Ein Landrat in Thüringen
Nach der Wahl eines AfD-Landrats in Sonneberg fragten viele Leser, welche Rechte und Pflichten so ein Landrat in Thüringen eigentlich hat. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.
Ein Landrat in Thüringen hat verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten, um seine Aufgaben im Rahmen des Landratsamtes wahrzunehmen. Geregelt ist das in den § 106 ff der Thüringer Gemeinde- und Landkreisordnung (Thüringer Kommunalordnung/ThürKO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Januar 2003.
Der Landrat ist Beamter auf Zeit
Als Beamter hat er – wie jeder andere Beamte auch – eine Treuepflicht gegenüber der Verfassung, also dem Grundgesetz. Normalerweise wird die diesbezügliche Eignung des Kandidaten vom Kreiswahlleiter und dessen Ausschuss vor der Wahl geprüft. Es wäre interessant zu erfahren, nach welchen Kriterien und in welcher Intensität der Kreiswahlleiter dies getan hat.
So sieht 24 ThürKWG (Thüringer Gesetz über die Wahlen in den Landkreisen und Gemeinden (Thüringer Kommunalwahlgesetz – ThürKWG) fFolgendes vor:
(3) Zum Bürgermeister kann nicht gewählt werden, wer nicht die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung eintritt. Darüber hinaus ist nicht wählbar, wer im Übrigen die persönliche Eignung für eine Berufung in ein Beamtenverhältnis nach den für Beamte des Landes geltenden Bestimmungen nicht besitzt. Jeder Bewerber für das Amt des Bürgermeisters hat für die Zulassung zur Wahl gegenüber dem Wahlleiter eine schriftliche Erklärung abzugeben, ob er wissentlich als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter mit dem Ministerium für Staatssicherheit, dem Amt für Nationale Sicherheit oder Beauftragten dieser Einrichtungen zusammengearbeitet hat; er muss ferner erklären, dass er mit der Einholung der erforderlichen Auskünfte insbesondere beim Amt für Verfassungsschutz sowie beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR einverstanden ist und ihm die Eignung für eine Berufung in das Beamtenverhältnis nach den für Beamte des Landes geltenden Bestimmungen nicht fehlt. Der Inhalt dieser schriftlichen Erklärung des Bewerbers wird zusammen mit dem als gültig zugelassenen Wahlvorschlag nach § 18 bekannt gemacht. Das Nähere regelt die Kommunalwahlordnung.
Dass da Bürgermeister steht, macht nichts. Das gilt ebenso auch für Landräte.
Gesichert rechtsextremistisch
Ob nun tatsächlich ein Mitglied einer Partei, die vom Landesverfassungsschutz seit gut 2 Jahren als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wird, diese Kriterien persönlich erfüllt, kann ich nicht beurteilen. Die AfD-Mitgliedschaft als solche reicht sicher nicht aus, ihm die Zulassung zu verweigern, da diese Partei (noch) nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde. Das ändert aber nichts daran, dass der Kandidat selbst überprüft werden kann und dabei auch die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes abgefragt werden. Ob dies durch den Wahlleiter alles geschehen ist, weiß ich nicht.
Es ist auf jeden Fall gut, dass das Landesverwaltungsamt Thüringen nun eine Prüfung der persönlichen Eignung und der Verfassungstreue des neuen Landrats durchführen will. Das ist schließlich sein Job.
Es kann also durchaus noch passieren, dass Herr Sesselmann nicht der Mann für den Sessel des Landrats werden wird. Ob das jetzt dessen Wählern gefällt oder nicht, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Interessant ist, dass offenbar Thüringens CDU-Fraktionschef Mario Voigt die Überprüfung kritisch sieht. So warnte er davor, die AfD in eine Opferrolle zu bringen.
