Linnemann und der kurze Prozess
Der designierte Generalsekretär der CDU haut gleich mal einen raus. Schnellverfahren für Schwimmbadschläger und Klimaaktivisten. Ein durchsichtiges Manöver. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.
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Neue Besen kehren gut, sagt der Volksmund. Und auch sonst hat der Volksmund so einiges in petto. Die Strafe folgt auf dem Fuße, oder kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort. Nun kombiniert der neue Schießhund von Friedrich Merz gleich mehrere Weisheiten und fordert Schnellverfahren.
Schnellverfahren sind der feuchte Traum eines jeden Hilfssheriffs im Wilden Westen. Zack, Pferdedieb erwischt, Schlinge geknotet, ab an den nächsten Baum.
Bei Lindemann, ach nee, das ist ja der andere, also bei Linnemann klingt das dann so:
Wer mittags im Freibad Menschen angreift, muss abends vor dem Richter sitzen und abgeurteilt werden. Auch am Wochenende. Die Strafprozessordnung gibt das her.“
Ja, nee, is klar. Selbstverständlich gibt die Rechtsordnung das her. Also sagen wir mal so, theoretisch gäbe sie das her, wenn, ja wenn nicht die störende Realität etwas anderes sagen würde.
§ 417 Zulässigkeit
Im Verfahren vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht stellt die Staatsanwaltschaft schriftlich oder mündlich den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist.
Damit ein beschleunigtes Verfahren überhaupt durchgeführt werden kann, müssen die Voraussetzungen des § 417 StPO erfüllt sein.
Das bedeutet, dass zunächst in erster Instanz ein Amtsgericht für die Sache zuständig sein muss. Damit ist gleich mal ausgeschlossen, dass das beschleunigte Verfahren bei schweren Delikten durchgeführt werden kann. Außerdem müsste die Staatsanwaltschaft schriftlich oder mündlich einen Antrag auf Aburteilung im beschleunigten Verfahren, auch Schnellantrag genannt, stellen. Dabei muss dem Antrag keine Anklageschrift beigefügt werden. Die Staatsanwaltschaft ist zu entsprechender Antragstellung verpflichtet, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, die ein solches Verfahren erlauben und ein Strafbefehl nicht in Betracht kommt. Auf dem Papier ist das so. Tatsächlich eher nicht.
Grau
Denn wie so oft im Leben – grau ist alle Theorie. Ich bin seit 1987 als Strafverteidiger tätig und wissen Sie was, ich habe noch nie ein Schnellverfahren erlebt. Und das ist auch gut so.
Was Linnemann sich da zusammen fantasiert, scheitert schon an der miserablen personellen Ausstattung von Staatsanwaltschaft und Gerichten. Wer ernsthaft glaubt, die könnten innerhalb eines Tages mal ratzfatz so zwischendurch ein paar Schnellverfahren einschieben, der hat nicht den leisesten Schimmer.
Aber selbst wenn die Politik sich einmal irgendwie , irgendwo, irgendwann dazu durchringen würde, der Justiz ausreichende Mittel zu geben, damit sie personell aufstocken kann, würde sich die Zahl der Schnellverfahren kaum steigern lassen. Denn die Zahl der Schnellverfahren ist trotz des schönen § 417 StPO verschwindend gering. So wurden im Jahr 2019 in Deutschland zwar 660.816 Strafverfahren vor dem Amtsgericht erledigt (ohne Jugendschutzsachen, Privatklagen und beschleunigte Verfahren), aber nur popelige 13.789 Verfahren, die nach §§ 417 ff. StPO eingeleitet worden waren (etwa 2,1 Prozent).
Duftmarke
Nun ist es natürlich nachvollziehbar, wenn ein künftiger General schon mal, wie ein neuer Rüde im Revier, seine Duftmarken setzen will, um eventuell der AfD ohne Substanz die AfD mit Substanz zu präsentieren. Allerdings sollte man das vielleicht nicht ganz so plump versuchen.
Linnemanns Vorschlag ist heiße Luft. Und es reicht doch, wenn die AfD heiße Luft verbreitet; da muss die CDU nicht mithalten.
Wer einmal ein Strafverfahren über eine Schlägerei mit mehreren Beteiligten geführt oder auch nur live und in Farbe im Gerichtssaal miterlebt hat, der weiß, dass das eben keine „einfachen Sachverhalte“ und die Beweislage in der Regel alles andere als klar sind. Ist nämlich nicht so simpel, wie sich manch einer das vorstellt. Es ist eben nicht immer der junge Migrant, der die Schlägerei angezettelt hat und genauso ist es nicht immer der Neonazi, der den jungen Migranten davon abhalten wollte, ihm die Frauen wegzunehmen. Das sind häufig äußerst komplizierte Beweislagen und am Ende steht gar nicht so selten ein Freispruch.
Zudem bedeutet Schnellverfahren nicht – was sich mancher so wünscht –, dass der Angeklagte kein Recht auf Verteidigung hat. Und der Verteidiger muss erst mal mit dem Mandanten sprechen, dann muss er Akteneinsicht bekommen und dann muss er auch noch Zeit haben. Es ist nicht so, dass Strafverteidiger den ganzen Tag aufgeregt in ihren Kanzleien darauf warten, dass sie mal kurz dabei helfen, jemanden auf die Schnelle zu verknacken.
Geld
Ja, es wäre schön, wenn Verfahren, die teilweise erst ein Jahr oder noch später nach der Tat beginnen, etwas schneller absolviert werden könnten. Aber dazu bedarf es keiner blöden Forderungen von Politikern, die vom Strafprozess so viel Ahnung haben wie vom Kühe melken. Dazu bedarf es massenhaft mehr Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Geschäftsstellenpersonal, Richterinnen und Richter.
Ich weiß nicht, ob Herr Linnemann sich der Tatsache bewusst ist, dass bei diesen Schlägereien, die übrigens gar nicht mehr, sondern vielmehr weniger geworden sind (was in der aktuellen Vormerzwahlkampflage aber keine Sau interessiert), meistens Jugendliche oder Heranwachsende beteiligt sind. Die Anzahl der 80-Jährigen unter den Beteiligten dürfte verschwindend gering sein. Das beschleunigte Verfahren ist aber nur gegen Erwachsene und Heranwachsende zulässig, nicht aber gegen Jugendliche. Und auch bei den Heranwachsenden kommt es nur dann in Betracht, wenn die zwingend vorgeschriebene Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe gewährleistet ist. Fragen Sie mal bei ihrem Jugendamt, wie viele Mitarbeiter da als Jugendgerichtshilfe tätig sind, und ob die zeitlich noch Luft nach oben haben. Die Antwort kenne ich schon: Überlastung, Überlastung, Überlastung.
Was Herr Linnemann fordert, ist also reine Propaganda und weit an der Realität vorbei.