenleben nicht. Interessant finde ich, dass die Niederländer die illegalen Einwanderer über die Grenze nach Deutschland oder Belgien abschieben wollen. Es wird argumentiert, dass die Niederlande eben ein kleines, überbevölkertes Land sind. Fläche und Bevölkerungsdichte sind jedoch beide vergleichbar mit NRW, sodass man dieser Logik gemäß eigentlich ins schwächer besiedelte Belgien abschieben müsste. Die Vorgehensweise wird daher keine Dauerlösung sein.

Ob „die Sonne in den Niederlanden wieder scheinen wird“ bleibt abzuwarten. Ich konzentriere mich jetzt erstmal auf die Europawahl, denn da darf ich wieder mitmachen.

Nicole Krey
Gebürtige Bonnerin, aufgewachsen in den Niederlanden. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft und anschließender Tätigkeit als Anwältin in Düsseldorf ist sie inzwischen als Unternehmensjuristin im digitalen Bereich tätig und wohnt wieder an der niederländischen Küste. Als Angehörige der Generation X hat sie in den 90ern auf einem 386er noch über MS-DOS prompt Befehle eingegeben, sich mit Unbekannten in Chatrooms über Musik ausgetauscht und Partys ohne Smartphone gefeiert.

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