Ich hätte mir ein anderes Ergebnis gewünscht, aber das ist dann eine demokratische Entscheidung
sagte er. Nun können Wähler keine „demokratische Entscheidung“ über die Eignung eines Kandidaten treffen, wenn diesem diese Eignung fehlten sollte. Es ist auch nicht ihre Aufgabe und schon gar nicht die Aufgabe der CDU, diese Entscheidung zu treffen, sondern die der zuständigen Behörden. Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass da schon etwas zusammenwächst, wogegen Herr Merz eigentlich eine Brandmauer aufstellen wollte. Aber der wollte ja auch die AfD halbieren. Und der antifaschistische Schutzwall hat uns offenbar im Westen auch nicht vor den Faschisten aus dem Osten beschützt – allerdings den Osten auch nicht vor den Faschisten aus dem Westen, die im wilden Osten ihre Chance sahen und effektiv genutzt haben.
Falls er nun Landrat wird, wären seine wichtigsten Gestaltungsbereiche folgende:
1. Verwaltung und Organisation
§ 107
Aufgaben des Landrats
(1) Der Landrat leitet das Landratsamt und bestimmt die Geschäftsverteilung. Er vollzieht die Beschlüsse des Kreistags und der Ausschüsse.
(2) Der Landrat erledigt in eigener Zuständigkeit
1.
die laufenden Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises des Landkreises, die für den Landkreis keine grundsätzliche Bedeutung haben und keine erheblichen Verpflichtungen erwarten lassen und
2.
die Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises des Landkreises (§ 88).
Die Bestimmungen des § 29 Abs. 3 für kreisfreie Städte gelten entsprechend.
(3) Der Kreistag kann dem Landrat im Einzelfall durch Beschluss mit dessen Zustimmung oder allgemein durch die Hauptsatzung weitere Angelegenheiten zur selbständigen Erledigung übertragen; das gilt nicht für Angelegenheiten, die nach § 105 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 26 Abs. 2 nicht auf beschließende Ausschüsse übertragen werden können. Der Kreistag kann dem Landrat übertragene Angelegenheiten im Einzelfall nicht wieder an sich ziehen; das Recht des Kreistags, die Übertragung allgemein zu widerrufen, bleibt unberührt.
Der Landrat ist also für die Organisation und Leitung des Landratsamtes zuständig. Er kann damit die Verwaltungsstrukturen und -abläufe festlegen und Personalentscheidungen treffen. Wer meint, das sei ja nicht so wichtig, weil es sich ja nur um ein Kaff im Osten handelt, liegt vermutlich falsch. Da leben Menschen und die Entscheidungen auf kommunaler Ebene sind die Entscheidungen, die die Menschen als erste erreichen.
Welche Personalentscheidungen ein Landrat trifft und wie er damit den Charakter seiner Verwaltung prägt – wer zum Beispiel Leiter der Ausländerbehörde wird – ist für deren Tätigkeit nicht unwichtig. Peu à peu kann man sich so eine genehme und für Ausländer unangenehme Verwaltung zusammenbauen.
2. Haushalts- und Finanzpolitik
Der Landrat ist auch verantwortlich für die Aufstellung und Umsetzung des Haushaltsplans des Landkreises. Er kann über die Verteilung der finanziellen Ressourcen entscheiden und Projekte oder Maßnahmen initiieren. Auch hier geht es nicht um Marginalien. Der aktuelle Etat des Kreises Sonneberg weist Einnahmen und Ausgaben in Höhe von insgesamt rund 117,5 Millionen Euro aus. Soweit der Landrat in der Vergabe der Mittel nicht an gesetzliche Vorgaben gebunden ist, macht es schon einen Unterschied, wofür er künftig die Mittel einsetzen wird.
3. Kommunalpolitik
Der Landrat vertritt den Landkreis gegenüber anderen politischen Akteuren und ist Ansprechpartner für die Gemeinden im Landkreis. Er kann bei kommunalpolitischen Entscheidungen mitwirken und das Anliegen des Landkreises in übergeordneten Gremien vertreten.
§ 109
Vertretung des Landkreises
(1) Der Landrat vertritt den Landkreis nach außen.
(2) Erklärungen, durch welche der Landkreis verpflichtet werden soll, binden ihn nur, wenn sie in schriftlicher Form abgegeben werden. Die Erklärungen sind durch den Landrat oder seinen Stellvertreter unter Angabe der Amtsbezeichnung handschriftlich zu unterzeichnen. Sie können aufgrund einer den vorstehenden Erfordernissen entsprechenden Vollmacht auch von Beigeordneten oder Bediensteten des Landkreises unterzeichnet werden.
In Eilfällen kann er sogar zunächst auch ganz alleine entscheiden.
Allerdings kann er nun sicher keines der Themen durchsetzen, die er im Wahlkampf propagiert hat. Er kann weder „den Euro abschaffen“, noch „die Grenzen schließen“ oder gar die „Frauen vor dem Islam schützen“. Dass er das alles nicht kann, ist ihm auch bewusst. Aber das macht ja nichts. Oder:
Die Themenbereiche, die jetzt konkret hier vor Ort sind, die interessieren die Leute nicht“,
sagte Sesselmann vor der Stichwahl im Gespräch mit dem „Deutschlandfunk“.
Die Menschen auf der Straße interessiere eher, wie es mit den Sanktionen gegen Russland weiterginge oder wie sich die Energiepreise entwickelten. Ja, mag sein, aber auch da kann der Landrat nichts dran ändern oder will er jetzt unmittelbar mit Putin über das Ende der Sanktionen verhandeln? Vielleicht merken das ja auch seine Wähler bald, oder denen ist eh schon alles egal und die hoffen einfach darauf, dass jetzt einfach mehr abgeschoben wird.
Gerade im Bereich des Ausländerrechtes kann so ein Landrat ganz schön fies werden. Denn er muss sich zwar an die gesetzlichen Vorgaben halten; aber wenn es darum geht, Geflüchtete im Landkreis unterzubringen, kann er z.B. entscheiden, ob Schutzsuchende in privaten Wohnungen, in Gemeinschaftsunterkünften, in Turnhallen oder gar in Zelten untergebracht werden. Und da kann man sich schon vorstellen, was seine Wähler und auch seine Partei von ihm erwarten. Und bis Gerichte dann da reingrätschen, wird schon mancher Flüchtling aus Sonneberg ins Rheinland geflüchtet oder abgeschoben worden sein.
In der AfD gab es schon Stimmen, die erwarten, dass bei Flüchtlingen von Geld- auf Sachleistungen umgestellt wird. Das ist sogar unter engen gesetzlichen Voraussetzungen möglich, wenn auch nicht einfach.
Ich kann mir vorstellen, dass das Klima für Geflüchtete in Sonneberg künftig unangenehm wird, denn auch bloße Verwaltungsentscheidungen, insbesondere wenn es Ermessensentscheidungen sind, können den Menschen das Leben ganz schön schwer machen.
§ 108
Eilentscheidungsrecht
Der Landrat kann in Angelegenheiten, deren Erledigung nicht ohne Nachteil für den Landkreis bis zu einer Sitzung des Kreistags oder des zuständigen Ausschusses aufgeschoben werden kann und kein Beschluss nach § 112 in Verbindung mit § 36a gefasst wird, anstelle des Kreistags oder des Ausschusses entscheiden. Die Gründe für die Eilentscheidung und die Art der Erledigung sind den Kreistagsmitgliedern oder den Mitgliedern des zuständigen Ausschusses unverzüglich mitzuteilen.
4. Öffentliche Sicherheit und Ordnung
Der Landrat hat die Aufgabe, die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Landkreis zu gewährleisten. Dazu gehören z.B. die Zusammenarbeit mit der Polizei, die Organisation des Katastrophenschutzes oder die Überwachung der Einhaltung von Gesetzen und Verordnungen. Immerhin ist der Landrat in Thüringen nicht, wie z.B. in NRW, Leiter der Kreispolizeibehörde. Er kann der Polizei also keine direkten dienstlichen Anweisungen geben.
Ich bin gespannt, ob es tatsächlich den ersten AfD-Landrat in Deutschland geben wird und falls ja, wie das sich in den nächsten 6 Jahren entwickeln wird.
Aber wer weiß, vielleicht heißt es ja bald doch noch, räumen Sie den Sessel, Mann, Herr Sesselmann.